#GermanMut und die Selbstaufgabe der FDP

2017 erteilte die FDP der Jamaika-Koalition eine Absage – drei rückgratlose Lindner’sche Appeasement-Jahre gegenüber der Merkel-Politik später fragt man sich: Warum eigentlich?

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner© Odd ANDERSEN , AFP

Von Anabel Schunke

Ich erinnere mich noch gut, als Christian Lindner nach Tagen zäher Verhandlungen im November 2017 vor die Presse trat und verkündete, dass es besser sei, „nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ und damit der ersten Jamaika-Koalition auf Bundesebene eine Absage erteilte.

Nicht Wenige warfen ihm damals vor, unmutig agiert zu haben. Die damalige Verhandlungsführerin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, sagte, die FDP hätte sich nicht für die gemeinsame Verantwortung entschieden. Am Ende gab es, unter heftigem Zähneknirschen vieler SPD-Mitglieder, eine Neuauflage der Großen Koalition.

Entgegen vieler anderer Stimmen äußerte ich mich damals positiv zur Entscheidung der FDP. Das mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass eine Koalition zwischen Grünen, FDP und CDU – anders, als es bei vielen Journalisten-Kollegen der Fall ist – nicht zu meinen feuchten Polit-Träumen gehört.

Für mich war die Absage an eine Koalition mit den Grünen alles andere als unmutig. Sie war notwendig. Wirft man Politikern und Parteien oft genug vor, es würde ihnen nur um Macht gehen, belegte die FDP mit ihrer Entscheidung, nicht zu regieren, doch ausnahmsweise das Gegenteil. Man hatte aus dem Rauswurf aus dem Bundestag 2013 gelernt. Damals hatte man sich von der unter Merkel zur sozialdemokratisch entwickelten CDU marginalisieren lassen. Eine Koalition mit eben dieser sozialdemokratischen CDU und den Öko-Sozialisten hätte auch noch das letzte bisschen Liberalismus aus der FDP geprügelt.

 

Vom bunten Polit-Buffet hier und da die Rosinen herauspicken

Abgesehen davon träumen von solchen Koalitionen ohnehin nur diejenigen, die grundsätzlich keine Ahnung von den großen politischen Ideenschulen haben und deshalb nicht verstehen, weshalb Liberalismus und grüner Öko-Sozialismus nie auf einen Nenner kommen werden. Es sind jene, die deshalb glauben, man könne sich vom bunten Polit-Buffet hier und da die Rosinen herauspicken. Ein bisschen Umwelt ist schön. Grüne wählt man für’s Gewissen. Und die FDP und CDU sollen mit ihrer Realpolitik dafür sorgen, dass wir zumindest am Ende nicht alle auf Eseln reiten. Aber so funktioniert das nicht. Man kann nicht einerseits fordern, dass Parteien ihr Profil wieder schärfen und sich andererseits für Koalitionen aussprechen, die nur dann funktionieren, wenn keine Partei noch irgendwelche Prinzipien verteidigt. Dass die FDP zumindest damals noch so etwas wie Überzeugungen hatte, lässt sich ja eben genau daran erkennen, dass man sich nicht auf diese Koalition eingelassen hat.

Es war das letzte Mal, dass ich Hoffnung in die FDP gesetzt habe. Eigentlich hatte ich sie schon 2016 verloren. Als man zwar gute Ideen bezüglich einer Trennung von Einwanderung und Asyl vorlegte, aber irgendwie der Biss fehlte, sich auch wirklich damit Gehör zu verschaffen. Als man immer wieder zu Themen wie Asyl und Islam schwieg, als man hätte für meinen Geschmack laut sein müssen. In der Opposition ist das freilich nicht immer einfach. Angesichts einer linksgrün dominierten Medienlandschaft, die lieber ein drittes Mal Robert Habeck in eine Talkshow einlädt als einmal Christian Lindner, sowieso.

Das Problem besteht für die AfD allerdings in noch größerem Ausmaß. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass den Wählern der AfD auffällt, wenn sie zu gewissen Themen nicht gehört wird und die AfD es versteht, ihre Positionen dann anderweitig an die eigene Klientel zu bringen. Die FDP ist hingegen an einem Punkt der Selbstmarginalisierung angelangt, an dem es dem Wähler nicht einmal mehr auffällt, wenn man zu gewissen Themen nichts von ihr hört. Seit Jahren versäumt man es, sein Angebot lautstark zu formulieren. Im Endergebnis sinkt die Nachfrage nach einer liberalen Kraft in der deutschen Politiklandschaft. Das belegen nicht zuletzt die aktuellen Zahlen aus NRW.

 

Probleme, nicht einzuschlafen

Ja, wenn man einmal eine Weile die Stories auf Christian Lindners Instagram verfolgt, hat man schon arge Probleme, nicht einzuschlafen. Das ist gerade angesichts der Tatsache, dass wir in Deutschland akut einen Haufen Baustellen haben, bei denen eine klare liberale Position dringend erforderlich wäre, schon ein Armutszeugnis. Schlimmer noch: Es ist Arbeitsverweigerung und völlige Selbstaufgabe.

Ja, alles an dieser Partei wirkt mittlerweile lieb- und kraftlos. Mit #GermanMut wollte man einst punkten. Spätestens nach der Landtagswahl in Thüringen muss auch dem Letzten klar geworden sein, dass von dieser Partei alles, aber kein Mut zu erwarten ist. Aus „besser nicht regieren, als falsch regieren“ hätte in Thüringen „lieber regieren, als die Falschen regieren zu lassen“ werden sollen. Man hätte es durchziehen müssen. Gegen den Druck von Links und deren Wählerklientel, die einen sowieso nicht wählt. Man stand schon auf dem 10-Meter-Brett, bereit zu springen, und machte dann doch in letzter Sekunde einen feigen Rückzieher. Was folgte, war ein unwürdiges Entschuldigungs-Spektakel von Christian Lindner und die verpasste Chance, erstmalig einen liberalen Ministerpräsidenten zu stellen.

Bis heute begreift die FDP nicht, dass der Kampf gegen die AfD nicht mit substanzloser, hysterischer Abgrenzung funktioniert, sondern mit guter Politik. Dass das eigene verlorene Wählerpotenzial nicht bei den Grünen oder den Linken liegt, sondern vor allem bei der AfD, und dass man diese Menschen nicht zurückgewinnt, indem man sie verteufelt, sondern indem man ihnen ein gutes Alternativangebot liefert und dieses vor allem auch mit Leidenschaft und Biss formuliert. Indem man zeigt, dass es auch weniger populistisch, aber durchaus kritisch geht.

Stattdessen ist die FDP zum Inbegriff dessen geworden, was sich am ehesten mit „Liberal, scheiß egal“ umschreiben lässt. Wer glaubt, er könne angesichts brennender Flüchtlingscamps in Griechenland und eines bevorstehenden Wirtschaftseinbruches durch die Corona-Maßnahmen Wähler mit der Abschaffung des Soli und freiem W-Lan in Schwimmbädern gewinnen, der braucht sich am Ende nicht wundern, wenn sich immer mehr von ihnen fragen, wofür es eigentlich noch die FDP braucht, wenn die Probleme, die einem selbst als dringlich erscheinen, aus purer Angsthasenmentalität seit Jahren gar nicht oder allenfalls nur halbherzig besetzt werden.

 

Wirklich noch die Zeit für Floskeln?

Knappe vier Minuten widmete Christian Lindner dem Thema Moria, als er zuletzt vor die Presse trat. Deutschland hätte eine humanitäre Verantwortung, sagt er. Es ginge vor allem um die Aufnahme von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen. Einen nationalen Alleingang dürfe es von Deutschland, anders als 2015, jedoch nicht geben. Vielmehr bräuchte es eine europäische Lösung, so Lindner, und man möchte ihn augenblicklich schütteln und fragen, wer mit diesen Plattitüden aus 2015/16 im Jahre 2020 noch etwas anfangen soll? Die ehemaligen FDP-Wähler, die als Unternehmer angesichts der Zuwanderung aus mehrheitlich islamischen Ländern und einer Rekordsteuerbelastung das Land in Scharen verlassen? Haben wir angesichts einer derart raschen Abwanderung von Nettosteuerzahlern und einer unkontrollierten Zuwanderung von mehrheitlich Transferleistungsempfängern wirklich noch die Zeit für Floskeln, die schon vor fünf Jahren die politische Debatte um Asyl und Zuwanderung bestimmten?

Hat der FDP-Vorsitzende zudem verpasst, dass es bereits eine europäische Lösung gibt? Die überwiegende Mehrheit der EU-Länder möchte keine weiteren Migranten aufnehmen. Auch nicht jene Länder wie Österreich und Dänemark, die sich vor Kurzem noch an der Aufnahme beteiligten. Athen fürchtet bei einer Umverteilung gar, dass es zu einer Kettenreaktion kommt und reihenweise Camps angezündet werden, um sich so seine Eintrittskarte nach Deutschland zu verschaffen. Die Bundesrepublik steht isoliert da, und noch immer erzählt man von einer europäischen Lösung, weil man zu borniert ist, zu erkennen, dass die Lösung darin besteht, den deutschen Weg abzulehnen.

Das Ganze hat etwas von den üblichen Gesprächen über Asyl mit dem Durchschnittsbürger, der stets mit hundertprozentiger Sicherheit nach einiger Zeit Weisheiten wie „Wer Straftaten begeht, muss ausgewiesen werden“ von sich gibt, woraufhin alle in der Runde nicken. Das Gleiche gilt für Talkshow-Debatten, in denen zum 5367. Mal irgendein Politiker sagt, dass, wer bleiben will, sich an unsere Werte anzupassen und zu integrieren hat.

Dass weder Straftäter seit Anbeginn der Zuwanderung über das Asylrecht nach Deutschland automatisch ausgewiesen werden noch Menschen, die sich „nicht an unsere Werte anpassen“, spielt dabei keine Rolle. Was zählt, ist allein die hohle Geste der Aussage. Als würde man jemandem auf die Schulter klopfen, weil er sagt „Wer im Supermarkt ein paar Tomaten mitnimmt, sollte diese bezahlen“, während man den, der sich traut, die Frage in den Raum zu werfen, warum dennoch immer mehr Kunden ohne Konsequenzen Tomaten mitnehmen, ohne zu bezahlen und wann man gedenkt, endlich etwas dagegen zu tun, als Hetzer verunglimpft.

Es müssten eigentlich goldene Zeiten für den Liberalismus sein. Selten gab es so viele Themen und damit einhergehende politische Entscheidungen, die dem so zuwiderlaufen, wie es aktuell der Fall ist. Sie aufzuzeigen und liberale Alternativen zu formulieren, würde einen, wenn nicht sogar den essenziellen Beitrag liefern, um den Menschen wieder in Erinnerung zu rufen, was die großen Vorteile des Liberalismus sind. Warum der Liberalismus sich als Erfolgsmodell für Frieden und Wohlstand einst gegen andere Gesellschaftsmodelle durchsetzte. Warum wir den Meinungspluralismus der durch die political correctness verursachten Meinungskonformität vorziehen – auch und gerade, wenn es um Meinungen geht, die uns selbst zuwider sind. Warum ein Mietendeckel wie in Berlin eine Scheißidee ist. Genauso wie Steuererhöhungen in Krisenzeiten, wenn man ohnehin schon die höchste Steuer- und Abgabenlast weltweit hat.

 

Liberal bedeutet eben nicht scheißegal

Statt sich dem Islam in Deutschland anzubiedern, wäre es unbedingt wichtig, zu erkennen, dass der strenge Islam der direkte Antagonist der eigenen Ideenschule ist. Dass, wer für Meinungspluralismus, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und Toleranz gegenüber Minderheiten und marktwirtschaftlichen Leistungsgedanken ist, für das selbstverantwortliche Individuum, für Fortschritt und Wohlstand, unmöglich eine Religion hofieren kann, die in all diesen Punkten das exakte Gegenteil darstellt.

Und dass man in diesem Sinne auch keine völlig unkontrollierte Zuwanderung aus eben diesen Ländern befürworten oder dem Ganzen zumindest gleichgültig gegenüberstehen kann. Liberal bedeutet im eigentlichen Sinne eben nicht scheißegal. Der Liberalismus muss wehrhaft sein. Vor allem gegenüber jenen, die seine Freiheiten ausnutzen, um ihn abzuschaffen.

Wer Kant verstanden hat, weiß um die Intelligenz und Schönheit des liberalen Freiheitsbegriffes. Wer einmal Milton Friedman gelauscht hat, wenn er anhand eines Bleistiftes die Vorteile des freien Marktes erklärt, realisiert, auf welche geniale Art und Weise die „unsichtbare Hand“ Adam Smiths funktioniert. Und wer einmal Hayeks Dekonstruktion des Begriffes der „sozialen Gerechtigkeit“ gelesen hat, ist sich bewusst, dass nicht alles, was sich gut anhört, auch automatisch zu positiven Effekten führt.

Die staatsgläubige Bevölkerung der Bundesrepublik hatte nie sonderlich viel für den Liberalismus, der ihr all den Wohlstand und Frieden erst ermöglicht hat, übrig. In Zeiten, in denen sich der Totalitarismus in Form von political correctness, Open-Border-Ideologie und Öko-Diktatur jedoch wieder Bahn bricht und eine wachsende Klientel nur noch „Ansprüche“ ohne die Bereitschaft zur Gegenleistung an den Staat formuliert, ist das Bedürfnis nach einer starken liberalen Kraft bei der noch an die Leistungsgesellschaft glaubenden Mittelschicht umso größer. Nie haben sich so viele Menschen in Deutschland ihrer politischen Heimat beraubt gefühlt. Nie war es so einfach, mit den richtigen Themen, Wähler zu gewinnen. 78 Prozent der Deutschen sind mittlerweile der Meinung, man könne seine Meinung zu bestimmten Themen nicht oder nur noch mit Vorsicht äußern. Ist das kein Thema für eine liberale Partei?

Die FDP wird sich bald entscheiden müssen, ob sie den Weg ins politische Nirwana geht oder doch ihren Mut wiederentdeckt. Mit sozialliberalem Wischiwaschi funktioniert es nicht. Ob man für etwas anderes allerdings das richtige Personal hat, bleibt fraglich.

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