Pavel Feinsteins „Krokodilopolis“
Der jüdische Bildhauer und Maler gibt sein literarisches Debüt mit einem Roman über einen Israeliten im Alten Ägypten.
Pavel Feinstein wurde 1960 in Moskau in eine assimilierte jüdische Familie geboren. Der Vater nahm eine Professur für Architektur in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe an, was dazu führte, dass Feinstein seine Jugendjahre dort verbrachte. Als er 20 Jahre alt war, reiste die Familie über Wien nach West-Berlin aus, wo er an der Universität der Künste (UdK) Berlin Malerei studierte und auch heute weiterhin als freischaffender Künstler lebt. Seine Werke wurden bereits in zahlreichen Ausstellungen auf der ganzen Welt bewundert. Dass Feinstein nicht nur in der Malerei bewandert ist, bewies er kürzlich, als er für das Berliner Justizministerium eine bronzene Fritz-Bauer-Büste anfertigte. Doch das ist noch nicht alles: 40 Jahre nach dem Exodus aus der Sowjetunion gibt er sein literarisches Debüt, das es in sich hat. Natürlich ließ er sich nicht nehmen, sein Buch mit eigenen Tierzeichnungen zu versehen, darunter Löwen, Skorpione, Kamele, Ziegen, Frösche, Schafe, und selbstverständlich auch Krokodile.
Doch worum geht es in „Krokodilopolis“? Die Handlung spielt im 2. Jahrhundert und bringt den Leser von Galiläa nach Ägypten und vielleicht auch wieder zurück. Die namensgebende Stadt befindet sich im Nil-Delta und gilt als Ort der heiligen Krokodile und ist nur einer von vielen Schauplätze, die Feinstein seine Hauptfigur Shimon ben S. bereisen lässt.
Die Handlung wurde zwar ins 2. Jahrhundert verlegt, trotzdem findet man viele der aktuellen und teilweise absurden gesellschaftlichen Themen der heutigen Zeit vor. Von den üblichen Verdächtigen wie Steuerhinterziehung, Bürokratie und leider auch Korruption schaffen es auch das Gender und das Umweltthema in die Erzählung. So begegnet man einer Prozession, die vorwiegend aus jungen Leuten besteht und von einer Gruppe älterer Priester angeführt wird. Diese skandiert lauthals, man solle in den Tempeln als Brennmaterial statt Holz lieber Dünger verwenden, denn beim Verbrennen von Holz würden giftige Stoffe freigesetzt, die die heiligen Krokodile töten würden. Ein Schelm wer da an Fridays for Future denkt.
Einbalsamiertes Krokodil
Ganz in postmoderner Manier beginnt das Buch im Jahr 1936 und berichtet, wie bei Ausgrabungen eine Grabkammer mit dem Skelett eines Menschen und eines Krokodils entdeckt wurde. Daneben als Grabbeilage ein Tonkrug mit der Aufschrift „Shimon ben S.“ und Papyrusrollen mit Zeichnungen und Niederschriften. Diese können erst Jahrzehnte später im Labor des Israel-Museum entziffert werden, und fördern die Aufzeichnungen eines Shimons ans Licht. Bei diesem Shimon muss es sich um „einen hemmungslosen und selbstgefälligen Fantasten“ gehandelt haben, der behauptet Bekanntschaften mit berühmten Autoren der Antike gemacht zu haben, wie Lukian und Apuleius. Bereits der Prolog lässt uns wissen, dass wir es mit einem Schelmenroman zu tun haben.
Dieser Shimon möchte seinem jüdischen Heimatdorf, dem Arsch der Welt („Anus mundi“) – so haben es die Römer nämlich benannt – und einer bevorstehenden Hochzeit und den damit einhergehenden Ehepflichten entkommen, und lieber seiner Liebe zur Malerei nachgehen. Die Begegnung mit dem durchreisenden Händler Joseph aus Alexandria, der ihm eintrichtert, sein Leben und Talent nicht wegzuwerfen, sind der endgültige Startschuss, um sich mit seiner treuen Eselin Deborah auf den Weg zu machen und sein Glück zu suchen. Um dieses zu finden, schließt er sich mit seinem Weggefährten und Bildhauer Shlomo zusammen.
Mit Geschichts-Kenntnissen hat man mehr davon
Der Ich-Erzähler nimmt sich selbst und die Welt um sich herum nicht ernst, was der ca. 200 Seiten langen Geschichte allerdings nur zugute kommt. Mag das Erzählte beim Lesen manchmal oberflächlich und banal erscheinen, so ist das Buch durchzogen mit Anspielungen auf historische Begebenheiten und Persönlichkeiten. Kenntnisse der römischen, aber vor allem der griechischen Geschichte sind nicht unbedingt nötig, schaden aber nicht und werden viele Leser sicherlich dazu verleiten, so einige der im Buch erwähnten Namen nachzuschlagen.
Für die jüdischen Begriffe und Monatsangaben findet sich im Anhang „Shimons jüdische Sprachbox“, die gerne auch um lateinische und griechische Begriffe hätte erweitert werden können. Denn wer weiß schon, was Shimon und Shlomo blüht, als die beiden zu einem Bacchanal kommen, wie die Jungfrau zum Kinde sozusagen. Dank ihrer dörflichen Kleidung werden sie fälschlicherweise für Satyrn gehalten und müssen den vollkommen ausgelaugten Tempeldienern zur Seite springen, um den berauschten Mänaden zu dienen. Bloß weil es die Tempelbehörde nicht rechtzeitig geschafft hat sechs Satyrn zur Orgie zu schicken. Dies ist nur eine der zahlreichen frivolen und lustigen Episoden. Auf der weiteren Reise gesellt sich noch die Domina Phryne hinzu, die mit römischen Legionären umzugehen weiß und eine Vorliebe für ältere Männer hat, und ein jüdischer Schafhirte, der zum Piraten umgesattelt hat, und nichts in der weiten Welt fürchtet. Außer vielleicht von seiner schwarzen Gattin und seinen Kindern aufgespürt zu werden, und das Leben eines Familienvaters führen zu müssen.
Die lange Reise führt schließlich in den genannten Krokodilstempelort. Krokodile gelten als heilig und zahm – zumindest diejenigen, die nicht zuschnappen. Von diesen heiligen Krokodilen Totenporträts anzufertigen erweist sich als Goldgrube. Gemeinsam mit Ipsitilla, der Witwe eines Töpfers und ihrem Sklaven, der ein Gespür fürs Geschäftemachen hat, eröffnen sie eine bald prosperierende Künstlerwerkstatt. Die Nachfrage bestimmt das Angebot und so spezialisiert man sich auf Votivgaben für die römischen Tempel, Totenporträts und auf die ein oder andere verruchte Darstellung erotischer Praktiken. Gepaart mit einer schlitzohrigen und unkonventionellen Geschäftspraktik laufen die Geschäfte bald sehr gut. Tatsächlich so gut, dass eine eigene Firma mit dem Namen „Apollos Träne“ gegründet wird, die sogar noch expandiert. Doch die Vergangenheit und sein geliebtes Anus Mundi holen Shimon wieder ein.
Wer wissen will, ob und wie Shlomo schließlich sein Glück findet, der sollte hier zugreifen. Der Roman bietet ein großes Lesevergnügen und man kann nur hoffen, dass Pavel Feinstein seine Leserschaft mit einer Fortsetzung beglücken wird.
Pavel Feinstein: „Krokodilopolis“. Hirmer, München 2020,
224 S., 19,90 €
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