„Erwachet aus dem langen Schlafe“
Eine neue beeindruckende Ausstellung beleuchtet die lange in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte der ehemals blühenden Gemeinden der Landjuden im Hunsrück.
Wie eine Route, die Metropolen verbindet, wirkt die E42. Da wollen die Namen von Ausfahrten wie Argenthal, Simmern West oder Kirchberg nicht recht passen. Verbergen sich doch eher beschauliche Hunsrück-Dörfer oder höchstens Städtchen dahinter. Die Kultserie „Heimat“, die den Hunsrück bundesweit bekannt gemacht hat, könnte in jedem dieser Orte spielen.
Die Region im Dreieck zwischen Mainz, Trier und Koblenz war auch die Heimat blühender jüdischer Gemeinden. An diese erinnert nun die Ausstellung „Erwachet aus dem langen Schlafe“ im Hunsrück-Museum Simmern. Ein beeindruckendes Rahmenprogramm haben das Museum und der Verein „Förderkreis Synagoge Laufersweiler“ auf die Beine gestellt. Bis auch hier das Corona-Virus den Strich durch manche Rechnungen zog. Daher haben die Macher nun die Ausstellung bis zum Jahresende verlängert.
„Wenn die Geschichte des jüdischen Lebens in Deutschland erzählt wird, ist es oft die Geschichte des städtischen Judentums“, sagt Christof Pies vom Vorstand des Förderkreises: „Uns ging es darum, auch die Geschichte der Juden zu erzählen, die auf dem Land lebten.“ Diesen Aspekt hat der 1989 gegründete Kreis in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt.
Viele der Hunsrücker Juden waren Viehhändler, die Beziehungen zu den Bauern seien gut gewesen: „Man kannte und schätzte sich gegenseitig“, sagt Pies. Laufersweiler ist eine dieser ländlichen Gemeinden. Wer die E42 auf halber Strecke zwischen Mainz und Trier verlässt, kommt über eine steil abfallende Ortsstraße in das Dorf. Rechter Hand liegt der christliche Friedhof. Den jüdischen erreicht man über den „Weg der Erinnerung“, der Teil eines ganzen Erinnerungsensembles ist, integriert in „Traumschleifen-Wanderwege“ und den überregionalen Saar-Hunsrück-Steig.
Reichspogromnacht von 1938 überstanden
Gleich dahinter zweigt die Kirchgasse nach rechts ab. Hier standen sich katholische Kirche und Synagoge fast Auge in Auge gegenüber, in der gleichen Straße auch das evangelische Gotteshaus – in direkter Nachbarschaft eine Mazzenbäckerei. Die Synagoge überstand äußerlich die Pogromnacht, heute fungiert sie als „Forst-Mayer Studien- und Begegnungszentrum für das Landjudentum“, benannt nach zwei typischen Landjudenfamilien. Weil sie zu dicht an anderen Häusern stand, verzichtete der Mob seinerzeit darauf, das Haus vollständig abzubrennen. Das Innere wurde komplett zerstört, verbrannt und ausgeraubt. Ähnliches geschah auch in anderen, vergleichbaren Lagen. Ein so ganz spontaner „Volkszorn“ war es dann doch nicht, wie es Propagandaminister Joseph Goebbels damals verkaufte – und was manche heute noch gerne glauben.
Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, wann genau die „Pogromnacht“ in Laufersweiler passierte. Die einen sagen: in der Nacht zum 10. November 1938, Zeitzeuge Heinz Joseph, der damals 13 Jahre alt war, erinnert sich daran, dass in Laufersweiler alles einen Tag später als im restlichen Reich passierte. Dazu mussten Parteigenossen extra aus Büchenbeuren angefahren werden. Einen Dachdecker-Lehrling aus dem Ort mussten sie zwingen mitzumachen. Er wollte nicht, weil er mit Ohrfeigen seiner Mutter als Strafe für die Teilnahme rechnete.
Als der Mob durch war, bestimmten Scherben das Ortsbild. Die Gegenstände jüdischer Familien lagen auf den Straßen verstreut. Die Mazzenbäckerei hatte der Mob innen vollständig zerstört, den 65-jährigen Mitbesitzer August Joseph fast erschlagen. Der katholische Priester Nikolaus Molitor versteckte die Familie auf seinem Speicher. Mit dieser Nacht lag auch das jüdische Leben in Trümmern. Eine Mehrheit wanderte aus und überlebte so den Jahrhundertmord.
Der Tod, das Elend sind ein Teil der Ausstellung „Erwachet aus dem langen Schlafe“. Aber eben nur ein Teil. „Wir wollten jüdisches Leben darstellen“, sagt Pies. Nur wer wisse, wie bunt und reich dieses im Hunsrück gewesen sei, könne verstehen, was da zerstört wurde.
30 Synagogen in der Gegend
Fast 1.700 Jahre jüdischer Geschichte fasst die Ausstellung zusammen. Rund 30 Synagogen gab es in dem kleinen Landstrich. Ein Film rekonstruiert die Simmerner Synagoge. Kultgegenstände sind zu sehen. Auch ein Tisch, wie er für das Pessachfest gedeckt wird. Und natürlich Infotafeln.
Die Biografien von rund 20 jüdisch-deutschen Personen sind über die Ausstellungsräume verteilt zu finden. Zu sehen ist eine Thorarolle aus dem 18. Jahrhundert, ursprünglich aus der Synagoge in Schweich und über viele Umwege nach Zell gelangt. Ein eigener Raum mit Kunstwerken, Installationen und 552 Gedenkblättern für die Ermordeten der Region rundet die Ausstellung ab.
Die Ausstellung lief gut an: Zu der Eröffnung im Simmerner Schloss war der Festsaal gefüllt. Ausgewanderte und deren Nachkommen hatten zugesagt, für diese Gelegenheit in die Hunsrück-Heimat zurückzukehren – um ihre eigene Geschichte zu erleben und zu erzählen. Doch dann kam Corona. „Von jetzt auf gleich mussten wir alles absagen“, berichtet Pies. Flüge mussten storniert, Vorträge, Führungen, Diskussionsabende oder Filmpräsentationen abgesagt werden.
Doch der Förderkreis hat nicht aufgegeben, schon früh Hygienekonzepte erstellt – um die Ausstellung nach der jeweils gültigen Verordnung wieder öffnen zu können. Um Versäumtes aufzuholen, haben das Museum und der Förderkreis sie bis zum Jahresende verlängert.
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