Mörder unter sich: Der von Nazis im KZ getötete SS-Folterarzt Sigmund Rascher
Wie ein Nazi-Arzt, der brutale Menschenversuche anstellte, von der eigenen Ideologie zu Fall gebracht wurde
Der Nazi Sigmund Rascher (rechts) bei einem seiner Experimente© WIKIPEDIA
Viel hat man bereits über jene SS-Ärzte gelesen, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ihre schrecklichen medizinischen Experimente an den Insassen durchgeführt haben. Namen wie Josef Mengele, der u.a. durch die gezielte Selektion von Zwillingen und seine grausamen Eingriffen an ihnen ein Gen oder eine ähnliche Struktur zu finden suchte, um den Deutschen Mehrlingsgeburten zu ermöglichen und somit die „deutsche Rasse“ so schnell wie möglich zu vermehren, sind in zahlreichen Abhandlungen erforscht wurden. Doch es gibt auch andere, weniger bekannte Figuren wie Sigmund Rascher, der von der Position eines SS-Arztes zu einem Lagerinsassen wurde, und kurz vor Kriegende als KZ-Häftling in Dachau nunmehr selbst von der SS getötet wurde.
Überraschenderweise gibt es nicht viele Werke, die sich mit Rascher beschäftigen und einige, wie z.B. „Der Untergang des Hauses Rascher: Das bizarre Leben des KZ-Arztes Sigmund Rascher“ von Siegfried Bär alias Hubert Rehm, sind leider nicht besonders gut recherchiert. Empfehlenswert ist hingegen das Buch von dem deutschen Historiker Julien Reitzenstein: „Himmlers Forscher: Wehrwissenschaft und Medizinverbrechen im ‚Ahnenerbe‘ der SS“, der sich zwar nicht ausschließlich mit Rascher auseinandersetzt, aber ihn umso mehr in das zentrale Rassenwahngebilde der SS-Medizin einordnet und seine Rolle darin beleuchtet.
Sigmund Rascher, geboren in München am 12. Februar 1909, trat bereits 1933 in die NSDAP ein und legte im Jahr 1936 sein Staatsexamen in Medizin ab, um anschließend zu promovieren. Seine Doktorarbeit, die sich mit Schwangerschaftshormonen beschäftigte, wies falsche und betrügerische Ergebnisse und Methoden auf, was bezeichnend für seinen weiteren Werdegang sein sollte.
Raschers ältere Frau bekam keine Heiratserlaubnis von Himmler
Im Jahr 1936 trat Rascher der SA bei und wechselte 1939 zur SS. Seine knapp 16 Jahre ältere Frau, Karoline Diehl, ermöglichte ihm durch ihre Verbindungen zu Heinrich Himmler einen raschen Aufstieg. Auf Himmlers Veranlassung hin, wurde ihm von keinem Geringeren als Professor Walther Wüst die Forschung zur Frühdiagnose von Krebs übertragen. Interessant ist hierbei, dass Himmler trotz allem eine lange Zeit keine Heiratserlaubnis für Diehl und Rascher erteilte, was an ihrem Alter und ihrer damit verbundenen niedrigeren Fertilität gelegen haben soll. Aufgrund dessen täuschte sie ab 1939 mehrere Geburten vor, welche die Hochzeit im Jahr 1941 ermöglichten. Rascher verdankte es Himmler ebenfalls, dass er 1943 von der Luftwaffe freigestellt wurde und der Waffen-SS beitreten konnte. Im Konzentrationslager Dachau nahm er an ca. 7.000 Opfern zahlreiche Menschenversuche vor. Viele der Menschen verstarben anschließend oder trugen bleibende gesundheitlichen Schäden davon. Einigen von ihren wurde für die „freiwillige“ Teilnahme die Freilassung oder zumindest eine Hafterleichterung versprochen, was angesichts der hohen Mortalitätsrate eine grausame Ironie ist. Rascher nahm Experimente vor, die untersuchen sollten, wie Piloten in höheren Atmosphären arbeiten können und wie man sie bei einem Fallschirmabsprung oder einem Druckabfall retten könnte. In der „Abteilung R“ nahm er deswegen Unterdruck- und Unterkühlungsversuche für die Luftwaffe vor. Hierbei wurden in Unterdruckkammern, die von den Häftlingen „Himmelfahrtswagen“ genannt wurden, Flugbedingungen in 21 Kilometern Höhe untersucht. Es ist nachgewiesen, dass Rascher außerdem nach der „Behandlung“ solche Häftlinge sezierte, deren Herzschlag und Atmung noch nicht ausgesetzt hatten, um neue Erkenntnisse über die Organtätigkeit von beispielsweise Herz und Lunge zu gewinnen.
Wiedererwärmung mit nackten Frauen
Bei den Unterkühlungsversuchen wurden die Häftlinge in 4-9 Grad kaltes Wasser getaucht, um das Verhalten eines Piloten zu untersuchen, der nach dem Absturz seines Flugzeugs in eiskaltem Meerwasser landete. Um dies zu simulieren wurden die Inhaftierten ebenfalls im Winter bei bis zu minus 20 Grad mit vollkommen nacktem Körper ins Freie gestellt und zusätzlich stündlich mit Wasser übergossen. Auf Anregung Himmlers setzte Rascher bei den Überlebenden anschließend nackte Frauen ein, um die Körpertemperatur der Häftlinge wieder anzuheben. In einem Brief an Himmler berichtete er Folgendes: „Bei den Wiedererwärmungsversuchen stark abgekühlter Versuchspersonen zeigte es sich, daß die Erwärmung mit animalischer Wärme sehr langsam vor sich geht. Lediglich solche Versuchspersonen, deren körperlicher Zustand den Coitus erlaubte, erwärmten sich auffallend schnell und zeigten ebenso auffallend schnell eine Wiederkehr des völligen körperlichen Wohlbefindens.“
Dass diese Simulation nicht nur grausam, sondern auch keinesfalls einem Verharren in eiskaltem Meerwasser gleichkommt, macht diese Folter auch aus medizinischer Sicht sinnlos. Doch ein Menschenleben zählte für die Ärzte in den Konzentrationslagern nicht mehr als das einer Laborratte. Trotz der vorübergehenden Wertschätzung Himmlers sollte Rascher einen tiefen Fall erfahren. Im Jahr 1944 täuschte das Ehepaar erneut eine Schwangerschaft vor, bei der Karoline Diehl tatsächlich am Münchner Hauptbahnhof ein Kind entführte und es für ihr eigenes ausgab, was, nach eingehenden Untersuchungen, nicht das einzige Mal gewesen sein soll, sondern auch ihre „Geburten“ 1939, 1941 und 1942 betraf. Ein weiterer Grund für den Abstieg Raschers war der Sachverhalt der Häftlingsbegünstigung.
Im Frühjahr 1944 wurde das Ehepaar verhaftet. Raschers Ehefrau starb im Konzentrationslager Ravensbrück. Er selbst wurde kurz vor der Befreiung durch die US-Truppen am 26. April 1945 an genau jenem Ort, an dem er vormals mittels grausamer Experimente hunderte von Menschen ermordete, dem KZ Dachau, auf Befehl Himmlers erschossen. Die Forschung attestiert Rascher nicht nur „Mordlust“, sondern auch schizophrene Züge. Ein Mann, der skrupellos ersuchte die Karriereleiter zu erklimmen, sollte durch die Sprossen, die er betrat, schlussendlich zu Fall kommen.
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