Der Neuengamme-Kriegsverbrecherprozess in Hamburg 1946

Vom Versuch der Briten ein in der Menschheitsgeschichte einmaliges Verbrechen zu sühnen

Mahnmal für die ermordeten jüdischen Kinder in Hamburg-Schnelsen© WIKIPEDIA

Von Birgit Gärtner

Mindestens 42.000 Menschen kamen im KZ Neuengamme und dessen knapp 90 Nebenstellen im gesamten Hamburger Stadtgebiet und weit darüber hinaus zu Tode. Am 18. März 1946 eröffneten die Briten einen Kriegsverbrecherprozess gegen 14 Angeklagte, der am 3. Mai 1946 mit elf Todesurteilen und zwei langjährigen sowie einer kürzeren Haftstrafe endete. In verschiedenen weiteren Verfahren wurden die Verbrechen in den KZ-Nebenstellen verhandelt. Dennoch kamen die meisten Beteiligten trotz ihrer grausamen Taten ungeschoren davon. Zwar wurden sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik weitere Verfahren eingeleitet, allein in Hamburg 120, jedoch wurde letztlich nur rund ein Fünftel aller Angeklagten verurteilt.

SS-Lagerarzt Kurt Heißmeyer, der Menschenversuche u. a. an Kindern durchführte, konnte sich sogar in der DDR eine neue Existenz aufbauen und in Magdeburg die einzige Tuberkulose-Privatpraxis eröffnen. Später wurde er allerdings wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt.

 

Zu leicht für die Schlinge

Mania Altmann (7), Lelka Birnbaum (12), Sergio De Simone (7), Surcis Goldinger (10-12), Riwka Herszberg (6), Alexander Hornemann (8), Eduard Hornemann (12), Marek James (6), Walter Jungleib (12), Lea Klygermann (7), Georges-André Kohn (12), Blumel Mekler (10 oder 11), Jacqueline Morgenstern (12), Eduard Reichenbaum (10), Marek Steinbaum (7), H. Wassermann (7 oder 8), Eleonora Witońska (5), Roman Witoński (6), Roman Zeller (12) und Ruchla Zylberberg (8).

Das sind die Namen der 20 Kinder, die in der Nacht zum 21. April 1945 in der Schule am Bullenhuser Damm gemeinsam mit ihren Pflegern erhängt wurden. 14 von ihnen stammten aus Polen, 2 aus Frankreich, 2 aus den Niederlanden, jeweils 1 aus der Tschechoslowakei und den Niederlanden. Im KZ Auschwitz waren sie von SS-Lagerarzt Josef Mengele persönlich ausgewählt und in das KZ Neuengamme überstellt worden, damit dort der bereits erwähnte SS-Lagerarzt Kurt Heißmeyer Menschenversuche zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Tuberkulose an ihnen vornehmen konnte. Sie wurden einer unbeschreiblichen Tortur ausgesetzt und als im April 1945 die britischen Truppen bereits das Hamburger Stadtgebiet erreicht hatte, wurden sie erhängt, um Spuren der Verbrechen der SS zu verwischen. Da die kleinen ausgemergelten Körper so leicht waren, hängten sich ihre Mörder an sie, damit sich die Schlinge zuzog. Ihre Namen stehen stellvertretend für mindestens 42.000 Menschen, die im KZ Neuengamme und seinen knapp 90 Nebenlagern ums Leben kamen.

Bei dem „Curiohaus-Prozess“ spielten auch die Morde an den Kindern am Bullenhuser Damm eine Rolle: Zwei Männer, SS-Unterscharführer Wilhelm Dreimann und SS-Lagerarzt Alfred Trzebinski, der den Kindern vor ihrem Tod eine Morphinspritze gesetzt hatte, wurden am 3. Mai 1946 zu Tode verurteilt und am 8. Oktober 1946 im niedersächsischen Hameln hingerichtet. Der „Stützpunktleiter“ aller Hamburger Nebenlager des KZ Neuengamme, Arnold Strippel, der an dem Mord an den Kindern direkt beteiligt gewesen sein soll, wurde dafür jedoch nie belangt. Die Kindermorde gerieten in Vergessenheit, bis der inzwischen verstorbene ehemalige „Stern“-Reporter Günther Schwarberg deren Lebensgeschichte rekonstruierte und nach Angehörigen forschte. Die Schule ist heute Gedenkstätte und im Stadtteil Hamburg-Schnelsen erinnert ein Mahnmal an die ermordeten Kinder.

 

90 Nebenlager in ganz Norddeutschland

Das KZ Neuengamme wurde 1938 zunächst als Außenstelle des KZ Sachsenhausen errichtet, ab 1940 wurde es als eigenständiges KZ mit etwa 90 Außenstellen geführt. Diese reichten von Kirchwerder bis zur Lutherstadt Wittenberg, dem ostwestfälischen Porta Westfalica und Wilhelmshaven bis an die dänische Grenze.

Insgesamt waren etwa 100.000 Menschen inhaftiert, zunächst Sinti und Roma, Sozialisten, dann Verschleppte aus den Niederlanden, Belgien, Polen und Kriegsgefangene aus der Sowjetunion. Sie alle mussten schwere Zwangsarbeit verrichten, etwa die Hälfte von ihnen überlebte die harte Arbeit, die Folter der SS-Wachmänner oder die miserablen Lebensbedingungen nicht. Hauptsächlich wurden Männer inhaftiert und im Hauptlager und den Nebenlagern als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Zu den Außenlagern zählten auch 24 Frauenlager, acht davon auf Hamburger Stadtgebiet, u.a. auf dem Gelände der Werft Blohm & Voss. Auch die Frauen wurden zur Zwangsarbeit gezwungen und unter den Todesopfern waren etwa 100 Frauen.

 

Der irrtümliche Beschuss der „Cap Arcona“

Bei der Räumung des Hauptlagers wurden 10.000 KZ-Häftlinge in Güterwaggons nach Lübeck transportiert. Dort wurden sie auf drei Schiffe verbracht, von denen am 3. Mai 1945 zwei irrtümlich durch britische Bomber in Brand geschossen wurden. Dadurch kam es zur Katastrophe der „Cap Arcona“, bei der nahezu 7.000 Häftlinge ums Leben kamen. Einer der Überlebenden war der 2008 verstorbene Erwin Geschonneck, der später in der DDR als Schauspieler Karriere machte, an die er im vereinten Deutschland anknüpfen konnte.

39 Prozesstage umfasste seinerzeit der „Neuengamme-“ oder „Curiohaus-Prozess“. Dass es überhaupt dazu kommen konnte, ist zu einem großen Teil überlebenden Gefangenen zu verdanken. Angehörige der britischen Armee fanden am 2. Mai 1945 das gesamte Lagergelände komplett geräumt vor. Kurz zuvor waren belastende Dokumente verbrannt und alle Spuren der Verbrechen der SS beseitigt worden. Mit den Ermittlungen zu diesen Verbrechen wurde das aus vier britischen Offizieren bestehende „War Crimes Investigation Team“ (WCIT) No. 2 beauftragt, dem auch Sigmund Freuds Enkel Anton Walter angehörte.

 

Das „War Crimes Investigation Team“

Das WCIT hatte zunächst Schwierigkeiten, Täter zu ermitteln und Zeugen zu finden. Überlebende, die dem „Komitee ehemaliger politischer Gefangener“ angehörten, nahmen über den Secret Intelligence Service mit dem WCIT Kontakt auf, berichteten über die Verbrechen und übergaben dem WCIT No. 2 die zuvor versteckten Totenbücher und einen Quartalsbericht des Neuengammer Standortarztes. Diese Dokumente waren später wichtige Beweismittel im Neuengamme-Hauptprozess. Zudem halfen die ehemaligen Neuengamme-Häftlinge dem WCIT No. 2 bei der Aufspürung und Identifizierung der Täter. So konnte u.a. Lagerkommandant Max Pauly bereits am 15. Mai 1945 verhaftet und in das Internierungslager Neumünster überstellt werden. Er war einer der 11 Angeklagten im Neuengamme-Hauptprozess, die zum Tode verurteilt und im Oktober 1946 hingerichtet wurden.

Das Curiohaus war sowohl Schauplatz des Neuengamme-Hauptprozesses als auch sieben weiterer Prozesse gegen SS-Angehörige des Frauen-KZ Ravensbrück. Später war dort eine der Mensen der Universität Hamburg untergebracht. Als diese schloss, wurde ein Veranstaltungsraum daraus.

Außerdem ist das Curiohaus Sitz der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ (GEW), die sich Anfang dieses Jahrtausends mit der Tatsache konfrontiert sah, in einem Gebäude zu residieren, das die jüdischen Besitzern für 40.000 Reichsmark an den bereits gleichgeschalteten GEW-Vorläufer „Nationalsozialistischer Lehrerbund“ (NSLB) verkaufen mussten. Laut eines Artikels in der „Zeit“ stieß der damalige Kassenwart 1999 auf diese Ungeheuerlichkeit, die ein Nebengebäude in der Rothenbaumchaussee 19 (auch als „Ro 19“) betrifft, eine Gründerzeitvilla im noblen Stadtteil Rotherbaum. Es folgte ein unwürdiges Schauspiel in der GEW, an dessen Ende die Lehrergewerkschaft sich zur rechtmäßigen Eigentümerin ernannte, eine Informationstafel zur Erinnerung an die Geschichte des Hauses und die NS-Prozesse anbrachte, sowie einen Fonds einrichtete, aus dem jährlich eine Summe von bis zu 10.000 Euro zur Unterstützung antifaschistischer und antirassistischer Initiativen innerhalb und außerhalb der GEW Hamburg ausgezahlt werden kann.

Die feine linke Art, Geschichte wiedergutzumachen.

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