Das Leben von Hedwig Jung-Danielewicz

Sie war eine der ersten Ärztinnen Deutschlands mit eigener Praxis. Ihr Übertritt zum Katholizismus schützte die atheistisch aufgewachsene Jüdin nicht vor ihrer Ermordung im Holocaust.

Stolperstein in der Uhlandstraße 23© WIKIPEDIA

Von Edgar Seibel

Jüdin, Christin, Ärztin und Opfer des Holocaust: Sie war eine der ersten Frauen im Deutschen Kaiserreich, die ein Medizinstudium absolvierten, war die erste Frau überhaupt, die eine Arztpraxis eröffnete, und sie fand ihr Ende – trotz Konvertierung zum katholischen Glauben von den Nazis als „Volljüdin“ stigmatisiert – im Ghetto Minsk: Die deutsche Frauen- und Kinderärztin Hedwig Jung-Danielewicz (1880 - ca. 1942).

Zwar stammten die Eltern der werdenden Ärztin Hedwig Danielewicz, Michaelis und Henriette, aus jüdischen Familien, doch legte ihr Vater, ein Immobilienmakler polnischer Herkunft, großen Wert darauf, sich aus religiösen Debatten herauszuhalten und seine Kinder atheistisch zu erziehen. So wuchs Hedwig mit ihren vier Geschwistern Richard, Else, Klara und Käte ohne Bezug zur jüdischen Tradition auf. Grund für diese Abkehr vom Glauben war wohl nicht nur die freidenkerische Art des Vaters, sondern auch judenfeindliche Diskriminierungen, die auch Hedwig selbst zu spüren bekam, und ihr schon früh zu verstehen gegeben haben mussten, dass sie, ganz gleich, ob sie in Berlin geboren war und keiner Glaubensgemeinschaft angehörte, irgendwie keine richtige Deutsche war.

Hinzu kam, dass die Familie kein hohes Einkommen hatte und nicht selten auf den finanziellen Beistand von Verwandten angewiesen war.

Bedrückende Erlebnisse in der Kindes- und Jugendzeit haben immer Auswirkungen auf den Charakter eines Menschen; gut denkbar, dass auch diese frühen Erfahrungen die als schüchtern beschriebene Hedwig schließlich doch dazu bewegt haben, mehr aus ihrem Leben zu machen, nämlich anderen helfen zu wollen. Negative Erfahrungen bringen nicht wenige Menschen schnell zu Fall, doch ganz offensichtlich nicht diese junge Dame.

Als Hedwig Danielewicz im Jahr 1901 in Berlin ihr Abitur machte, zählte sie zu den frühesten Jahrgängen weiblicher Oberschüler, die die Hochschulreife erwarben.

Um anschließend Medizin studieren zu dürfen, musste die junge und zurückhaltende Frau viele Demütigungen seitens der Lehrkräfte ertragen, weswegen sie sogar von Berlin nach Heidelberg, und von dort wieder nach Berlin und dann nach Freiburg zog. Denn es sah zu jener Zeit nicht jeder Pädagoge gerne, wenn Frauen ein Studium aufnahmen. Am 29. Januar 1907 legte sie als erste Frau ihre ärztliche Prüfung in Berlin ab. 1911 eröffnete Hedwig Danielewicz als erste Frau überhaupt eine private Arztpraxis in Düsseldorf an der Ulmenstraße. Der Weg dahin war für die Kinder- und Frauenärztin alles andere als einfach gewesen: Es gab viele Schikanen seitens früherer Kollegen, unaufrichtige und wackelige Liebesbeziehungen geprägt von antisemitischen Vorurteilen.

Glücklicherweise lernte Hedwig Martha Wygodzinski kennen, die ihr finanziell unter die Arme griff. Wygodzinski war das erste weibliche Mitglied in der Berliner Medizinischen Gesellschaft gewesen und stammte aus einem polnisch-jüdischen Elternhaus. (Im Jahr 1943 starb auch Martha in einem KZ, in Theresienstadt).

 

Aus Liebe zum Katholizismus

Ein Karl Jung-Dörfler wurde Hedwigs große Liebe, die sie 1912 kennenlernte. Ein Deutscher, ein Christ, doch was noch viel wichtiger war: er war ein feinfühliger Maler. Denn das Malen war auch ein leidenschaftliches Hobby der jungen Ärztin gewesen. Im Herbst 1917 heiratete das Paar, und Hedwig wurde Katholikin. Doch die Liebe auf den ersten Blick war es wohl nicht, und auch keine Beziehung, die nicht mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Der Historiker und Biograph Paul Unschuld schreibt dazu: „Eine Freundschaft entwickelte sich bald, doch es dauerte vier lange Jahre, bis der gläubige Katholik und die gedemütigte Jüdin, der sensible Maler und die vereinsamte Ärztin, zueinander fanden. Als Hedwig Danielewicz und Karl Jung-Dörfler schließlich heirateten, waren beide für ihr Leben verändert.“ Noch vor der Heirat wurde Jung-Dörfler als Soldat eingezogen und bekam es noch während der Ausbildung mit psychischen Problemen zu tun. Im Laufe der Zeit sollte der Künstler immer wieder in tiefe Depressionen stürzen. Am 1. Dezember 1927 starb er an einem Knochensarkom. Selbst gesundheitlich angeschlagen, mit Brustkrebs diagnostiziert, reiste die Ärztin Hedwig zur Erholung nach einer Operation u.a. auch nach Palästina.

1933 kommen die Nazis an die Macht, und 1938 wurde Hedwig Jung-Danielewicz die Zulassung als Ärztin entzogen. Sie war zwar zum Christentum konvertiert, aber nach den Nürnberger Rassengesetzen trotzdem eine „vollblütige Jüdin“ geblieben.

 

Gehorsam zum Abtransport ins KZ von Düsseldorf aus

Gemeinsam mit ihrer Schwester Else (geb. 1882), die ebenfalls in Düsseldorf lebte, fand sich Hedwig auf Befehl am 10. November 1941 am Sammelplatz auf dem Alten Schlachthof ein. Eine Nichte von Hedwigs verstorbenem Mannes Karl, begleitete die beiden zu ihrem Transport in das Ghetto Minsk in Weißrussland. Vom Düsseldorfer Schlachthof aus wurden insgesamt rund 6.000 Frauen, Männer und Kinder in die Ghettos und Vernichtungslager verschleppt. Ihren starken Helfer-Instinkt verlor die eigentlich schüchterne Hedwig selbst in Minsk nicht, wo sie als Krankenbetreuerin zu arbeiten begann. Beispielsweise gelang es ihr zusammen mit einem Wehrmachtsangehörigen Lebensmittel und Medikamente in das Ghetto zu schmuggeln.

1942 wurde sie von den Nazis ermordet. Auch ihre Schwester Else kam ums Leben. Die genauen Umstände des Todes von Hedwig Jung-Danielewicz sind nicht geklärt. Vermutlich endete ihr Leben bei einer Massenexekution. Im Jahr 1945 wurde sie offiziell für tot erklärt.

Bekannt ist, dass ihre Schwester Käte (geb. 1890) und ihr Bruder Richard (geb. 1879) den Holocaust überlebten und nach Eretz Israel auswanderten. Richard kehrte in den 1950er Jahren wieder nach Deutschland zurück.

Über das dramatische Leben der Ärztin hat der deutsche Medizinhistoriker Paul Unschuld ein Buch geschrieben: „Die Ärztin und der Maler. Carl Jung-Dörfler und Hedwig Danielewicz.“, 2011, CYGNUS Verlag.

Und auch Hedwig selbst soll ein Manuskript unter dem Titel „Das Leben einer Convertitin“ verfasst und kurz vor der Deportation an die Schriftstellerin Gertrud von le Fort gesandt haben. Diese Schrift ist allerdings nie veröffentlicht worden.

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