Auschwitz #34207: „Die Joe Rubinstein Story“

Rezension des neuen Buches über Icek Jakub Rubinsztejn, der erst zu Nummer 34207 und nach der Befreiung aus dem KZ zu Joe Rubinstein wurde. 1942 endet sein bürgerliches Leben in Polen abrupt mit der Ankunft der Nazis vor dem Haus der Familie in Radom.

Von Filip Gaspar

„Ich glaube kaum, dass die Leute es verstehen würden. Manche haben von Ausschwitz gehört, vielleicht von Verwandten oder in der Schule, aber sie kennen es nicht wirklich. Sie wissen zwar, dass unter dem deutschen Regime schreckliche Dinge passiert sind, aber sie wissen es nicht so genau. Es war die Hölle. Die Hölle.“

Diese Aussage stammt von Icek Jakub Rubinsztejn, der erst zu Nummer 34207 und später zu Joe Rubinstein wird. Rubinstein entstammt einer polnisch-jüdischen Familie aus Radom. In der Nacht vom 30. April 1942 stehen deutsche Soldaten vor dem Haus der Familie und der damals erst 21-jährige Joe öffnet die Tür. Bis dahin durfte er eine größtenteils glückliche Jungend verbringen, die nur vom frühen Tod des Vaters überschattet wurde. Aus dieser wird er gerissen und steht jetzt nur im Nachthemd gekleidet, ohne die Möglichkeit sich etwas Wärmeres anzuziehen, noch sich von seiner Familie zu verabschieden – was ihn viel mehr schmerzen sollte als die nächtliche Kälte.

Dieser war er ausgesetzt auf der Ladefläche eines Viehtransporters, die er sich stehend und zusammen mit anderen Gefangen, über mehrere Tage teilen musste.

Die Entmenschlichung der Juden begann hier bereits, denn die menschlichen Bedürfnisse wie Schlaf und der Toilettengang durften noch verrichtet werden – aber unter welchen Bedingungen, das war den Nazis egal.

Die Würde des Menschen sollte im wahrsten Sinne des Wortes in der nicht vorhandenen Toilette runtergespült werden. Aus dem jungen Icek Jakub, der in Radom bei einem Schuster in die Lehre gegangen war, und später nach der Auswanderung in die USA noch ein bekannter Schuhdesigner werden sollte, wurde in dieser Nacht bloß eine weitere Nummer unter vielen.

Und auch wenn Rubinstein oben anführt, dass die Hölle von Ausschwitz als unbeschreiblich gilt, so ist den Autoren dieses Werks trotzdem gelungen diese Hölle in Worte zu fassen. Doch verstehen wird man diese natürlich niemals können – auch nicht nach der Lektüre von tausenden solcher Werke. Trotzdem muss man Joe Rubinstein danken, dass er seine Erlebnisse zu Papier gebracht hat bzw. der Altenpflegerin Nancy Sprowell Geise, der sich Rubinstein anvertraut hat und die seine Erlebnisse aufgeschrieben hat. Er selbst hat nämlich über 70 Jahre zu seinen „Aufenthalten“ in den Konzentrationslagern von Buchenwald, Auschwitz und Theresienstadt nichts erzählt, und erst im Alter von 92 Jahren sein Schweigen gebrochen. Geise führte Interviews mit ihm, trug Informationen zu seiner Familie zusammen und fand Belege seiner Aussagen, die sich im Anhang des Buches befinden. Dies mag manchmal den Lesefluss hemmen, verleitet, sobald man sich erst einmal daran gewöhnt hat, den Leser dazu einzelne Abschnitte wiederholt mit mehr Aufmerksamkeit zu lesen. Der Anhang besteht aus Fußnoten, einer Familienchronologie und einer ausführlichen Auflistung der im Buch erwähnten Konzentrationslager und Personen. Zusätzlich gibt es Fotos von der Gedenkstätte Yad Vashem und dem Holocaust Memorial Museum, die die erzählte Lebensgeschichte komplettieren. Nach der Veröffentlichung der amerikanischen Originalausgabe wurden drei Fotos von Rubinsteins Familie gefunden.

Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt und in insgesamt 62 Kapitel, wovon die meisten kurz gehalten sind und selten mehr als ein paar Seiten lang sind. Entstanden ist ein Buch, das alles andere als leichte Kost ist und Einblicke in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele gibt. Seien es Berichte über sich gegenseitig denunzierende Nachbarn, die alltägliche Hölle im industriell umgesetzten Massenmord oder täglicher Hunger, Durst und die Ungewissheit, dass man jederzeit zu ausgemergelt in den Augen der KZ-Aufseher sein könnte, und nicht mehr zurück in die Baracke kommt.

Geise führte lange Gespräche mit ihm und jedes der 62 Kapitel beginnt mit einem Zitat von Rubinstein.

„Sie töteten sie, die Kinder ... Hunderte und Hunderte von ihnen. Sie brachte sie einfach um, weil sie keine Verwendung für sie hatten. Sie schlugen sie. Sie töteten sie. So wie Tiere ... das habe ich mit eigenen Augen gesehen, was sie da getan haben.“ (Joe Rubinstein)

 

Sexueller Missbrauch unter den Gefangenen

Dass Männer, die höchstwahrscheinlich selbst Kinder haben, so kalt diese Verbrechen verübten, erschüttert ihn bis heute und der Anblick ist ihm bis in die Gegenwart präsent. Auch nach über 70 Jahr erwacht er schweißgebadet in der Nacht, weil er die Schreie von Frauen und Kindern weiterhin hört. Doch trotz aller Grausamkeiten wie Misshandlungen, wird hier auch vom Tabuthema des sexuellen Missbrauchs unter den Häftlingen berichtet. Zuflucht findet er im Gebet, denn Rubinstein entstammt einer religiösen Familie, und das jüdische Leben vor Ausbruch des Krieges wird im ersten Teil ausführlich beschrieben. An seinem Judentum zweifelt er nie und es bleibt stets ein Teil seiner Identität, auch wenn er später eine Christin mit deutsch-polnischen Wurzeln heiratet, mit der er bis heute glücklich verheiratet ist. Der Wunsch seine eigene Familie wiederzusehen nährt seinen eisernen Lebenswillen und dieser wird auch nicht gebrochen, als er erfährt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit niemand von ihnen überlebt hat. Endgültige Gewissheit, dass alle Familienmitglieder in Treblinka ermordet worden, hat er bis heute nicht. Man weiß nur, dass alle Bewohner des jüdischen Ghettos in Radom im August 1942 nach Treblinka deportiert wurden.

Im Mai 1945 befreien die Sowjets Theresienstadt und somit auch Rubinstein, der kurz darauf in die USA auswandert, heiratet und zu einem erfolgreichen Schuh-Designer wird. Was dieses Werk lesenswert macht, sind der auf jeder Seite durchdringende Überlebenswille von Rubinstein und die Liebe für das Leben an sich.

Es gibt viele Berichte von Überlebenden, was jedoch diese hier besonders macht, ist, dass man das Gefühl bekommt, als würde der Erzähler direkt leibhaftig vor einem im Stuhl sitzen und seine Erlebnisse mitteilen. Das Beschriebene ist zeitweise sehr intensiv und ausführlich beschrieben, so dass man die Lektüre weglegt um das gerade Erfahren sacken zu lassen.

Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb hat die Joe Rubinstein Story das Potential zur Pflichtlektüre an Schulen zu werden.

 

Nancy Sprowell Geise

Ausschwitz #34207 – die Joe Rubinstein Story

FONTIS – Brunnen Basel VERLAG

20,00 Euro

344 Seiten

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