Vom ukrainischen Pruth an die Seine
Zum 50. Todestag von Paul Celan
Paul Celan (1938)© WIKIPEDIA
Um den 20. April 1970 stürzte der berühmte Dichter Paul Celan von der Pariser Pont Mirabeau in die Seine und ertrank. Bis heute rätselt man darüber, ob es ein Unfall oder Selbstmord war. Sein Leichnam wurde erst am 1. Mai des Jahres zehn Kilometer weiter flussabwärts bei Courbevoie gefunden. Er wurde am 12. Mai auf dem Friedhof Cimetière parisien de Thiais beerdigt, also an dem Tag, an dem Nelly Sachs, seine gute Freundin und Literaturnobelpreisträgerin des Jahres 1966, verstarb.
Paul Celan (ursprünglich Antschel) und Nelly (Leonie) Sachs verband das Thema der Schoah: Er war ein Überlebender der Arbeitslager in Rumänien, seine Eltern überlebten das Konzentrationslager in Transnistrien jedoch nicht. Nelly und ihrer Mutter gelang noch 1940 im letzten Moment die Flucht aus Berlin nach Schweden, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Sein berühmtestes Gedicht ist die „Todesfuge“ (1944) und ihres „O die Schornsteine“ (1947). Beides sind Elegien, beweinen die Opfer und klagen zugleich die deutschen Täter an. Beide gehören hierzulande zur Schullektüre. Sachs‘ Wertschätzung in Deutschland wurde 1965 mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels augenscheinlich. Ihr Briefwechsel mit Paul Celan erschien 1993 bei Suhrkamp.
Paul Celan stammte aus Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina am Pruth, ehemals Österreich-Ungarn, damals Rumänien, heute in der Ukraine. Czernowitz mit seinen 90.000 Einwohnern (davon in den 1920er Jahren 40 % Juden) war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Zentrum deutsch-jüdischer und jiddischer Literatur, genoss den Ruf das „kleine Wien“ zu sein. Von dort stammen viele bekannte jüdische Literaten, wie Rose Ausländer, Itzik Manger, usw., und eben Celan, der als deutschsprachiger Dichter internationalen Ruhm genießt. Die Sowjets deportierten ab 1940 mehrere Tausend Czernowitzer Juden nach Sibirien, die nachfolgenden deutschen Besatzer ermordeten dort 1941 innerhalb von nur zwei Tagen 20.000 Menschen, fast die Hälfte der jüdischen Bevölkerung der Stadt. Die meisten anderen wurden deportiert und kamen um, so auch die Eltern von Paul Celan.
Die „Kanonisierung“
Auch er wurde in Deutschland mit Preisen bedacht. Die erste Ehrung, der Förderpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft, wurde ihm 1957 zuteil, 1958 folgte der Bremer Literaturpreis, die Kanonisierung erfolgte 1960 mit der wichtigsten deutschen literarischen Auszeichnung, dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 1964 erhielt Celan den Großen Preis des Landes Nordrhein-Westfalen.
Nelly Sachs (1910)© WIKIPEDIAr
Als Büchnerpreisträger wurde Celan in den deutschen literarischen Olymp aufgenommen: „Durch die Dichtung Paul Celans sind so gut wie alle kanonischen Formen literarischer Erkenntnis problematisch geworden“, schrieb 1987 Winfried Menninghaus. Desgleichen vermerkte schon 1977 John E. Jackson, „ […] die Diskrepanz zwischen einer sofort einleuchtenden ästhetischen Faszinationskraft seiner Gedichte und einer nicht weniger evidenten Schwierigkeit ihrer Deutung.“ Darin ergeht es Celans Werk ähnlich dem von Franz Kafka, es erfährt fortwährend neue Interpretationen, wobei man die jüdische Komponente der Celan’schen Dichtung viel schneller als bei Kafka erkannte. Auch Celans komplexe Dankesrede mit dem Titel „Der Meridian“ wird bis heute als historisch bezeichnet und stellte für das deutsche Publikum keine leichte Aufgabe dar. Celan nannte seine philologischen Experimente „Daseinssprache“, die zu vielen Deutungen seines Werkes, inklusive auch Fehlurteilen, führten, auch in seiner Darmstädter Rede zu Anspielung auf den Helden von Büchners Fragment „Lenz“, welches mit den Worten beginnt „Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirge“ und endet mit: „Sein Dasein war ihm eine notwendige Last. – So lebte er hin…..“ Celan bewegte sich zwischen Literaturen hin und her, las und übersetzte in mehreren Sprachen. Und er fragte in der Büchner-Preisrede: „Vielleicht darf man sagen, dass jedem Gedicht sein ‚20. Jänner‘ eingeschrieben bleibt?“ Am 20. Januar – das hat Paul Celan gewiss nicht aus den Augen verloren – haben die Nazis in der Wannseevilla die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen. Unter diesem Datum litt Paul Celan zu seinem frühen Tod und es ist der Schlüssel zu seiner Dichtung.
Ingeborg Bachmann hielt zu ihm
Der Dichter war ein schöner Mann und es gab, außer seiner Frau, der Künstlerin Gisèle Celan-Estrange, viele andere Frauen in seinem Leben, mit denen er auch ausgiebige Korrespondenzen führte. Darunter war die österreichische Dichterin und Prosaistin Ingeborg Bachmann (1926-1973), Geliebte zahlreicher anderer Männer, die ihm aber zur Seite stand, als er, der kurz davor den deutschen Mördern entronnene, 1952 bei der Tagung der „Gruppe 47“ nach seiner „zu pathetischen“ Lesung u.a. der „Todesfuge“ auf skandalöse Weise kritisiert und abgelehnt wurde. Die deutschen Dichter und Denker erwiesen sich dort als intellektuelle Henker, ohne jegliche Empathie. Celan wurde bis ins Mark getroffen, so wie zuvor von den unbegründeten Plagiatsvorwürfen von Claire Goll. Bachmann, Celans Stütze, lebte zuletzt mit Max Frisch zusammen und als er sie verließ, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. 1973 starb sie, tablettensüchtig, in ihrem Bett durch eine brennende Zigarette. Celan, der zunehmend unter Wahnvorstellungen litt, die zur Trennung von seiner Frau führten, fühlte eine Affinität zu den Unglücklichen.
Celan geistig nahestehend war auch der deutsche Poet Friedrich Hölderlin (1770-1843), dessen 250. Geburtstag sich dieses Jahr am 20. März jährte. Als Opfer politischer Intrigen wurde er 1806 in die Tübinger Universitätsklinik zwangseingewiesen und mit Psychopharmaka behandelt, wovon er sich nicht mehr ganz erholte. Er bewohnte bis zu seinem Lebensende ein Zimmer im Turm eines Hauses am Neckar, dem heutigen Hölderlin-Turm. Ihm widmete Celan sein berühmtes Gedicht „Tübingen. Jänner“, in dem er den Verlust der sprachlichen Ausdruckskraft thematisierte. Dort heißt es am Ende: „Käme,/ käme, käme ein Mensch/ zur Welt, heute/ mit/ dem Lichtbart der/ Patriarchen: er dürfte,/ spräche er von dieser/Zeit, er/dürfte/ nur lallen und lallen/immer-, immer-/zuzu./ (‚Pallaksch. Pallaksch‘).“ Auch Celans Gedichte wurden immer dunkler, kryptischer, wortkarger. Ein solches war sein „Keine Sandkunst mehr“, das lautet: „Keine Sandkunst mehr, kein Sandbuch, keine Meister./ Nichts entwürfelt. Wieviel/Stumme?/Siebenzehn./Deine Frage- deine Antwort./Dein Gesang, was weiss er?/Tiefimschnee, /Iefimnee,/I-i-e.“ Martin Lüdke nannte es „das Gedicht der Moderne überhaupt“ und es blieb rätselhaft.
Die „Meister“, die hier fehlen, bringen uns zurück zur „Todesfuge“, in der es heißt „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Dieses Gedicht dient einer gerade erschienenen neuen Biographie Celans von Thomas Sparr als Folie: Todesfuge. Biographie eines Gedichts (DVA 2020), die sich sehr gut liest. Nicht alles darin ist für Celankenner neu, aber die Art des Zugangs, wie anhand des Poems das Leben Celans und die Rezeptionsgeschichte der „Todesfuge“, die Übertragungen und Vertonungen auf dem kulturgeschichtlichen Hintergrund der Bundesrepublik entfaltet werden, ist neu. Sparr porträtiert den großen Dichter in seiner ganzen „jüdischen Einsamkeit“. Das spannende Buch mit Anmerkungen, einer Zeittafel, einem Personen- und Ortsregister sowie einer Bibliographie ist daher jedem zu empfehlen, der sich mit dem literarischen Nachkriegsdeutschland und dem nicht mehr so ganz präsenten Kapitel der deutsch-jüdischen Dichtung vertraut machen möchte.
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