Salomo Sachs, der jüdische Regierungsbauinspektor im Preußen Friedrich Wilhelms III.

Der Planer der Neuen Wache, der Prenzlauer Allee und zahlreicher anderer Bauten in Berlin, war der einzige Architekt im preußischen Staatsdienst, der seinem jüdischen Glauben nicht abgeschworen hatte.

Die Neue Wache in Berlin

Von Ulrich Buhrow

Diese jüdische Geschichte ist einfach unglaublich – und trotzdem wahr. Sie handelt von Salomo Sachs (1772-1855), dem fast vergessenen Universalgenie als Architekt, Astronom, preußischen Baubeamten, Mathematiker, Erfinder, Zeichenlehrer für Architektur und Maschinenzeichnungen, Schriftsteller, Entwickler von Gesellschaftsspielen und Sachbuchautor.

Sein großer Traum war die Judenemanzipation und Gleichberechtigung im Staatsdienst, die er nie erleben durfte. Salomo Sachs hatte seine Arbeit für den preußischen Staat getan, ohne sich zu beschweren, hatte sich aber aufgelehnt gegen die Diskriminierung seiner Person als Jude. Er und sein Cousin Meno Burg galten als aufrechte, ehrliche und unbeugsame preußische Staatsdiener jüdischen Glaubens. Sachs lebte nach eigenen Angaben bis zu seinem 18. Lebensjahr in einer Traumwelt, in der er sich dem Hebräischen und dem Rabbinischen Studium widmete, und nur notdürftig deutsch lesen und schreiben konnte. Unglaublich für ihn selbst war, dass er unter diesen Umständen in der Königliche Akademie der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften Baukunst und Zeichnen studieren durfte – um dann nahtlos am 9. Dezember 1792 als Schüler des Oberhofbauamtes Berlin vereidigt zu werden.

Erstmal war von Vorurteilen nichts zu spüren. Ein steiler Aufstieg mit den Patenten 1794 zum Oberhofbau-Conducteur und fünf Jahre später zum Oberhofbau-Inspektor beim Oberhofbauamt folgte. Von 1799 bis 1806 lehrte er als Zeichenlehrer für Architektur und Lehrer für Maschinenzeichnungen an der 1799 von König Friedrich Wilhelm III. neugegründeten Bauakademie. Salomo Sachs war als junger Beamter im Jahr 1806 so fasziniert von einer Preisaufgabe, dass er eigene Zeichnungen, Ideen und Entwürfe erarbeitete. Er legte sie seinem Lehrer, dem Geheimrat Bechere, vor, der die Zeichnungen zur Prüfung einreichte. Gegen alle Prachtzeichnungen der Spezialisten gewannen seine Entwürfe der Schlossbrücke und der Neuen Wache den Preis.

 

Einwohnermeldeamt

Durch den Ausbruch des Krieges (Frankreich gegen Preußen 1806/07) verzögerten sich die Pläne. Von der Regierung bezog er von 1806 bis 1816 Wartegeld. In der Zeit des Wartegeldes verfasste Sachs 1812 den ersten vollständigen Allgemeinen Straßen und Wohnungs-Anzeiger für die Residenzstadt Berlin. Es war ein bahnbrechendes Werk auch für zukünftige Adressbücher – selbst im Ausland fand dieses Meisterwerk seine Abnehmer. Die Polizeireviere orderten auch, da die Kartenpläne und Adressen sehr genau waren. Durch das Adresswerk öffnete sich noch eine andere Tür: Weil der Geheime Staatsrat Friedrich August von Staegemann, Vorstand der Finanzpartei, sich gerade mit der Organisation der Vermögenssteuer beschäftigte, war seine Idee eines fliegenden Katasters geboren. Sachs eröffnete für die Bewältigung dieser Aufgabe ein Büro, um mit möglichst geringem Personalaufwand die Kontrolle über die Steuerpflichtigen zu erlangen. So entstanden auch die ersten Einwohnermeldeämter und bei jedem Polizeirevier Berlins konnten polizeirelevante Teile des fliegenden Katasters aufgestellt und genutzt werden.

Vom Geheimen Oberfinanzrat von Staegemann erhielt Sachs den Auftrag, Vorschläge zu machen, um dem Staat Einnahmen von einigen Millionen Talern durch eine geeignete Steuer zu erbringen. Salomos Vorschlag führte zur noch heute gültigen Kommunalsteuer und wurde damals erstmals als sogenannte Mieth-Steuerabgabe umgesetzt, und die Gelder flossen fortan in die preußische Staatskasse.

Im Jahre 1813 erging die Order an Militärgouverneur Generalleutnant Anton Wilhelm von L’Estocq und Zivilgouverneur und Geheimen Staatsrat Dr. Johann August Sack, das 1. Militärgouvernement zwischen Elbe und Oder zu gründen. Diese Behörde betraute Sachs mit einer wichtigen Aufgabe. Ihm wurden Mitarbeiter unterstellt und ein Raum im Köllnischen Rathaus in Berlin zugeteilt, was er als Kontrollbüro einrichtete. Dort waren er und seine Kollegen Ansprechpartner für Anfragen, Beschwerden, Reklamationen und die Erarbeitung eines gerechten Einquartierungssystems für die Bürger.

 

Geniales Wertbon-System

Die zu bewältigenden Größenordnungen beliefen sich im März 1813 auf täglich 13.300 Soldaten und 4.000 Pferde des russischen Militärs und 8.100 Soldaten und 1.000 Pferde der preußischen Armee. Im Juli erreichten die Einquartierungen ein Maximum von 18.000 preußischen Soldaten, 2.000 Gefangenen und 5.500 Kranken. Salomo hatte eine geniale Lösung gefunden mit einem Wertbonsystem (Papiergeld), das nach Ende des Krieges ausgezahlt werden würde. Jeder, der sich innerhalb von 24 Stunden nach Ausquartierung meldete und sein Quartierungs-Billet abgab, bekam diese Bons. So konnte dieses gerechte System installiert werden. Zwischenzeitlich schrieb er Werk für Werk, immer bemüht in seinen Lehr- und Sachbüchern eine allgemeinverständliche Sprache für den Leser zu finden und sein Gehalt aufzubessern.

Erst nach Kriegsende nahm Schinkel die Pläne der Schlossbrücke und der Neuen Wache wieder auf, aber durfte sie mit seinen Adaptierungen umsetzen. Hier bemerkte Sachs, dass besonders die Neue Wache seinen Grundentwürfen glich, ausgenommen der meisterlichen Ausschmückungen des Gebäudes durch Schinkel. Sein Entwurf, sein Bauwerk, er der Vorreiter, und Karl Friedrich Schinkel der protegierte und weltgewandte Schöngeist als Nutznießer der Entwürfe und des Wissens seiner Lehrer und der Architekten bis 1806. Am 7. April 1816 bat Sachs den König um seine Wiederanstellung. Dieses Gesuch wurde abgelehnt aufgrund der Judenedikte § 9 von 1812. Seine zweite Bittschrift vom 24. April 1816 führte aber über den König, der die Ausnahme von der Regel zuließ, zum Erfolg. In dieser Zeit schlug ihm verstärkt der Antisemitismus seiner Kollegen entgegen.

Sachs versetzte man von 1816 bis 1820 nach Marienwerder in Westpreußen, dort sollte er als Landbaumeister Entwürfe Schinkels für Kirchen umsetzen. Sachs eröffnete dort eine Baugewerkschule, wo er auch kostenlos Unterricht anbot. 1820 bis 1830 war seine Rückversetzung nach Potsdam beschlossen und ihm wurde der 4. Baubezirk bei der königlichen Regierung Potsdam übergeben. Es erfolgte keine Aufwertung seiner Position, sondern ihm wurden immer mehr Fehler in seinen Arbeitsbereichen unterstellt. Unablässig kämpfte Sachs für seine Gleichstellung als Regierungsbauinspektor und Rehabilitierung von unberechtigten Vorwürfen.

Am 3. Dezember 1824 bewilligte man die Prenzlauer Allee. Sachs hatte hier alle Vorarbeit wie Vermessung, Entwurf, Situationsplan und Kostenplanung geleistet. 1825 begann Sachs die Planung für den Neubau des Fasanenmeisterhauses im Tiergarten. Den Auftrag gab der königliche Oberjägermeister Friedrich Detlef Graf von Moltke (1750-1825). Nach einem für Sachs vernichtenden Gutachten – ausgestellt von Friedrich Schinkel und Johann Carl Ludwig Schmid – über seine Pisé-Bauten (Lehmbauweise) konnte er sein Werk nicht ausführen. Schinkel durfte das Haus in klassischer Backstein-Bauweise bauen lassen. Das Militär war aber überzeugt von Sachs Lehmbauweise und orderte Bauten, die nur er persönlich ausführen sollte. Vonseiten der Vorgesetzten und der Regierung lagen sie schon als Backsteinentwurf vor und führte im Ganzen letztlich zu Sachs Zwangspensionierung.

Im Ruhestand widmete sich große Architekt der Literatur und hielt Vorträge zu naturwissenschaftlichen, astronomischen und jüdisch-emanzipatorischen Themen. Er erhielt nur eine kleine Rente und starb mit 82 Jahren 1855 in seiner Geburtsstadt Berlin.

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