Israel muss man fühlen
Der bekannte Wanderweg Israel Trail ist mehr als nur eine sportliche Herausforderung.
Autor Christian Seebauer
Meine Kinder träumen noch von einer besseren Welt. Viele Erwachsene haben das im Laufe der Zeit verlernt. Anstatt vom Guten zu träumen und daran zu arbeiten, bedienen wir im großen Stile Vorurteile und Klischees. Soziale Medien multiplizieren das noch. Wer Israel nur aus den Medien kennt, ist womöglich in einer negativen Filterblase gefangen, ohne es zu wissen und ohne das Land Israel und seine wunderbaren Menschen jemals selbst kennen gelernt zu haben. Da fällt es schwer, sich zu befreien und die Welt endlich einmal mit dem Herzen zu sehen.
Und wenn wir schon alles in einen Topf werfen, können wir auch gleich noch hinterfragen, wie wir bei uns zu Hause eigentlich dem Antisemitismus begegnen oder der Schoah gedenken. Wie sollen eigentlich meine Töchter etwas fühlen und begreifen, wenn schon manche Lehrer kaum etwas darüber wissen (wollen) und womöglich am liebsten um all das einen großen Bogen machen? Der Lehrplan hilft uns hier ebenso wenig weiter wie unsere Medien. Vergessen wir sie doch einmal kurz für den Augenblick!
Es geht um Zugangswege, am besten um ganz unbeschwerte und unpolitische Zugangswege. Es geht darum, Land und Leute kennenzulernen, Gefühle zu teilen, gemeinsam zu lachen, gemeinsam feuchte Augen zu bekommen. Und es geht auch einmal darum, den großartigen und vielfältigen jüdischen Anteil an unserer Kultur zu vermitteln.
Es geht um Gefühle, nicht um Theorie
Es ist wie bei einer Fremdsprache: Der eine lernt sie nur, weil er muss und kann nichts damit anfangen. Für den anderen sind ein paar Brocken in einer fremden Sprache der Zugang, um Gefühle zu teilen, um etwas zu verstehen. Zu verstehen, dass der andere ein interessanter, wertvoller und charmanter Mensch ist. Einer, der unsere Welt bereichert und Teil unserer Kultur ist. Einer, mit dem man etwas gemeinsam hat und einer, für den man etwas empfinden kann. Vielleicht sogar einer, in den man sich verlieben kann, oder in dem man einen guten Freund findet. Darum geht es nämlich! Es geht um echte Gefühle und die gelebte Praxis. Nicht um die Theorie, nicht um den Lehrplan und nicht um gute Noten.
Wer schon lange irgendwie spürt, dass weder die Medien, noch unsere Schulsysteme einen wirklich ehrlichen Zugang zur deutsch-jüdischen Freundschaft oder zur deutsch-Israelischen Freundschaft abliefern, sollte sich also aufmachen und seinen eigenen Zugangsweg finden. Und wenn er ihn gefunden hat, auch anderen vermitteln.
Klein und dankbar
Bei mir ist es das Wandern. Beim Wandern kann ich auch nach einem Streit wieder klare Gedanken finden, ich kann durchatmen, mich öffnen, werde klein und dankbar. Mit jedem Schritt erfahre ich, was in meinem Leben wirklich wichtig ist. Und auch: Was nicht. Ich kann loslassen von Vorurteilen und bin frei für das wahre Glück da draußen.
Und genau dieses wahre Glück habe ich auf meiner Extremwanderung „Israel Trail mit Herz – Das Heilige Land zu Fuß, allein und ohne Geld“ täglich erfahren. Niemand hat mich je nach meiner Herkunft gefragt, keiner hat mich wegen unserer Vergangenheit verurteilt. Jeder hat mir in Israel vorurteilsfrei geholfen, ein Stück Brot oder etwas Hummus geschenkt. Dass bei einem Stück geschenkten Brot immer wieder auch die Tränen fließen würden, hätte ich so nie für möglich gehalten. Die unglaubliche Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe haben mich immer wieder überwältigt. Tiefe Scham, Demut, Dankbarkeit und Freude in einem Aufwasch – so ein intensives Gefühlsbad kannte ich so noch nicht. Es lässt mich auch nie mehr los!
Die ewigen Neinsager in meinem Bekanntenkreis hielten es für unmöglich, oder wenigstens für asozial, dass ich als „Dachauer“ ohne Geld ausgerechnet durch Israel laufen würde und dort 1.000 Kilometer um Brot und Wasser betteln würde. Andere hielten es für verantwortungslos gefährlich, schließlich hätte ich kleine Kinder und eine Frau. Allein die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte mir weise und liebevoll: „Das wird funktionieren. Gehen Sie Ihren Weg! Man muss die Dinge selbst erleben, um sie (…) zu verstehen.“ Sie hat Recht behalten.
Viele, die sich heute auf den Israel-National-Trail begeben, scheitern, weil sie ihn als sportliche Herausforderung sehen. Der „Shvil Israel“, wie Israelis ihren Weg nennen, zählt laut „National Geographic“ nicht nur zu den 10 schönsten Fernwanderwegen der Welt, sondern auch zu den Härtesten. Meinen eigenen Weg sehe ich nicht als meine eigene Leistung, sondern er ist viel mehr die wunderbare Geschichte der vielen Menschen, die mir 50 Tage lang unterwegs Essen, Liebe und den Glauben geschenkt haben, „wenigstens für sie“ ein paar Meter weiterzugehen und nicht aufzugeben. Ihnen verdanke ich, all die wunderbaren Erfahrungen. Es ist die Geschichte der vielen Trail-Angels (Engel am Weg), die mich so sehr bewegt haben, dass sie mich ein Leben lang positiv begleiten wird. Es geht nicht darum, etwas allein durchzuziehen. Es geht darum, sich auf Israel und seine Menschen einzulassen, ihnen Glauben und Vertrauen zu schenken und am Ende etwas mit dem Herzen gesehen zu haben!
Heute versuche ich, andere für mehr Offenheit und den ersten Schritt zu begeistern. Als „Firmhelfer“ war ich letztes Jahr mit Jugendlichen in München in der Synagoge. Interesse: Mittelgroß. Dieses Mal wollte ich es besser machen und schrieb in den Veranstaltungsplan „Synagoge und Falafel“. Und siehe da: Volles Haus!
Wer also behauptet, junge Menschen interessierten sich nicht für jüdische Kultur, der liegt völlig falsch. Wir müssen es nur endlich richtig machen! Wir sollten erkennen, dass zum Verstehen zwingend auch Leidenschaft und Gefühle gehören. Fantasie ist gefragt. Und Geduld. Und Freude.
Bei meiner aktuellen Wanderung zum Mount Saharonim hatte Tina *) in den Felsen plötzlich Angst und erstarrte vor den Klettergriffen. Sie zitterte am ganzen Körper. Klar, ich hätte mit ihr umkehren können. Ich hätte sie auch anleinen und „hochziehen“ können. Oder ihr in purer Arroganz zeigen können, dass ich viel besser bin und die Gefahr lächerlich ist. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, um es – verzeihen Sie mir bitte den krassen Ausdruck – zu vermasseln.
Selbst geschafft
Tina hat keine Hilfe benötigt. Sie wollte diese Erfahrung ja selbst machen. Ich stand mit festem Grip hinter ihr, habe über die aufgehende Sonne erzählt, war begeistert und habe ihr gezeigt, wo sie ihren Fuß aufsetzen kann, um sich sicher abzustützen. „Wahnsinnig schön, oder?“ habe ich ihr dabei gesagt, obwohl ich wusste, welche Angst sie hatte. Tina hat es selbst geschafft und danach Tränen der Freude in den Augen gehabt. Und sie hat in Israel einen eigenen Baum für den JNF-KKL gepflanzt. Gefühle pur!
Israel. Juden. Holocaust. Antisemitismus. Alles hören wir immer nur in einem einzigen Atemzug. Dabei vergessen wir, dass unsere Kinder viele Fragen haben, neugierig sind, lernen und differenzieren möchten und durchaus verstehen wollen. Nehmen wir Ihnen doch endlich die Angst, etwas auf den ersten Schritten des Interesses falsch zu machen! Falsch ist nur, Freundschaft nicht zu wagen.
Als Adi und Eran, die ich auf den letzten Metern meines Israel Trails kennengelernt habe (und die vom Alter her meine Söhne sein könnten), uns hier besucht haben, hat es auch bei meinen Töchtern klick gemacht. Adi, Eran, Selina und Stella haben gemeinsam gekocht. Nicht israelisch. Auch nicht deutsch. Sondern nach eigener Fantasie. Adi und Eran hatten übrigens keine Kippa auf, zeigten aber meinen Mädels die mega-kitschigsten Kippas, die man auf Ebay überhaupt finden kann. Großes Gelächter und doch echtes Interesse, und endlich einen Interviewpartner, den man einmal alles fragen darf. Nebenbei haben sie über „koscher“ geredet, aber auch laut über die deftig bayrische Küche von Oma Brigitte gelacht. Die schmeckt nämlich auch hervorragend! Eran hat irgendwo ein Holzkreuz entdeckt (wusste gar nicht, dass wir eines haben) und lachend gemeint: „Jesus was a Jew. Nun essen wir gemeinsam das beste Essen der Welt!“ Ob man besser in Tel Aviv, Haifa, Berlin oder München studiert? Und dass Israelis die gleichen Noten auf der Gitarre spielen, wie Deutsche... Dass man sich in Tel Aviv besser verlieben kann als in München, blieb nicht unwidersprochen. Dass eine Geschichtslehrerin, die von Israel und/oder Juden keine Ahnung hat, so zielführend ist, wie eine Französischlehrerin, die noch nie in Frankreich war...
Die Kinder haben nicht bemerkt, dass ich meine Frau Conny gerade umarmt habe und unendlich glücklich war. Ja: Ich glaube an eine bessere Welt! Los geht’s! Wir sind dran!
*) Name geändert
Autoreninfos:
Dipl.-Ing. Univ. Christian Seebauer, Jahrgang 1967, ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit seiner Kindheit wandert er in den Alpen und betreibt Extremsport. Christian ist Webdesigner, Künstler und Bestsellerautor („Israel-Trail mit Herz“). Er setzt sich seit vielen Jahren mit Herzblut und großem medialen Echo für das deutsch-jüdische Zusammenleben ein.
Das Buch „Israel-Trail mit Herz“ gibt es direkt vom Autor signiert mit einer persönlichen handschriftlichen Widmung.
Hier gibt es mehr von Christian Seebauer zu sehen: www.israel-trail.com
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