Ein „Hallelujah“ auf Leonard Cohen

Ein musikalisch-literarisches Projekt

Leonard Cohen im Jahr 2015.© FABRICE COFFRINI, AFP

Von Theodor Joseph

Der Berliner Zentralrat der Juden hat in den Jahren 2018/19 (5778/5780) eine Veranstaltung in sein Kulturprogramm aufgenommen, die sich dem Leben und Werk des kanadischen Singer-Songwriters und Schriftstellers Leonard Cohen widmet – ein musikalisch-literarisches Projekt. Die jüdischen Gemeinden können hier aus einem reichhaltigen Kulturangebot schöpfen und Veranstaltungen buchen. An dem Programm „Ein ‚Hallelujah’ auf Leonard Cohen“ sind beteiligt die US-amerikanische Sängerin und Kantorin Susan Borofsky, der ukrainische Pianist Yaromyr Bozhenko sowie Dr. Joseph Heid, der die Konzerte moderiert, aus Werken Cohens rezitiert.

Susan Borofsky ist ausgebildete Sängerin und Schauspielerin, Master of Fine Arts der University of Michigan und der University of Southern California, Preisträgerin der Manhattan Association of Cabaret, und hatte in der Vergangenheit Engagements am Theater am Broadway und an der New York City Opera. Sie leitet den liberalen Gottesdienst in der jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen sowie im Düsseldorfer Nelly-Sachs-Haus und lebt in Düsseldorf.

Yaromyr Bozhenko ist Absolvent der Staatlichen Musikakademie in Lwiw und der Folkwang-Hochschule Essen. Er ist Preisträger der Jungen Pianisten (Charkiw, Ukraine 1992) und des Internationalen Klavier-Preisausschreibens „Arthur Rubinstein in Memoriam” (Bydgoschch, Polen 1998).

Joseph Heid ist Historiker, Literaturwissenschaftler und Publizist, hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutsch-jüdischen Beziehungsgeschichte verfasst.

Die Idee für das Projekt „Ein ‚Hallelujah’ auf Leonard Cohen“ entstand kurz nach dem Tod Cohens. Die drei Beteiligten wollten von der üblichen Konzertform abgehen und den vielseitig begabten Künstler – den Songwriter, Dichter, Musiker und Maler – Leonard Cohen in all seinem Schaffen und in seiner faszinierenden Persönlichkeit in einem neuen Format präsentieren.

Der am 21. September 1934 in Montreal geborene kanadische Songpoet Leonard Cohen starb am 7. November 2016 in Los Angeles. Cohen wuchs in einem ausgesprochen jüdischen Milieu auf, bewegte sich zeitlebens auf jüdischen Wegen – als Mensch und als Künstler. Seit den 60er Jahren stand er gleichberechtigt neben den beiden anderen großen jüdischen Songwritern des Jahrhunderts – Bob Dylan und Paul Simon. Musikalisch wurde er selten im gleichen Atemzug genannt, als Persönlichkeit aber überstrahlte er beide. Leonard Cohen war zweifellos einer der ganz Großen der poetischen Popmusik. Seine Songs changieren zwischen amourös und religiös.

Als Musiker schuf Leonard Cohen melancholisch gefärbte, poetische Lieder, die von zahlreichen Künstlern übernommen wurden. Zu seinen bekanntesten Liedern zählen Suzanne; So Long, Marianne; Sisters of Mercy. In seinen Liedern thematisiert Cohen unter anderem Liebe, Religion, Tod und Vergänglichkeit. Mit seinen Stücken wie Hallelujahh – einer der meist gecoverten Songs überhaupt –, oder First We Take Manhattan, schrieb er Musikgeschichte. Inhaltlich blieb er seinen gewichtigen Themen treu, sang mit Grabesstimme über Lust und Liebe.

 

Start in der Essener Synagoge

Die Konzertreihe begann am 25. Februar 2018 in der Alten Synagoge in Essen und war ein großer Erfolg. Die Veranstalter mussten irgendwann das imposante im Jugendstil und Art déco gestaltete Gebäude, das seit einigen Jahren als Museum dient, schließen, weil die Aufnahmefähigkeit des Hauses erschöpft war und über 400 Besucher sich bereits außerhalb der Stuhlreihen in den Seitengängen drängten.

Auch bei den nachfolgenden Konzerten – u.a. in Krefeld, Herford, Offenbach, Regensburg, Pforzheim, Magdeburg, Gelsenkirchen – war der Zuspruch ähnlich groß wie in Essen, auch wenn die jeweiligen Gemeindesäle nicht die Kapazität der Alten Synagoge in Essen erreichten.

Leonard Cohen war Jude durch und durch. Wer Cohen oder Kohn, Kagan oder Kogon heißt, stammt der Überlieferung nach von den Kohanim ab, den Priestern im alten Jerusalemer Tempel. Cohens Familie war Teil einer Art jüdischen Adels im englischsprachigen Westmount in Montreal, wo er aufgewachsen ist. Es kam ihm nie in den Sinn, sich seines Nachnamens zu schämen oder ihn zu ändern. Einmal beteuerte er: „Ich habe mich meiner jüdischen Herkunft nie geschämt, und in jeder Krise Israels werde ich da sein. Ich habe mich dem Überleben des jüdischen Volkes verschrieben“. Dafür hatte er sich einer gegen den Staat Israel gerichteten Boykott-Bewegung zu erwehren.

 

Frontbesuch in Israel

Sieben Jahre nachdem Cohen gegen den Vietnamkrieg auf der Bühne gestanden hatte, zog es den Dichter unversehens selbst an die Front: Als ambulanter Truppenbetreuer während des kompletten Jom-Kippur-Krieges im Jahre 1973 gab er bis zu acht Konzerte täglich vor den Zahal-Truppen, teilweise sogar während der Gefechte. Er hatte sich ohne Plan spontan ins Flugzeug gesetzt in der Absicht, die ägyptischen Kugeln aufzuhalten. Er habe „als Jude den Juden“ helfen wollen. Ein historisches Foto zeigt ihn im offenen khakifarbenen Hemd unter israelischen Soldaten, gleich neben General Ariel Scharon.

In dieser Zeit tourte Cohen wiederholt um die ganze Welt, trat immer wieder in Israel und vor der israelischen Armee auf und begriff sich selbst als Soldat. Cohen hat sich mehrfach für eine friedliche israelisch-„palästinensische“ Koexistenz ausgesprochen.

Leonard Cohen war, wie Bob Dylan – der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 2016 – ein Mann der vielen Gesichter und er wäre ein ebenso würdiger, wenn nicht der geeignetere Literatur-Nobelpreisträger gewesen.

Der erste Song des Konzerts ist zugleich Cohens erster Welterfolg aus dem Jahre 1967/68, ein Lied, das eine ganze Generation ins Herz traf, das berührte – Suzanne. Ein Song, der nichts von seiner Einzigartigkeit verloren hat, eben weil er gut ist, ein Song, der bleibt: „Suzanne takes you down to her place near the river/You can spend the night beside her…” Dieser Song passte einfach. Leonard Cohens Melancholie, seine sonore Stimme. Dem konnte man sich nicht so recht entziehen. Nicht Ende der 1960er – und danach auch nie wieder. Er schrieb seine Songs, wie er einmal bemerkte, weil er nicht anders konnte, „um die Frauen rumzukriegen“. Erst später schrieb er Songs, um Geld zu verdienen.

Über „Songs from Leonard Cohen“, sein Debüt-Album, urteilte Suzanne Vega 2009 so: „Ich habe mich einfach in sein erstes Album verliebt. Es war, als wäre er ein Freund von mir. Ich habe ihn mir in meinem Zimmer angehört und er war wie eine leise Stimme, die zu mir gehört. Wenn man damals jemanden kennenlernen wollte, sagte man: ‚Magst du Leonard Cohen?‘ Und wenn derjenige dann fragte: ‚Wer?‘, dann wusste man, dass das Ganze keine Zukunft hat“.

 

Ein Pop-Rabbiner?

Zu Israel hatte Leonard Cohen eine besondere Beziehung, es war eine tiefe emotionale, vielleicht auch religiöse Bindung, die ihn beherrschte und es ist interessant, dass er in Europa anders auftrat als in Israel. 2009 bei einem Konzert bei Tel Aviv, sprach er, der Abkömmling Aarons, am Ende über die Zuschauer den Priestersegen „Birkat Cohanim“, den hebräischen Segensspruch „Baruch ata adonaj, elojenu melech ha-olam“ und das Publikum antwortete mit „Amen“. Das alles passt zu seinem Namen „Cohen“. Vor einem jüdischen Publikum sah er sich als eine Art Pop-Priester.

Rabbi Mordecai Finley meinte über Leonard Cohen: „Er könnte ein großer Lehrer des Judentums sein. Wenn er einen anderen Weg eingeschlagen und Rabbiner geworden wäre, dann hätte es in seiner Macht gestanden, zu einem der größten unserer Generation zu werden“.

Bob Dylan sagte einmal zu Leonard Cohen, er habe das Gefühl, dass sich seine Songs allmählich „zu Gebeten entwickelten“. Auf keinen Song traf das mehr zu als auf „If It Be Your Will“. Es war „ein altes Gebet“, meinte Leonard Cohen, „das über mich kam, damit ich es umschrieb“. Ein berührender Song, intim und zerbrechlich: „Ist es Dein Wunsch, dass eine Stimme wahr spreche,/Singe ich zu Dir von diesen Hügeln./Von diesen Hügeln/Aller Lobpreis erklinge/Wenn Du wünschst, dass ich singe.“ Hat man je in der populären Musik einen solchen Text gehört?

 

Drei Jahre lang arbeitete er an „Hallelujah“

Schlusslied und Höhepunkt des Konzerts ist Cohens „Hallelujah“. Darauf hat das Publikum gewartet und spätesten bei diesem Song legen die Zuhörer ihre Zurückhaltung ab – der Saal singt mit. Jeder kennt das Lied, zumindest seinen Refrain, und niemand kann sich seiner einzigartigen Faszination entziehen. Cohen hat geschlagene drei Jahre an diesem Lied gearbeitet, für das er am Ende insgesamt 80 Verse schrieb. Die Zeilen füllten zwei Notizbücher. Eine Baustelle. Schließlich gab er seinem Lied den Titel: „Hallelujah“.

Es existieren zahlreiche Cover-Versionen anderer Musiker, mehr als 300 Aufnahmen von „Hallelujah“ durch andere Musiker sind bekannt. Bob Dylan war der erste, der bei einem Auftritt 1988 in Cohens Heimatstadt Montreal das Stück seines Freundes in sein Repertoire aufnahm. Niemand sonst hatte zunächst eine Idee von diesem Lied. Für Bob Dylan jedenfalls war es sofort ein interessanter Song, 15 Jahre, bevor alle Anderen nachzogen. Eine faszinierende Fußnote zu dieser Geschichte.

„Hallelujah“ ist voller religiöser Bezüge – alttestamentarischer, biblischer. Das Lied beginnt so: „Ich habe gehört, es gibt einen geheimen Akkord, den David gespielt hat. Und er hat dem Herrgott gefallen. Aber Du interessierst dich nicht wirklich für Musik, oder?“

Und die erste Antwort kommt von Leonard Cohens damaliger Plattenfirma „Columbia Records“. Columbia lehnt „Hallelujah” ab! Das Album erscheint erst ein Jahr später auf einem anderen, kleinen Label quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wunder dauern manchmal etwas länger. In diesem Fall vergehen Jahre, Jahre, in denen das Stück die Entwicklungsphasen eines Schmetterlings erlebte – Larve, Puppe und dann die volle Entfaltung.

Susan Borofsky, der ukrainische Pianist Yaromyr Bozhenko, Dr. Joseph Heid

„Hallelujahh” ist heute einer der am häufigsten aufgenommenen Songs in der Geschichte der Pop-Musik, Paradenummer für stimmstarke Kandidaten in Casting-Shows. Eine Musik, die sowohl bei Hochzeiten als auch bei Beerdigungen gespielt wird. Universale Magie in C-Dur!

Leonard Cohen äußerte sich bezüglich der zahlreichen Interpretationen in einem Interview im Jahr 2009: „Es ist ein guter Song, aber er wird von zu vielen Leuten gesungen.“ Allerdings mache sich ein leichtes Gefühl von Genugtuung in seinem Herzen breit, wenn er sich daran erinnere, dass seine amerikanische Plattenfirma den Song nicht veröffentlichen wollte: „Sie dachten, er sei nicht gut genug.“

 

Bereit für den Tod

In einem großen Portrait im New Yorker zeigte sich Cohen kurz vor Veröffentlichung des Albums „You Want It Darker“ als äußerst bereit zu gehen. Die göttliche Stimme, die ihn sonst immer ermahne, dass er gerade wieder einmal alles vermassele, muntere ihn jetzt nur auf, noch die letzten Dinge zu erledigen. Nach diesen Worten über seinen scheinbar nahenden Tod sagte er wenig später, dass er mindestens 120 Jahre alt werden möchte, wie von Gott in der Thora vorgesehen.

Er war also für den letzten Weg vorbereitet, als er auf seinem letzten Album – zum Teil aufgenommen in der Montrealer Synagoge „Shaar HaShamayim“ – das hebräische „Hineni, hineni“ haucht – „I am ready, my Lord!“. Das kann den Hörer nicht kalt lassen.

„Magnified, sanctified be thy holy name”, singt er auf “You Want It Darker”. Es sind dies die ersten Worte des Kaddisch, des jüdischen Trauer- und Totengebets, das kein Wort über Verlust verliert, sondern nur die Herrlichkeit Gottes preist. Jissgadal wejisskadasch, schmeh raboh: verherrlicht und geheiligt werde Sein großer Name in der Welt, die Er erschaffen nach Seinem Willen.

Mit „You Want It Darker“ schuf Cohen ein dunkel glänzendes Spätwerk, sein musikalisches Testament, Lieder zum endgültigen Abschied – sein persönliches Kaddisch. Als Begleitsänger trat der orthodoxe Synagogenchor Shaar HaShamayim auf, der einst von seinem Vater und Großvater geleitet worden war. In dieser Synagoge saß der Enkel Leonard jeden Schabbes und an jedem Feiertag in der dritten Reihe.

Es kann eigentlich keinen Zweifel daran geben, dass der Song auch sein letzter Versuch war, sich dem Thema der Schoah zu nähern – „a million candles burning for the help that never came“. Das ewige Ringen jüdischer Theologie, nach der Schoah trotzdem noch an HaSchem zu glauben, wird hier durch Wut und Vorwürfe aufgelöst. Cohen besingt hier den Heil verheißenden und zugleich Heilung verweigernden jüdischen Gott. Er wusste, dass es sein letztes Album werden würde – und behielt recht.

Die jüdische Welt, und nicht nur sie, trauert um den kanadischen Songpoeten Leonard Cohen, der am 7. November 2016 in Los Angeles starb. Er wurde, wie es seiner Tradition entspricht, auf dem jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt Montreal, Shaar HaShamayim Congregation Cemetery, beigesetzt bevor sein Tod in der Welt bekannt wurde. Jedoch ist Leonard Cohen nicht 2016, sondern als Eliezer ben Nathan – unter diesem Namen wurde er zur Thora gerufen – am 6. Tag des Monats Cheschwan nach dem mosaischen Kalender des Jahres 5777 von der Welt gegangen. Er wurde als Jude geboren und ist im Alter von 82 als Jude gestorben.

Im Jüdischen Gemeindezentrum Paderborn am 15. September 2019 war das Leonard-Cohen-Konzert schon sehr speziell. Etwa eine halbe Stunde vor Konzertbeginn drängten sich die Gäste in der Synagoge, die zugleich als Gemeindesaal fungiert. Sehr bald war auch das Treppenhaus gefüllt und schließlich versuchten ebenso viele Menschen dem Gedränge zu entkommen wie andere, die in den Vortragssaal hinein wollten. Viele, auf den Treppenstufen des Gemeindezentrums sitzend, konnten das Konzert visuell gar nicht verfolgen und mussten allein mit dem Hören Vorlieb nehmen. Leonard Cohen hat ganz offensichtlich auch drei Jahre nach seinem Tod nichts von seiner Einzigartigkeit als Musiker und Poet verloren. Leonard Cohen war eben zweifellos einer der ganz Großen der poetischen Popmusik.

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