Die jüdische Seele des Sir Moses

Zum 235. Geburtstag von Moses Montefiore

Von Arkadij Tsfasman

Barmherzigkeit und Mitleid mit Menschen, Hilfe für Bedürftige – das sind einige der wichtigsten Lehren im Judentum. Es gab nicht wenige Juden, welche sich dieser edlen Sache – Unterstützung Anderer – verschrieben haben. Einer der herausragendsten unter ihnen war Moses Montefiore.

Er entstammte einer Familie sephardischer Juden, deren Vorfahren Ende des 15. Jahrhunderts aus Spanien nach Italien geflohen waren, um sich vor der katholischen Inquisition retten zu können. Zunächst lebten sie in der Stadt Montefiore (daher der Name), später in Livorno. Von dort aus ging Moses Vito Montefiore zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach England und ließ sich in London nieder. Einer seiner Söhne, Josef Elias, kam beruflich für eine Weile mit seiner Frau nach Livorno, wo am 28. Oktober 1784 sein Sohn das Licht der Welt erblickte und Moses – nach dem Großvater – genannt wurde.

Der Junge wuchs in einer strengen und gleichzeitig feierlich-religiösen Atmosphäre auf; Bescheidenheit und Fleiß wurden in der Familie großgeschrieben. Die schulische Bildung war überschaubar, sie vermittelte lediglich die Grundkenntnisse. Später lag es an ihm, alles fürs Leben zu lernen: Der junge Montefiore arbeitete tagsüber in einem Büro, wo er sich mit dem Bankwesen vertraut machte, bildete sich selbst in verschiedensten Bereichen weiter, besuchte einen politischen Diskussionsclub, was ihm half, die politischen Zusammenhänge zu durchblicken und souverän in der Öffentlichkeit aufzutreten.

 

Die Bank „Gebrüder Montefiore“

Als Börsenmakler genoss Montefiore die Reputation eines äußerst fairen Geschäftspartners. Bald gründete er mit seinem jüngeren Bruder Abraham die Bank „Gebrüder Montefiore“, die sich dank ihrer unerschütterlichen Zuverlässigkeit einen Namen machte.

Während des Napoleonischen Krieges diente Moses vier Jahre lang in der Nationalgarde und quittierte den Dienst als Hauptmann.

Zurück in seinem Business, gründete er 1824 eine Lebensversicherung mit dem Namen „Alliance“ – ein Unternehmen, das zu dieser Zeit ein völliges Novum war. Kurz darauf, den Zeitgeist erspürend, richtete er einen Großbetrieb für die städtische Gasbeleuchtung namens „Imperial“ ein. Das machte ihn zu einem wohlhabenden Mann.

In den 1830er Jahren wurde sein Name dank seiner Teilnahme an der Bewegung für die Beendigung der Sklaverei in den englischen Kolonien sehr berühmt. Er verschaffte der Regierung ein erhebliches Darlehen für entsprechende Entschädigungen sämtlicher Sklavenhalter. Seine Berühmtheit wie der Respekt ihm gegenüber wuchsen stetig. Im Jahre 1836 wurde Montefiore der erste Jude, welchem der Titel „Mitglied der Königlichen Gesellschaft“ verliehen wurde. In den darauffolgenden Jahren wurde er zum Sheriff von London und der Grafschaft Middlesex gewählt, wo er, durch die Unterstützung von Königin Viktoria gestärkt, die Abschaffung der Todesstrafe erzwingen konnte. Er wurde ebenfalls Sheriff der Grafschaft Kent; als Zeichen des höchsten Respekts hat ihn die Königin in den Ritterstand erhoben, seitdem hieß er „Sir Moses“. 1846 erhielt er den Titel „Baronet“.

 

Montefiore blieb religiös

Währenddessen blieb Montefiore ein frommer Jude, seine gesellschaftlichen Pflichten konnte er mit dem Einhalten des Schabbats und den jüdischen Feiertagen vereinbaren. „Meine Pflichten Gott gegenüber und mein tiefster Respekt vor unserer heiligen Religion stelle ich höher als alle meine anderen Pflichten“, schrieb er. Er war in der sephardischen Gemeinde zu London sehr aktiv; bereits in jungen Jahren wurde er in den Gemeinderat gewählt. In dieser Eigenschaft investierte er erhebliche Gelder in die Entstehung eines Krankenhauses, einer Stiftung für die Unterstützung armer jüdischer Bräute; er finanzierte die Bildungseinrichtungen und förderte eine höhere Qualität der Bildung, half großzügig bedürftigen Schülern. Darüber hinaus erwarb er in London 13 Häuser und übereignete sie der Gemeinde.

In den 1830er Jahren verschrieb sich Montefiore aktiv dem Kampf gegen die Benachteiligung und Ungleichheit der britischen Juden im politischen Leben Großbritanniens. Zusammen mit einigen Vertretern des englischen Adels und mit dem berühmten Historiker T. B. Macauley kämpfte er für die Abschaffung des sogenannten – oft diskriminierenden – Judeneids für die ins Parlament gewählten Juden. Über drei Jahrzehnte, von 1838 bis 1874, war er Präsident des Board of Deputies of British Jews – einer der bedeutendsten Organisation des britischen Judentums – und galt zurecht als führende Persönlichkeit der jüdischen Gemeinschaft Englands.

 

Reise nach Eretz Israel mit 80

Dabei beschränkte sich das Leben von Montefiore keineswegs auf die Unterstützung der britischen Juden. Sein besonderes Interesse galt der Lage der Juden Palästinas, das damals ein Teil des Osmanischen Reiches war. Er kam 1827 ins Heilige Land und war sehr betroffen von der Armut und der Enge des Jüdischen Viertels von Jerusalem, von der Dürftigkeit der Behausungen und der fehlenden Lebensgrundlage dortiger Juden, die über keinerlei eigenes Einkommen verfügten und so völlig abhängig von Spenden aus dem Ausland waren. Danach reiste er noch sechsmal nach Eretz Israel (zuletzt 1875, als 80-Jähriger), und bei jedem Besuch konnte er etwas bewirken, etwas Gutes tun für die dortigen Juden.

Sein vorrangiges Bestreben war, bessere gesundheitliche und hygienische Bedingungen für die dortigen Juden zu schaffen. Mit seinem Geld wurden in Jerusalem eine Apotheke und eine Klinik errichtet, für die Montefiore einen Arzt aus England kommen ließ. Später wurden mit dem Geld aus einer von ihm gegründeten Stiftung der Bau weiterer jüdischer Viertel finanziert.

Er schuf außerdem Arbeitsplätze für die Juden Palästinas: Er pachtete ein Stück Land und errichtete dort eine Orangen- und Zitrusplantage; das war der Anfang der landwirtschaftlichen Tätigkeit der jüdischen Bevölkerung. Der erste industrielle Bau in Jerusalem war eine Windmühle, die in der Nähe des neuen Viertel gebaut wurde und bis heute eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt ist – sie wird „Montefiores Mühle“ genannt. Später wurde die erste Weberei im Land errichtet und mit entsprechender Technik ausgestattet; es entstand eine Druckerei, eine Berufsschule für Mädchen usw.

Einige heruntergekommene heilige Stätten bereiteten Montefiore ebenfalls Sorge. Er stellte Geld für die Restaurierung der Klagemauer in Jerusalem und von Rachels Grabs in Beit Lechem zur Verfügung. Als Juden Mitte der 1850er Jahre infolge des Krim-Krieges Hunger leiden mussten, sammelte er eine erhebliche Geldsumme und schickte sie den Betroffenen. Darüber hinaus ist es ihm gelungen, die osmanischen Herrscher zu überzeugen, einen Firman – einen Schutzbrief – zu erlassen, welcher Juden ihre Rechte und Religionsfreiheit zusicherte.

 

Montefiores schützende Hand

Schwierig gestaltete sich Montefiores Kampf gegen die Diskriminierung der Juden in vielen Ländern. 1840 gab es in Syrien einen grausamen Mord an einem Christen: Der Mönch und sein muslimischer Diener seien von den Juden ermordet worden, hieß es sofort. Daraus entstand die Damaskus-Affäre – die in Damaskus lebenden Juden wurden des Ritualmordes beschuldigt; viele unschuldige Menschen wurden brutal gefoltert. Montefiore wurde nach Osten gesandt, wo er, zusammen mit dem bedeutenden französischen Politiker Adolphe Crémieux, energisch in der Affäre vermittelte, was dann aber zum Erfolg führte: Die Anklage wurde fallengelassen, die verhafteten Juden kamen frei.

1861 setzte er sich für die auf den Inseln Korfu und Rhodos lebenden Juden ein und war auch dort erfolgreich: Der dortige Metropolit verkündete in einer Botschaft die Unvereinbarkeit der Judenverfolgung mit dem wahren christlichen Glauben. 1864 ging Montefiore nach Marokko: Es gab dort eine blutige Massenverfolgung der Juden; es gelang ihm, den Sultan zu überzeugen, durch ein Edikt den marokkanischen Juden die gleichen Rechte zu gewähren. Auf seiner Rückreise besuchte Montefiore Madrid und Paris, wo er Königin Isabella und Kaiser Napoleon III. bat, als Garanten für die Erfüllung dieses Edikts einzutreten. Als 1867 die Gewalt gegen Juden in Rumänien mehrere Opfer durch Ertrinken in der Donau forderte, ging der inzwischen 83-jährige Montefiore nach Bukarest und bekam vom rumänischen König das Versprechen, dass solche Gräueltaten zukünftig nicht mehr vorkommen würden.

Dank seinem hohen Ansehen weltweit konnte Montefiore auch woanders die Pogrome stoppen oder verhindern. Den jüdischen Gemeinden in Not, wie in Persien und Marokko, ließ er erhebliche Geldbeträge zukommen.

Montefiores edle Seele war auch für das Leid anderer Völker empfänglich: Als die Drusen 1860 Christen in Syrien angriffen, stand er an der Spitze des christlichen Hilfskomitees und sammelte eine große Summe Geld.

Montefiore in Russland

Auch nicht gleichgültig war Montefiore die Lage zahlreicher russischer Juden. Zum ersten Mal bereiste er Russland 1846: Mit dem Empfehlungsschreiben der Königin Viktoria ausgestattet, wurde er von Zar Nikolaus I. mit großer Ehre empfangen. In den Städten des russischen Westens traf er auf einen begeisterten Empfang der dort lebenden Juden. Als Ergebnis dieser Reise adressierte Montefiore zwei Schreiben an die russische Regierung, in denen er um die Gleichberechtigung der Juden sowie um die Wiederherstellung der erst kürzlich abgeschafften Selbstverwaltungsorgane der jüdischen Gemeinden bat.

Nach Montefiores Bemühungen wurden Verbote für Juden, sich in den Städten Polens (damals Teil des Russischen Zarenreichs, - Anm. d. Übers.) anzusiedeln, aufgehoben. Zurück in London, erwartete ihn ein feierlicher Empfang bei Königin Viktoria.

Erneut kam Montefiore 1872 nach Russland, um im Namen der Königin des 200. Geburtstages von Zar Peter I. zu gedenken. Er erhielt vom Zaren das Versprechen, die Rechtslage der Juden zu verbessern; eingelöst wurde dieses Versprechen in der Zukunft kaum.

„Montefiores Mühle“ in Jerusalem

Montefiore wurde sehr aktiv, als es zu infamen und gefährlichen Gerüchten über die Juden Russlands und den angeblich von ihnen begonnenen Ritualmorden kam. 1878 schrieb er den Generalgouverneur des Kaukasus bezüglich des „Kutaissi-Prozesses“ an und war bereit ungeachtet seines Alters von 94 Jahren nach Georgien zu reisen. Zum Glück wurden alle beschuldigten Juden bald durch die Geschworenen freigesprochen (bei dem Prozess war eine Gruppe von Juden aus dem georgischen Dorf Sachkheri des angeblichen rituellen Mordes an einem Bauernmädchen, Sarah Modebadze, angeklagt. Die Verhandlung wurde im März 1879 am Bezirksgericht Kutaissi geführt. Die Angeklagten wurden unter anderem von dem berühmten Anwalt Leo Kupernik verteidigt. - Anm. d. Übers.).

Moses Montefiore hatte ein langes erfülltes Leben: Am 24. Oktober 1884 feierte er, geistig völlig wach, seinen 100. Geburtstag. Er verstarb am 28. Juli 1885 und wurde neben seiner Frau Judith beigesetzt, in einer Ruhestätte, deren Bau an das Grab der Urmutter Rachel erinnert.

Bereits zu Lebzeiten wae der Name Montefiore legendenumwoben. Dichter und Schriftsteller widmeten ihm seine Werke, in jüdischen Kreisen gab es eine Vielzahl seiner Portraits. Und natürlich bewahren auch die Juden Israels ihm ein ehrendes und dankbares Andenken.

 

Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden