Das Haus der jüdischen Musik

Ein Interview mit Eliah Sakakushev-von Bismarck, dem neuen Leiter der Villa Seligmann, dem Haus für jüdische Musik in Hannover.

Sakakushev-von Bismarck vor interessiertem Publikum.

Eine „Schnittstelle zwischen Geschichte und Gegenwart – zwischen Sakralem und Weltlichem“ – so bezeichnet sich die Villa Seligmann in Eigenangabe auf ihrer Webseite. Speerspitze der blühenden musikalischen Oase am Hannover Stadtwald „Eilenriede“ ist Eliah Sakakushev-von Bismarck. 2019 biete ein reich geschmücktes Programm, aus insgesamt 19 Ländern kommen renommierte Künstler, Kantoren und Kulturschaffende, um bei 20 Veranstaltungen Kenner und Liebhaber des jüdischen Musikerbes in das imposante Gebäude zu locken. Unter Kronleuchtern und zwischen holzgetäfelten Wänden werden Konzerte, Lieder- und Sonatenabende, musikalische Lesungen, Ausstellungen und Gartenfeste dargeboten.

Der neue Leiter der „Villa Seilgmann“ ist der 40-jährige gebürtige Bulgare Eliah Sakakushev-von Bismarck – der sechs Sprachen beherrscht – und die Nachfolge von Andor Izsák antritt. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Cello, das er in Wien und Mannheim studierte. Während seines Studiums lernte er seine Frau kennen, die Geigerin Caroline von Bismarck, die der Familie des berühmten Reichskanzlers entstammt.

Die JÜDISCHE RUNDSCHAU hatte die Gelegenheit, Herrn Sakakushev-von Bismarck zu interviewen.

 

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herr Sakakushev-von Bismarck, Sie sind neuer Künstlerischer Direktor der Villa Seligmann – was ist Ihre Vision für die Villa und die Stiftung?

Sakakushev-von Bismarck: Als Haus für jüdische Musik und Ort der Begegnung gibt die Villa Seligmann nunmehr ein Zeugnis der gelebten jüdischen Kultur ab. Es gilt, das Haus mit kreativen und modernen Veranstaltungsformaten zu öffnen und zu füllen. Im musikalischen Sinne befassen wir uns kritisch mit der Frage, was die jüdische Musik ausmacht und zeigen die Gesamtbreite, geografisch, kulturell und geschichtlich. Damit umfassen wir eine Zeitspanne vom sephardischen Mittelalter bis in die Moderne der „Neuen Welt“. Eine ganz wichtige Aufgabe ist die Vermittlung und die Jugendarbeit. In kreativen Partnerschaften mit Schulen schaffen wir Begegnungen zwischen den Generationen, beleuchten Hintergründe und versuchen jüdisches Leben auch jenseits der Schoah verständlicher und irgendwo auch selbstverständlicher zu machen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was hat Sie nach Hannover geführt?

Sakakushev-von Bismarck: Die Berufung an die Villa Seligmann und sicherlich auch ein wenig Neugier, den Nordwesten Deutschlands kennenzulernen. Nach nunmehr einem Jahr in Hannover würde ich mich gern als einen Hannoveraner bezeichnen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie haben Sie das Programm für das Jahr 2019/2020 zusammengestellt? Auf was können sich die Zuhörer freuen?

Sakakushev-von Bismarck: Das Programm 2020 wird in den kommenden Wochen veröffentlicht. Es wird ein offenes Format haben, damit unsere neue Ausrichtung der spontanen Begegnung und des offenen Diskurses einen passenden Rahmen bekommt. Es wird natürlich viel hochkarätige Musik geben, schillernde Interpreten, breitangelegte Thematik, spannende Entdeckungen. Wir wagen den Schritt in die zeitgenössische Musik und beschäftigen uns damit, wie die aktuellen Themen aus Gesellschaft und Politik den modernen Geist bewegen. Auch die unerschöpflichen biblischen Sujets bleiben nach wie vor eine Inspirationsquelle. Die Villa Seligmann wird der Austragungsort verschiedener Konferenzen und Tagungen werden. Die Literaturformate werden weiterentwickelt. Mit musikalischen Lesungen, literarischen Kompositionen sowie Literaturtheater, aber auch mit unseren beliebten Salongesprächen und Podiumsdiskussionen fördern wir den intellektuellen Austausch zwischen Publikum, Künstlern und Vertretern der Kulturszene. Wir wollen das Haus von verschiedenen Perspektiven zeigen und ermöglichen unseren Besuchern, die spannende Geschichte der Villa Seligmann in monatlichen Führungen für sich eigens zu entdecken.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wodurch zeichnet sich das jüdische Kulturerbe vor allem aus; und wie bringen Sie das in der Villa Seligmann zum Ausdruck?

Sakakushev-von Bismarck: Das Judentum steht ja auf drei „Säulen“ fest im Leben: die Religion mit den Schriften, der Liturgie und dem jüdischen Kalender; das Volk mit dem Lebenszyklus, der Diaspora und dem kollektiven Gedächtnis; und natürlich das Land – Eretz Israel und Jerusalem. So ist das jüdische Kulturerbe all das, was dieses Dreieck beschließt. Dimensioniert durch die Jahrtausende kontinuierliche Geschichte und die geografische Ausbreitung jüdischen Lebens ist dieses Erbe global, vielschichtig und sehr facettenreich. Es ist eine ungeheuer spannende und komplexe Aufgabe, diesem Kulturerbe möglichst objektiv und vermittelnd Ausdruck zu verleihen. Dafür reicht der abstrakte Ausdruck der Musik nicht aus. Sprache und Intellekt sind genauso wichtig, sowie der offene Gedankenaustausch. Für all dies bietet die Villa Seligmann den perfekten Rahmen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Jüdische Musik – ein globales Phänomen?

Sakakushev-von Bismarck: Als Träger des jüdischen Kulturerbes ist die jüdische Musik ein ebenso komplexer Begriff, der im Inneren des „Säulendreiecks“ schwebt. Bei der Musik spielt die sogenannte „interkulturelle Identität“ bzw. die länder- und kulturübergreifende Identitätsbildung eine Schlüsselrolle. Durch Vertreibungen, Immigration und die Diaspora ist das Phänomen der Akkulturation – die Übernahme und der Zusammenfluss von Elementen der lokalen Musikkultur – gelebte Praxis. Jüdische Musik kann man auch als die Verzahnung von jüdischer Kultur, Studien und Musik verstehen. Dadurch ist sie eine Kultur der (Wieder-) Entdeckungen.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher bekommen?

Sakakushev-von Bismarck: Durchweg positive. Die Öffnung des Hauses, das breite abwechslungsreiche Kulturangebot, die neuen Veranstaltungsformate sowie die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten haben großen Zuspruch bei unserem Publikum und in der öffentlichen Wahrnehmung gefunden. Es kommen immer mehr neue Gesichter in die Villa, auch jüngere Menschen. Die zahlreichen Kooperationen mit anderen Kulturakteuren und Veranstaltern bringen eine enorme Bereicherung und verstärken die Resonanz unserer Inhalte. Die Villa Seligmann rückt immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Unserem Ziel, eine zentrale Netzwerkstelle für jüdische Musik und Kultur zu werden, kommen wir immer näher. Dabei werden wir heute mehr denn je ideell und finanziell unterstützt. Neben unseren privaten Förderern und der Trägerschaft der Siegmund-Seligmann-Stiftung und der Siegmund-Seligmann-Gesellschaft wird unsere Arbeit durch die Niedersächsische Landesregierung sowie eine wachsende Anzahl an Projektförderern unterstützt. Die Zusammenarbeit mit der Region und der Landeshauptstadt Hannover wird immer enger.

Ich habe ein gutes Gefühl für die Zukunft der Villa Seligmann und bin der Ansicht, dass ich mich am richtigen Ort zur richtigen Zeit befinde.

JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herr Sakakushev-von Bismarck, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Jan Bentz.

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