Seyran Ateş’ Kampf für einen liberalen Islam

Die Regisseurin Güner Balci präsentierte in Neukölln ihren neuen ZDF-Film über Seyran Ates, die Gründerin der Ibn Rushd-Goethe-Moschee, die sich u.a. öffentlich gegen Antisemitismus einsetzt.

Von Felix Perrefort

Noch vor der Ende September stattfindenden Premiere von Güner Balcis Dokumentarfilm über die muslimische Feministin Seyran Ateş fiel ein bemerkenswerter Satz in der Aula der Neuköllner Otto-Hahn-Schule. Er richtete sich an ein Publikum, das zu einem großen Teil aus Schülerinnen mit Kopftuch bestand, und stammt weder von der Filmemacherin, noch von der von ihr Portraitierten: „Ich finde es gar nicht gut, wenn so viele junge Frauen um mich herum das Kopftuch tragen. Ich mag das einfach nicht.“

Dass ausgerechnet Sawsan Chebli dies mitteilte, ist nicht nur erstaunlich: Es zeigt auch, dass die Menschen außerhalb der sozialen Medien meistens sympathischer sind als auf Twitter und co. Dort nämlich macht die Berliner „Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“ insbesondere mit einem „anti-islamophoben“ Engagement auf sich aufmerksam, und nicht mit verständlichen Bekundungen vom eigenen Unwohlsein gegenüber der islamischen Verschleierung.

Umso bedauerlicher ist, dass Frau Chebli der Sichtung des Films über die Gründerin der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, der vielleicht einzigen wahrhaft liberalen Moschee, nicht beiwohnen konnte. Ließ ihr Sonntagsgerede darüber, dass der Kopftuchzwang gleichzusetzen sei mit dem Kopftuchverbot, die Überführung selbst erlebter, unangenehmer Erfahrung in eine Kritik der Verschleierung wohl nicht zu, hätte sie sich von Ateş aufklären lassen können: Das Kopftuch markiere die Frau als Frau und übersexualisiere sie permanent.

 

Befreiung von der Familie

Dass sich Chebli mit ihrem stilsicheren Auftreten im figurbetonten Hosenanzug samt High Heels nicht wohlfühlt, wo die allgegenwärtige Verschleierung weiblicher Reize dieselben als sündhaft markiert, liegt an der rigiden Sexualmoral, die mit der Verschleierung durchgesetzt wird. Sie sorge dafür, so Ateş, sich permanent und obsessiv mit Sexualität zu beschäftigen: Weil das eigene sexuelle Begehren unterdrückt wird, ahnt und unterstellt man es stets bei den Anderen. In einer Szene des Films rechtfertigt ein muslimischer Mann in einer Diskussion in der gerade eröffneten Moschee die traditionelle Geschlechtertrennung beim Beten so: Die Männer würden nicht abgelenkt werden, müssten sich nicht ständig umschauen. Wer so tickt, konterte Ateş, habe ein psychologisches und sexuelles Problem, was mit der rigiden Sexualmoral zu tun habe, die im Reformislam überwunden sei.

Die Regisseurin Güner Balci

Die Unterdrückung der Sexualität war schon zentral in Balcis Dokumentarfilm „Der Jungfrauenwahn“, der mit dem Bayerischen Fernsehpreis und Juliane-Bartel-Preis ausgezeichnet worden ist. Während für Balci, die in Berlin-Neukölln als Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie aufwuchs, der biographische Auslöser für die Beschäftigung mit diesem Thema ein dort verbrochener Ehrenmord war, erklärt der Film Ateş’ Kampf für einen liberalen Islam mit ihrer Emanzipation von ihrer Familie. Die zumeist recht konventionelle und für eine öffentlich-rechtliche TV-Produktion nicht ungewöhnliche Ästhetik wird immer dann durch Sequenzen mit ungewöhnlichen Kamerafahrten und -winkeln, fast schon meditativ untermalter Musik und ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern unterbrochen, wenn Ateş aus dem Off aus ihrer Kindheit erzählt. In der hat sie Gewalt durch Vater und Brüder erlitten, wurde frauenfeindlich und sexuell konnotiert beleidigt, auch Selbstmordversuche hat sie hinter sich. Falls ihre Eltern sie geliebt haben, so ihr Resümee, dann nicht als Tochter, sondern als ihr Eigentum. Diesen Erfahrungen entsprang ihr Bedürfnis nach Selbstbestimmung, dem sie nun – Todesdrohungen vieler Moslems zum Trotz – in ihrem Reformprojekt Ausdruck verleiht. Ohne Zweifel erfordert dies eine gehörige Portion Mut.

 

Mohammed und Reformislam?

Dass individuelle Autonomie innerhalb des Islams flächendeckend zu erkämpfen ist, das darf man allerdings auch nach dem Film bezweifeln. Auf die naheliegende Frage, warum sie nicht aus dem Islam austrete, antwortet Ateş im Film, sie sei schließlich in ihn hineingeboren, Gott habe das so entschieden. Fragwürdig ist diese Argumentation auch deshalb: In der anschließenden Diskussionsrunde mit einigen Schülerinnen, die Ateş Kopftuch-Kritik im Sinne ihrer „religiösen Freiheit“ herausforderten, fragte sie zurecht, was denn seit ein paar Jahrzehnten nur passiert sei? Ging es ihrer Generation damals noch um jene weibliche Freiheit, zu der auch der Minirock gehört, sei für die jungen Musliminnen das religiöse Bedürfnis zentral. Dabei bedient sie dieses mit ihrem Reformislam ja ebenso, anstatt sich zu fragen, ob und inwiefern eine Religion überhaupt konsistent zu reformieren ist, deren Stifter gemordet, geherrscht, geraubt und versklavt hat. Solche sich nun einmal aufdrängenden Fragen kann auch der Film nicht beantworten.

Seyran Ateş präsentiert sich glaubwürdig als Vertreterin jener geknechteten Frauen, die frei leben und trotzdem muslimisch bleiben wollen. Und nicht nur das: Indem sie sich gegen die Unterdrückung der Frau einsetzt – und das auch ganz praktisch mit der Unterstützung des Kopftuchverbots für unter Vierzehnjährige an öffentlichen Orten – arbeitet sie auch der Bekämpfung des islamischen Antisemitismus zu. Denn der speist sich auch aus der Unterdrückung durch die Scharia: Der Neid und Hass auf jene, die sich nicht derart zurichten müssen, richtet sich gegen den Menschen der westlichen Zivilisation, die der Antisemit vor allem in den Juden und ihrem Staat repräsentiert sieht. Wer sich von ihrem Schaffen ein Bild machen will, der werfe einen Blick in die ZDF-Mediathek, in der der Film nun ein Jahr lang zu finden sein wird.

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