Klassenfahrten: Lieber Tel Aviv als Auschwitz!

Die Begegnung mit lebenden Juden im jüdischen Staat kann bei deutschen Schülern mehr gegen die Entstehung von Antisemitismus leisten als ein Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager.

Geschichtliche Aufklärung ist wichtig, doch die Begegnung mit lebenden Juden findet in den ehemaligen KZ nur selten statt.© PATRIK HERTZOG, AFP

Von Dr. Nikoline Hansen

In Deutschland wurde Auschwitz – nicht zu Unrecht – zu einer Obsession, im Guten wie im Schlechten. Klassenfahrten nach Auschwitz könnten – so eine gängige Meinung in der Gedenkkultur – einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des Antisemitismus sein. Nicht zuletzt die Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement, Sawsan Chebli, hat das entsprechend öffentlichkeitswirksam gefordert. Ihr Kampf gegen den Antisemitismus ist der Pflicht der deutschen Gesellschaft geschuldet, sich dem „Nie wieder“ zu widmen.

Rückwärts gewandt macht das durchaus Sinn. Wie sinnvoll die Konfrontation kommender Generationen mit vergangenem Grauen ist, das sie sich nicht vorstellen können oder wollen, muss allerdings dahin gestellt bleiben. Eines ist sicher: Diese Art der Gedenkstättenfahrten dürfte den Antisemitismus nicht bekämpfen, sondern eher seine Ambivalenz aufzeigen. Sie bietet vor allem bei unzureichender pädagogischer Vorbereitung insbesondere eine Gefahr, nämlich dass eine Abwehrhaltung bei den Schülern erfolgt und den Sinn konterkariert. Darüber hinaus kann es zu Verharmlosungen oder illegitimen Vergleichen kommen, wie sie die BDS-Akteure gerne bemühen. Warum also nicht eine Prise Pessimismus in die Konsenskultur streuen und dabei nach vorne schauen?

 

Warum Israel?

Schülerfahrten nach Israel könnten zumindest dazu beitragen, in Deutschland gängige Klischees zu brechen, die gemeinhin mit Israel verknüpft sind, und darüber hinaus Ängste abbauen, denn eines ist sicher – in Israel begegnet man in jedem Falle echten, lebendigen Juden. Und die sehen wie ganz normale Menschen aus. Wie in Deutschland sind die wenigsten Juden in Israel aufgrund ihres Äußeren als Juden zu erkennen. Viele leben säkular, und nur eine Minderheit geht regelmäßig in die Synagoge.

Man begegnet allerdings auch anderem: Einer bunten Vielfalt an Kulturen. Darunter orthodoxen und damit als solche zu erkennenden Juden, die sich angstfrei auf der Straße bewegen. Arabischen Menschen, die mit den jüdischen Israelis zusammenleben und damit das Vorurteil, Israel sei ein Apartheids-Staat, widerlegen. Man begegnet einer Vielzahl von Lebensentwürfen an unterschiedlichen Orten und auch immer wieder dem durch die Feindschaft eines Teils der unmittelbaren Nachbarn gegebenen Sicherheitsproblem, gegen das das Land seit seiner Gründung erfolgreich ankämpft. Das ist etwas, das für Deutsche, die nur Frieden kennen, sehr fremd ist.

 

Jugendaustausch mit Israel bleibt die Ausnahme

Jugendaustausch mit Israel ist nicht selbstverständlich. Dabei einigten sich bereits 1969 Vertreter der Regierungen beider Staaten auf entsprechende Austauschprogramme. Der Anlauf war jedoch ausgesprochen zäh. Erst am 23. Oktober 2001 wurde das deutsche Koordinierungszentrum für den deutsch-israelischen Jugendaustausch in Deutschland, ConAct, in Wittenberg feierlich eröffnet. Allein der Ort, einstiges Zentrum des von Luther gepredigten mittelalterlichen evangelischen Antisemitismus, in dem noch immer nachts hell erleuchtet die gut erhaltene und restaurierte Judensau von der Stadt- und Pfarrkirche auf die Passanten herabblickt, setzt ein Zeichen. Eine Selbstverständlichkeit ist dieser Jugendaustausch noch nicht. Während man auf der deutschen Webseite Schueleraustausch.net selbst Länder wie Aserbaidschan, Neuseeland oder Thailand findet, bleibt es der israelischen Regierung selbst überlassen, für den Austausch nach Israel auf den Webseiten der Botschaft und des Generalkonsulats zu werben.

Viele Lehrer und auch viele Eltern schrecken vor einem Austausch zurück, weil sie Angst vor der Gewalt haben, die das Bild von Israel in Deutschland prägt. Dabei sind die Terroranschläge der „palästinensischen“ Selbstmordattentäter Vergangenheit, seit der Sicherheitszaun sie erfolgreich verhindert. Natürlich gibt es zu vielen Zeiten immer das Risiko eines Krieges und es fliegen immer wieder Raketen aus Gaza oder dem Libanon, aber das Land ist mit Bunkern und einem effektiven Raketenabwehrschirm darauf vorbereitet. Das Risiko dadurch zu Schaden zu kommen ist – wie die letzten Jahre zeigen – geringer als bei einem Autounfall ums Leben zu kommen. Trotzdem hat sich die Angst in vielen Köpfen festgesetzt.

Hinzu kommt, dass bei vielen von deutschen Partnern veranstalteten oder geförderten Rundreisen ein Schwerpunkt auf die „palästinensischen“ Gebiete und die vermeintliche Diskriminierung gelegt wird. Die Siedlungen in Samaria oder Judäa werden kaum besucht. Deshalb hat ein Schüleraustausch vor allem einen Vorteil: Man lernt das normale Leben in einer Familie kennen. Möglichkeiten gibt es, sie sollten wahrgenommen und der Klassenfahrt nach Auschwitz vorgezogen werden.

Im Oktober 2018 wurde das Deutsch-Israelische Jugendwerk gegründet, das solche Kontakte vertiefen soll. Allerdings ist außer entsprechenden Pressemitteilungen und der auf der Webseite von ConAct geäußerten Vorfreude darüber, dass es kommt, bislang nicht viel geschehen. Die Zeit ist tatsächlich reif. Holocausterziehung muss Erziehung zu Toleranz bedeuten – und die wird in Israel ganz klassisch vorgelebt.

 

Eintauchen in den jüdische Alltag, Spaß haben mit jüdischen Freunden: Dafür steht Tel Aviv.© MENAHEM KAHANA, AFPr

Webseiten mit weiteren Informationen zu deutsch-israelischem Jugendaustausch:

www.conact-org.de/ueber-uns/das-koordinierungszentrum/

www.embassies.gov.il/berlin/Relations/Pages/Schueler-und-Jugendaustausch.aspx

www.deutschland.de/de/topic/leben/deutsch-israelisches-jugendwerk-wichtige-ziele-und-aufgaben

www.kmk-pad.org

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