Bei ihr stimmten Wort und Tat überein

Die Jüdin und katholische Konvertitin Hildegard Burjan gründete vor 100 Jahren die Caritas Socialis.

Hildegard Burjan kam 1883 in Görlitz zur Welt.

Von Martin Stolzenau

Vor 100 Jahren wurde in Wien die Caritas Socialis gegründet, ein katholischer Frauenorden, der soziale Nöte lindern wollte. Diese geistliche Schwesternschaft existiert bis heute, unterhält Pflegestationen für alte sowie chronisch kranke Menschen, Wohnheime für Mütter mit Kindern, Kindergärten und einen mobilen Beratungs- und Hilfsdienst. Der Orden wurde 1936 kanonisch, erhielt 1960 endlich auch die päpstliche Anerkennung, fungiert seit 2002 als gemeinnützige Privatstiftung und genießt als christliches Sozialwerk über alle politischen Zeitenwechsel hinweg große gesellschaftliche Anerkennung.

Die Gründerin der Caritas Socialis hieß Hildegard Burjan, entstammte eigentlich einer jüdisch-liberalen Kaufmannsfamilie aus Görlitz und gehörte zu den ersten deutschen Frauen mit einem abgeschlossenen Universitätsstudium bis zur Promotion. Mehr noch: Sie konvertierte zum Katholizismus entwickelte sich zur katholischen Ordensgründerin sowie Sozialpolitikerin und engagierte sich „für die Rechte der Unterprivilegierten und gegen jede soziale Ausgrenzung von Randgruppen durch die Gesellschaft“. Diese „Frau der sozialen Tat“ erreichte damit eine erhebliche Nachwirkung. Ihr Leben und Wirken wurde in vielen Schriften untersucht. Vor einigen Jahren wurde ihr Seligsprechungsverfahren erfolgreich abgeschlossen. In Wien erinnern die Hildegard-Burjan-Kapelle, eine Gedenktafel und der Burjanplatz an die engagierte Vorkämpferin für mehr soziale Gerechtigkeit.

Hildegard Burjan wurde am 30. Januar 1883 als Hildegard Freund in Görlitz geboren. Sie hatte noch Geschwister. Ihre bildungsinteressierten und wohlhabenden Eltern ermöglichten dem Mädchen in Görlitz eine ungewöhnlich breite Schulbildung. Doch schon in Görlitz hatte die junge Jüdin ihre ersten christlichen Bezüge. Auf dem Nachbarsgrundstück des Elternhauses befand sich ein Frauenkloster. Von ihrem Zimmer aus beobachtete das Mädchen die Nonnen bei ihren Gebeten und Gesängen. Das prägte sich ein. Danach gehörte die Kaufmannstochter aus Görlitz zu den ersten weiblichen Universitäts-Studentinnen in Zürich.

 

Katholische Nonnen pflegten die Jüdin

Sie studierte vorrangig Literaturwissenschaften sowie Philosophie und lernte dabei den Ungarn Alexander Burjan kennen, den sie 1907 heiratete. Die nunmehrige Frau Burjan promovierte 1908 in Zürich mit dem Prädikat „magna cum laude“ zum Dr. phil. und widmete sich anschließend in Berlin dem Studium der Sozialwissenschaften. Die junge Frau und Jüdin beschäftigte sich während ihrer Studien auch mit anderen Religionen und fühlte sich bald von der ursprünglichen Gläubigkeit des Katholizismus angezogen. Dazu kam eine schwere Erkrankung mit Lebensgefahr. Katholische Borromäus-Schwestern heilten die todkranke Jüdin – mit Folgen. Frau Dr. phil Burjan konvertierte 1909 zum Katholizismus, übersiedelte mit ihrem Mann nach Wien und entwickelte sich dort schnell zur maßgeblichen christlich-katholischen Sozialpolitikerin.

Hildegard Burjan gründete einen Verein für Heimarbeiterinnen, kämpfte für die Durchsetzung von Mindestlöhnen, entwickelte ein „Soziales Hilfswerk“ und nutzte ihre Mitgliedschaft in der Christlich Sozialen Partei für deren stärkere soziale Ausrichtung, die sie zunächst im Wiener Gemeinderat und dann im Nationalrat der jungen Republik Österreich vertrat. Fast parallel gründete Hildegard Burjan am 4. Oktober 1919 in Wien die Schwesterngemeinschaft Caritas Sozialis. Dabei wurde die engagierte Sozialpolitikerin vom Prälaten Ignaz Seipel unterstützt, der ihr den Weg ebnete und dann als zeitweiliger Bundeskanzler für politische Unterstützung sorgte. In den 20er Jahren kämpfte die Ordensgründerin für die Einrichtung der Bahnhofsmissionen sowie die Familienpflege für sozial Schwache und für die Gleichberechtigung der Frauen. Burjan forderte in Wort und Schrift „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Dabei unterschied sie sich schon damals von den Sonntagsrednern. Bei ihr stimmten Wort und Tat überein. Auch in anderer Hinsicht zeigte die Görlitzerin Weitblick. Sie erkannte, dass man für eine wirksame Sozialarbeit auch geschulte Kräfte benötigte. Deshalb entwickelte sie ihre Schwesternschaft zu einem Ausbildungs- und Betreuungsorgan. Bei alledem erlebte sie aber auch den verbreiteten Antisemitismus bis in die Reihen ihrer Christlich-Sozialen Partei, was sie zur Niederlegung ihres Abgeordneten-Mandats bewog.

 

Unterstützung durch den Ehemann

Doch ohne ihren Mann, der als Großunternehmer zu Macht und Einfluss gelangt war und ihre Aktivitäten unterstützte, und die schützende Hand von Seipel wäre die nach „Gerechtigkeit dürstende Katholikin“ wohl öfter von den Mächtigen abgewiesen und verfolgt worden. So aber konnte Burjan als Generaldirektorenfrau, die andererseits das Leben von Franz von Assisi in „Armut und Stille“ bewunderte“, ihre „innovative Rolle im Sozial- katholizismus“ ausleben. Mit beträchtlichen Teilerfolgen.

Aus Dankbarkeit für die Hilfe Seipels initiierte sie nach dessen Tod 1932 im 15. Wiener Bezirk den Bau einer Gedächtniskapelle. Sie selbst wohnte zuletzt in der Wiener Larochegasse 35, wo sie nach langer Krankenzeit am 11. Juni 1933 starb. Burjan wurde nur 50 Jahre alt. Ihr Mann konnte sich nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland ins Exil nach Brasilien retten. Er starb 1973. Den Höhepunkt der Würdigung Hildegard Burjans bildete nach 1945 ohne Zweifel die Seligsprechung. Anschließend wurde ihr Leichnam 2005 in die Hildegard-Burjan-Kapelle in Wien-Alstergrund überführt.

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