Der „Papierene“, das österreichische Fußballidol seiner Zeit, ärgerte die Nazis
Der widerspenstige österreichische Fußballstar Matthias Sindelar blieb auch nach dem Anschluss Österreichs seinen jüdischen Freunden loyal
Matthias Sindelar (1903 - 1939) blieb loyal zu seinen jüdischen Freunden.
Es gibt Tore, die sind vergessen, wenn die Fans noch auf dem Heimweg vom Stadion sind. Aber es gibt auch Tore, die gehen in die Geschichte ein. Eines davon hat Matthias Sindelar für Österreich geschossen – oder für die „Ostmark“, wie die Nazis das besetzte Land nannten. Manche halten es für möglich, dass auch Sindelars Tor zu seinem frühen Tod beigetragen hat.
Matthias Sindelar hatte in den 1930er Jahren einen Rang in der internationalen Fußballwelt wie heute Ronaldo oder Lionel Messi. Immer wieder wurde „der Papierene“ zum besten Spieler Österreichs im 20. Jahrhundert gewählt. Seinen Spitznamen verdankt Sindelar seinem schmächtigen Körperbau – aber auch der Leichtigkeit und Verspieltheit seines Stils.
In den 1930ern verfügte Österreich über eine Nationalmannschaft, die als „Wunderteam“ in die Geschichte einging. Zu den Erfolgen zählten der vierte Platz bei der Weltmeisterschaft 1934 in Italien sowie viel beachtete Siege gegen Schottland, Deutschland, Italien, Ungarn oder Frankreich. Bei der WM trat Österreich mit einem stark ersatzgeschwächten Team auf. Auch mit der Austria war Sindelar erfolgreich. Das Team gewann unter anderem zweimal den Mitropa-Cup – den Vorläufer des Europapokals.
Auch für die Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich hatte sich Österreich sportlich qualifiziert. Doch dann kam der Nationalsozialismus dazwischen. Im März marschierte die Wehrmacht in Österreich ein, anschließend sprach sich eine fast 100-prozentige Mehrheit für den „Anschluss“ ans Reich aus. Allerdings fand diese Wahl unter den für die Nazis typischen Manipulationen statt.
Zu diesen Manipulationen gehörte auch die Propaganda – und zu dieser der Sport. Allen voran der Fußball. Der war zwar nicht der Leib- und Magensport der Nazis. Zum einen aufgrund der englischen Wurzeln des Spiels. Zum anderen, weil die Nationalelf den Nazis mit dem 0:2 gegen Norwegen und somit dem frühen Ausscheiden während der Olympischen Spielen von Berlin eine heftige Propaganda-Niederlage beschert hat.
Schon 1934 hatten die Nazis ein Fußballspiel eingesetzt, um die Saar-Abstimmung zu beeinflussen. Seinerzeit trafen die Sportfreunde 05 Saarbrücken im entsprechenden Rahmen auf Werder Bremen. Rund um Einmarsch und Anschluss fanden auf Anstoß der Nazis mehrere Freundschaftsspiele zwischen Teams aus Österreich und Deutschland statt.
Höhepunkt sollte das „Versöhnungsspiel“ vom 3. April 1938 werden. Um den Anschluss zu demonstrieren, durfte Österreich seinen Platz bei der WM im Sommer nicht mehr antreten. In Wien trafen dann „Altreich“ und „Ostmark“ aufeinander, wie es im Nazi-Jargon hieß. Die Quellenlage hierzu ist schwierig. Vieles beruht auf Hörensagen beziehungsweise auf niedergeschriebenes Hörensagen. Sicher ist: Österreich gewann 2:0.
Sindelar scheidet aus
Sicher ist auch, dass Sindelar sich weigerte, danach für das Großdeutsche Reich anzutreten. Der deutsche „Reichstrainer“ Sepp Herberger berichtete nach dem Krieg in Interviews von der Situation: Sindelar habe vorgegeben, er fühle sich mit 35 Jahren zu alt für einen Neuanfang. Herberger habe ihm das nicht geglaubt. Als er ihn damit konfrontiert habe, dass er von politischen Motiven ausgehe, habe ihm der österreichische Star signalisiert, dass dies stimme.
Der Rest sind Legenden. Legenden allerdings mit einem wahren Kern, der auf häufig übereinstimmenden Erzählungen beruht: Der für den Sport zuständige „Reichssportführer“ Hans von Tschammer und Osten soll ein friedliches Unentschieden als Wunschergebnis für das „Versöhnungsspiel“ vorgegeben haben. Österreich sollte jedenfalls kein Tor schießen.
In der ersten Halbzeit, so berichten Augenzeugen, habe sich Sindelar mehrere Chancen erspielt – und diese demonstrativ vergeben. In der zweiten Halbzeit schoss er dann das 1:0 und bereitete das 2:0 von Karl Sesta vor. Nach diesem Treffer habe Sindelar dann vor der braun dominierten „Ehrentribüne“ einen Freudentanz aufgeführt. Es war das letzte Länderspiel Sindelars – auch wenn es offiziell nicht mehr als solches in die Geschichtsbücher eingegangen ist.
Mit dem deutschen und dem österreichischen Fußball prallten nach dem „Anschluss“ zwei Welten aufeinander: Die Nazis hatten 1933 aus ideologischen Gründen Profitendenzen im Fußball zurückgedrängt und auf einen „reinen“ Amateurstatus gedrängt. In Österreich war der Profifußball bei Spitzenclubs wie der Austria Gang und Gebe – die Verträge wurden von den Nazis aufgehoben.
Wegen des Acht-Stunden-Tages hatten nun auch die Arbeiter Zeit für Fußball
Im deutschen Fußball gab es zwei Strömungen von Fußball-Vereinen. Vor 1918 waren viele Vereine akademisch geprägt. Nur Schüler, Studenten und Freiberufler fanden die nötige Zeit für dieses Hobby. Nach dem Ersten Weltkrieg kam dann der Acht-Stunden-Tag, was auch den Arbeitern ermöglichte, zu kicken. Fortan dominierten sie viele Vereine, allen voran den Erfolgsclub der 1930er Jahre, den FC Schalke 04.
Solche Arbeitervereine förderten die Nazis bewusst. Auch weil sie hofften, so einst sozialdemokratische oder kommunistischen Arbeiter für ihre Ziele gewinnen zu können. In den akademisch geprägten Vereinen gab es indes einen soziologisch überpräsentierten Anteil an Juden. Das lässt sich einerseits durch deren soziologische Überpräsenz in akademischen Berufen erklären. Andererseits hatte der englisch geprägte Sport im Kaiserreich einen schlechten Ruf – was aber für jemanden, der ohnehin gesellschaftlich niedrig geschätzt wird, keine große Barriere ist.
Sindelar blieb loyal
In Deutschland schalteten die Nazis den Sport nur stufenweise gleich. Sie wollten die Organisation der Olympischen Spiele von 1936 nicht gefährden. In Österreich kam die Gleichschaltung abrupt. Die Vereine der rund um Wien lebendigen Maccabi-Bewegung verboten sie vollständig. Und auch „Judenclubs“ wurden aus dem Spielbetrieb genommen. Das waren solche Vereine, die von jüdischen Funktionären geprägt waren.
Darunter fiel auch die Austria. Erst auf Protest aus der Bevölkerung ließen die Nazis den Club wieder zu, unter dem Namen: SC Ostmark Wien. Ihr Präsident musste zurücktreten – der Jude Michl Schwarz. Dessen künftige Ächtung akzeptierte Sindelar nicht. Seinem ehemaligen Präsidenten soll er gesagt haben: „I, Herr Doktor, werd Ihna oba immer griaß‘n.“ Einer dramatischeren Variante nach soll er ihm das nachgerufen haben, als der Präsident seinen ehemaligen Spieler auf der Straße traf und – um ihn zu schützen – den Bürgersteig wechselte.
Die Nazis umwarben Sindelar. Eine Rückkehr des österreichischen Stars wäre ein wichtiges Zeichen gewesen. So ermöglichten sie ihm den Kauf eines „arisierten“ Cafés in Wien. Er soll dem jüdischen Vorbesitzer Leopold Simon Drill zwar eine Summe zukommen haben lassen, die dem regulären Kaufpreis entsprach. Aber auch Letzteres kann eine Legende sein.
Sicher ist, dass Sindelar jemand war, der das Leben genoss. Als Spieler bezog er nicht nur ein großzügiges Gehalt. Er schloss für damalige Verhältnisse auch viele Werbeverträge ab – für Uhren, Anzüge oder Lebensmittel. Seine Freunde berichteten, dass er zu feiern verstand. Und eigentlich eher schüchtern veranlagt, habe er auch nicht die Begleitung junger Frauen abgelehnt.
Am 23. Januar 1939 wurde Sindelar tot in der Wohnung seiner Lebensgefährtin gefunden: Camilla Castagnola, eine katholische Italienerin mit jüdischen Wurzeln. Sie starb später im Krankenhaus, ohne ihr Bewusstsein wiederzuerlangen. Die Ärzte attestierten den beiden eine Rauchgasvergiftung. Sachverständige und die Feuerwehr berichteten von einem schadhaften Abzug des Ofens.
Geschichten, über einen anderen Hergang der Todesnacht, sind in Österreich bis heute beliebt. Ein Motiv den rebellischen Star zu töten, hätten die Nazis gehabt. Zumal es auch Fälle anderer unbequemer Sportler gab, wie den des Radrennfahrers Albert Richter, die tödlich ausgegangen sind und deren offizieller Verlauf angezweifelt wurde. Dass die Akte Sindelar in den Wirren des Krieges verschwand, half nicht, die Verschwörungstheorien zu beenden.
Sicher ist: An dem österreichischen Fußball hatten die Nazis wenig Freude. Reichstrainer Herberger erhielt für die Weltmeisterschaft den Auftrag, ein Team zusammen zu stellen, das aus sechs deutschen und fünf österreichischen Spielern bestand. Seine alte „Breslau Elf“ gehörte ebenso zu den Favoriten des Turniers wie das „Wunderteam“. Zusammen waren sie haushoher Favorit – und schieden in der ersten Runde gegen die Schweiz aus. Es passte einfach nicht zusammen.
Sehr geehrte Leser!
Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:
alte Website der Zeitung.
Und hier können Sie:
unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen
in der Druck- oder Onlineform
Werbung