Nein, Carola Rackete ist nicht wie Oskar Schindler!
Die Gleichsetzung mit den „Seawatch“-Aktivisten würdigt die Judenretter der Nazi-Zeit herab.
Carola Rackete© Andreas SOLARO, AFP
In einem Kommentar in der Tageszeitung „Der Standard“ verglich die Autorin/Journalistin Carola Rackete, die Frau Kapitänin des Schiffes, das Zuwanderer nach Italien brachte und damit etliche italienische Gesetze verletzte, mit dem Mut jener, die während der NS-Zeit verfolgte Juden versteckten. Der Vergleich wurde dann so begründet, dass es Situationen gäbe, die es notwendig machen, eine gesetzliche Bestimmung zu ignorieren, um damit Leben zu retten.
Ich will mir hier nicht die Mühe machen und auf die mindestens ein Dutzend Widersprüche dieser Schiffs-Reise nach Italien einzugehen, das wurde in zahlreichen Analysen und Kommentaren sowohl in konservativen Zeitungen wie „Die Welt“ als auch in linken wie der „taz“ eher kritisch diskutiert. Ob nun die Tochter aus wohlhabendem Haus vielleicht ihr Vermögen besser lokal investiert hätte, zum Beispiel um in Afrika Arbeitsplätze zu schaffen, oder ob es gescheit war, die vorwiegend jungen Männer nach Italien zu bringen, wer weiß das schon, und je nach politischer Positionierung wird das eine oder andere Argument bevorzugt, weil es eben für die einen oder anderen glaubhaft ist – oder eben nicht.
Doch darum geht es hier nicht. Es geht wiedermal um das verdammte Vergleichen, um falsche Symbole, die benutzt werden, um das eigene Argument zu unterstützen oder deutlich zu machen. Es geht um Metaphern, die sich von der ursprünglichen Beschreibung einer Situation lösen mit einem völlig neuen Bild, und das Ursprüngliche ersetzen, gleichzeitig verstärken und die Leser beeindrucken sollen.
Die Metapher versucht es mit der sogenannten Similarität, einer konstruierten Ähnlichkeit, wobei die beiden Bilder nichts gemein haben, aber dennoch eine Verbindung zulassen. Wenn ein Kamel als Wüstenschiff bezeichnet wird, hat es nichts mit einem Schiff zu tun und macht dem Zuhörer dennoch deutlich, was damit gemeint ist.
Journalisten arbeiten in letzter Zeit sehr gerne mit Metaphern. Das Problem dabei ist, dass es die meisten nicht können. Die Metapher ist das Werkzeug der Schriftsteller, die mit sprachlicher Gewandtheit Bilder erzeugen, die Leser und Zuhörer provozieren, gewisse Grenzen der Vorstellung zu überwinden und mit scheinbar unvergleichlichen Bildern einen Effekt zu erleben, der aus einem scheinbar harmlosen Text Literatur macht.
Viel Metapher – wenig Information
Journalisten sind keine Schriftsteller, sollten sie auch nicht sein. Es geht bei ihnen nicht um schöne Bilder und Literatur, nicht um spannende Handlungen und überzeugende Kunstfiguren, sondern um informative, wahrheitsgetreue Berichte, Analysen oder Kommentare. Aber auch das können die wenigstens unter ihnen, also flüchten sie sich in eine Sprache voller Metaphern, die leider nicht passend sind und daher das ursprüngliche Bild nicht verstärken. Sie greifen zu Allegorien, ihre Vergleiche werden dadurch abstrakt und phantasievoll, oft sehr beeindruckend und erschreckend, lösen sich jedoch von der Information mehr und mehr und entgleiten den Autoren im Unsinn des unterstützenden Vergleichs.
Jetzt könnte man argumentieren, dass im Journalismus, dem täglichen Produzieren von Text und Sprache, man etwas großzügiger mit den strengen Ansprüchen bezüglich Metapher, Vergleich und Allegorie sein müsste. Es geht ja hier nicht um gedruckte Bücher, die dann auf ewig im Regal stehen, sondern um Interviews, Berichte, Kommentare und Analysen, die meist am nächsten Tag vergessen sind. Diese Großzügigkeit wäre auch fair, außer das falsch benutze Bild beschreibt eine Situation, die in der Umkehr verletzend und beleidigend ist. Die Metapher löst sich vom Vergleichsbild und bekommt ein Eigenleben. Es geht dann nicht mehr um die ursprüngliche Situation, von der hat man sich durch die falsche Metapher längst gelöst, es geht um den irreführenden Vergleich, der eine Bedeutung in einem anderen Zusammenhang bekommt, in einem ganz anderen.
Mit dem Vergleich von versteckten Juden während der Nazizeit und geretteten Wirtschaftsflüchtlingen beleidigt man nicht die Afrikaner. Denen sind symbolische Vergleiche ziemlich egal, auch die Metapher, die nicht stimmt. Plötzlich wird der Vergleich zum Thema und werden die Verglichenen unwichtig. Denn ganz anders verhält es sich mit Menschen, die ihr Leben riskierten, um verfolgten Juden zu helfen. Die Strafen waren damals dramatisch. Die Helfer wurden entweder wie zum Beispiel in Polen sofort erschossen, in anderen Ländern zu Gefängnisstrafen verurteilt, manche auch zum Tod durch den Strang oder zur Verbannung in ein Konzentrationslager.
Den Rechtsbruch der Frau Kapitänin und die möglichen juristischen Folgen mit dem Risiko zu vergleichen, wenn man Juden geholfen hatte, entspricht in der Absurdität der Umkehr der Metapher – hier wird nicht der Mut der Schiffsmannschaft mit dem der Retter der Juden verglichen, sondern man verhöhnt die Retter der Juden durch den Vergleich mit der Besatzung des Schiffes.
Man könnte ja auch die „Auschwitz-Keule“ – wie die „Zeit“ einst in einer Kritik eines Gedichts von Martin Walser schrieb – wegstecken und einpacken. Man muss nicht immer nur mit einem Bauchladen voller Emotionen argumentieren. Letzendes geht es um ein falsches Stilmittel, denn ein falscher Vergleich ist nichts anders als eine dumme Lüge und klingt etwa so, wie wenn der Arzt meint: „Sie dürfen den gebrochenen Arm nicht auf die leichte Schulter nehmen“. Was als Dramatisierung ins Spiel gebracht wurde, wirkt nur mehr lächerlich.
Der Duden hat für falsche Metaphern eine einfache Definition: „Es sind Äußerungen oder Formulierungen, die durch ungeschickte, falsche oder doppelsinnige Verknüpfung von Redeteilen ungewollt komisch wirken“. Die Flut der NS-Vergleiche ist meist so bedeutungsvoll wie der Satz: „Er ist ein eingefleischter Vegetarier.“
Nichts ist gefährlicher für Journalisten und Schriftsteller als eine unlogische Symbolik oder Metapher. Sie kann einen noch so guten Text zerstören, denn Leser und Zuhörer reagieren – zurecht – extrem empfindlich auf falsche Bilder. Das Symbol, das Bild und die Metapher sollten den Weg zum Argument verkürzen, allerdings nur, wenn sie nicht in die falsche Richtung zeigen.
Sonst schlägt die Dummheit die Metapher auf wie in dem Satz: „Wenn alle Stricke reißen, häng ich mich auf!“
Sehr geehrte Leser!
Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:
alte Website der Zeitung.
Und hier können Sie:
unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen
in der Druck- oder Onlineform
Werbung