Die Jüdin, die den „Schlächter von Lyon“ outete
Vor 20 Jahren starb Dora Schaul, die erstmals einen der aggressivsten Nazi-Mörder, Klaus Barbie, den Gestapo-Chef von Lyon, enttarnte.
Klaus Barbie während seines Prozesses© STF, AFP
Klaus Barbie, der als Gestapochef von Lyon, als „Schlächter von Lyon“, und als mehrfach verurteilter Kriegsverbrecher weltweite Bekanntheit erlangte, wurde erstmals während der deutschen Besetzung Frankreichs durch ein deutsche Jüdin und Aktivistin der Résistance enttarnt und mit seinen Verbrechen über den Londoner Rundfunk einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das bildete den Anfang für die Nachkriegsverfolgung seiner Person, die 1983 zur Auslieferung von Bolivien an Frankreich und zum Prozess von 1987 in Lyon führte, der mit seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft endete.
Die Antifaschistin, die seine Verfolgung ins Rollen brachte, hieß ursprünglich Dora Davidsohn, wurde am 21. September 1913 in Berlin geboren und war die Tochter eines jüdischen Kaufmanns. Sie absolvierte die Handelsschule, arbeitete als kaufmännische Angestellte und erlebte hautnah die Verfolgung durch die Nazis. Nach deren Machtergreifung emigrierte sie zunächst in die Nieder- lande und dann nach Frankreich, während ihre Eltern und ihre Schwester auf ein schnelles Ende der Naziherrschaft hofften und in Deutschland ausharrten. Dora Davidsohn lebte zunächst ohne gültige Papiere, lernte dabei Alfred Benjamin kennen, den Sohn eines jüdischen Eisenhändlers, der nach längerer Schutzhaft im KZ Elsterwegen ebenfalls nach Frankreich emigriert war und seine jüdische Leidensgefährtin für den antifaschistischen Widerstand gewann. Mehr noch. Sie wurden beide als feindliche Ausländer 1939 interniert, heirateten zwischenzeitlich und konnten danach aus unterschiedlichen Internierungslagern fliehen.
Die nunmehrige Dora Benjamin entkam im Juli 1942, tauchte unter und schloss sich der französischen Résistance an, die ihr falsche Papiere verschaffte und anschließend als Elsässerin mit Namen Renée Fabre bei deutschen Besatzungs- Dienststellen arbeiten ließ. Die jüdische Emigrantin wirkte buchstäblich in der Höhle des Löwen und beschaffte viele wertvolle Informationen. Das reichte von Truppenbewegungen über Verhaftungspläne bis zu Mitarbeiterübersichten der Gestapo-Zentrale von Lyon. Mittendrin Angaben über Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“, der damit gezeichnet war. Diese Listen wurden dann durch die Résistance nach London übermittelt, wo sie mehrfach im Londoner Rundfunk für Frankreich mit ergänzenden Angaben verlesen wurden. Diese „Steckbriefe“ und ihre internationale Verbreitung sorgten bei der Gestapo für Unruhe.
Alfred Benjamin, Doras Ehemann, konnte im August 1942 ebenfalls aus einem Internierungslager fliehen, gelangte bis zur französisch-schweizerischen Grenze und verunglückte beim schwierigen Grenzübertritt tödlich. Fast parallel begann für die jüdischen Mitgefangenen in den französischen Internierungslagern die Überstellung in Konzentrationslager. Unabhängig davon wurden Doras Eltern und Schwester 1942 aus Deutschland in das Vernichtungslager von Lublin-Majdanek deportiert und dort ermordet. Dora Benjamin überlebte als Kämpferin der Résistance die Nazis in Frankreich, kehrte 1946 nach Berlin zurück und lernte hier als Antifaschistin einen anderen Antifaschisten kennen: Hans Schaul, der nach dem Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften die frühe Ermordung seiner ersten Frau Ruth Rewald und ihrer gemeinsamen Tochter im KZ von Auschwitz nicht verhindern konnte und danach als Mitglied der KPD und Leutnant der „Internationalen Brigaden“ auf republikanischer Seiten gegen den Faschismus kämpfte. Er kam anschließend in französische Internierungslager, konnte ebenfalls fliehen und gelangte in die Sowjetunion, wo er an Antifa-Schulen unterrichtete, ehe man ihn 1948 nach Berlin zurückschickte.
Hier begegneten sich Dora Benjamin und Hans Schaul, der zunächst mit seiner Wirtschaftskompetenz als persönlicher Mitarbeiter von Heinrich Rau fungierte und dann nacheinander in der Staatlichen Plankommission, als Professor an der Hochschule für Ökonomie und als Chefredakteur der theoretischen Zeitschrift „Einheit“ tätig war. Beide wurden ein Paar und heirateten. Während ihr neuer Mann in der DDR einflussreiche Positionen bekleidete, erforschte die nunmehrige Dora Schaul vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen den antifaschistischen Widerstand in der französischen Emigration. Das reichte im Ergebnis von zahlreichen Veröffentlichungen über Aufklärungsarbeit an Schulen bis zur Wanderausstellung „Deutsche in der Résistance“ 1995.
Dora Schaul überlebte Hans Schaul, der 1988 verstorben war, um 11 Jahre. Sie verschied am 8. August 1999 in Berlin und fand ihre letzte Ruhe an der Seite ihres zweiten Mannes in der Grabanlage Pergolenweg der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Inzwischen erinnern im französischen Brens nahe bei ihrem einstigen Internierungslager eine Straße mit ihrem Namen und im Dammweg in Berlin-Plänterwald eine Gedenktafel an ihr Wirken. Der von ihr enttarnte Klaus Barbie starb 1991 an Krebs in französischer Haft.
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