Jüdische Frauenpower auf Arabisch
Die jüdisch-jemenitische Girlband A-WA singt auf arabisch – und findet daher auch in den Nachbarstaaten Israels große Beachtung.
Die Band A-WA mit JÜDISCHE RUNDSCHAU-Autorin Ulrike Stockmann
Dieses Trio ist wirklich eine Wucht! Die Schwestern Tair, Liron and Tagel Haim bilden die israelische Band A-WA. 2015 erschien ihre erste Single „Habib Galbi“, die in Israel ein Nummer-Eins-Hit wurde. Mittlerweile sind sie dort Stars, haben aber auch Fans in vielen arabischen Ländern – das ist kein Wunder, denn sie singen auf jemenitischem Arabisch. Sie gehören zur Minderheit der Mizrachim, also Juden, die aus arabischen Ländern nach Israel kamen. Ihre Großeltern väterlicherseits gelangten mit der „Operation Fliegender Teppich“ per Flugtransport aus dem Jemen in den jüdischen Staat, der 1949/50 rund 49.000 Juden aus dem südarabischen Land zu sich holte.
Mütterlicherseits haben die Haim-Schwestern marokkanische Wurzeln. Obwohl Hebräisch ihre Muttersprache ist und sie eine moderne israelische Mentalität verströmen, besinnen sie sich musikalisch auf das Erbe ihrer Vorfahren. Sie lassen die traditionellen Klagelieder jemenitischer Frauen wiederaufleben, indem sie arabische Folklore mit Hip-Hop- und Reggae-Beats verschmelzen. Das Ergebnis ist genial, entstanden sind viele tanzbare Songs, aber auch ruhige, nachdenkliche Melodien. Es ist ein ewiges Spiel mit den Gegensätzen. Party trifft Melancholie, Boho-Glamour vermischt sich mit jemenitischer Folklore, Großstadt-Hipster kombinieren Sneakers mit Gewändern aus der Wüste.
Zum wiederholten Male gaben A-WA ein Konzert in Berlin. Am 25. Mai traten sie im restlos ausverkauften „Gretchen“ in Kreuzberg auf. Ich traf die drei Schwestern zum Interview und besuchte ihre atemberaubende Live-Performance.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Herzlich Willkommen in Berlin! Ihr wart schon ein paarmal hier zu Gast. Wie findet ihr die deutsche Hauptstadt und wie ist es, in Berlin auf der Bühne zu stehen?
A-WA: Wir lieben Berlin. Es ist so ein stylischer Ort. Wir sind mittlerweile zum vierten oder fünften Mal hier, einmal haben wir im „Lido“ gespielt. Auf jeden Fall gibt es in Berlin das beste Publikum.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Im Ernst?
A-WA: Möglicherweise überrascht Dich das, aber für uns ist es jedes Mal ein Fest, hierher zu kommen. Die Menschen sind sehr offen und tanzen begeistert. Ein tolles Publikum! Vielleicht ist das der A-WA-Effekt (Lachen).
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Was bedeutet überhaupt „A-WA“ und wieso ist ausgerechnet das Euer Band-Name?
A-WA: „A-wa“ ist ein Ausdruck der Freude, den man zum Beispiel auf Festen ausruft. Und genau das entspricht unserem Geist, wir wollten diese Energie in einem einfachen Wort rüberbringen. „A-wa“ ist eigentlich ein arabisches Slang-Wort für „Ja“. Natürlich brauchten wir auch etwas Kurzes, das alle aussprechen können.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Wie seid Ihr überhaupt zum Musikmachen gekommen? Vor allem dazu, euren jemenitischen Hintergrund miteinzubeziehen?
A-WA: Wir waren schon als Kinder sehr musikalisch. Unser Vater wollte eigentlich Sänger werden. Darum haben wir zu Hause viel Musik gemacht und hatten auch eine ganze Menge Instrumente – Keyboards, Gitarren, Schlagzeug, alles Mögliche. Also haben wir bereits als kleine Mädchen mit dem Singen angefangen. Wir liebten Jazz und Musiktheater. Außerdem haben wir oft die Platten unserer Eltern gehört, da hatten wir ein Angebot von jemenitischen Sängern bis Prog-Rock. Vor allem haben wir gerne mehrstimmig gesungen. Irgendeine von uns hat angefangen zu singen und die anderen fielen ein, um sie zu begleiten. Wir waren sozusagen eine Band, bevor wir eine Band waren. Irgendwann vor fünf, sechs Jahren haben wir uns gesagt, dass wir offiziell eine Band mit einem richtigen Namen gründen wollen. Wir zogen also nach Tel Aviv, um uns einen Produzenten zu suchen. Tair hatte dort bereits ein Musik-Studium absolviert, war aber danach zurück in unser Heimatdorf gekommen.
Zusammen gingen wir erneut nach Tel Aviv, es war, als würden wir gemeinsam eine große Reise antreten. Wir teilten uns eine Wohnung, nahmen im Wohnzimmer Demos auf. Wir haben uns fokussiert und wollten es schaffen – und es hat geklappt, unser Traum wurde wahr. Rückblickend ziemlich erstaunlich.
Uns war aber immer klar, dass unsere musikalische DNA unsere jemenitischen Ursprünge in Kombination mit anderen Musikstilen ist. Also Hip-Hop, Reggae und die psychedelischen Klänge der 60er und 70er. Dieser Mix ist aber nicht mit Macht gewollt, sondern hat sich wie von selbst ergeben. Sowas kann man nicht erzwingen. Das jemenitische Arabisch ist eine sehr rhythmische Sprache, beim Singen hatten wir also das Gefühl, bereits einen starken Rhythmus vorzugeben. Irgendwann dachten wir uns „warum nicht mal mit einem Hip-Hop-Beat?“. – Und es funktionierte!
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Ich muss sagen, ich finde Eure Videoclips wunderbar ausdrucksstark! Besonders gut gefällt mir euer Song „Mudbira“ und das dazugehörige Video. Ich habe gelesen, dass der Titel „unglücklich“ bedeutet und dass es in dem Lied um die Kämpfe im Leben einer Frau geht. Schon bevor ich das las, hatte ich durch das Video diesen Eindruck gewonnen, ohne ein Wort vom Text verstanden zu haben.
A-WA: Unser ganzes neues Album „BAYTI FI RASI“ („Meine Heimat ist in meinem Kopf“, erschienen am 31. Mai 2019, Anm. d. Red.) dreht sich um das Leben unserer Urgroßmutter Rachel. Sie war Jüdin, alleinerziehend und wanderte mit ihrer Tochter, unserer Großmutter, nach Israel aus. Das heißt, sie lief zu Fuß durch den Jemen, bis sie die Stadt Aden erreichte, von wo aus die Flüge des „Fliegenden Teppichs“ nach Israel starteten. Von dieser wahren Geschichte ist also unser Album inspiriert. Sie hat immer gesagt: „Meine Heimat ist in meinem Kopf.“ Das haben wir zum Titel unseres Albums gemacht, weil das Flüchtlingsthema heute selbstverständlich sehr relevant ist. Und dann natürlich die ganze #MeToo-Debatte, die Diskussion um starke Frauen.
Unsere Urgroßmutter war eine Feministin, ohne zu wissen, dass sie eine ist. Sie kam aus einer sehr armen Familie und wie bei vielen anderen jemenitischen Mädchen wurde ihre Ehe arrangiert. Sie wurde sehr jung verheiratet und hatte ein hartes Leben. Sie hat oft halb im Ernst gesagt: „Ich bin unglücklich, aber auch für Personen ohne Glück gibt es einen Platz auf der Welt.“ Das wollten wir auch mit unserem Song „Mudbira“ ausdrücken. Selbst wenn Du aus schwierigen Verhältnissen kommst, spielt Deine Existenz eine Rolle. Du bist ein Kind Gottes und wirst geliebt. Soviel also zur Geschichte des Liedes.
Wir haben die künstlerische Leitung des Videos selbst übernommen und mit einem von uns sehr geschätzten Regisseur gearbeitet. Diesen ikonischen Look mit den hohen Hüten haben wir buchstäblich selber gemacht. Das sind eigentlich jemenitische Schäferinnen-Hüte, Madhalla-Hüte genannt, die man nur im Jemen bekommt, wo wir aber nicht hinkönnen (fast alle arabischen Länder verweigern israelischen Staatsbürgern die Einreise, Anm. d. Red.) Sie sind sehr hoch, um vor der Sonne zu schützen, denn sie fördern die Luftzirkulation und kühlen somit den Kopf. Wir konnten sie jedenfalls nicht besorgen, also haben wir sie kurzerhand selbst angefertigt. Im Video wollten wir zeigen, wie wir unser Los verändern. Unsere Urgroßmutter glaubte, Glück sei eine Frage des Schicksals. Aber wir denken, dass wir für unser Glück selbst verantwortlich sind. Wir arbeiten hart, versuchen positiv zu denken und bewusst durchs Leben zu gehen. Man kann immer etwas zum Besseren wenden.
Im Video wurde unsere Herde gestohlen und wir fordern sie zurück. Das nahmen wir als Beispiel für jemanden, der Pech hat. Hier spielen natürlich auch biblische Anklänge eine Rolle.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: Ihr habt ja auch gerade in muslimischen Ländern viele Fans. In vielen dieser Staaten radikalisiert sich der Islam und Ihr kommt als emanzipierte, selbstbewusste Frauen daher. Könnt ihr Euch erklären, wie das zusammenpasst?
A-WA: Tja … Die meisten dieser Staaten können wir ja nicht einmal besuchen, bis auf Jordanien, Marokko und Tunesien, soweit wir wissen. Wir bekommen aber viele positive Rückmeldungen aus arabischen Ländern. Gottseidank hat Musik diese Kraft, Menschen zusammenzubringen und wir können somit Orte erreichen, die wir nicht besuchen können. Wir lehnen grundsätzlich jede radikale Form von Religion ab. Wir wollen uns ausdrücken, frei sein und geliebt werden. Darum geht es bei A-WA. Wir hoffen, mit dem, was wir machen, einen Dialog zu starten.
JÜDISCHE RUNDSCHAU: A-WA, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ulrike Stockmann.
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