Juden in der arabischen Diaspora – eine Geschichte der Ausgrenzung und Demütigung
Der Autor Georges Bensoussan widerlegt in seinem neu ins Deutsche übersetzten Buch die Legende vom harmonischen und gleichberechtigten Leben der Juden in der arabischen Welt vor 1948.
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Der französische Historiker Georges Bensoussan lebt nicht in einem Elfenbeinturm, sondern nimmt seit vielen Jahren tapfer zu aktuellen Problemen seines Landes Stellung. Bereits 2002 gab er den Sammelband „Les territoires perdus de la République“ (Die verlorenen Gebiete der Republik) heraus, in dem Lehrer über unhaltbare Zustände an französischen Schulen klagten, über physische Angriffe auf jüdische Schüler und Respektlosigkeit gegen Lehrerinnen. Obwohl es mehrere Ausgaben dieser Dokumentation gab, hat die französische Elite lieber die Zustände geleugnet, als Abhilfe zu schaffen.
2017 publizierte Bensoussan den 665 Seiten umfassenden Sammelband „Une France soumise“ (Ein unterworfenes Frankreich), in dem der von Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit begleitete Vormarsch der Islamisten dokumentiert wurde. Lehrer, Krankenpfleger, Sozialarbeiter, Bürgermeister und Polizisten bezeugen, was in Frankreich heute möglich ist. Im selben Jahr veröffentlichte Bensoussan „Les Juifs du monde arabe, La question interdite“, das 2019 in deutscher Sprache unter dem Titel „Die Juden der arabischen Welt“ erschienen ist. Georges Bensoussan scheut sich nicht, „verbotene Fragen“ zu beantworten und die von der kulturellen Linken postulierten Glaubenssätze über das angeblich glückliche Zusammenleben von Muslimen und Juden in Nordafrika vor dem französischen Kolonialismus als Halbwahrheiten oder gar Lügen zu entlarven. Zum Beispiel, dass die Juden erst nach dem Sechstagekrieg 1967 massiv die arabischen Länder verlassen hätten und dass für den Exodus von hunderttausenden Juden binnen nur einer Generation aus der arabischen Welt der Zionismus und der Staat Israel verantwortlich seien.
Die in Bensoussans Buch nachgewiesene Diskriminierung und der Mord an Juden bereits Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vor der Entstehung des Zionismus zeigen, wie verbreitet die Verachtung der Juden und der Hass gegen sie in der arabischen Welt waren – und leider noch immer sind.
Demütig gebeugte Körper in Marokko
1803 beschrieb ein spanischer Reisender Juden in Marokko, die von der „muslimischen Gewaltherrschaft“ erdrückt wurden. „Ihre demütige Körperhaltung, den Körper gänzlich nach vorne gebeugt“. Er sprach von „einer entsetzlichen Rechtsungleichheit […], die dazu führt, dass ein ganz junger Muslim einen Juden beleidigt und schlägt […] ohne dass dieser sozusagen das Recht hätte, sich zu beklagen“. Er schrieb über jene muslimischen Kinder, die sich ein Vergnügen daraus machen, „jüdische Kinder zu schlagen, ohne dass diese jemals auch nur die geringste Bewegung zu ihrer Verteidigung machten“.
Eine oft verbreitete Legende besagt, dass Marokkos König Mohammed V. seine jüdischen Untertanen 1940-1942 verteidigt hätte. Doch in Wirklichkeit wurde keine antijüdische Maßnahme annulliert oder ausgesetzt. Erst nach der amerikanischen Landung änderte er seine Haltung.
Von einer muslimischen Solidarität mit Juden in Nordafrika gab es unter der Vichy-Herrschaft keine Zeichen. Manche haben sich über die Verfolgung der Juden gefreut und erhofften einen materiellen Profit herausschlagen zu können.
Im Libanon gab es christliche Solidarität mit den Juden
Der maronitische Patriarch des Libanon erinnerte sich am 20. Mai 1933 an die Hilfe der Alliance Israélite Universelle für die Katholiken in seinem Land und verurteilte die Diskriminierung von Juden in Deutschland. Er versicherte „den Leidgeprüften und dem ganzen israelitischen Volk unsere Gefühle des Bedauerns, der Sympathie und des herzlichen Mitgefühls bei diesen Verfolgungen auszudrücken, die im Gegensatz zu den humanitären Prinzipien und zum Geist des Evangeliums stehen“. Diese Erklärung zog eine Protestwelle nach sich, insbesondere unter den muslimischen Gemeinden des Landes.
Bensoussan verweist auch auf die oft wiederholte Legende, die Große Moschee in Paris hätte Tausenden Juden das Leben gerettet. Jüdische und arabische Intellektuelle erwähnen das oft als Beweis dafür, wie gut das Zusammenleben früher funktionierte.
Die Wahrheit ist: Es gab einzelne Fälle, in denen Juden geholfen wurde. So gibt es ein Dokument vom 24. September 1940, das darauf hinweist, dass die Moschee „Menschen jüdischer Rasse betrügerische Dokumente ausgestellt hat, sie würden der muslimischen Religion angehören“.
Si Kaddour Benghabrit, der Rektor der Moschee, erhielt nach dem Krieg die Medaille der Résistance, obwohl der Résistance‐Nationalrat ihm 1944 vorgeworfen hatte, „mit dem Feind paktiert zu haben“.
Wie sehr gute Absichten in die Irre führen, zeigt der Autor anhand des „Projekts Aladin“, dessen Ziel es ist, eine „interkulturelle Annäherung zwischen der jüdischen Welt und den Muslimen zu schaffen“.
In einem Text dieses Projekts, „Juden und Muslime in Palästina und Israel“, liest man, dass sie „lange Zeit in Harmonie zusammengelebt haben. Nach der Teilung 1947 wurde diese Koexistenz brutal beendet. (…) Im Ottomanischen Imperium lebten Juden und Muslime friedlich miteinander nach Bestimmungen der Scharia. Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden diese Traditionen nach der Ankunft der ersten jüdischen Siedler.“
Das friedliche Zusammenleben ist eine Legende
Diese Sätze ignorieren viele Zeugenaussagen und Dokumente aus Archiven – und das nur, um die Narrative und die Illusionen der kulturellen Linken zu bestätigen.
Schon im April 1854 schrieb Karl Marx in der „New York Daily Tribune“: „Nichts gleicht dem Elend und dem Leiden der Juden in Jerusalem (…), die ständiger Unterdrückung und Intoleranz durch die Muselmanen ausgesetzt“ sind.
Der Autor zeigt ein nuanciertes Bild. Die Einrichtung moderner Schulen und die Begegnung mit der Aufklärung führten zur Auflehnung vieler Juden gegen ihren Status als „Dhimmi“, als unterworfene „Schutzbefohlene“.
Weshalb begrüßten wohl die meisten Juden die Ankunft der europäischen Kolonisatoren? Warum wollten so viele Juden europäische Pässe haben? Aus welcher Bedrängnis flüchteten so viele nach Europa, das damals massiv antisemitisch war?
Islamisten sowie die kulturelle Linke in Frankreich und anderswo halten es für skandalös, wenn ein seriöser Historiker solche Fragen stellt.
Mit Recht verweist der Autor auf die Schwierigkeit, eine unangenehme Geschichte zu Lasten der eingefleischten Mythen zu akzeptieren. Vor allem Linke verhindern die Realität zu erkennen, denn damit würde man doch „das Spiel von…. Betreiben“ – was an die Realitätsleugnung der Kommunisten erinnert, die noch einem Pol Pot zugejubelt hatten.
Immer wieder wird in der öffentlichen Meinung darauf hingewiesen, dass es heute Millionen „palästinensische Flüchtlinge“ gebe, obwohl es 1948 höchstens 750.000 arabische Flüchtlinge gab. Nirgendwo sonst auf der Welt wird die Flüchtlingseigenschaft über mehrere Generationen vererbt.
Die Zahlen zur Flucht und Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten sind den meisten Kämpfern für die „palästinensische“ Sache unbekannt. Von den über 250.000 marokkanischen Juden sind nur etwa 2000 geblieben. In Tunesien lebten 100.000 Juden, heute sind es 1000. In Ägypten lebten 1948 75.000 und im Irak 135.000 Juden, heute sind es jeweils weniger als 20. In Jemen waren es etwa 60.000 heute wird ihre Zahl auf 50 geschätzt. In Syrien leben von den 30.000 Juden noch ein Dutzend. In Algerien lebten 1948 140.000 Juden, in Libyen 38.000. In beiden Ländern leben heute überhaupt keine Juden mehr.
Georges Bensoussans spannendes Buch dient der Aufklärung über schwierige und gern geleugnete Probleme und verdient von vielen gelesen zu werden.
Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt/ Die verbotene FrageHentrich & Hentrich, 2019
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