Ein Mensch aus Licht und Schatten

In Erinnerung an die kürzlich verstorbene Geheimdienst-Legende Rafi Eitan

Von Peter Luckimsohn

Im März 2019 verstarb in Israel Rafi Eitan, genannt „der Stinker“, oft betrachtet als eine der kontroversesten Figuren in der Geschichte der israelischen Geheimdienste. Seine Biographie beinhaltet nicht wenige heroische Ereignisse, aber auch Niederlagen und Schachzüge, die ihm keine Ehre machten. Die Zeit, wo wir sein Leben in Gänze beleuchten können, liegt noch weit vor uns: Viele der Dokumente über seine Tätigkeit bei den Nachrichtendiensten bleiben vorerst geheim.

Geboren wurde Rafi Gentman (den Namen „Eitan“ hat er sich in seinen Schuljahren zugelegt) am 23. November 1926 im Kibbutz Ein Harod; seinen Eltern gelang es 1923 aus dem sowjetischen Russland zu fliehen. Später zog die Familie nach haScharon, damals ein beschaulicher Moschav. Mit 17 schloss sich Rafi den Palmach an und nimmt an der Erstürmung des Lagers der illegalen jüdischen Immigranten in Atlit, an der Operation „Nacht der explodierenden Brücken“ und an dem Anschlag auf die britische Radarstation am Berg Karmel teil. Um den Sprengstoff unter der Station platzieren zu können, musste er einen langen Weg durch die Kanalisationsrohre auf sich nehmen und verbreitete selbst nach einigen Wochen und wiederholtem Waschen einen fürchterlichen Geruch. Das war, wie die Legende besagt, der Anlass, welchem er seinen Kampfnamen „der Stinker“ zu verdanken hatte.

Eitan selbst dementierte allerdings diese Legende vehement. Seiner Version nach teilte er während der Zeit an der Landwirtschaftsschule im Kibbutz Giwat haSchalosch ein Zimmer mit Rehaw‘am Ze‘ewi (israelischer Politiker, General der Reserve, Gründer und Vorsitzender der rechten Moledet-Partei; vor seinem Tod Minister für Tourismus. Erschossen am 17. Oktober 2001 im Jerusalemer Hotel Hyatt von „palästinensischen“ Terroristen). Ze‘ewi konnte lange Zeit keine Ursache für den starken befremdlichen Geruch im Zimmer ermitteln, bis er eines Tages auf Rafis schmutzige Socken stieß… Er hob sie mit zwei Fingern auf und verkündete: „Rafi ist ein Stinker!“ Eitan schaute zu Ze‘ewi, welcher damals so hager und schmal war, dass er schon fast durchsichtig schien, und entgegnete ihm: „Du Gandhi!“ Seitdem blieb es dabei: Der Eine blieb „Stinker“, der Andere „Gandhi“. Allerdings bestätigen – oder widerlegen – kann diese Geschichte heute niemand mehr.

Mord an zwei deutschen Templern

1946 ging eine Liquidierungssoperation zweier Anführer der deutschen Templer-Gemeinde, welche während des Zweiten Weltkgieges ihre Sympathien für Hitler äußerten, auf Eitans Konto.

1949, nach dem Unabhängigkeitskrieg, quittierte Eitan seinen Militärdienst, bekam ein Stück Land – ca. 900 Dunam – im Westen der Negev und ließ sich nieder, um Landwirtschaft zu betreiben. Zwei Jahre später erhielt er überraschend einen Anruf von Isser Harel: Der Chef der israelischen Nachrichtendienste lud ihn zu einem Treffen in Jaffo ein. Sie saßen in einem Café, und während des Gesprächs fragte plötzlich – ganz nebenbei – Harel, ob Eitan in eine Wohnung im Hause nebenan eindringen könne. Ohne ein Wort zu sagen, erhob sich Eitan, ging hinaus und erschien in 10 Minuten auf dem Bkon der genannten Wohnung. „Komm runter!“ rief Harel ihm zu. „Du hast den Job!“

1955 leitete Rafi Eitan bereits die operative Abteilung des Mossads, bereitete mehrere der berühmten Aktionen seiner „Firma“ vor und war nicht selten auch unmittelbar an deren Durchführung beteiligt; die wichtigste von ihnen bleibt zweifellos die Entführung Adolf Eichmanns 1960. Um diesen Plan eigenhändig zu realisieren, reiste Eitan zusammen mit Zwi Aharoni und Abraham Schalom nach Argentinien.

1961 leitete Rafi Eitan eine andere bekannte Operation: Die Enttarnung und Verhaftung des sowjetischen Spions Israel Bar.

In den 60er Jahren leitete Eitan die operative Abteilung des Mossads für Europa und bewies sich erneut als Organisator mehrerer dreister Aktionen. Es gab Dutzende solcher Aktionen – Informationen über die meisten davon dürfen aber noch nicht veröffentlicht werden. Was bekannt ist: Die Entwendung des Urans für den Reaktor in Dimona bei einer belgischen Firma, und die Beschaffung der Zeichnungen vom Kampfflugzeug Mirage im Zuge des von Charle de Gaulle verhängten Embargos für Waffen- und Militärtechniklieferungen nach Israel.

Mord in Marokkos Botschaft

1965 – damals war Me‘ir Amit Mossad-Chef – wurde Eitan in eine Operation des marokkanischen Geheimdienstes verwickelt; man bat ihn um Hilfe, einen Oppositionellen, den Führer der antimonarchistischen Bewegung in Marokko, Mehdi ben Barka, zu fassen. Eitan lockte ben Barka nach Paris, wo er brutal gefoltert und schließlich ihm Gebäude der Marokkanischen Botschaft getötet wurde. Diese Geschichte verschlechterte die Beziehung zwischen Frankreich und Israel enorm, auch in israelischen politischen Kreisen reagierte man darauf empört. Möglicherweise deshalb bekam Rafi Eitan den höchsten Posten beim Mossad nicht und war dort Jahre lang Leiter der wissenschaftlich-technologischen Abteilung.

Rafi Eitan verließ den Mossad 1972 und wurde als Unternehmer tätig. In dieser Zeit entstand eine enge Freundschaft zwischen ihm und Ariel Scharon, was dazu führte, dass nach dem Wahlsieg der Cherut-Partei 1977 Scharon dem neuen Premier Menachem Begin empfiel, Rafi Eitan zu seinem Antiterrorberater zu machen.

Schutz für Dimona

Ein Jahr später stand Eitan erneut im Zentrum eines politischen Skandals: In seiner Funktion als Berater des Premierministers hielt er in der Knesset eine Rede, wo er sich erlaubte, wortwörtlich zu sagen: „Israel erwarten weitere 100 Jahre des blutigen arabischen Terrors, und in diesem Kampf müssen wir genau so erbarmungslos sein wie unsere Feinde.“ Die Vertreter des linken Flügels waren außer sich, in den Medien wurden die Forderungen nach der Entlassung des „blutrünstigen Beraters“ laut. Begin entband ihn tatsächlich seiner Pflichten, jedoch nur dafür, um ihm den Posten als Chef des Nachrichtendienstes LAKAM (Büro für wissenschaftliche Verbindungen, geschaffen speziell zum Schutz und Unterstützung des israelischen Nuklearprogramms, - Anm. d. Übers.) zu überlassen. Neben der Aufgabe, die Sicherheit des Atomreaktors in Dimona zu gewährleisten stand Wirtschaftsspionage und die Beschaffung von modernsten Militärtechnologien im Vordergrund.

Die meisten Vorwürfe und Anschuldigungen erntete Rafi Eitan in seiner Zeit an der Spitze des LAKAM. Einerseits wurden unter seiner Leitung viele erfolgreiche Operationen durchgeführt, welche bis heute geheim gehalten werden. Andererseits lastet man ihm die Geschichte mit Jonathan Pollard an, welche wie ein schwarzer Fleck auf Eitans Biographie liegt. Es war Eitan, der Pollard für den Nachrichtendienst LAKAM angeworben hatte und, wie die Historiker der israelischen Geheimdienste meinen, übertriebene Forderungen, verbunden mit einem erheblichen Risiko, an ihn stellte, was 1985 zu Pollards Verhaftung in den USA führte. Als Pollard angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch seine Enttarnung Eitan um Hilfe bat, wandte dieser sich von ihm ab, was „grünes Licht“ für seine Verhaftung bedeutete; mehr noch, er stellte sogar den amerikanischen Behörden die Pollard belastenden Unterlagen zur Verfügung. Man kann behaupten, dass die Schuld, dass Pollard zu lebenslanger Haft verurteilt wurde (und erst 2015 aus dem Gegängnis kam, - Anm. d. Übers.), größtenteils Rafi Eitan zuzuschreiben ist.

Verrat an Pollard

„Für den Preis der Freiheit eines israelischen Agenten rettete Eitan seine eigene Haut; 1998 gab er sogar zu, sich nicht verzeihen zu können, Pollard nicht erschossen zu haben (!), als dieser, gemäß den Anweisungen, in die israelische Botschaft gekommen war in der Hoffnung, seiner Verhaftung entgehen zu können“. In dem Interview der Zeitung „Jediot Achronot“ 2008 gab Eitan allerdings zu, den größten Anteil an der Verantwortung für Pollards Scheitern zu haben und fügte hinzu, er spüre die Schuld und wünsche Pollard von ganzem Herzen eine baldige Entlassung.

Eine erneute große Niederlage musste LAKAM unter der Führung von Rafi Eitan 1986 erleben: Der Physiker Mordechai Vanunu leitete die brisante Information an die britische Zeitung „Sunday Times“ weiter, Israel besäße Nuklearwaffen. Dem LAKAM, welcher für die Sicherheit des Atomreaktors in Dimona sorgen sollte, war entgangen, dass Vanunu in das streng bewachte Objekt eine Fotokamera hineinschmuggelte und über einen längeren Zeitraum Fotos machte. Daraufhin wurde die zuständige LAKAM-Abteilung aufgelöst, ihre Funkhionen übernahmen andere Nachrichtendienste; Rafi Eitan musste seinen Posten räumen.

Freundschaft mit Fidel Castro

Später leitete Eitan den Konzern Chimikalim le-Israel, seit 1990 widmete er sich dem Unternehmertum. In dieser Zeit lernte er Fidel Castro näher kennen, es entstand eine enge Freundschaft. Eitan verbrachte seine Zeit öfters auf Kuba, wo er – auf Castros Erlaubnis hin – erhebliche Ländereien in seinen Besitz bekam. Beide Freunde träumten davon, bei guter Gesundheit 100 Jahre alt zu werden und entwickelten sogar eine spezielle Diät; den Tag begannen sie mit einem Glas frischgepressten Orangensaft. Jedoch konnte weder der kubanische Diktator noch sein israelischer Freund das erhoffte Alter erreichen.

2006 stand Rafi Eitan an der Spitze der Rentner-Partei Gil, welche es bis dahin noch nie in die Knesset geschafft hatte. Unter Eitan bekam die Gil-Partei sieben Mandate für die Knesset der 17. Wahlperiode und Eitan wurde erster Minister für Rentnerangelegenheiten in der Geschichte Israels. Im Jahr 2009 bekam seine Partei nicht mehr die gewünschte Anzahl von Stimmen und war in der Knesset nicht mehr vertreten. Mit seinen 86 Jahren versuchte Rafi Eitan eine Weile, seine politische Kariere voranzutreiben, setzte sich aber bald zur Ruhe.

In seinem letzten Jahrzehnt widmete er sich der Bildhauerei und konnte dabei. Bis zu seinen letzten Lebensmonaten war Rafi Eitan mit dem Modellieren beschäftigt. Beim Mossad gilt er als eine wahrhaftige Legende; viele von ihm geleiteten und durchgeführten Operationen werden von der neuen Agenten-Generation als klassische Fälle studiert.

Was trug dieser Mensch in sich, fragen wir uns – war es mehr Licht oder mehr Schatten?

Aber, Hand aufs Herz: Kann das Eine ohne das Andere existieren?

Übersetzung aus dem Russischen von Irina Korotkina

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