Die Juden-Sympathie der Tschechen

Das kleine westslawische Volk widersetzte sich schon im Mittelalter anti-jüdischen Pogromen und ist auch heute besonders israel-freundlich

Eine Straßenszene aus dem damals noch kommunistisch regierten Prag (CSSR) der 1980er Jahre© ABBAS MOMANI, AFP

Von Aleš Novotný

Als seit Generationen „Brünner“ und mährischer Patriot hatte ich Prag nie gemocht, als ich in jungen Jahren noch in meiner alten tschechoslowakischen Heimat lebte. Vor vier Jahrzehnten habe ich sie dann endgültig in Richtung Freiheit des westlicheren Europas verlassen, um seitdem fast wie Ahasver in dem selbigen umherzuwandern. Diese Reisen betreffen seit dem viel zua samtenen Umsturz Havels auch meine gelegentlichen Versuche, in die alte Heimat zurückzukehren – um immer wieder bestätigt zu bekommen, dass eine Rückkehr nichts als Illusion ist.

Unlängst war ich wieder einmal da, mit einem deutschen Freund, der sowohl geographisch als auch historisch sehr interessiert ist, so viel wie möglich von uns Tschechen und insbesondere von Prag zu erfahren. Weil mir bekannt war, dass sein Interesse an dem jüdischen Teil nicht nur der Prager Geschichte außerordentlich ausgeprägt ist, wählte ich zuerst ein Hotel in der ältesten Altstadt. Als wir dann an einem schönen Vormittag zwischen der Altneuen und der Spanischen Synagoge um den Alten Friedhof in Richtung Moldau unser Schlendern begannen, überraschte mich mein Freund mit einer fast schon persönlichen Frage – warum eigentlich wir Tschechen so judenfreundlich seien, dass dies heute in Brüssel den meisten der dort massiv versammelten Weltverbesserern gewaltig auf die Nerven geht.

Die Tschechen verstehen den Witz

Da musste ich zuerst ein wenig lachen und zugeben, dass dies wohl so rein sachlich stimmen dürfte. Der Bibi Netanjahu hatte gerade gestern irgendwo gesagt, dass Israel auf der östlichen Halbkugel keine besseren Freunde hätte als uns Tschechen. Und mir ist eine ziemlich schon alte Bemerkung Efraim Kischons in Erinnerung gekommen, als er einmal feststellte, dass er seine weltweiten Lesungen am liebsten vor uns Tschechen hält, auch wenn er vor lauter Gojims steht – uns braucht er im Gegenteil zu anderen Nationen seine Witze nicht zu erklären. Und weil wir gerade an der Moldau entlanggingen und den schönen Blick nach rechts frei hatten, zeigte ich auf Hradschin da oben auf dem Berg, wo die wehende Fahne anzeigte, dass der Hausherr gerade zu Hause ist:

„Weißt du, da oben sitzt gerade ein absolut unmöglicher Mann, der uns jetzt den Staatspräsidenten vorspielt. Ich würde ihn aus hundert Gründen niemals wählen wollen und können, aber eins war und ist super, obwohl ich gar nicht ahne, warum dem so ist – die Idee, unsere Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, hatte er noch früher als Donald Trump. Ja, irgendwie habe ich so eine leise Ahnung, dass der Trump vielleicht diese Idee von ihm hatte...“

„Das soll wohl ein Witz sein, oder?“, fragte skeptisch mein nüchterner deutscher Freund, „immerhin..., in aller Ehre, aber der amerikanische und der tschechische Präsident..., das ist doch irgendwie..., schwer vorstellbar, wie die Vermittlung dieser hervorragenden Idee den Weg hätte nehmen sollen.“

„Nun ja“, entgegnete ich verständnisvoll, „was die politischen Gewichte und die übliche Diplomatie angeht, magst du schon Recht haben. Auf der anderen Seite darfst du aber nicht vergessen, dass die ältesten Kinder Trumps halbe Tschechen sind, also gab es vielleicht dort irgendwelche Informationskanäle... Aber eigentlich wollte ich etwas anderes sagen. Nämlich, dass ich genauso wenig ahne, warum wir Tschechen so judenfreundlich sind. Es stimmt zwar durchaus, und wohl schon seit ewig, aber warum es so ist..., das ist eine ganz schwere Frage...“

Und somit verfiel ich zuerst selbst ins Grübeln, als wir schon fast am Eingang auf die Karlsbrücke ihrem königlich-kaiserlichen Erbauer die Hand hätten schütteln können. Soll ich ganz am Anfang beginnen und ihm sagen, dass ein gewisser Fredegar, ein Mönch aus dem westlichen Frankenreich, schon etwa 620 festhielt, dass ein gewisser Samo, ein weitreisender Fernhändler, der erste Herrscher der Slawen wurde, aus welchen erst Jahrhunderte später die Tschechen entstanden? In Wirklichkeit hieß er wohl Samuel, und weil er von den ihn schon damals schätzenden Slawen zwölf Ehefrauen bekam, zeugte er mit ihnen fünfzehn Söhne und zweiundzwanzig Töchter, was gewiss einen guten Grundstock für die künftige Judenfreudigkeit der Tschechen bedeuten könnte.

Die Tschechen machten keine Pogrome zur Zeit der Kreuzzüge

Oder soll ich erwähnen, dass knapp ein halbes Jahrtausend später im Rahmen des ersten Kreuzzuges alle Städte des westlichen Europas ihre jüdischen Siedlungen durch die üblichen Pogrome verloren hatten, in Prag allerdings die Tschechen ihre Juden mit der Waffe in der Hand verteidigten, obwohl ihr Herrscher damals gar nicht zu Hause war, wie der heutige es ist, um dies zu organisieren?

Auch wenn ich die Geschichte aus der Zeit Rudolfs, wieder um das nächste knappe Jahrtausend später, erwähnen sollte, als Rabbi Löw den Golem zusammenbastelte, wäre es aussichtslos; davon abgesehen, dass sogar fast jeder, der um uns herum auf der Karlsbrücke schlendernden, gefühlt zehn Millionen chinesisch-japanisch-koreanischen Touristen davon hörte, geschweige denn mein gebildeter Freund, würde es nichts bringen im Bezug auf das ewige, verdammte WARUM...

„Weißt du was?“, sagte ich, als wir die Brücke nach dem Hin-und-zurück-Schlendern endlich wieder in Richtung Altstadt verlassen hatten. „Ich kann dir zwar nicht sagen, warum wir Tschechen so judenfreundlich sind, aber wenn du willst, kann ich dir erzählen, warum ich selbst so judenfreundlich bin..., unter anderem, natürlich..., wobei nach meiner Erfahrung dieses Ereignis damals eine Unmenge meiner Landsleute in diesem Sinne sehr ähnlich beeinflusste...“

Mein Freund nickte mit einem neugierigen Blick. Wir befanden uns gerade in einem der engsten Gässchen auf dem Weg zum Zentralplatz der Altstadt, wo der erste aller christlichen Protestanten dieser Welt steht, ein Tscheche natürlich, der schon hundert Jahre vor Luther das Alte Testament wiederentdeckte, und die unglücklichen 27 Protestanten dann, wieder zwei Jahrhunderte später, auf dem Schafott ihre Leben ließen. Diesen schönen Platz in Richtung Wenzelsplatz verlassend rief ich die Erinnerungen zurück, die mich damals so entscheidend prägten:

„Es war im Juni 1967, ich war vierzehn, und es war die erste meiner Prägungen..., sozusagen..., der Erlebnisse, die mir die Augen für die Welt öffneten. Denn vorher kannte ich nur Schlittschuhe und Eishockeyschläger im Winter und Fußball und Tennisschläger im Sommer..., und die ersten Mädchen natürlich..., das hat damals auch so etwa begonnen... Die zweite Prägung war dann ein Jahr später, die russischen Panzer unter dem Fenster unserer Wohnung in Brünn..., aber auch diese noch frühere war nicht so ohne... Also in dem beginnenden Sommer 1967 schreibt plötzlich die Kommunistenzeitung „Rudé Právo“ (das bedeutet „Rotes Recht“)..., richtig lustig, oder, denn der Unterschied zwischen Recht und dem roten Recht ist genauso, wie zwischen dem Suhl und dem elektrischen Stuhl.., also die schreiben plötzlich, dass es im Nahen Osten einen Krieg gibt. Das war sehr ungewöhnlich, so viel zu schreiben und so unerwartet. Die bösen, imperialistischen, nach kapitalistischer Ausbeutung lechzenden Juden haben ganz tückisch, wie es ihre Art ist, vor ein paar Tagen ihre friedliebenden arabischen Nachbarn überfallen. Hilft ihnen aber nichts, denn diese werden schon mit der hilfreichen friedvollen Unterstützung des sozialistischen Lagers und besonders der heldenhaften Sowjetunion bald siegen und die verdammten Juden endlich ausrotten, wie sie es verdienen.

Tschechische Piloten als Helfer der Ägypter

Das war so in etwa der Tenor der Meldung und für mich war dabei die interessanteste Neuigkeit, dass es einen Staat Israel gibt. Den Inhalt der Meldung nahm ich schon mit vierzehn nicht ernst. Wir waren gewohnt, diesem Blatt keinen Buchstaben zu glauben, aber ein Thema in der Schule, das wir mit Kommilitonen heiß diskutierten, war es schon geworden. Ein Kumpel von mir gab die Information dazu, dass die Juden so etwa Handvoll sind und ganz toll kämpfen, während ein anderer, dessen Vater gerade als Militärpilot in Ägypten stationiert war, meinte, dass es nichts heldenhaftes sei, jemanden unerwartet und tückisch zu überfallen.

Mit diesem Dilemma, zwischen emotionaler Zuneigung und rationaler Ablehnung verfangen zu sein, suchte ich die natürliche Autorität auf, die dies lösen sollte – meinen Vater, der gerade mit dem Ohr tief in unserem Radio vertieft österreichische Nachrichten lauschte. Das war ja in Brünn kein Problem, er hatte sich mit „Rudé Právo“ nie abgegeben. Mit meinem Dilemma konfrontiert, strich er sich über das Kinn, hob die Augenbrauen und sagte:

„Nun ja..., überfallen... Es ist schon was dran..., aber sage selbst... Wenn du alleine und ziemlich klein zwischen lauter großen, mächtigen Feinden sitzen würdest, die andauernd drohen, dich von der Welt auszuradieren..., dann hast du irgendwie einmal das Recht, es ernstzunehmen..., oder?'

„Klare Sache, Papa... Ist toll, aber die werden sie doch zermalmen..., diese Araber! Das können sie doch nie gewinnen..., die Juden, ist doch glatter Selbstmord...!“

„Sie haben schon gewonnen, mein Junge... Es hat nur eine knappe Woche gedauert, es ist schon so gut wie vorbei! Ja..., eine Handvoll Juden hat gleichzeitig Ägypten und Syrien erledigt..., unglaublich...“

„Fantastisch...!“ rief ich begeistert und wollte viel mehr wissen, was seitdem, die Geschichte und Probleme der Juden betreffend, nie mehr nachlassen sollte. „Wenn wir auch einmal, so wie diese Juden, die Scheißrussen genauso erledigen könnten...“, war mein nächster Satz, der sich in seiner tiefsten Bedeutung im Wesentlichen auch bis heute nicht ändern sollte.

„Nun ja...“ meinte mein Vater abschließend, „wir sind aber Tschechen..., keine Juden..., aber Recht hast du schon... David und Goliath..., besser geht’s gar nicht..., es ist fantastisch...“

„Aber wir Tschechen sind doch auch nicht so ohne“, mischte sich meine Mutter ein, „denn ohne uns hätte es wohl gar keinen Staat Israel gegeben...“

Kein Israel ohne Tschechen? – Juden in der kommunistischen Obrigkeit der 1950er Jahre

„Nein, nicht..., dies nicht...“, versuchte mein Vater, ein wenig ängstlich, wie es mir schien, gegenzusteuern, aber es war schon zu spät. Und so erfuhr ich, wie wir Tschechen und unsere Waffen schon knapp zwanzig Jahre früher geholfen hatten, den Staat Israel zu gründen, inklusive solcher Feinheiten, dass ein gewisser Ben Gurion in Budweis zum Militärpilot ausgebildet wurde. Ich konnte zwar kaum verstehen, wieso es die Kommunisten waren, die dies bewerkstelligten, wenn Israel doch so ausgesprochen westlich ist. Meine immer schon stark antikommunistisch eingestellte Mutter nahm keine Rücksicht mehr auf meine künftige Sicherheit und klärte mich in ihrer einmalig direkten Art schonungslos auf:

„Weil es doch auch lauter Juden waren..., die damaligen Kommunisten..., Slánský und die anderen. Stalin hoffte damals, dass die Juden ihren neuen Staat kommunistisch machen werden, und als er sah, wie blöd er war, so einen Unsinn zu glauben, ließ er alle hinrichten... Es waren dreizehn damals, davon elf Juden, und du darfst raten, wieviel von ihnen der Schlinge entgangen sind...“

„Etwa zwei...?“, erlaubte ich mir zu flüstern, aber mein Vater hatte genug:

„Ja, genau, aber irgendwie haben sie sich doch geirrt, denn einer von den zweien, die bloß lebenslänglich bekamen, war auch Jude, Artur London. Jetzt aber Schluss, und Gnade dir Gott, wenn du je in der Schule von diesem Teil unserer Geschichte nur ein Wort verlierst! Wir wollen ja, dass du es einmal zum Abitur schaffst...“

Mit dieser Anordnung, wie mit unzähligen anderen dieser Art, hatte ich kein Problem, obwohl wir in der Schule anschließend noch wochenlang den tapferen Juden alle Daumen drückten, als uns die braven Lehrer immer wieder gebetsmühlenartig erklärten, wie die guten armen Araber die bösen reichen Juden schon bald bis ins Meer zurückschlagen werden. Die leichte Eintrübung über das zuerst unbekannte Schicksal des Vaters unseres Mitschülers hat sich bald erhellt. Er überlebte problemlos, weil die verdammten tückischen Juden seine MIG so unerwartet und schnell noch auf dem Boden zerstört hatten, dass er nicht einmal eine Chance bekam, heldenhaft für den ewigen russisch-sozialistischen Frieden sterben zu dürfen. Wir lachten untereinander damals tagelang darüber, und nicht nur in der Schule...“

Als ich mit meiner Erinnerung fertig war, standen wir gerade unweit des Heiligen Wenzels, dessen Bruder und Mörder Boleslav um 940 die ersten Juden hier in Prag ansiedeln ließ. Mein deutscher Freund sah mich an und nickte zustimmend:

„Verstehe..., übrigens, wenn du von ‚tschechischen Waffen‘ sprichst.., gerade gestern habe ich gelesen, dass die weltberühmte UZI auch eine Weiterentwicklung einer tschechischen Maschinenpistole war...“

„Wirklich?“ entgegnete ich belustigt, „das wusste nicht einmal ich..., aber überrascht mich irgendwie nicht... Übrigens, die Fassade da oben hinter dem Wenzel, unser Nationalmuseum, war damals ganz schön zerschossen..., allerdings von anderen Maschinengewehren...“

„Ja, ich weiß..., die Russen, aber das kenne ich alles. Komm, erzähl mir lieber noch mehr von den Juden..., und von Prag..., das ist doch viel unbekannter, was du sagst..., und interessanter...“

„Oh Gott...“, knurrte ich erschöpft durch meinen ziemlich trockenen Hals, „lass mich doch in Ruhe... Komm, wir trinken hier lieber ein kaltes Urquell... Davon abgesehen..., ich weiß nichts mehr von Prag, bin doch kein Profiführer..., und eigentlich bin ich ein eingefleischter Brünner...“

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