Ein Fest für die Sinne
Ein Spaziergang mit dem berühmten Gewinner des Fernseh-Kochwettbewerbs „MasterChef“ Tom Franz auf dem Carmel-Markt in Tel Aviv
Der zum Judentum konvertierte Rheinländer Tom Franz© WIKIPEDIA
Am Straßenrand wiegen sich Palmen im Wind, überall blüht es und riecht nach Sommer – man könnte vergessen, dass wir November haben. Ich schlendere über den Rothschild-Boulevard, der ersten Straße Tel Avivs, die nicht nur ihrer Gestaltung wegen ein wenig an die Champs-Élysées erinnert – sie besitzt auch deren quirlige Lebendigkeit. Der Prachtboulevard hieß am Anfang „Straße des Volkes“ und erhielt erst später den Namen des Barons. Die vielen, zumeist weiß gehaltenen Gebäude, die der ganzen Stadt den Namen „Weiße Stadt“ gaben, wurden in den 1930er Jahren von deutschen Architekten jüdischer Abstammung gebaut, die aus Deutschland geflohen und Bauhausschüler von Walter Gropius oder Mies van der Rohe waren. In einem der vielen Straßencafés koste ich zum Espresso Halva, jene iranisch-arabische Süßigkeit, die in großen, mürben Blöcken aufgebaut ist. Halva schmilzt auf der Zunge wie Eis, so sanft und nur nicht so schnell und gibt eine Süße ab, die intensiver als die von Eis ist.
Hat man sich auf dem nahen Carmel-Markt durch die Schuh- und Kleiderstände hindurchgearbeitet, stößt man auf die Obstauslagen, auf Gemüse und orientalische Gewürze, überall Oliven, Feigen, Granatäpfel, Auberginen, Gebäck und Trockenobst. Händler überbieten sich im Anpreisen ihrer Waren. Cafés, Lokale und Imbissstände finden ihren Platz in Nischen. Vor dem „Coffee at the Market“, wo man die besten Kaffeesorten Israels kaufen und natürlich Kaffee trinken kann, treffe ich Tom Franz, jenen 1973 geborenen Einmeterfünfundneunzig-Mann, der mit seinem markanten Gesicht und Pferdeschwanz eine auffällige Erscheinung ist. Aber nicht nur deshalb wenden sich ihm die Passanten zu: Er, der Gewinner der israelischen Kochshow „MasterChef“, die zur besten Sendezeit lief, ist eine Berühmtheit. Er ist Sieger der beliebtesten Realityshow der israelischen Fernsehgeschichte. Die Einschaltquote lag beim Finale bei über 50 %, jeder zweite Israeli verfolgte diese Sendung.
Wie die Liebe zum Land entstand und der Glaube kam
Was ihn hierzulande so interessant macht? Es liegt an den vermeintlichen Gegensätzen in seiner Person. Zum einen ist es die Tatsache, dass er so exakt kocht, wie man es landläufig von einem Deutschen erwartet, der aber gleichzeitig so herzlich und offen ist, wie sich Israelis Deutsche wahrscheinlich nicht vorstellen, was mir vorzustellen wiederum Schwierigkeiten bereitet. Zum anderen ist es seine Biographie. Thomas Franz wuchs katholisch geprägt in Erftstadt bei Köln auf. Sein Leben war von vornherein auf Karriere angelegt, er machte eine Banklehre, studierte Jura. Ein Schüleraustausch mit israelischen Jugendlichen aber hatte folgenreiche Spuren hinterlassen. Sie sangen, lachten und tanzten; er spürte bei ihnen jenes Gefühl der unbändigen Lebensfreude, der Zugehörigkeit, das er in seinem Leben – mit Ausnahme bei seinen Eltern - nicht nur nicht vorfand, sondern vermisste. Im Rahmen des Zivildienstes führte ihn sein Weg für anderthalb Jahre mit der Aktion Sühnezeichen nach Israel. Er arbeitete im Altenheim Lichtenstetter, wo Menschen lebten, die besonderer Pflege bedurften. Zurückgekehrt nach Deutschland, wurde er das Gefühl nicht los, in Israel einen Ort gefunden zu haben, in dem sein Leben eine Erfüllung erfährt. Eine Nahtoderfahrung gab den letzten Ausschlag. In den Semesterferien arbeitete er in Israel, bei Sanierungsarbeiten schlug ein Eisenrohr unmittelbar an seinem Kopf vorbei, zerschmetterte nicht ihn, sondern ein Fenster. Dieses Erlebnis ließ ihn an göttliche Fügung glauben, die ihn endgültig dazu brachte, 2004 seine Anwaltskarriere zu beenden, um zum Leidwesen seiner Eltern nach Israel auszuwandern und später zum Judentum zu konvertieren. Durch den Glauben wurde er ein ausgeglichener Mensch, der sich von Oberflächlichem trennte. Zwei Jahre später lernte er Dana Hadari kennen, die seine Frau werden sollte und ihn in allen seinen Unternehmungen unterstützte. Sie überzeugte ihn, sich bei der Fernsehsendung „MasterChef“ zu bewerben und letztlich seine Anwaltskarriere aufzugeben.
Dana hatte den größten Teil ihrer Familie im Holocaust verloren. Auschwitz, um Auschwitz kommt man in Israel nicht herum, wie sollte es auch anders sein. Allerdings trägt es niemand vor sich her, indem Deutsche geschnitten oder gar attackiert werden. Aber unausgesprochen schwingt es für mich immer mit. Durch Tom Franz jedoch ist es nicht schwer, hierzulande Deutscher zu sein. Ich beobachte eine Frau mittleren Alters, die ihn plötzlich wahrnimmt, freudig die Hände vors Gesicht schlägt, als könne sie es gar nicht fassen, ihn hier zu treffen, und auf ihn zuläuft. Sie muss ihn unbedingt berühren, sie greift nach seinem Arm und schmiegt sich an ihn, spricht ununterbrochen auf ihn ein. Tom Franz ist offensichtlich geübt im Ausweichen von so viel Körperlichkeit, lachend und sehr charmant entzieht er sich, führt das Gespräch, auf Hebräisch versteht sich. Schließlich verabschiedet sich die Frau von ihm, ich glaube anfangs, mich zu verhören, bis ich’s endlich begreife, mit „Auf Wiedersehen“, was plötzlich so normal ist wie „Lehitraot“.
Er passt sich den Israelis an und die Israelis passen sich ihm an
„Sie sagte Auf Wiedersehen“, bemerke ich zu ihm.
„Ja, warum nicht, warum sollte es nicht so sein“, erwidert er.
Wir essen in der Schale geröstete, gesalzene Mandeln, Pekannüsse und frische, sehr große Datteln. „Es ist üblich, die Kerne auf den Boden zu werfen“, sagt Franz. „Man kann sie mit dem Fuß an den Rand schieben.“ Für einen Deutschen ist das eine ungewohnte Lockerheit, hat er sich der orientalischen Mentalität angepasst?
Der Hobbykoch Tom Franz vereinigt die deutsche, sprich: die rheinische Küche mit der israelischen. In seinem Buch „So schmeckt Israel“, das mehr als ein Kochbuch ist, weil es sich auch mit der Kultur und Geschichte Israels beschäftigt, schreibt er: „Schmecken Sie mit mir Deutschland und Israel auf dem Teller. Genießen Sie Gerichte aus meiner israelischen Küche, die ich immer wieder mit einer Prise Heimat würze.“ Auf diese Weise bringt er den Israelis Deutschland nah und umgekehrt.
Ein Deutscher setzt sich in Israel für koscheres Essen ein
Tom Franz hat eine Mission. In Tel Aviv ist es schwer, gute koschere Restaurants zu finden, häufig werden Gerichte angeboten, die Fleisch- und Milchprodukte mischen. Essen, das nach dem Regelwerk des Kaschrut gekocht wird, also koscheres Essen, gilt für viele Israelis als eine Kost von gestern, als langweilig und einfallslos. Tom Franz, der das moderne Judentum vertritt, will zeigen, dass dieses Essen durchaus zeitgemäß ist, und bringt dadurch jüdischen Israelis ihre eigene Kultur wieder nah.
In einer Seitengasse stehen Stühle auf dem engen Gehweg, die zu einem jemenitischen Imbiss gehören. Grundlage der vorderasiatischen Küche ist Hummus, der aus Kichererbsenbrei gewonnen, Tahini, dem Mus aus Sesam, Zitronensaft und Knoblauch zubereitet wird. Seine Oberfläche wird gefurcht, um darin Olivenöl einlaufen zu lassen, und mit gekochten Kichererbsen garniert. Der Zitronensaft gehört wegen des Vitamin C unbedingt dazu. Im Grunde benötigt niemand weder einen eigenen Teller noch Besteck, man nimmt die Speise mit Pita, dem Fladenbrot, auf: Den Hummus wischen, sagt man. Natürlich dürfen die Näpfchen mit den roten Pasten sich steigernder Schärfe nicht fehlen.
„Wer den Hummus in diese Gegend gebracht hat?“, fragt Tom Franz. „Ehrlich gesagt, ich wage keine Antwort. Ob ihn die Türken mitgebracht haben, die das Land fünfhundert Jahre beherrschten, ob wir ihn arabischem Einfluss verdanken oder er schon immer hier war – wer weiß. Auf jeden Fall finden Israelis und Palästinenser, Libanesen und Syrer bei Hummus zusammen.“
Am zeitigen Nachmittag ebbt der Marktbetrieb langsam ab, die lauten Stimmen der Händler verlieren ihre Kraft, die Besucher haben sich längst mit ihren Einkäufen nach Hause verabschiedet, in den Imbissen wird zwar noch gegessen, aber danach stellt sich jene Ruhe ein, die mit einem gefüllten Bauch einhergeht. Auf die Dächer mag die Sonne brennen, hier in den Gassen hält sich auf dem Pflaster die Feuchtigkeit des Morgens.
Schon beim Malabi, dem Pudding auf Wasserbasis, parfümiert mit Rosenwasser, bestreut mit feingehackten Nüssen und begossen mit roter süßer Soße, oder spätestens beim Hawaij, dem Kaffee, der mit Kardamom versetzt wird, haben wir wieder unser Thema.
Tom Franz meint:
„Wir können den Israelis nicht sagen: Nun ist es wieder gut zwischen Deutschen und Juden. Lasst uns mal zur Tagesordnung übergehen. Das muss von den Juden selbst kommen. Und das kommt höchstens erst, wenn die Generation, die den Holocaust erlebt hat, nicht mehr ist.“
Beim Finale der Kochshow gab es zwei Teilnehmer: eine „Palästinenserin“ und ihn, einen Deutschen, der in Israel lebt. „Kochen konnten wir alle beide, aber dass ich den ‚MasterChef‘ gewann, damit wurde ein Zeichen gesetzt – ein gutes Zeichen.“
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