„Unsere Nordseebäder sind judenfrei“ – Kurbäder als Vorboten der Vernichtung

„Judenfrei“ als Marketing-Strategie der Kurbäder Anfang des 20. Jahrhunderts.
© Birgit Gärtner

Ende des 18. Jahrhunderts rieten Leibärzte den Adeligen zum Kururlaub an der See und lösten somit einen richtiggehenden Hype aus: Ab 1793 wurde über einen Zeitraum von insgesamt 50 Jahren der Kurort Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) erbaut, viele weitere folgten an Ost- und Nordsee. Zunächst galten diese als Adels-Treffpunkt, dann kurte auch das Groß- und schließlich das Kleinbürgertum. So wurden die Bäder zum Spiegelbild der Gesellschaft – und ihrer Verwerfungen. Der „Bäder-Antisemitismus“ nahm vielerorts die nach der Machtübertragung an Adolf Hitler erfolgte „Rassentrennung“ vorweg: Nicht wenige Kurorte, zunächst an den deutschen Küsten dann über das Binnenland, bis in die österreichischen Alpen, machten explizit mit dem Ausschluss jüdischer Gäste Werbung, in Zeitungsinseraten und auf Postkarten mit idyllischen Motiven und der Aufschrift „XY judenfrei“. (JR)

Von Birgit Gärtner

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Deutschland, oder exakt das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, ein komplexes Gebilde mit vielen kleinen von Königen, Fürsten oder Herzögen regierten Territorien. Deshalb gab es viele Adelige – und eine überschaubare Anzahl von Juden: Um 1700 im gesamten Reich etwa 25.000, ein halbes Jahrhundert später etwa 60-70.000. Deren Leben wurde durch eine Vielzahl von Verordnungen geprägt, die dazu dienten, die jüdischen Gemeinden zahlenmäßig zu begrenzen und trotzdem an deren Besitz partizipieren zu können. So wurde u.a. die Höchstzahl der Kinder pro Familie geregelt, nur ein Sohn durfte in der Familie bleiben, die anderen mussten auswandern, sie durften keine Synagogen halten, wenngleich 1714 in Berlin eine in Anwesenheit der Königin eröffnet wurde. Zum Teil wurden sie als „Schutz-Juden“ bezeichnet und hatten einen Status, der an das Dhimmi-System im Islam erinnert: Sie waren geduldet, mussten spezielle Steuern zahlen, durften nicht missionieren und wurden öffentlich gedemütigt und diskriminiert.

Norddeutschland ist eine traditionell protestantisch geprägte Region. Der dort noch heute mit einem eigenen Feiertag bedachte Reformator Martin Luther sagte nicht nur dem Ablasshandel den Kampf an und wollte die Christen zu einem gottgefälligen – und somit puritanischem - Leben bekehren, sondern er war ein veritabler Judenhasser. Zwar gab es, schon als Martin Luther 1483 in Eisleben geboren wurde, in seiner späteren Wirkungsstätte Erfurt keine Juden mehr. Als er 1505 im dortigen Augustinerkloster aufgenommen wurde, war die Stadt ein halbes Jahrhundert „judenfrei“. Als er 1523 von einer „gewaltfreien Mission“ des Judentums sprach, gab es sowohl in Erfurt als auch in Wittenberg, wo Luther unterdessen lebte, niemanden zu missionieren. Kurfürstin Margaretha, Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Sanftmütigen, hatte 1440 die Austreibung aller Juden aus Wittenberg durchgesetzt. Martin Luther frönte trotzdem dem zu seiner Zeit vorherrschenden Antijudaismus und speiste diesen in die religiösen Schriften und damit den Protestantismus ein. Dieser überlieferte religiöse Antijudaismus gilt als einer der Gründe, weshalb so viele Protestanten zu Hitler-Anhängern wurden.

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