Ruth Klinger: Ein Leben auf der Bühne 

Im Lustspiel "Renaissance", Berlin 1929© L. Heid

Die jüdische Schauspielerin und Kabarettistin Ruth Klinger war eine Ausnahmeerscheinung im Berlin der 1920er Jahre. Zusammen mit ihrem Ehemann Maxim Sakaschansky gründete sie in der Kantstraße das jüdisch-literarische Kabaretts „Kaftan“, die einzige jiddische Kleinkunstbühne in Deutschland. 1933 emigrierte sie wegen den Nazis nach Palästina. Ein weiterer Beleg dafür, dass Palästina schon damals und immer selbstverständlich die jüdische Heimstatt auf dem den Juden vormals geraubten historisch legitimierten Gebiet und nur diese darstellte. Klinger nutzte die Bühne nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als Mittel, um politische und gesellschaftliche Themen anzusprechen. Ihre Lebensgeschichte ist ein faszinierendes Zeugnis der schrecklichen kulturellen und politischen Verwerfungen ihrer Zeit, geprägt von ihrem Kampf um künstlerische Anerkennung und persönliche Integrität. (JR)

Von Theodor Joseph

Als „Gertrud“ wurde sie geboren, „Trudl“ wurde sie von ihren Eltern und Geschwistern gerufen, „Ruthele“ und „Neschomele“ nannte sie ihr Ehemann, „Ruthkind“ einer ihrer Liebhaber, „Klingerová“ Egon Erwin Kisch und für Arnold Zweig, dessen Sekretärin sie einige Jahre war, war sie, als sie ihn für eine kurze Zeit im Haifaer Exil zurückließ, die „weggeflogene Ruth“.

Für das „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration“ machte sie u.a. folgende Angaben zu ihrer Person: Geb. am 13. März 1906 in Prag, ursprüngliche Staatsangehörigkeit CSSR, letzte Staatsangehörigkeit Schweiz, außerdem Israel. Von 1931 bis 1945 war sie mit Maxim Sakaschansky verheiratet, einem hervorragenden jiddischen Volksliedersänger. Von 1921-1923 besuchte sie die Schauspielschule an der deutschen Akademie für Musik und darstellenden Kunst in Prag und erhielt hier für die Spielzeiten 1923-25 ihr erstes Engagement am Neuen Deutschen Theater. Mitte der 20er Jahre kam sie nach Berlin und übernahm Rollen an verschiedenen Bühnen - u.a. spielte sie 150 Mal das „Jettchen Gebert“ im Theater in der Klosterstraße. 1930 zusammen mit Maxim Sakaschansky Gründerin, Leiterin und Künstlerin des jüdisch-literarischen Kabaretts „Kaftan“ in Berlin, der einzigen jiddischen Kleinkunstbühne in Deutschland; 1933 Emigration nach Palästina; 1943-1947 Sekretärin von Arnold Zweig; 1947 Auslandskorrespondentin in Prag; 1948-1953 Sekretärin der israelischen Gesandtschaft in Prag; 1953 - 1966 Beamtin im diplomatischen Dienst des Staates Israel sowie am israelischen Generalkonsulat in Bern und Zürich; 1966 - 71 Rabbinatssekretärin in Zürich; 1974-1977 Arbeit an ihrem Lebensbericht (Neudruck: Die Frau im Kaftan, hrsg. v. Ludger Heid, Gerlingen 1992); bis in ihre letzten Lebensjahre Auftritte als Diseuse; gestorben am 15. Dezember 1989 in Zürich. Dies ist die Kurzvita von Ruth Klinger.

 

Schwärmende Kritiker

Als Ruth Klinger 1926 nach Berlin kommt, hofft sie auf den Beginn einer Schauspielkarriere in einem der zahlreichen Theater der Stadt. Mitte der 1920er Jahre besitzt die Hauptstadt eine vitale Kulturmetropole von internationalem Rang, die aufstrebende künstlerische Talente magisch anzieht.

In den zahlreich überlieferten Kritiken über die Aufführungen des „Kaftan“ wird der äußeren Erscheinung Ruth Klingers breiter Raum gewidmet, wobei sich unterschwellige bis offen sexistische und rassistische Vorurteile gleichermaßen mischen. Im expressionistischen Stil der Weimarer Zeit wirken die Sprachbilder für den heutigen Zeitgenossen mitunter unfreiwillig komisch. Einige Kostproben: Ein Kritiker der „Frankfurter Zeitung“ spricht von der „schlanken, rassebetonten und mimisch begabten Sprecherin“ Ruth Klinger. Der Kulturredakteur des „Hessischen Volksfreunds“ zeichnet von ihrem Bühnenauftritt in Darmstadt im September 1931 folgendes Bild: „Wie ihre Stimme den demütigen Hauch [...] aufnimmt, wie der vollendet harmonische Körper eins wird mit jeder Erschütterung der Seele, wie dieses schmale, ebenmäßige Gesicht mit den unvergeßlichen, großen, traurigen Augen sich herabneigt unter der Wucht des Schicksals zu den erhebenden rätselhaft schönen Händen: hier ist nichts mehr von Willen um Gestaltung, hier spricht das dunkle Geheimnis einer von Gott gleichermaßen geschlagenen und erhöhten Rasse zu uns, erhöht in sich, solange sie den Schmerz um ihre grenzenlose Einsamkeit als Schicksal fernab von der geschäftigen Welt wie ein Kainszeichen in sich trägt.“

Auf den Berliner Bühnen lässt sie die Kritiker schon mal ins Schwärmen kommen. In der renommierten „Vossischen Zeitung“ fällt dem Kulturredakteur folgendes Wortspiel ein: „Im Foyer (des Theaters in der Klosterstr.) sind Fotos von ihr zu sehen: mondäne Linie mit einem Anhauch von Dämonie“. Nicht weniger schwärmerisch der Kritiker in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ über das Stück „Robinson“: „Der Wilde im knappen Faserröckchen, schokoladenbraun, zum Anbeißen – denn Ruth Klinger spielt ihn“. Über einen Auftritt im Berliner „Künstler Kabarett“ versteigt sich der Kritiker der „Film Tribüne“ zu der Aussage: „Ihr Vortrag springt einem wie eine fauchende Katze ins Gesicht. Geht ins Blut. Herrgott, ist diese Frau aufregend. Circe!“

Aber auch andere Töne sind zu vernehmen, die einem zweifelhaften Zeitgeist entsprechen. In einem Kommentar aus dem böhmischen Brüx, drei Tage bevor die Macht in Hitlers Hände fällt, ist in einer Zeitung zu lesen: „Ruth, eine seelenzarte, feinfühlige, reinrassige aber deutsch assimilierte Jüdin, mit einer rhetorisch höchst vollendeten Aussprache...“ Und selbst der unverdächtige Max Brod drückt als Kritiker des „Prager Tageblatts“ seine Begeisterung für Ruth Klinger bei einem Gastspiel in Prag aus, indem er sie „rassig interessant“ nennt.

 

Das „Kaftan“

Innerhalb der jüdischen Kulturszene nahm das Berliner Kabarett „Kaftan“ in den drei Jahren seines Bestehens zwischen 1930 und 1933 mit seinem teilweise jiddischen Programm eine besondere und einzigartige Rolle ein. Seine Gründer, der aus Polen stammende - und nur jiddisch und gebrochenes Deutsch sprechende - Schauspieler Maxim Sakaschansky und seine Frau Ruth Klinger sorgten für ein hohes Niveau sowohl des jiddischen wie auch des deutschen Programms. In Berlin lebten in den Weimarer Jahren zahlreiche Ostjuden, aber es gab Ende der 1920er Jahre keine einzige jiddische Bühne. „Literarisch, aber keineswegs exzentrisch, geschmackvoll und künstlerisch bis in die kleinste Nuance der Musik“, schrieb der Kritiker des „Berliner Tageblatts“, „ein Kabarett vom Volksliedhaften her, ohne Zoten, und manchmal, das Paradoxe gehört zu seinem Wesen, ein Kabarett der Tragiker[...]. Der Reiz dieser Kleinkunstbühne liegt nicht nur im Lokalkolorit, sondern vor allem in der Kunst“.

Das Programm des „Kaftan“ ist anspruchsvoll, „literarisch, aber keineswegs exzentrisch, geschmackvoll und künstlerisch bis in die kleinste Nuance“, heißt es nach der Eröffnungsvorstellung im Logenhaus der B'nei Brith in der Kantstraße im Oktober 1931 im „Berliner Tageblatt“. Dem Kaftan bleibt jedoch nicht viel Zeit, die daraus resultierenden Vergünstigungen zu nutzen und "sein" Publikum zu erobern.

Das Berlin, das Ruth Klinger Mitte der 20er Jahre antrifft, hat neben der größten deutsch-jüdischen Gemeinschaft ein ostjüdisches Zentrum, in das sich seit der Pogrombewegung der 1880er Jahre Juden aus Russland geflüchtet haben. Die Beziehungen zwischen den etablierten, weitgehend assimilierten deutschen Juden und den zum größten Teil proletarisch-kleinbürgerlichen, traditionell ausgerichteten Ostjuden ist spannungsgeladen bis offen feindselig. Die deutschen Juden befürchten durch die ostjüdische Zuwanderung einen verstärkten Antisemitismus. Maxim Sakaschansky verkörpert sozusagen den verachteten ostjüdischen Typus, wenngleich er allenfalls mit seiner jiddischen Sprache vom autochthonen deutschen Juden absticht.

Die Abneigung gegen die jiddische Sprache lässt sich anschaulich an folgender Episode verdeutlichen: Maxim Sakaschansky wird vom Direktor des „Kabaretts der Komiker“ am Kurfürstendamm, Kurt Robitschek, einmal mit den Worten zurückgewiesen: „Mein lieber Sakaschansky, Jiddisch wollen Sie bei mir singen? Nein, das geht absolut nicht; ich habe zu viel jüdisches Publikum“.

Die meisten Kritiker waren seit dem ersten Tag der Eröffnung des „Kaftan“ in Berlin am 14. Februar 1930 begeistert. Als die „Berliner Zeitung am Mittag“ in der ersten Zeile ihrer „Kaftan“-Kritik am 9. März 1931 schreibt: „Das ist eines der besten aller Berliner Kabaretts, ganz sicher das seltsamste und eigenartigste“, ist das Haus wochenlang ausverkauft.

Im Sommer 1931 gab der „Kaftan“ in mehr als 30 Städten Gastspiele. Die in der Regel positiven Kritiken in den jüdischen Wochenblättern hatten das Kabarett in ganz Deutschland bekannt gemacht - Ostjuden und Zionisten waren in den größeren Städten zahlreich vorhanden. „Hier hätten wir einige sorglose Jahre verbringen können“, erinnert sich Ruth Klinger, „so sehr liebte man dort ‚Mamme-Loschen‘ (die jiddische Muttersprache)“.

 

Jiddisch als Kultursprache

Die Nazis bereiten dem Kaftan und seinen Leitern ein schnelles Ende: Am 1. April 1933 („Boykotttag“) verlässt das Ehepaar Sakaschansky fluchtartig Berlin.

In den drei Jahren jiddischer Bühnenkultur in Deutschland zwischen 1930 und 1933 hat sich der Kaftan den Ruf als Träger einer anspruchsvollen, eigenständigen, ernstzunehmenden Volkskultur erworben, der mit seinen ausgeprägten Milieustudien die vielschichtige Existenz der Ostjuden mit all ihrem Elend und ihren sozialen Konflikten, aber auch deren tiefsinnigen Humor auf die Bühne gebracht und dabei gleichzeitig den assimilierten deutschen Juden den Spiegel vorgehalten hat. Selbst das „degenerierte“ und verpönte Jiddisch erfährt in diesen Jahren eine differenziertere Bewertung. Viele schrecken nicht mehr zurück, bekommen nicht mehr „das Gruseln“, wenn sie jiddische Worte hören. Das jiddische Theater, das durch Gastspiele russisch-polnischer Bühnen in Deutschland weiter bekannt wird, hat sehr wesentlich dazu beigetragen, dass bei vielen deutschen Juden Jiddisch nicht mehr als „Gemauschel“, sondern als ernsthafte Kultursprache gleichberechtigt wahrgenommen wird.

Über ihr Fluchtziel lässt Ruth Klinger keinen Zweifel: „Da gab es nichts zu überlegen. Wir gehörten nach Erez Israel, dem Traum aller Zionisten, mit denen wir ja während der letzten Jahre eng zusammengearbeitet hatten.“ Und als sie am frühen Morgen des 17. April 1933 von Bord der „Martha Washington“ geht, steht für sie fest: „Ab heute beginnt ein vollständig neues Kapitel in meinem Leben, alle Möglichkeiten stehen mir offen. Nicht mehr an Vergangenes denken, nur noch an eine gute Zukunft!“ Sie ist von der pittoresken Atmosphäre Jaffas überwältigt und von den Gedanken eines Neuanfangs beseelt, doch schon bald holt sie die harte Realität eines schweren Lebens in Palästina ein.

Kaftan Programmheft 1930© WIKIPEDIAr

Ruth Klinger muss schmerzlich erfahren, dass ihr jiddischsprachiges Programm, mit dem sie in europäischen Weltstädten reüssiert hatte, in Tel Aviv keinen Erfolg hat. Jiddisch ist als Sprache des überwundenen Ghettos verpönt, das Publikum verlangt Iwrith. Ohne Hebräischkenntnisse ist es nicht möglich, künstlerisch Fuß zu fassen. Ruth Klinger lernt die neue Sprache mit großer Intensität. Damit macht sie zugleich deutlich, dass sie sich in Palästina nicht im Wartestand befindet und eine Rückkehr im Blick hat. Nach zwei Wochen beherrscht sie ihren Text, doch ihr künstlerischer Partner und Ehemann nimmt es mit dem Lernen nicht sehr ernst, er brummt nur: „Mir soll men nit derzehlen, die Jidn hier hätten an andere Mentalität als ihre Brider in der ganzen Welt. Alle stammen sie fun die gleiche Mammes und Bobbes, alle lechzen nach a jiddischen Witz.“

 

Rückschläge und Neuanfang

Klingers und Sakaschanskys erster Bühnenauftritt im Juni 1933 soll in Tel Aviv stattfinden - in Hebräisch. Als Ruth Klinger zum ersten Mal in Palästina die Bühne betritt hält sie einen 15 Minuten langen Monolog, eine respektable Leistung. Anders dagegen Sakaschansky. Er will sich seine Texte nicht „koscher“ machen lassen. Als er nach der Pause einen Witz in Jiddisch erzählt, ertönt aus dem Saal ein schrilles „Rak Iwrith!“. Sakaschansky überhört es, und in einem gellenden Pfeifkonzert fällt der Vorgang - Tel Aviv hat einen Theaterskandal. Der populäre Dichter Chaim Nachman Bialik, empört über die Zuschauerreaktionen, ruft der aufgebrachten Menge zu: „Schämt Euch bis in die Knochen! Künstler, die noch nicht einmal die Zeit hatten, den Reisestaub von ihren Schuhen zu schütteln, derart zu behandeln!“. Für Ruth Klinger brechen magere Jahre an. Das Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben beherrscht ihren Alltag.

Nachdem ihre Ehe zerbrochen ist, kann Ruth Klinger sich seit Ende 1941 in Palästina als Solistin durchsetzen. Sie wird begleitet von einem ausgezeichneten Pianisten - der später zu den besten des Landes gehört: Abraham Daus. Er schreibt und arrangiert für Ruth Klinger die Musik zu den literarischen Texten (Heine, Mehring, Brecht, Tucholsky), so dass sie ihr Programm durch wirkungsvolle Melodramen und Songs wesentlich bereichern kann. Ihre literarisch-musikalischen Abende finden Anklang beim jekkischen Publikum. Ihr anspruchsvolles, internationales Programm besteht aus Rezitationen gestaffelt vom Dramatischen bis zum leichten Genre. Um ihren Vortragsabenden einen literarischen Rahmen von Format zu geben, kann sie Arnold Zweig und Max Brod bewegen, mit literarischen Vorreden in das Programm einzuführen. Ihre Freundschaften zu Max Brod, dem Schriftsteller und Dramaturg des „Habimah“-Theaters und - mehr noch - zu dem fast blinden Arnold Zweig nehmen im Leben der Ruth Klinger eine zentrale Bedeutung ein.

Unter dem Eindruck der Lektüre von Zweigs dokumentarischem Roman „De Vriendt kehrt heim“ schreibt Ruth Klinger im Februar 1936 Arnold Zweig einen kurzen persönlichen Brief. Es folgt ein persönliches Kennenlernen und bald eine Zusammenarbeit. Im Sommer 1943 wird sie seine Sekretärin.

Das Jahr 1944 erlebt Ruth Klinger als die Zeit ihres sich nie mehr wiederholenden künstlerischen Aufschwungs. An einem ihrer literarisch-musikalischen Abende in Tel Aviv spricht Max Brod über Franz Kafka, und Ruth Klinger bringt anschließend den stark zusammengestrichenen Monolog von Kafkas „Bericht an eine Akademie“. Sie ist ganz der menschgewordene Affe, der die Stadien seiner durch beispiellosen Fleiß errungenen Durchschnittsbildung eines Europäers schildert.

 

„Ich bin Palästinenserin“

Ihre Rückkehr in die alte Heimat Prag 1947 macht ihr sehr zu schaffen. Vieles, was sie für selbstverständlich hält, erweist sich als Irrtum. Sie ist aber schon zu lange weg von hier, seit ihrem Umzug 1925 nach Berlin gehört sie dem deutschen Kulturkreis an, und was sich seither in ihrem Leben ereignet hat, steht mit Prag in keinem Zusammenhang. Die typische Atmosphäre Prags, die ihr in Erinnerung geblieben ist, die intellektuelle Schicht der Juden und Deutschen, sie existiert nicht mehr. Ihr wird klar und sie spricht es aus: „Ich bin Palästinenserin [...]“. Für sie bedeutet Prag keine „Heimkehr“, nicht einmal im Sinne von - ins Wort, in die Kultur, in die Zugehörigkeit. Deutsch ist, wie sie Arnold Zweig mitteilt, nur noch ihre „Briefsprache“. Außer bei Egon Erwin Kisch, mit dem sie bis zu dessen Tod im März 1948 eine enge Freundschaft pflegt, kommt eine Unterhaltung in deutscher Sprache nirgends in Frage.

Ruth Klinger betätigt sich in Prag als Korrespondentin der Tel Aviver deutschsprachigen Tageszeitung „Jedioth Chadashot“, schreibt über das, was noch geblieben ist - von den ehemals 360 000 in der Tschechoslowakei lebenden Juden und von den Neuanfängen der Jüdischen Gemeinde in Prag. Mit der Prager Jüdischen Kleinkunstbühne geht sie zum letzten Mal auf Tournee, in die Slowakei, nach Karlsbad und Eger.

Als 1948 nach der Staatsgründung Israel eine diplomatische Vertretung in der CSSR einrichtet, stellt sich Ruth Klinger als Mitarbeiterin zur Verfügung. Fünf Jahre lang bleibt sie Sekretärin der israelischen Gesandtschaft, bis zu den berüchtigten antisemitischen Slansky-Prozessen des Jahres 1952. Der Prozess wird für sie zum Signal ihrer Rückkehr nach Israel, wo sie eine Stelle im israelischen Außenministerium antritt. Im Jahre 1956 wird sie vom Außenamt als Sekretärin nach Bern entsandt, wo sie bis Juli 1961 arbeitet. Von 1961 bis 1965 arbeitet sie in Zürich im Israelischen Generalkonsulat. Da sind noch die Jahre 1966 bis 1971, in denen sie als Rabbinatssekretärin der Israelitischen Cultusgemeinde in Zürich Predigten, Grabreden und Vorträge schreibt.

 

Eine überzeugte Zionistin

Ruth Klinger war eine vielschichtige Persönlichkeit: Sie war das wohlbehütete Prager Kind, die junge Berliner Schauspielerin und Kabarettistin, Emigrantin in Palästina und zugleich überzeugte Zionistin, auch eine Entwurzelte, Kämpferin für die Sache des Staates Israel. Sie war Publizistin und ihre hinterlassenen Memoiren und Briefe zeichnen sie als interessante Chronistin aus. Von heute aus betrachtet war sie eine Frau, deren Können, Intelligenz und Kreativität wie bei vielen anderen ihrer Zeitgenossinnen auch sehr wesentlich behindert wurde. Nationalsozialismus und Exil bestimmten - negativ - ihr berufliches und privates Leben, in dem zeitweilig die Sorge für das Allernotwendigste zur zentralen Lebensfrage wurde. Ihre Autobiographie, die uns einen wesentlichen Einblick in ihr Leben ermöglicht, ist auch das erschütternde Psychogramm eines Lebenswegs, den sie - bei allen Unterschieden - mit vielen ihrer Alters- und Geschlechtsgenossinnen teilt. Wenn sie vom Überwinden der Sprachlosigkeit schreibt, vom Einrichten im Alltag, von den Belastungen, denen die Partnerschaft im Exil ausgesetzt ist, von der Erfahrung der eigenen Stärke, dem Schritt in die Selbständigkeit, ist sie eine der Frauen, die uns in der Exilliteratur häufig begegnen.

Ihr künstlerischer Partner und zweifacher Ehemann Maxim Sakaschansky, geboren 1886, stammte aus Orsche in Weißrussland. Er hatte nur den Cheder und die Jeschiwe besucht. Sakaschansky war ein hervorragender jiddischer Volksliedersänger. Nach der gescheiterten russischen Revolution ließ er sich 1905 zunächst in der Schweiz nieder, ging dann nach Riga, um Ende der 1920er Jahre in Berlin jiddisches Kabarett einzuführen. Nach der Vertreibung aus Berlin 1933 versuchte Sakaschansky in Palästina, anfangs mit Ruth Klinger, später als Solist, erfolglos, ein hebraisiertes Kabarett aufzubauen. Im Januar 1952 starb Maxim Sakaschansky in Tel Aviv.

Ruth Klinger starb vor 35 Jahren am 15. Dezember 1989 im jüdischen Elternheim Hugo Mendel-Haus in Zürich. Sowohl auf der Bühne als auch im Alltag, waren es die großen, dunklen Augen, denen sich niemand entziehen konnte. Bis ins hohe Alter legte sie mit ihrem schalkhaften Charme und ihrem parodistischen Talent Zeugnis ihrer vielfältigen Begabungen und Interessen ab.

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