Schauprozess gegen Reichsbürger ist eine Verhönung der echten Gefahrenlage

Setzt die Justiz die falschen Prioritäten? Wo bleibt der Prozess gegen die Kalifat-Rufer?© FOTOGRAFIE KLAUS TI Image SourceImage Source via AFP
Derzeit läuft das zweite Gerichtsverfahren gegen eine sogenannte „Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, der vorgeworfen wird, die demokratische Grundordnung unseres Staates gewaltsam stürzen zu wollen. Zwar hängt die als „Rollator-Gang“ bekannt gewordene Gruppe eher satirisch anmutenden und kruden Verschwörungstheorien nach, die von der Politik vielfach proklamierte große Gefahr für die Bundesrepublik ist allerdings bewusst überzeichnet. Die Art und Weise der Berichterstattung und die medialen und politischen Vorverurteilungen lassen eher den Schluss zu, dass dieser Prozess vor allem von der wirklichen Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablenken soll. Rufe nach einem Kalifat auf deutschem Boden, der islamische Marsch durch die Institutionen und die explodierende islamische Gewalt werden hingegen kleingeredet und verharmlost. Gerade für die jüdischen Bürger, die an Leib und Leben bedroht sind und von den Terror-Sympathisanten und Juden-Hassern nahezu täglich beleidigt und angegriffen werden, ist dieser Prozess eine Verhöhnung ihrer tatsächlichen Probleme. Beispielsweise an Universitäten, Schulen und den öffentlichen Räumen unseres Landes. (JR)
Sogenannte Reichsbürger planten laut Bundesanwaltschaft einen Staatsstreich. Der Schauprozess gegen die Beschuldigten, die unbeabsichtigt als „Ravioli-Gang“ in die Geschichte der Memes einging, startete nun in Frankfurt in die zweite von insgesamt drei Runden. 27 Männer und Frauen waren im Dezember 2022 in einer groß angelegten Razzia - während der man unter anderem eine Menge Dosenravioli sicherstellte - von mehr als 3000 Polizisten festgenommen worden. Seitdem sitzen die eher betagten Angeklagten in Untersuchungshaft. Ende April hatte zunächst in Stuttgart die Gerichtsverhandlung um den militärischen Arm der Reichsbürger-Gruppierung begonnen. In München werden sich ab dem 18. Juni auch die übrigen mutmaßlichen Mitglieder der Truppe vor Gericht verantworten müssen. Eines ist bereits verstorben.
Gerichtsverhandlung in Frankfurt
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wird seit dem 21. Mai der Terrorprozess gegen die mutmaßliche Reichsbürger-Gruppierung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß fortgesetzt. Zum Prozessauftakt des zweiten Verfahrens wurde in einer eigens dafür gebauten Leichtbauhalle am Frankfurter Stadtrand der 65-seitige Anklagesatz verlesen. Die Bundesanwaltschaft legt den neun Angeklagten, welche als Miliz der Bande fungiert haben sollen, zur Last, Mitglieder in einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese aktiv unterstützt zu haben. Die Anhänger der Gruppe, welche im Juli 2021 gegründet wurde, seien entschlossen gewesen, gewaltsam in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen und dort Bundestagsabgeordnete sowie Mitglieder der Regierung festzunehmen. Die Anklage wirft den Rentnern deshalb die Planung eines “hochverräterischen Unternehmens” sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor. Konkret heißt es in der Anklageschrift, die Gruppe habe das Ziel verfolgt, "die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen.
Am zweiten Tag im Prozess gegen die Reichsbürger-Gruppe äußerten sich zum ersten Mal einige der Verteidiger zu den schweren Vorwürfen. Sie prangerten den Umstand an, dass Informationen an die Medien weitergegeben worden seien. Außerdem wurde schnell ersichtlich, dass sich der Prozess gegen die mutmaßlichen Verschwörer vermutlich sehr lange hinziehen wird. Stundenlang folgte ein Antrag der Verteidigung auf den anderen: Das Verhalten von Gericht, Ermittlungsbehörden und Medien wurde beanstandet, Verfahrensaussetzungen gefordert und die Weitergabe über Gesprächsinhalte und Informationen beantragt. Für Prinz Reuß, den mutmaßlichen Anführer der Gruppe, forderte die Verteidigung eine sofortige Aussetzung des Haftbefehls. Denn: Erstmals wiesen die Anwälte des 72-Jährigen alle Vorwürfe zurück und bemängelten die am vergangenen Tag verlesene Anklageschrift. Diese schildere keine Tatsachen, sondern beinhalte eine Wertung, so die Kritik des Rechtsanwaltes Roman von Alvensleben. Dabei müsse die Deutung allein dem Gericht am Ende der Verhandlung überlassen werden.
So stehe beispielsweise in der Anklageschrift in Bezug auf Prinz Reuß: “der ihm verhasste Staat”. Jedoch sei sein Mandant immer ein gesetzestreuer Bürger gewesen, der pünktlich seine Steuern gezahlt habe. Zudem habe Prinz Reuß zu keinem Zeitpunkt in seinem Leben Gewaltfantasien gegen die Bundesrepublik gehabt. Ebenso missfiel dem Verteidiger, dass bei der Verhaftung seines Mandanten im Dezember 2022 mehrere Journalisten zugegen waren. Dies spreche dafür, dass im Vorfeld Ermittlungsergebnisse an die Presse weitergegeben worden seien. Die Bilder, die an diesem Tag entstanden, hätten zu einer Vorverurteilung seines Mandanten geführt.
Polizeieinsatz wie in einem Drehbuch
Ein kurzer Rückblick zu den Ereignissen, die vor fast eineinhalb Jahren alles in Gang gebracht haben: Am frühen Morgen des siebten Dezember 2022 fällt ein Spezialeinsatzkommando der hessischen Polizei in das gehobene Wohnviertel im Frankfurter Westend ein. Der mutmaßliche Terrorführer, Heinrich XIII. Prinz Reuß, liegt da noch im Bett. Während mehrere Kamerateams vor seinem Haus dramatische Fernsehbilder von martialisch bewaffneten Spezialkräften produzieren - unter anderem mit einer schweren Kettensäge ausgestattet - notiert die Polizei nüchtern, dass der Zugriff innen ohne besondere Vorkommnisse erfolgt sei. Lediglich die Eingangstür des Prinzen sei beschädigt worden, so die Ermittler. Zudem sei es etwas staubig und unordentlich in der Wohnung gewesen. Der Verdächtige habe sich kooperativ gezeigt. Er wurde "in Schlafbekleidung" angetroffen, durfte sich aber bald umziehen und auch die Handschellen wieder ablegen. Ohne zu zögern offenbarte er die Entsperr-Codes für seine SIM-Karte und sein Smartphone. Die Frage der Ermittler, ob es Sprengfallen oder geheime Tunnel auf dem Gelände seines Jagdschlosses in Thüringen gäbe, verneinte er.
Was gerade vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt verhandelt wird, klingt nach dem Drehbuch eines plump erdachten Fernsehfilms und ist doch – zumindest aus Sicht der Generalbundesanwaltschaft – die wohl bislang größte Verschwörung, die es je in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gegeben hat. Prinz Reuß, der Kopf dieses "hochverräterischen Unternehmens“, war darin der Protagonist und sein Waldschloss, das Hauptquartier der Verschwörer, das Set. Die Militärstruktur der Organisation sei laut Anklage bereits weit fortgeschritten gewesen, als die Festnahmen erfolgten. Das Ziel des angeblich geplanten Umsturzes sei es gewesen, einen Rat zu installieren, der Deutschland in die Staatsform des Deutschen Reichs von 1871 zurückversetzen sollte. In diesem hätte es Posten nach Art von Ministerien gegeben. Kandidaten für diese wurden bereits gehandelt, einige davon werden neben Prinz Reuß bald auf der Anklagebank sitzen.
Es ist eine illustre Runde, die sich dem Publikum vor Gericht präsentiert. Dazu zählt zum Beispiel die 59-jährige Birgit Malsack-Winkemann, frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin außer Dienst in Berlin. Ihr sei laut Anklage der Posten einer Art Justizministerin zugesagt worden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens hat sie sich umfangreich zu den Vorwürfen geäußert. Es ist zu erwarten, dass sie das auch innerhalb des Verfahrens tun wird. Mit Maximilian Eder und Peter Wörner sind außerdem zwei ehemalige Soldaten der Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) der Bundeswehr unter den Angeklagten. Sie sollen zu den Verschwörern der ersten Stunde gehört haben. Auch der Angeklagte Rüdiger von P. diente früher in einer Spezialeinheit der Bundeswehr. Der Angeklagte Michael F. war bis zu seiner Suspendierung im Jahr 2020 als Polizist in Niedersachsen tätig und im Bundestagswahlkampf 2021 Spitzenkandidat der Splitterpartei "Die Basis", welche 2020 im Rahmen der Proteste gegen die Schutzmaßnahmen zur COVID-19-Pandemie gegründet wurde.
Wie gefährlich ist die „Rollator-Bande“?
Doch wie gefährlich war die Organisation tatsächlich? Nach der medienwirksam inszenierten Festnahme waren die mutmaßlichen Verschwörer und das Ermittlungsverfahren gegen sie von konservativen Akteuren als "Rollator-Putsch" verlacht worden - allen voran von der AfD, der es sicher nicht gelegen kam, dass eine ehemalige Bundestagsabgeordnete aus den eigenen Reihen zu den Beschuldigten zählte. So meldete sich bald nach deren Festnahme ein Anwalt im Auftrag der Partei bei der Bundesanwaltschaft und verlangte Akteneinsicht zur Rolle Malsack-Winkemanns. Der zuständige Bundesanwalt Kai Lohse lehnte dies ab und verwies dabei auf die weiter andauernden Ermittlungen.
Zur ehrlichen Betrachtung der gesamten Angelegenheit gehört sicherlich die Tatsache, dass die Angeklagten irren Verschwörungstheorien anhingen und dies womöglich weiterhin tun. So sollen sie überzeugt davon gewesen sein, dass ein mächtiger Geheimbund namens "Allianz", der aus den ehemaligen Siegermächten des Zweiten Weltkriegs bestehen soll, in absehbarer Zeit an die Macht in Deutschland kommen würde. Ebenso gingen sie von der Existenz unterirdischer Tunnelsysteme aus, in denen Kinder gefangen gehalten und gefoltert würden, um aus deren Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen. Deshalb haben einige Mitglieder der Gruppe sogar bis zu eine halbe Million Euro an Betrüger in der Schweiz gezahlt, die vorgaukelten, einen Zugang zu einem der Tunnelsysteme finden zu können.
Die Bundesanwaltschaft hat trotz alledem keinen Zweifel daran, dass die Gruppe entschlossen und fähig war, Menschen ernsthaft zu verletzen oder gar zu töten, um ihre Ziele zu verwirklichen. Und dabei spielt es nun einmal keine Rolle, ob diese Ziele realistisch waren, denn auch ein kläglicher Versuch hätte eventuell Menschenleben kosten können. Die Gruppe war also durchaus gefährlich, wenn auch nicht bedrohlich für unsere Demokratie.
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