Blinder Gehorsam: Deutschland würde Benjamin Netanjahu verhaften

Wie würde sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entscheiden?
© EMMANUELE CONTINI NurPhoto NurPhoto via AFP

Fast 80 Jahre nach dem Holocaust vernimmt man aus dem deutschen Bundeskanzleramt, dass man den israelischen Premierminister tatsächlich verhaften würde, falls der Internationale Gerichtshof den beantragten Haftbefehl wirklich ausstellt. Der Pressesprecher des Kanzlers, Steffen Hebestreit, betont dabei, dass man sich in Deutschland schließlich an „Recht und Gesetz“ halte. Adolf Eichmann wäre sicher stolz auf diese Einlassung. Auch er hatte sich entsprechend seiner eigenen Aussage, bei der Ermordung von Millionen Juden während der Shoa, nur an Recht und Gesetz gehalten. Nicht mehr und nicht weniger. (JR)

Von Benjamin Weinthal

Israels Botschafter in Berlin Ron Prosor war am Mittwoch von Bundeskanzler Olaf Scholz‘ Regierung brüskiert, nachdem der Gesandte auf X (früher twitter) einen dramatischen Appel an die Bundesregierung abgab die Legitimität des IStGH komplett zurückzuweisen.

Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit wurde am 22. Mai gefragt, ob die deutsche Regierung einen Haftbefehl des IStGH gegen Premierminister Netanyahu wegen angeblicher Kriegsverbrechen während der Operation Eisenschwerter durchsetzen würde.

Hebestreit sagte: „Natürlich. Wir halten uns an Recht und Gesetz.“

Einen Tag zuvor, vor Hebestreits Ankündigung, schrieb Ron Prosor auf X auf Deutsch und Englisch: „Eine Unverschämtheit! Jetzt steht die Staatsraison auf dem Prüfstand – ohne Wenn und Aber. Im Gegensatz dazu stehen die wachsweichen Statements, die wir von einigen Institutionen und politischen Akteuren hören. Die Aussage, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung, verliert an Glaubwürdigkeit, wenn man uns die Hände fesselt, sobald wir davon Gebrauch machen.“

„Staatsräson“ bezieht sich auf Deutschlands Zusicherung, Israels Sicherheit zu gewährleisten sei Teil der deutschen nationalen Sicherheit und Interessen. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte 2008 in ihrer Rede vor der Knesset, dass Israel Teil des deutschen raison d’être sei.

Der Botschafter fuhr fort: „Der Chefankläger setzt eine demokratische Regierung mit der Hamas gleich, damit dämonisiert und delegitimiert er Israel und das Jüdische Volk. Er hat seinen moralischen Kompass völlig verloren. Deutschland hat die Verantwortung, diesen Kompass wieder auszurichten. Diese schändliche politische Kampagne könnte zum Sargnagel für den Westen und seine Institutionen werden. Lassen Sie es nicht dazu kommen!“

 

IStGH wurde in Reaktion auf den Holocaust gebildet

Der Internationale Strafgerichtshof wurde als Reaktion auf Nazi-Deutschlands Vernichtung von 6 Millionen Juden gebildet. Deutschland ist ein großzügiger Spender des IStGH. Die Möglichkeit, dass eine deutsche Regierung einen israelischen Premierminister und einen israelischen Verteidigungsminister verhaften und ausliefern würde, sollten sie einen Fuß auf deutschen Boden setzen, hat angesichts der Geschichte der Hitler-Bewegung zu empörten Berichten in den deutschen Medien und in den sozialen Medien ausgelöst.

Deutschland scheint in seiner diplomatischen Kommunikation an gegensätzlichen Zielen zu arbeiten. Am 21. Mai sagte ein Sprecher des deutschen Außenministeriums über die Anträge auf IStGH-Haftbefehle: „Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite ist der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden.“

Getrennt davon, aber damit in Verbindung kritisierte die israelische Regierungssprecherin Tal Heinrich den deutschen Beamten Michael Blume scharf, der in Baden-Württemberg mit der Bekämpfung von Antisemitismus beauftragt ist, aber laut deutschen Antisemitismus-Experten Israels Regierung für den Massenmord am 7. Oktober verantwortlich gemacht hat.

Heinrich reagierte auf Berichte, Blume habe die israelische Ikone Orde Wingate verleumdet, auf Blumes Aufrufe, die israelische Regierung solle den Sicherheitszaun abbauen, der den Terror von Hamas, des „Palästinensischen Islamischen Jihad“ und der Fatah aufhalten soll, sowie auf seine Sympathie für die Klage gegen den jüdischen Staat beim IStGH.

Die Hamas schlachtete am 7. Oktober fast 1.200 Menschen ab und verschleppte mehr als 250.

Heinrich sagte gegenüber der Post: „Eine der ersten Stellungnahmen des Premierministers zu Beginn des Krieges – unmittelbar nach dem 7. Oktober – unterstrich, dass dies eine Zeit für moralische Klarheit ist. Kommentare, die wir von Herrn Blume in der Vergangenheit zum israelisch-palästinensischen Konflikt und während dieses Krieges gesehen haben, demonstrieren, dass ihm moralische Klarheit oft fehlt.“

Die israelische Regierungssprecherin fügte an: „Es ist nicht meine Aufgabe zu sagen, ob er seine Rolle behalten sollte oder nicht. Aber allgemein gesprochen: Wenn du den Auftrag hast Antisemitismus zu bekämpfen, dann solltest du in der Lage sein klar zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Es gibt bei Judenhass keine Grauzonen.“

Am 21. Mai, dem Tag, an dem IStGH-Ankläger Karim Khan sagte, er wolle Netanyahu und Verteidigungsminister Gallant verhaften lassen, nutzte Blume X erneut, um den israelischen Nationalhelden Orde Wingate als „Kriegsverbrecher“ niederzumachen. Orde Wingate wurde vom ehemaligen Knessetabgeordneten und Botschafter in den USA Michael Oren als „Vater der IDF“ bezeichnet; Oren sagte 2022 gegenüber der Post, dass Blume wegen seinen Angriffen auf Wingate „zurücktreten sollte“. Die IDF rügte Blume damals ebenfalls wegen dessen vernichtender Kritik an Wingate.

Das Timing von Blumes Attacke auf Wingate wurde von Blumes Kritikern vermerkt, als er gegen Wingate austeilte und den IStGH-Ankläger Karim Khan gegen Netanyahus Vorwurf verteidigte, Khans Entscheidung sei antisemitisch. Blume begrüßte auch einen X-Post, in dem erklärt wurde, die Entscheidung einen Haftbefehl gegen Netanyahu auszugeben sei „richtig“.

 

Antisemitismusbeauftragter fällt Israel in den Rücken

Blume „likte“ früher schon einen X-Post und repostete ihn, der Netanyahu aufforderte den Sicherheitszaun in Judäa und Samaria „niederzureißen“, der laut IDF das Leben tausender Juden und Araber gerettet hat. Blume setzte den Antiterror-Zaun mit der Berliner Mauer gleich. Brigadegeneral (a.D.) Amir Avivi, Leiter des Israel Defense and Securitiy Forums, sagte gegenüber der Post: „Es ist an der Zeit Blume zu feuern, der, statt sich inmitten des schrecklichsten Angriffs auf unschuldige Zivilisten seit dem Holocaust auf die Seite Israel zu stellen, einmal mehr durcheinanderbringt, wer die Guten sind und von wo das reine Böse ausgeht. Israel baut Mauern um sich gegen die Hamas und andere Terrororganisationen zu verteidigen. Es ist an der Zeit die Palästinenserführung und auch Blume zur Verantwortung zu ziehen.“

Blume hat überall in Deutschland Reden gehalten die für den 7. Oktober in erster Linie Israel und nicht die Hamas verantwortlich gemacht, so seine Kritiker. Über Netanyahu sagte er Studenten der Universität Tübingen: „Seine Regierungskoalition mit Rechtextremisten und Ultraorthodoxen spaltet die israelische Gesellschaft mit dem Versuch die Gewaltenteilung abzuschaffen und die israelische Armee bei den Siedlern in der Westbank zu stationieren, statt den eigenen Süden zu schützen.“

Natan Sharansky, ein früherer sowjetischer Dissident und ehemaliger Minister in der israelischen Regierung, nannte einen X-Post Blumes, in dem er suggerierte, er werde von einer angeblichen israelischen Geheimdienst-Firma überwacht, „antisemitisch“. Blume lieferte keinerlei Belege.

Sharansky sagte letztes Jahr, es gebe „keine Zweifel, dass sein [Blumes] Tweet … antisemitisch ist. Weil er unser Volk dämonisiert und in klassische antisemitische Verschwörungstheorien eintaucht. Es ist legitim die Frage zu stellen, warum die deutsche Regierung ihn dafür bezahlt Antisemitismus zu bekämpfen.“

Matthias Gauger, ein Sprecher des baden-württembergischen Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, lehnte es ab zu kommentieren. Kretschmann hat sich Kritik ausgesetzt gesehen, weil er den Blume vorgeworfenen Antisemitismus unterstützt und einen antisemitischen BDS-Prediger in der Westbank finanziell unterstützt, so ein Bericht in der Post.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jerusalem Post.

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