Der 8. Mai 1945 - Niederlage oder Befreiung?

Generaloberst Alfred Jodl unterzeichnet die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 7. Mai 1945 in Reims.© STF/AFP

Die deutsche Wehrmacht musste wegen der Angriffe der Alliierten in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 bedingungslos kapitulieren und der Zweite Weltkrieg fand damit formal in Europa sein Ende. Nur damit hatte Deutschland eine reelle Chance auf einen echten demokratischen Neubeginn. Ein Ergebnis, das genau in diesem Sinne für Gaza und das dortige feige Mord-Regime gelten sollte. Ganz anders als bei den Nazis, versucht der Westen die Niederlage der Mörder-Bande in Gaza zu verhindern und nimmt damit, nicht nur den Juden, sondern auch den dortigen Menschen die Chance, in Freiheit zu leben. Für die einen markiert dieser Tag die Befreiung vom Nazi-Regime, für andere, unverbesserlich Ewiggestrige, eine militärische Niederlage. Größenwahn, Herrenmenschdenken und abgrundtiefer Judenhass kosteten in nur sechs Jahren Krieg mehr als 70 Millionen Menschen das Leben. Unter ihnen waren 6 Millionen willkürlich, systematisch und industriell ermordete jüdische Kinder, Frauen und Männer. (JR)

Von Theodor Joseph

Der 8. Mai 1945 hat es für jedermann sichtbar gemacht – Deutschland hatte seine Reputation vor der Weltöffentlichkeit verspielt. Der 8. Mai 1945 steht für eine historische Zäsur. Dieser Tag markiert das Ende einer zwölfjährigen Schreckensherrschaft, einer Gewaltorgie, wie sie die Welt zuvor nicht gesehen hatte. Bedingungslose Kapitulation, Befreiung von Unrecht und Terror, Fremdherrschaft, Teilung des Landes, gewaltige Machtverschiebungen, geopolitische Neuordnung in Europa, Gründung von UNO und NATO, Gründung des Staates Israel, kurz: Niederlage oder Befreiung? All dies kulminiert in dem Datum 8. Mai 1945 und macht die historische Bedeutung für Europa und die Welt kenntlich. Der Blick zurück auf den 8. Mai 1945 offenbart Abgründe politischen und menschlichen Handelns, zeigt einen Zivilisationsbruch auf.

 

„Kein Tag zum Feiern“

„Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern“, so begann Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 seine Ansprache in der Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages aus Anlass des 40. Jahrestages der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Und dann folgte ein Satz aus dem Munde des Bundespräsidenten, der bis dahin in dieser Deutlichkeit öffentlich noch nicht ausgesprochen worden war und kontroverse Reaktionen zeitigte: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“. Ein schlichter Satz, der durch seinen Nachsatz erst seine eigentliche Bedeutung erfuhr: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen“. Das Bonner Plenum verharrte einen Augenblick lang in einer gewissen Schockstarre, doch dann ließ sich bei den Volksvertretern eine Reaktion vernehmen. Mit und frei nach Heinrich Heine: „Ich glaub, ich hörte Beifall schallen. Ein hochverehrtes Publikum beklatschte dankbar seinen Präsidenten“. Im Bundestag kam Beifall auf. Viele im Hohen Haus mögen bei diesen Worten ihres Präsidenten ein Gefühl von Erleichterung verspürt haben, bei einigen erfolgte eine beifällige Zustimmung wohl eher aus Verlegenheit.

Seit der Weizsäcker‘schen Rede vom 8. Mai 1985 hat sich die europäisch-politische Landschaft wesentlich verändert, bei den Deutschen sich eine Art gesellschaftspolitischer Perspektivwechsel vollzogen. Und schon deswegen lohnt es sich, diese Gedenkrede noch einmal zu lesen. Im Jahre 1985 war Deutschland noch nicht wiedervereinigt und niemand hätte sich ernsthaft vorstellen können, dass die Berliner Mauer und die Todesstreifen entlang der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten vier Jahre später verschwinden würde. Und auch niemand hätte geglaubt, dass nach der Beendigung des Kalten Krieges Russland einen Nachbarstaat angreifen und dessen Gebiete annektieren würde.

Im Kontext des jüdischen Schicksals

Mit ungewöhnlicher Deutlichkeit und wie selten zuvor stellte v. Weizsäcker seine Gedenkrede im Mai 1985 in den Kontext des jüdischen Schicksals. Am Anfang der NS-Gewaltherrschaft habe, so der Bundespräsident, der abgrundtiefe Hass Hitlers gegen die Juden an sich gestanden. Ein Hass, den Hitler nie vor der Öffentlichkeit verborgen und das deutsche Volk damit kollektiv zu Mitwissern und Werkzeugen am singulärem Menschheitsverbrechen an den Juden gemacht hatte. Man solle nicht vergessen, dass der braune Diktator, und mit ihm seine verlumpten Komplizen, am Tage vor seinem Selbstmord am 30. April 1945 als seinen letzten Willen die Führung der Nation und die Gefolgschaft, also das deutsche Volk, zur „peinlichen Einhaltung der Rassegesetze“ und zum „unbarmherzigen Widerstand“ gegen den „Weltvergifter aller Völker, dem internationalen Judentum“ verpflichtete. Das war Hitlers Testament, seine eindringliche Botschaft an die Deutschen über den 8. Mai 1945 hinaus, was den Schluss zulässt, dass für ihn der Judenmord Vorrang vor einem militärischen Sieg besaß.

Im Vorfeld des 8. Mai 1985 hatte es umfangreiche Debatten gegeben, ob das Kriegsende als Befreiung oder militärische Niederlage zu bewerten sei. Insofern war das breite, zumeist positive, Echo der Weizsäcker-Rede auch eine Folge der Erleichterung darüber, dass das schwierige Gedenkjahr einen so versöhnlichen Abschluss gefunden hatte.

Die Bürger in beiden deutschen Staaten hatten allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrwegs ihrer Geschichte zu erkennen. Doch fehlte vielen Deutschen nach Kriegsende die Einsicht in die verbrecherischen Strukturen der Nazi-Regierung. Nicht wenige Deutsche hatten geglaubt, für eine gute Sache des eigenen Landes gekämpft und gelitten zu haben, hatten in der nationalsozialistischen Idee nicht nur Negatives oder gar Verabscheuungswürdiges gesehen, was zu verurteilen gewesen wäre und waren überzeugt, dass nicht alles „schlecht“ im Nationalsozialismus gewesen sei.

 

Schwere historische Erbschaft

Alle Deutsche, ob schuldig gewesen oder nicht, ob alt oder jung, auch die durch erworbene Staatsbürgerschaft Hinzugekommenen, müssen die ganze deutsche Geschichte auch mit all ihren Abgründen annehmen. Alle Deutschen haben, auch wenn sie keine persönliche Schuld trifft, durch ihre Vorfahren eine schwere historische Erbschaft aufgebürdet bekommen, vor der sie die Augen nicht verschließen dürfen. Wir sind, was wir erinnern. v. Weizsäcker mahnte: „Das jüdische Volk erinnert sich und wird sich immer erinnern.“

Der 8. Mai 1945 wurde oft als die „Stunde Null“ apostrophiert, was Millionen Deutschen als euphemistischer Begriff dafür diente, die NS-Vergangenheit zu verdrängen, um sich nicht eingestehen zu müssen, in irgendeiner Weise im System mitverstrickt gewesen zu sein. Die „Stunde Null“, der Wiederaufbau des zerbombten Landes oder das „Wirtschaftswunder“ ließen den meisten Deutschen wenig Zeit und Gelegenheit, sich wahrhaftig der Vergangenheit zu stellen. Man fand immer einen Weg für eine wohlfeile Exkulpation.

Die „Stunde Null“ hat es in Wirklichkeit nie gegeben, im Gegenteil, die NS-Eliten waren nicht mit einem Mal verschwunden, konnten ihre Karrieren nach 1945 ungestört fortsetzen und den NS-Geist perpetuieren. Gleichwohl ist der Begriff zu einer Metapher für einen Neuanfang geworden, wie der 8. Mai 1945 auch zahlreiche sprachliche Neuschöpfung hervorgebracht hat, die den Zweck hatten, die vergangenen zwölf Jahre hinter sich zu lassen: Unbewältigte Vergangenheit, Wiedergutmachung, Kollektivschuld vs. Kollektivscham, Entnazifizierung …

Mit dem 8. Mai 1945 ist der Antisemitismus in Deutschland nicht obsolet geworden. Wer den Antisemitismus von heute verstehen will, der muss die Gegensätze im Denken und Fühlen von gestern sehen. Deutschland stellte mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Uhren auf null, eine selbst auferlegte kollektive Amnesie sollte die Spontanheilung der Nation herbeiführen und die Dämonen der Vergangenheit vertreiben. Für das jüdische Volk dagegen lebten die Dämonen als Nachbarn weiter fort. Für die Überlebenden schien die Zeit der Trauer nie zu vergehen, schienen und scheinen weiterhin die Wunden unheilbar.

 

Fremde im eigenen Land

Für die Juden in den Konzentrationslagern waren die Siegermächte keine Feinde, sondern Befreier, aber sie selbst blieben Fremde im eigenen Land. Die auf dem Weg nach Übersee und Palästina/Israel Gestrandeten waren heimat-, besitz- und sprachlos. Ihre Rückkehr oder gar Besitzansprüche waren unerwünscht. Die deutsche Bevölkerung hatte sich mit den Enteignungen bereichert, wehrte aber finanzielle Ansprüche lange ab und behandelte die überlebenden Juden als Fremde auf Durchreise.

Aus eigener Kraft sich von der Gewaltherrschaft zu befreien, haben die Deutschen nicht vermocht. Dazu bedurfte es der Anstrengung durch die alliierten Siegermächte, die das Volk zu demokratischem Verhalten verpflichtete. Deutschland hat sich vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, ein Grundgesetz gegeben, das sich vor der Weltgemeinschaft sehen lassen kann und jedem Vergleich standhält. In diesem Gesetz mit Verfassungsrang bekennt sich das deutsche Volk zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten“ als Grundlage jeder menschlichen Gesellschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Das ist ein in Stein gemeißeltes Bekenntnis an die Völkergemeinschaft. Fast achtzig Jahre nach dem 8. Mai 1945 haben die Deutschen im Großen und Ganzen ihre historische Lektion gelernt, auch wenn sie immer noch etwas dazulernen können.

Richard von Weizsäcker beendet seine Rede am 8. Mai 1985 mit einem Appell an die deutsche Jugend: „Lassen Sie uns nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen, gegen Russen oder Amerikaner, gegen Juden oder Türken, gegen Alternative oder Konservative, gegen Schwarz oder Weiß. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander“. Diese Worte haben auch 39 Jahre danach nichts von ihrer allgemeinen Gültigkeit verloren.

Sehr geehrte Leser!

Die alte Website unserer Zeitung mit allen alten Abos finden Sie hier:

alte Website der Zeitung.


Und hier können Sie:

unsere Zeitung abonnieren,
die aktuelle oder alte Ausgaben bestellen
sowie eine Probeausgabe bekommen

in der Druck- oder Onlineform

Unterstützen Sie die einzige unabhängige jüdische Zeitung in Deutschland mit Ihrer Spende!

Werbung


Alle Artikel
Diese Webseite verwendet Cookies, um bestimmte Funktionen zu ermöglichen und das Angebot zu verbessern. Indem Sie hier fortfahren, stimmen Sie der Nutzung von Cookies zu. Mehr dazu..
Verstanden