Alexander Wendts Buch „Verachtung nach unten“ – Zur Verteidigung der Demokratie

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Wie konnten sich die „Erwachten“ mit ihren Ideen so schnell ausbreiten, Begriffe prägen, Institutionen erobern? „Nie wieder ist jetzt!“ schallt das Motto durch deutsche Städte, wo sie mit triumphierender Miene und gleichzeitigem widerwärtigem Schulterschluss mit Linksextremen und israelfeindlichen Pro-„Palästinensern“ demonstrieren. In seinem Buch „Verachtung nach unten“ zeigt der Journalist und Buchautor Alexander Wendt präzise auf, wie eine „regressiv-progressive“, selbsternannte pseudo-moralische Elite die Errungenschaften der Aufklärung zunichte macht. Auch sein Ausgangspunkt ist das „Jetzt“, eine Zeit, in der der demokratische Rechtsstaat erneut gefährdet ist, da er von vielfältigen neolinken Ideologien – allen voran der Identitätspolitik - ausgehöhlt wird. (JR)

Von Regina Bärthel

Die progressiven, großteils staatlich finanzierten Organisationen sind sich einig: „Nie wieder ist jetzt!“. Und so schallt das Motto durch deutsche Städte, wo im Schulterschluss mit Linksextremen und israelfeindlichen Pro-„Palästinensern“ demonstriert wird. „Jetzt“ ist allerdings nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mit zahllosen Ermordeten und noch immer verschleppten Geiseln. „Jetzt“ ist auch eine Zeit massiver Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens, wie sie nicht nur an Universitäten in den USA und Europa verübt werden. Dennoch demonstriert man im Schulterschluss mit Linksextremisten und israelfeindlichen Pro-„Palästinensern“ „gegen Rechts“. Die Differenzierung zwischen rechts und rechtsextrem ist dabei längst obsolet; gemeint sind all jene, die den Glauben an linke Ideologien nicht teilen. Was aber geschieht mit einer Demokratie, die auf den Widerstreit politischer Denkrichtungen verzichtet?

Heute bestimmt – in Umkehr des marxschen Diktums – das Bewusstsein das Sein. Nur wer die „richtige Haltung“ zeigt, gehört zu den Auserwählten. Alle anderen werden mit Verachtung bestraft. Die Wahrnehmung von Bürgerrechten wird nur dem gewährt, der sich jener Moral unterwirft. Bei den aktuellen Protesten gegen die Politik der Ampel-Koalition gehen Menschen auf die Barrikaden, um für ihre Existenzgrundlage und Selbstbestimmung zu kämpfen. Müsste das nicht Wasser auf den Mühlen der politischen Linken sein? Stattdessen werden die Proteste von Bauern und dem Mittelstand herablassend als Aufstand des „Mistgabel-Mobs“ (Spiegel) bezeichnet.

In seinem Buch „Verachtung nach unten“ zeigt der Journalist und Buchautor Alexander Wendt präzise auf, wie eine „regressiv-progressive“ Moralelite die Errungenschaften der Aufklärung zunichte macht. Auch sein Ausgangspunkt ist das „Jetzt“, eine Zeit, in der der demokratische Rechtsstaat erneut gefährdet ist, da er von vielfältigen neolinken Ideologien – allen voran der Identitätspolitik - ausgehöhlt wird.

Denn die klassischen linken Sozialutopien haben sich, so Wendt, in ein „parareligiöses System mit linkem Dekor“ verwandelt, das die Gesellschaft in „Zentrum“ und „Peripherie“ spaltet: In seiner Definition wird das Zentrum von Neulinken bevölkert, denen die Utopien einer freien und gleichen Gesellschaft nur mehr als Legitimationsnarrativ dienen. Tatsächlich aber sehen sie sich als Träger einer überlegenen Moral, als Verwahrer des quasireligiösen Wahren und Guten – das sie selbst als solches definieren. Sich ihnen anzuschließen, gleicht einem neuzeitlichen Ablasshandel.

ußerhalb dieser global vernetzten Gemeinschaft liegt die Peripherie aus jenen, die sich der neuen Heilslehre versagen. Sie finden sich, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen oder politischen Ausrichtung, ausgegrenzt - hinter einer Brandmauer aus Verachtung. Hier tummeln sich Künstler und Publizisten, Wissenschaftler und Durchschnittsbürger. In inquisitorischen Verfahren ohne rechtliche Grundlage wird diesen Ketzern die fachliche wie persönliche Reputation zerstört; sie sterben einen sozialen Tod. So entsteht ein neuer Tribalismus aus zwei Stämmen, deren sprachliche wie kulturelle Verschiedenheit eine konstruktive Debatte unmöglich macht.

 

Neuer kultureller Kapitalismus

Eine Debatte, die ohnehin unerwünscht ist. Die Moralelite setzt alles daran, durch Sprachregelungen die Wahrnehmung der Realität zu kontrollieren. Das magische Denken der Neulinken – der Sprechakt gestaltet, ja erschafft die Wirklichkeit – reicht dabei bis in die Wirtschaft. Befördert wird damit ein neuer Kapitalismus, dessen harte Währung nicht mehr materialistisch bestimmt ist, sondern durch das „kulturelle Kapital“: Es besteht sowohl aus der Definitionsmacht über Begriffe als auch aus der Macht der Aufmerksamkeitssteuerung. Dieses Kapital versammelt sich im Zentrum, also unter jenen, die die öffentliche Meinung bestimmen und lenken.

Immer schon haben sich Kapital und Macht verbunden. Dennoch erstaunt es, wie umfassend sich die Wirtschaft, insbesondere global agierende Konzerne, den neuen Heilslehren unterwerfen. Nicht nur die Wohlfühlindustrie, Produzenten von Lastenfahrrädern, veganem Fleischersatz oder E-Autos, profitieren von den finanziell gutgestellten Wohlmeinenden. Auch die konventionelle Wirtschaft sucht nach Anschluss, um an Absatzmärkten teilzuhaben.

Wendt zeigt, wie einerseits neue Firmen unter Nutzung neulinker Ideologien entstehen und sich andererseits Großkonzerne diese zunutze machen: Geworben wird nicht mehr mit Kompetenz, sondern mit Identitätspolitik. Der so entstehende Neokapitalismus ermöglicht ungeahnte Verbindungen zwischen wenig harmonierenden Bereichen: zwischen linker Kapitalismuskritik, in der Unternehmen das System gewordene Böse darstellen, und den Digital- oder Finanzkonzernen. Detailgenau zeigt Wendt diese politische Ökonomie auf.

 

Lob der Bürgergesellschaft

Alexander Wendt ist ein Zweifelnder. Gleich dem ungläubigen Thomas legt er den Finger in die Wunde, um die Wirklichkeit zu überprüfen. Das zeigt ihn als kritischen, Dogmen misstrauenden Journalisten, zugleich steht er damit auch in der Tradition der westlichen Kultur: Nur in ihr ist es – trotz einiger Fehlschläge – gelungen, eine freiheitliche Gesellschaft aufzubauen. Und mit ihr die Demokratie, die nur durch Gewaltenteilung und den Widerstreit politischer Ideen existieren kann. Ein Prinzip, das aktuell wieder auf dem Spiel steht. In einem höchst interessanten, weit in die Kulturgeschichte des Westens greifenden Kapitel liefert Wendt einen historischen Abriss der Entstehung des „Bürgers“ seit der Antike. Wegweisende Einsichten für das letzte Kapitel, das sich um den Entwurf eines „Provisorischen Friedens“ im aktuell tobenden Kulturkrieg bemüht.

„Verachtung nach unten“ ist eine gründlich recherchierte Mischung aus Reportage und Analyse, immer wieder durchsetzt von feinem Humor. Wendt führt den Leser in einer spiralförmigen Bewegung und mit zahlreichen Belegen aus Geschichte, Soziologie und Philosophie zurück zum Ursprung der westlichen Kultur: dem aufgeklärten, eigenverantwortlichen Bürgertum. Trotz der tiefen Brüche, die das Buch aufzeigt, endet es mit einer wohltuend optimistischen Perspektive zur Rettung der Demokratie.

 

Alexander Wendt: Verachtung nach unten. Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht – und wie wir sie verteidigen können.

Olzog-Edition im Lau-Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen,

372 Seiten, 26,00 €.

 

Regina Bärthel studierte Kunstwissenschaften und Germanistik. Sie leitete den Kommunikationsbereich verschiedener Kultureinrichtungen und veröffentlichte Texte zur bildenden Kunst. Heute ist sie als Journalistin und Essayistin tätig, unter anderem für die „Junge Freiheit“.

 

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