Über 120 Tage Krieg in Israel – Im Tirtzu im Einsatz für die Soldaten

Yonathan Shay verteilt im Auftrag von Im Tirtzu Spenden an die Soldaten.© MENAHEM KAHANA/POOL/AFP

Im Tirtzu ist die NGO in Israel, deren politische Aufklärungsarbeit besonders nach den schrecklichen Ereignissen des 7. Oktobers für Israel von großer Wichtigkeit ist. Darüber hinaus leistet die Organisation wichtige Hilfestellung für die bereits seit vier Monaten in heldenhaftem Einsatz gegen das pure Böse in Gaza kämpfenden Soldaten der IDF. Die Mitarbeiter von Im Tirtzu sammeln dazu Sachspenden und bringen sie unter aufopferndem persönlichem Engagement zu den Soldaten an die Front. Der Einsatz ist vor allem auch für die moralische Unterstützung und für die Kampfmoral der zumeist jungen israelischen Soldaten von außerordentlicher Bedeutung. Das Spendenkonto für im Tirtzu finden Sie unter dem Artikel. (JR)

Ein Erfahrungsbericht von Yonatan Shay

Das brutale Massaker, das von nazistischen Hamas-Terroristen am 7.10. im Süden Israels verübt worden ist, war für die Bewohner des Staates Israel ein riesiger Schock, die erkannten, dass ihr Leben nicht mehr das Gleiche sein würde.

Der „Ein-Tages-Holocaust 2023“ traf unsere Generation mit Macht und hinterließ eine ganze Nation traumatisiert. Niemand hielt es für möglich, dass so etwas in unserem eigenen souveränen Staat passieren könnte.

Nach einer schlaflosen Nacht voller Trauer und Entsetzen sowie im Angesicht von Horrorvideos, die nicht aufhörten, das Handy zu fluten, fand ein Mitarbeitertreffen der Organisation Im Tirtzu statt, für die ich arbeite. Im Tirtzu ist die größte und einflussreichste zionistische NGO in Israel. Da die meisten unserer Mitarbeiter als Reservisten einen Einberufungsbescheid des Militärs erhalten hatten, war die Anzahl der verbliebenen Mitarbeiter sehr überschaubar.

Das gesamte Volk berief sich sozusagen selbst ein, sodass sich auch jeder Zivilist auf die ihm bestmögliche Weise engagierte.

Wir wussten, dass der Staat Israel seit dem Jom-Kippur-Krieg – der genau 50 Jahre vor dem Hamas-Massaker begann – keinen so entscheidenden Krieg mehr führen musste.

 

Überwältigende Hilfsbereitschaft

Es sprach sich schnell herum, dass Im Tirtzu über die logistische Infrastruktur für eine große Hilfskampagne für die Soldaten verfügte. So kamen bereits am 8.10., einen Tag nach dem Massaker, unzählige Menschen zu meiner Wohnung, um Spenden abzuliefern. Es kam eine riesige Menge an Sachen, vor allem Lebensmittel und Hygieneprodukte zusammen.

Ein großer Teil der Menschen, die ihre Spenden zu meiner Wohnung in Herzliya brachten, hätte mit mir vor dem 7.10. kein Wort gewechselt: So waren viele von ihnen strikte Gegner der Justizreform, während ich als Im Tirtzu-Mitarbeiter als lautstarker Befürworter der Reform bekannt war.

Dies war nach dem 7.10. aber alles unwichtig geworden. Wir waren alle in der Sorge um unser Land vereint und die israelische Heimatfront wusste dies genau wie die Soldaten, die gerade eingezogen worden waren: Das ist unser Moment der Einheit. Nachdem wir wegen der inneren Spaltung in Israel massakriert und abgeschlachtet wurden, tun wir nun gemeinsam alles für den Sieg. Am Montagmorgen, zwei Tage nach dem Massaker, versammelte sich um 7 Uhr morgens eine große Gruppe freiwilliger Helfer vor meiner Wohnung und wir fuhren in einem Konvoi in den Süden Israels. Die Straßen im Süden waren völlig leergefegt und es lag eine Atmosphäre des Krieges in der Luft.

An vielen Sammelpunkten sahen wir Tausende Soldaten, die gerade einberufen wurden und wir nutzten die Gelegenheit, um ihnen diverse Lebensmittel- und Sachspenden zu überreichen. Von Kartoffelchips bis hin zu mobilen Ladegeräten für das Handy: Es gab gefühlt nichts, was nicht in unseren, bis oben vollgeladenen Autos zu finden war.

Wir wollten noch näher an die Kibbuzim, in denen die Hamas gemordet hatte, heranrücken, und dort helfen. Allerdings gab es selbst zwei Tage nach Beginn des Massakers in diesem Gebiet immer noch Kämpfe zwischen unseren Soldaten und den Terroristen, sodass wir nicht noch weiter in Richtung Süden fahren konnten.

 

Anhaltende Kämpfe

Fünf Tage nach Beginn der Kämpfe gelang es mir schließlich, mit einer Gruppe von Aktivisten die Kibbuzim rund um den Gazastreifen zu erreichen, und was wir dort sahen, werden wir nie vergessen:

Es standen immer noch Dutzende von verbrannten Fahrzeugen am Straßenrand, die Felder waren teils verbrannt und immer wieder erblickten wir von den Kämpfen beschädigte oder zerstörte Häuser.

Bürger aus dem ganzen Land rüsteten uns in den nächsten Wochen mit Spenden aus und wir brachten sie in den Süden und den Norden des Landes. An der Nordgrenze Israels feuerte die Terrororganisation Hisbollah immer häufiger Raketen auf die israelischen Grenzgemeinden.

Auf den langen Autofahrten kamen mir immer wieder Erinnerungen an den 7.10., den „schwarzen Samstag“:

An Alexei aus meinem Boxverein, der ein Polizist war und im Kampf um die Polizeistation in Sderot getötet wurde. An Neriah, dem jungen Soldaten, den ich einige Monate zuvor kennengelernt und ihm versprochen hatte, ihn in seiner Militärbasis zu besuchen, die von den Terroristen, gestürmt worden ist. An den Fußballer Lior Assulin, der im Fußballverein, in dessen Jugendmannschaft ich spielte, ein großer Star war und nun das Nova-Festival besucht hatte, wo er von der Hamas erschossen wurde.

Überall, wo wir hingingen, waren die Soldaten sehr glücklich, uns zu sehen und konnten kaum glauben, dass Zivilisten – wenn auch mit einer Sondergenehmigung der Armee – in solch gefährliche Gebiete kamen, in denen sie stationiert waren.

 

An der Nordfront

Zwei Wochen nach dem Massaker und dem Ausbruch des Krieges kehrte ich mit einem Team von Aktivisten an die Nordfront zurück.

In Mischgav Am, einem Ort im Norden Israels, in dem immer wieder Raketen der Hisbollah einschlagen, sprach ich mit einem Offizier der IDF. Er erzählte mir, dass der 7.10. sogar noch schlimmer verlaufen wäre – auch wenn dies schwer vorstellbar ist –, wenn an diesem Tag nicht nur die Mordkommandos der Hamas, sondern auch diejenigen der Hisbollah angegriffen hätten. Dann hätte es Zehntausende Tote im Norden Israels gegeben. Man mag es sich gar nicht vorstellen.

Mit einer Sondergenehmigung fuhren wir weiter in der geschlossenen Militärzone, um den Soldaten die Spenden zu übergeben und ihnen eine Freude zu machen. Als wir auf der nördlichsten Straße Israels, im oberen Galiläa in den Bergen oberhalb von Kirjat Shmona und nur wenige hundert Meter von den Positionen der Hisbollah entfernt waren, fuhr ein israelischer Panzer vor uns. Plötzlich öffnete sich die Luke des Panzers und der Soldat rief uns zu, dass wir schneller fahren sollten, da das ganze Gebiet jederzeit von der Hisbollah beschossen werden könnte.

Auch Vierbeiner kämpfen gegen den islamischen Terror. 


Wie recht er damit hatte, erkannten wir wenige Minuten später, als nur einhundert Meter hinter uns eine Rakete der Hisbollah einschlug und ein Gebäude im Kibbuz Manara traf.

Wir waren uns nicht sicher, ob die Rakete unser Privatfahrzeug oder den Panzer, der vor uns fuhr, treffen sollte. Wir kehrten jedenfalls nicht mehr in den Norden zurück, weil es einfach zu gefährlich war. Die Spenden verteilten wir nun im Zentrum des Landes an die Soldaten, bevor diese in den Norden aufbrachen.

Einsatz in Judäa und Samaria

Daher konzentrierten wir uns nun auf eine andere Front, die in den ersten Kriegswochen nicht so sehr im öffentlichen Fokus stand: Judäa und Samaria, in Deutschland auch unter dem Namen Westjordanland bekannt.

Dort wurden seit Kriegsbeginn jede Woche Dutzende Terroristen getötet und Hunderte, vor allem Hamas-Mitglieder, verhaftet.

Da die Soldaten in Judäa und Samaria in den ersten Wochen des Krieges tatsächlich ein wenig „vergessen“ wurden, freuten sie sich sehr über die Lebensmittel und Hygieneprodukte, aber auch taktische und operative Ausrüstung. Einen besonderen Wert legten wir auf warme Winterkleidung, da es in Judäa und Samaria bereits im Oktober und November besonders nachts schon sehr kalt ist. Ich verbrachte fast den ganzen Monat November mit den Soldaten auf den Basen und Außenposten von Judäa und Samaria. Die dort teilweise herrschende „Palästinensische“ Autonomiebehörde hat bis heute das brutale Massaker der Hamas am 7.10. nicht verurteilt.

Wir haben in unseren Gesprächen immer dasselbe von den Kämpfern gehört: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Terroristen auch in Judäa und Samaria versuchen werden, die von ihnen bewunderten Taten der Hamas nachzuahmen.

Während meiner Zeit in Judäa und Samaria organisierten wir drei Grillabende für jeweils mehr als 100 Soldaten, welche den Soldaten ein kleines Lächeln in diesen schwierigen Zeiten ins Gesicht zaubern konnten.

 

Unermüdlich an der Seite der Soldaten

Da die Spendenbereitschaft zwei Monate nach Kriegsbeginn zurückging – die Menschen hatten einfach nicht mehr so viel Zeit und Geld -, beschlossen wir, eine Spendenkampagne zu starten. Unser Ziel war es, eine halbe Million Schekel (ca. 125.000 €) einzusammeln. Nach zwei Wochen erreichten wir dank großzügiger privater Spenden den von uns avisierten Betrag.

Direkt nach Kriegsbeginn sind Dutzende von Freiwilligenorganisationen entstanden, deren Ziel die Unterstützung unserer Soldaten war. Auch viele zivilgesellschaftliche Gruppierung änderten nach Kriegsausbruch ihre Mission, sodass auch sie sich nun um die Soldaten, aber auch bedürftige Personen kümmerten. Das bekannteste Beispiel ist sicherlich die Organisation „Achim laNeshek“, zu Deutsch „Waffenbrüder“, die ursprünglich von Reservisten gegründet wurde, um gegen die Justizreform zu protestieren. Nach dem 7.10. nutzten sie ihre etablierten Organisationsstrukturen, um sich in den Dienst der Soldaten und des ganzen Landes zu stellen. Doch zwei Monate nach Kriegsbeginn gab es nur noch wenige Organisationen, welche den Umfang und die Frequenz ihrer anfänglichen Aktivitäten aufrechterhalten konnte.

Damit verbliebt Im Tirtzu eine der wenigen Organisationen, die unermüdlich in beträchtlichem Umfang Spenden an die Soldaten verteilt.

Aufgrund dieser großen Verantwortung und trotz der weiterhin stark dezimierten Mitarbeiter- und Aktivistengruppe – viele sind immer noch in ihren Militäreinheiten –, kauften wir dank des durch Spenden großen Budgets große Mengen an benötigten Gütern und Ausrüstungsgegenständen und transportierten diese im ganzen Land. Für den Winter haben wir beispielsweise tausende warme und hochwertige Winterparkas gekauft, die speziell an militärische Bedürfnisse angepasst sind.

Die Soldaten können teils nicht glauben, dass es nach mehr als 100 Tagen Krieg immer noch Organisationen gibt, die Zeit und Mittel haben, um sie zu unterstützen.

Vereint für ein Leben in Freiheit und Frieden

Das Volk Israel ist nach wie vor vereint im Mehrfrontenkrieg. Von der inneren Spaltung und den massiven Zerwürfnissen, die man vor dem 7.10. beobachtete, ist nichts mehr übriggeblieben. Doch um welchen Preis haben wir diese Einigkeit erreicht?

Die Bilder von vergewaltigten Frauen, sadistisch ermordeten Menschen, verstümmelten Kindern und bei lebendigem Leibe verbrannten Familien gehen keinem Israeli aus dem Kopf.

Nahe der Front muss man oft in Deckung gehen. 


Auch diese Bilder sind es, welche der israelischen Zivilgesellschaft sowie den Soldaten die Notwendigkeit verdeutlicht, den Krieg bis zum vollständigen und eindeutigen Sieg fortzuführen.

Nur dann besteht eine Chance, dass die kommenden Generationen ohne Kriege in ihrer Heimat in Frieden leben können.

Denn mit der Hamas an unserer Grenze wird dies nicht möglich sein.

Entweder ist es die Hamas oder wir.

Beide können nicht mehr nebeneinander existieren, das hat der 7. Oktober auf schmerzliche Weise verdeutlicht.

 

Über den Autor: Der Politikwissenschaftler Yonatan Shay wuchs in Herzliya (Israel) auf und lebte fünf Jahre in Deutschland. Er studierte Internationale Beziehungen und Diplomatie an der Reichman Universität. Sein Masterstudium absolvierte er an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Nach seinem Studium leistete er sein Praktikum im Deutschen Bundestag und AJC Berlin ab. Heute leitet er die “Hasbara” Abteilung (Aufklärungsarbeit und Information) der Im Tirtzu Bewegung, die größte zionistische Graswurzelbewegung Israels. Yonatan Shay ist der ehemalige Gesandter der Jewish Agency for Israel in Süddeutschland. Seit Mai 2019 schreibt er auch für die Jüdische Rundschau.

 

Hier können Sie den Soldaten helfen und an Im Tirtzu spenden: https://secured.israelgives.org/en/pay/IMTIGlobal

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