Ruth Orkin: Fotografien, die das Leben einfangen
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Stewardess der Fluggesellschaft El Al, Tel Aviv, Israel, 1951© © Orkin/Engel Film and Photo Archive; VG Bild-Kunst, Bonn
Die jüdisch-amerikanische Fotografin und Filmemacherin Ruth Orkin war eine der ersten Frauen, die Ende der 1930er Jahre in Los Angeles am City College Fotografie studierten. In ihren Bildern zeigt sie selbstbewusste Frauen und dokumentiert damit auch den Prozess der Emanzipation. Die Ausstellung „Ruth Orkin: Women“ im F3 Freiraum für Fotografie in Berlin bietet eine seltene Gelegenheit, die Arbeit und das Leben der Ausnahmekünstlerin kennenzulernen. (JR)
1951 sitzt sie im Flieger nach Israel. Eines der Bilder, das die amerikanische Fotografin Ruth Orkin (1921-85) in dem Land macht, zeigt eine junge Frau am Flughafen, die selbstbewusst und glücklich in die Ferne blickt. Ihr blauer Blazer hängt lässig über der Schulter und auf dem Kopf trägt sie ein blau-goldenes Käppi mit einem Davidstern. Die unterm Arm geklemmte hellblaue Tasche verweist darauf, für wen sie arbeitet: die israelische Fluggesellschaft El Al.
Die Aufnahme ist Teil der Ausstellung „Ruth Orkin: Women“ im F3 Freiraum für Fotografie in Berlin. Diese und viele andere Aufnahmen dort ziehen sie den Betrachter absolut in den Bann, da sie nicht nur bloße Abbilder von Frauen sind, sondern ein ganzes Lebensgefühl in ihnen mitschwingt. Gleichzeitig lassen sie in den Kosmos primär amerikanischer Frauen blicken, die selbstbewusst, unabhängig und doch mit viel Charme ihren Weg gehen.
Die Stewardess der El Al passt gut in diesen Reigen. 1951 als Frau für diese Fluggesellschaft zu arbeiten, bedeutete ja nicht bloß für das Wohl der Passagiere zu sorgen. Dahinter steckte viel mehr: Es zeugte von Selbstbestimmtheit, zu einer Zeit das eigene Geld zu verdienen, in der es noch weit verbreitet war, lediglich die Rolle der Hausfrau und Mutter zu füllen. Zudem war Stewardess zu sein ein Zeichen von Mut und Abenteuerlust, da man als Frau allein in ferne Länder reiste. Darüber hinaus sagte es viel aus zu einer Fluggesellschaft eines Landes, das sich 1951 noch im Aufbau befand und von viel Optimismus und Aufbruchstimmung geprägt war.
Mit all diesen Facetten repräsentiert die Stewardess perfekt das Anliegen von Ruth Orkins Werk und der von Nadine Barth und Katharina Mouratidi kuratierten Ausstellung, die den Blick auf ihre Frauenportraits richtet. Es sind Frauen, die wie Orkin, ihr Leben selbst in die Hand nehmen.
Die Liebe zur Kamera
Orkin wurde 1921 geboren und wuchs in Hollywood auf. Ihre Mutter war Schauspielerin in Stummfilmen, ihr Vater Spielzeugfabrikant. Mit 10 Jahren bekam sie einen Fotoapparat, der zu einem festen Begleiter wurde. Sie liebte die Filmwelt und träumte von einer Karriere als Kamerafrau, aber die Gewerkschaft ließ keine Frauen in dem Beruf zu. So blieb sie vornehmlich bei der Fotografie. Als 1939 in New York die Weltausstellung gezeigt wurde, packte sie ihre Kamera, schwang sich aufs Fahrrad und machte sich von Los Angeles auf nach New York. Über Fotos dokumentierte sie ihre Reise. Wieder zu Hause beendete sie ihren Fotojournalismuskurs am City College Los Angeles und zog dann nach New York, wo sie sich als freiberufliche Fotografin für die Magazine Life, Look und Ladies Home Journal etablieren konnte.
Ihre Motivation, mit Bildern Geschichten zu erzählen, wird bei ihren Arbeiten besonders deutlich – sie sind voller Leben. Sei es die herzhaft lachende Frau in einer Telefonzelle im New York der späten 1940er Jahre, oder eine Gruppe Frauen, die an einem Sommertag am Rand eines Springbrunnens ihre Schuhe ausgezogen hat und sich einen Moment der Entspannung gönnt.
Ihre Liebe zum Film zeigt sich auch in den Motiven. Darunter sind viele amerikanische Filmstars der 1940er Jahre wie Lauren Bacall, Doris Day oder Nanette Fabray. Eines zeigt die junge Fabray am Filmset von „The Band Wagon“ 1952 in Hollywood. Ihr strahlendes Lächeln ist ansteckend, als sie einen lustigen Moment mit den beiden Frauen hinter ihr teilt, die an ihrem eleganten Outfit werkeln, damit es richtig sitzt. Gute Laune weckt auch das Foto der Schauspielerin Julie Adams, die den Betrachter vergnügt aus dem Fenster ihres Autos anblickt. Sie vermittelt das Bild einer Frau, die Spaß am Leben hat. Das Besondere an den Bildern ist die Kameradschaft, die zwischen den Frauen zu spüren ist. Nicht nur zwischen den Frauen auf dem Bild, sondern auch zwischen ihnen und Orkin selbst. Mit dem Fotografieren dieser selbständigen Frauen, machte Orkin nicht nur diese sichtbar, sondern auch die voranschreitende Emanzipation.
Dokumentation der Emanzipation
Diese wird an zwei anderen Stellen deutlich. Zum einen bei Schwarzweißfotografien, auf denen die Schauspielerin Jane Russell konzentriert in einem Aufnahmestudio arbeitet und ihr ernster Gesichtsausdruck erkennen lässt: mit ihr ist nicht zu spaßen. Zum anderen bei der Fotoreportage “Who works harder?”, in der Orkin die Aufgaben und Verantwortungen einer Mutter und Hausfrau mit denen einer berufstätigen Frau vergleicht. Die Reportage zeigt, wie heftig debattiert das Thema in den 1950er Jahren war. Sie reflektiert den gesellschaftlichen Wandel, als Frauen zunehmend aus der häuslichen Sphäre heraustraten und sich in der Berufswelt behaupteten. Dies gelang ihnen, ohne die weibliche Eleganz aufzugeben, die damals das Bild der Frau bestimmte.
Die Bilder der Ausstellung sind ein wahrer Schatz. Dabei sind nicht nur sie eine Entdeckung, sondern auch Ruth Orkin selbst. Trotz zahlreicher Ausstellungen in den USA, war ihr Name diesseits des Atlantiks zeitlebens unbekannt. Erst 2002 waren ihre Arbeiten in Europa zu sehen, als sie in London gezeigt wurden. Die Galerie F3 holte sie dann 2021 nach Deutschland. Die dortige Ausstellung „A Photo Spirit“ bot eine gute Einführung in ihr Werk. Dem Engagement von Orkins Tochter Mary Engel ist es zu verdanken, dass die Kunstwelt nun international auf Orkin aufmerksam wird. Im Katalog zu „A Photo Spirit“ erinnert sich Engel an eine Seite ihrer Mutter, die nicht explizit in den Fotos zu finden ist: ihre jüdische Herkunft. Sie schreibt: „Wir waren keine religiöse Familie, aber sie verstand uns als kulturell jüdisch. Sie hängte aus Pfeifenputzer gemachte Davidsterne an unseren weißen, künstlichen Weihnachtsbaum. Da sie seit frühester Kindheit vom Film fasziniert war, sorgte sie dafür, dass ich alle jüdischen Regisseure in Hollywood kannte.“ Die Bedeutung ihrer Arbeiten für die jüdische Kultur beweist, dass das Jüdische Museum in New York, einige ihrer Fotografien in seiner Sammlung hat.
Orkins Reise nach Israel 1951 ergab sich übrigens durch das Israel Philharmonic Orchestra, das damals durch Amerika tourte und Orkin dann für Life auch in Israel begleitete. Land und Leute fotografierte sie gleich mit.
Die Ausstellung „Ruth Orkin: Women“ läuft noch bis 18. Februar 2024.
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