Wannsee-Konferenz: Perfide Vernichtungspläne in idyllischer Umgebung
Heute ist in der Villa am Wannsee eine Gendenk- und Bildungststätte untergebracht. © ©Sebastian Biehl
Sie nannten es zynisch eine „Besprechung mit Frühstück“, als sich am 20. Januar 1942 hochrangige Nazi-Funktionäre in einer hochherrschaftlichen Villa im Berliner Bezirk Wannsee trafen, um die massenhafte Deportation und die industrielle Ermordung von Millionen Juden zu planen. Der fanatische Nazi und Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich beschloss zusammen mit 14 namhaften Beamten des NS-Regimes, darunter auch Adolf Eichmann, in perfider bürokratischer Akribie die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“, die den Weg für die massenhafte Ermordung jüdischer Kinder, Frauen und Männer durch die Nationalsozialisten ebnete. (JR)
Am 20. Januar 1942 fand die berüchtigte „Wannsee-Konferenz“ statt, benannt nach dem Tagungsort, einer ehemaligen Fabrikantenvilla am Großen Wannsee 56-58 in Berlin, welche als Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) diente. Die Einladung zu einer „Besprechung mit Frühstück“ kam von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef der genannten Organisationen und außerdem Reichsprotektor für Böhmen und Mähren. Die Konferenz war ursprünglich für den 7. Dezember 1941 geplant, musste allerdings wegen einer wichtiger Reichstagssitzung an diesem Tag (Kriegserklärung an die USA) verschoben werden.
Anders als oft behauptet wird, wurde die „Endlösung der Judenfrage“ nicht bei der Wannsee-Konferenz beschlossen, sondern die praktische und koordinierte Ausführung besprochen: Zuteilung der Zuständigkeiten, Koordination der Maßnahmen, zeitlicher Ablauf und Zielgruppe.
Heydrich erhielt den Auftrag zur „Gesamtlösung der Judenfrage“ bereits am 31. Juli 1941 von Generalfeldmarschall Hermann Göring. Das kurze Schreiben lautete:
„In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24.I.39 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigsten Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa.
Sofern hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen.
Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“
Unmissverständliche Verklausulierung
Auch wenn das Schreiben verklausuliert ist, wird hier deutlich der Auftrag gegeben, die Verfolgung der Juden in eine neue, finale Phase zu überführen, nämlich von der bisher praktizierten Diskriminierung, Unterdrückung und Druck zur Auswanderung hin zum Völkermord. Die Ausführung wurde Heydrich in die Hände gelegt, selbst im Kontext des NS-Staates ein ausgesprochener Fanatiker und Judenhasser.
Es wird in bestimmten Kreisen immer wieder darauf verwiesen, dass der Reichskanzler Adolf Hitler selbst nicht bei der Konferenz anwesend war (und auch keiner seiner Minister) und es auch keinen schriftlichen Befehl oder Auftrag von Hitler zur „Endlösung“ gab. Es gibt aber genügend Reden und Aussprüche und natürlich die eindeutigen Passagen in „Mein Kampf“, die keinen Zweifel lassen, dass Hitler die „Endlösung“ wollte, die Ausführung aber anderen überließ, zumal seine Aufmerksamkeit nun auf die Kriegsführung gerichtet war. Ein direkter Auftrag von Göring an Heydrich konnte auch nicht ohne Wissen und Zustimmung Hitlers erfolgen.
Die ins Auge gefasste „Endlösung“ stand im engen Zusammenhang mit dem Überfall auf die Sowjet-Union am 22. Juni 1941. Millionen Juden waren nun im Machtbereich der Nazis, zudem in einem Gebiet wo solche Massenmorde wesentlich unauffälliger stattfinden konnten als im dichtbevölkerten Deutschen Reich oder besetzten Westeuropa.
Der Entschluss zum Holocaust wurde irgendwann in der 2. Hälfte des Jahres 1941 genommen. Schon vor der Wannsee-Konferenz fand er „in kleinerem Umfang“ und unorganisiert statt. Etwa 900.000 Juden wurden schon vor der Konferenz ermordet, vor allem durch Erschießungen im besetzten Polen (Generalgouvernement) und den besetzten Teilen der Sowjet-Union. Dies geschah meistens auf Befehl von SS-Offizieren, die ihren Hass schon mal ohne genaue Anweisungen von oben auslebten.
Teilnehmer und Pläne
Bei der Konferenz waren 15 hochrangige Personen der Reichsregierung anwesend:
Reinhard Heydrich trat als Vorsitzender auf. Als seine rechte Hand und außerdem als Protokollant fungierte Adolf Eichmann, „Referent für Judenangelegenheiten“.
Weitere Angehörige der SS waren Karl-Eberhardt Schöngardt, Befehlshaber der Sicherheitspolizei im Generalgouvernement; Otto Hofmann, Chef des Rasse- und Siedlungsamtes; Rudolf Lange, Kommandeur der Sicherheitspolizei; Heinrich Müller, Chef der Gestapo. Eine weitere Gruppe bildeten Vertreter der Ministerien: Roland Freisler, Staatssekretär im Justizministerium; Erich Neumann, Beauftragter für den 4-Jahresplan; Martin Luther, Unterstaatssekretär im Außenministerium; Wilhelm Stuckardt, Staatssekretär im Innenministerium.
Die besetzten Gebiete wurden repräsentiert von Josef Bühler, Staatssekretär des Generalgouvernements in Krakau; Alfred Meyer, Staatssekretär des Ministeriums für die Ostgebiete; Georg Leibbrandt, Reichsamtsleiter des Ministeriums für die Ostgebiete. Letztens waren noch zwei Vertreter der NSDAP beziehungsweise der Reichskanzlei anwesend, nämlich Gerhard Klopfer und Friedrich Wilhelm Kritzinger. Außer den genannten Personen war als einzige Frau auch die Stenografin und Sekretärin Ingeburg Werlemann anwesend, die Eichmann bei der Ausarbeitung des Protokolls half.
Heydrich eröffnete die Versammlung mit dem Vorlesen von Görings Brief und stellte klar, dass er die höchste Autorität für die „Endlösung der Judenfrage“ sei. Dann gab er eine kurze Übersicht über die bisherige Vorgehensweise, nämlich Juden durch Diskriminierung zur Emigration zu zwingen. Dies wurde allerdings aus vielen Gründen als unbefriedigend und gefährlich für das Reich angesehen. Durch den Weltkrieg und die massiven Gebietseroberungen im Osten ergaben sich nun ganz andere Möglichkeiten, so Heydrich.
Für die „Endlösung“ wurden 11 Millionen Juden ins Auge gefasst, auch aus nicht-besetzten Gebieten, also sämtliche Juden Europas. Eichmann las eine Auflistung der Anzahl aller Juden der verschiedenen Länder Europas und der besetzten Gebiete vor. Die Gebiete unter Kontrolle der Nazis würden von Westen nach Osten „durchkämmt“ werden und alle Juden in die eroberten Gebiete des Ostens, wo bereits schon viele Juden lebten, deportiert und vorläufig in Ghettos konzentriert werden. Danach würden sie dann der Vernichtung „zugeführt werden“. Dazu sollten Gaswagen vermehrt zum Einsatz kommen, und Vernichtungslager in welchen Zyklon B als Massenvernichtungswaffe eingesetzt wurde, waren bereits im Bau oder in Planung.
Perfide Diskussion
Nicht alle Juden sollten sofort vergast werden, sondern viele als Arbeitssklaven zu Tode geschunden werden. Auch die Erschießungen sollten in großem Umfang weitergehen. Juden über 65 Jahre alt sollten in Altersghettos eingeliefert werden. Die Aufgabe der im Außendienst beschäftigten Beamten sollte es sein, in allen Ländern Europas die noch nicht unter der Kontrolle der Nazis standen, auf die Auslieferung der Juden zu drängen. Nach dem vermeintlichen Endsieg würden dann alle restlichen Juden Europas, sogar der Welt, gefangen genommen und umgebracht werden.
Für eine gewisse Reibung sorgte die Frage der Behandlung der sogenannten „Mischlinge ersten und zweiten Grades“, und der Juden, die mit Deutschen verheiratet waren und die nach den Nürnberger Rassegesetzen anders als die „Volljuden“ behandelt wurden. Für Heydrich, Müller und andere sollten auch „Halbjuden“ den Juden gleichgestellt und ohne Unterschied als „Untermenschen“ ausgerottet werden. Vor allem Stuckardt war anderer Meinung und argumentierte, dass „wir nicht über die nötigen Ressourcen verfügen“ und dies „ein zu großer Verwaltungsaufwand“ sei. Er schlug stattdessen Sterilisierungen vor.
Neumann gab zu bedenken, dass etliche Juden in der Kriegsproduktion nützlich seien und nicht sofort deportiert werden könnten. Heydrich gab die Versicherung, dass diese erstmal von den Deportationen ausgenommen waren. Bühler bat darum, im Generalgouvernement mit der Endlösung anfangen zu können, da es dort bereits Juden in großer Zahl gab und die Ghettos überfüllt seien. Scheinbar bestand eine Art perverser Wettbewerb, wessen Zuständigkeitsbereich als nächster „judenrein“ sein sollte, nachdem bereits Estland diese zweifelhafte Ehre hatte, was Lange während der Konferenz stolz verkündete.
Die Besprechung war nach anderthalb Stunden vorbei. Es fanden Folgekonferenzen zu weiteren Details statt, die erste schon anderthalb Wochen später.
Von den anwesenden Personen starben die meisten, darunter auch Heydrich, während oder kurz nach dem 2. Weltkrieg. Schöngardt, Bühler, Kritzinger, Stuckardt und Hofmann wurden strafrechtlich verfolgt. Leibbrandt, Neumann und Klopfer blieben weitgehend unbehelligt. Eichmann, der den Holocaust organisierte, flüchtete nach Argentinien, wurde aber vom Mossad enttarnt, in Jerusalem vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Sein Verhör trug viel zur Aufklärung des Holocaust bei.
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, wuchs in Südhessen auf. Zum Studium ging er nach Südafrika, wo er 23 Jahre blieb und lange Zeit als Rechercheur und Journalist arbeitete. Seit 2019 wohnt er mit seiner Familie in Berlin.
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