Offener Brief von Gideon Joffe an Berlins SPD-Chef Raed Saleh

Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
© TOBIAS SCHWARZ/AFP

Der im vergangenen Sommer wiedergewählte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Gideon Joffe, zeigte zurecht seine Enttäuschung über den Berliner SPD-Landeschef Raed Saleh. Dieser hatte nach dem Massaker der islamischen Hamas an 1200 Juden kaum ein nennenswertes Wort für die Opfer der bestialischen Morde und deren Angehörige übrig. In einem offenen Brief kritisiert Joffe Gideon die allzu eindeutige Haltung des roten Politikers. (JR)

Offener Brief von Gideon Joffe an Berlins SPD-Chef

„Lieber Raed, wir kennen uns schon einige Jahre – und unsere Biografien ähneln sich. Beide sind wir in den 70er Jahren, nur 60 Kilometer voneinander entfernt, geboren. Du in Sebastia im Westjordanland, ich bei Tel-Aviv in Israel. Du bist mit fünf Jahren nach Deutschland gekommen, ich als Vierjähriger.

Im Verlauf unseres Lebens haben wir beide entschieden, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, um Berlin ein wenig besser, bunter, freiheitlicher zu gestalten. Der liebe Gott hat offenbar Großes mit Dir vor, Raed: Er lässt Dich schon seit mehr als zehn Jahren als SPD-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus wirken, seit drei Jahren zudem als Landesvorsitzender Deiner Partei.

Unsere Wege haben sich im Laufe der Zeit mehrfach gekreuzt. Das ist vor allem Deinem wunderbaren Engagement bezüglich des Wiederaufbaus der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg zu verdanken. Die Synagoge am Fraenkelufer ist ein Gotteshaus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – sie war die erste Synagoge in Berlin, die nach 1945 wieder als Gotteshaus fungierte, wenngleich in stark verkleinerter Form, da nach dem Krieg nur noch ein Seitenflügel zu nutzen war.

Ich fand es bewundernswert, dass Du soviel Herzblut gezeigt hast. Häufig fragte ich mich, warum ich gerade Dir gegenüber soviel Bewunderung verspüre. Weil ausgerechnet Du, als Deutscher mit palästinensischem Wurzeln, Dich für den Aufbau jüdischen Lebens in Berlin einsetzt? Weil sich der Fraktionsvorsitzende einer Regierungspartei bemüht, durch den Aufbau der Synagoge ein deutliches Zeichen für die Zukunft jüdischen Lebens in Berlin zu setzen? Dein Engagement ist nicht selbstverständlich.

Lieber Raed, meine Bewunderung ist einer tiefen Enttäuschung gewichen. Nach dem 7. Oktober wurde die Enttäuschung mit jedem Tag stärker. Am 7. Oktober sind Menschen in einer Art und Weise ermordet worden, wie man es in keinem Horrorfilm gesehen hat. Ich mag Horrorfilme nicht, erst recht nicht, wenn sie geköpfte Kleinkinder, vor den Augen der Familie vergewaltigte Mädchen, verbrannte Teenager, abgeschnittene Geschlechtsteile, zerfetzte Arme, Beine, Finger oder ausgestochene Augen zeigen.

Als Jugendlicher habe ich mir nie Horrorfilme angesehen. Wahrscheinlich, weil ich schon in früher Kindheit Horrorgeschichten über sinnloses Quälen und Morden hören musste – von Überlebenden der Shoa.

Am 7. Oktober haben Monster in Menschengestalt Horrorfilme an verschiedenen Orten gleichzeitig gedreht. Manchmal wurden diese Horrorfilme direkt ins Internet übertragen, sodass unzählige Menschen sich diese in Echtzeit ansehen und sich – je nach persönlicher Einstellung – fürchten oder freuen konnten. Das Besondere an diesen am 7. Oktober gedrehten Horrorfilmen ist, dass sie die Wirklichkeit zeigen. Nicht Schauspieler waren am Werk, sondern Mörder und Ermordete waren reale Menschen. Und noch etwas war an diesem Tag besonders – oder soll man eher sagen: zu erwarten? Dieser Horror fand in Israel statt, die Ermordeten waren Juden.

Und wie reagierst Du, Raed, darauf? Mit ohrenbetäubendem Schweigen – und das schon seit neun Wochen! Nach den ersten Tagen Deines Schweigens hatte ich die Hoffnung, Du würdest nach passenden Worten suchen. Mittlerweile weiß ich, dass Du Dich entschieden hast, die Worte „Terror“, „Hamas und „Verurteilung“ nicht in den Mund zu nehmen.

Du bist der einzige SPD-Landesvorsitzende, der seine Solidarität mit den Opfern des bestialischen Massakers nicht zum Ausdruck gebracht hat. Das macht mich tief traurig. Ich war überzeugt, Du würdest verstehen, dass die am 7. Oktober ermordeten Israelis genauso unschuldig waren wie die damals von den Nazis ermordeten Beter der Synagoge am Fraenkelufer. Oder denkst Du womöglich, es gibt einen nachvollziehbaren Grund, Männer, Frauen und Kinder so zu quälen und zu ermorden, wie es die Hamas-Terroristen taten?

Man kann nicht die von den Nazis ermordeten Juden durch den Wiederaufbau der Synagoge Fraenkelufer ehren, wenn man zugleich zu den von den Islamisten ermordeten Juden schweigt. Tolerierte ich das, wäre ich unaufrichtig. Schweren Herzens teile ich Dir daher mit, dass die Jüdische Gemeinde die Zusammenarbeit mit Dir bezüglich des Wiederaufbaus der Synagoge wird beenden müssen. Ich bitte Dich, mit sofortiger Wirkung Deinen Rücktritt aus dem Kuratorium zu erklären.“

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