Interview mit Michael Simon de Normier - „Antisemitismus klingt viel zu harmlos“

Michael Simon De Normier mit der Aufkleber-Aktion. © Malte Unger (Fridays for Israel)

Der Berliner Filmproduzent Michael Simon de Normier verteilt mit einem Kollegen Sticker in Berlin mit der Aufschrift „We ❤ Jewish Life“. Bei einer Gegendemo zur „pro-palästinensischen“ Hörsaalbesetzung an der FU Berlin verbot ihm die Berliner Polizei, die Aufkleber zu verteilen, mit der allzu durchsichtigen Ausrede, dass das Impressum fehle. Wir sprachen mit Michael Simon de Normier über seinen mutigen Einsatz und den wachsenden Antisemitismus in Deutschland.(JR)

Von Collin McMahon

JR: Was ist genau passiert?

De Normier: Am 10.12.2023 war in Berlin die Demo „Nie wieder ist jetzt“, von der Siegessäule zum Brandenburger Tor. Zu diesem Zweck hatten wir DIN A5 Flyer gedruckt, wenn man die faltet, sieht man auf DIN A6 unseren Stern mit der Überschrift „We love Jewish life – Wir heißen jüdisches Leben selbstverständlich in unserer Mitte, in unseren Herzen willkommen, schätzen und schützen es und wollen dessen Sichtbarkeit verstärken.“ Um diese Flyer geht es jetzt.

Am Donnerstag, den 14.12. wurde an der Freien Universität Berlin ein Hörsaal durch die Gruppe „Students for Free Palestine“ besetzt. Am Freitag gab es eine friedliche Kundgebung dagegen, mit etwa 120 Teilnehmern. Ich war relativ spät da, die Veranstaltung hatte um 14 h begonnen und wurde um etwa 15 Uhr beendet. Als der Veranstalter das Ende der Veranstaltung ankündigte fragte ich einen der anwesenden Polizisten, ob ich Flyer verteilen dürfte. Die Beamtin sah sich die Flyer an und sah diese als ungenügend gekennzeichnet. Es gibt zwar einen QR-Code drauf, der zu einer Facebookseite führt, die Angaben zur Urheberschaft enthält, aber die Polizisten fanden, dass das als Impressum nicht ausreicht.

Dann kam ein Polizeihauptkommissar dazu, der bemerkenswerterweise sagte, er habe uns schon im RBB gesehen, dass wir diese Aufkleber verteilt haben, und hätte sich da schon gefragt, ob das denn legal sei. Ich fragte ihn warum, und er sagte, eigentlich müssten die Aufkleber auch ein Impressum haben, und dabei muss eine Adresse und eine Telefonnummer hinterlegt sein. Da wir Privatpersonen sind, wäre das also unsere Privatadresse. Und das finde ich wirklich ein starkes Stück. Wir sind zwei Individuen, die sich für jüdisches Leben in Deutschland engagieren.

Ich hatte Rabbi Mendel aus der Chabad-Gemeinde davon erzählt, der sagte mir: „You’re two individuals going from shop to shop and spreading the stars with the hearts? Thank you!”

Mein Kollege Sascha Suden und ich sind zwei Menschen, die denken, wir müssen etwas machen, wir müssen Zeichen setzen und Haltung zeigen. Sascha ist ein Erzieher auf einer Grundschule hier in Tempelhof. Wir haben die Aufkleber selber bezahlt, für die Kundgebung am 10.12. Flyer gedruckt. Da am 10. bei weitem nicht so viel Leute da waren, wie wir gehofft haben, haben wir angefangen diese Aufkleber zu verteilen. Vor allem wenn Leute mich darauf ansprechen.

Dasselbe war auf dieser Kundgebung am 15.12. passiert. Zwei Freunde fragten mich, ob sie einen Aufkleber haben könnten. Ich habe ihnen Aufkleber gegeben. Dann kam diese Polizistin vorbei und ich habe sie gefragt, ob ich die Flyer denn verteilen könnte. Dann wurde ich rausgezogen.

Die Flyer mit dem Davidstern drauf wurden konfisziert, und mir wurde mitgeteilt, dass selbst unsere Aufkleber juristisch fragwürdig wären, weil sie kein Impressum ausweisen.

JR: In Berlin haben natürlich alle Aufkleber ein Impressum (lacht).

De Normier: Selbstverständlich. Jeder Aufkleber, ob für einen Fußballverein oder sonst was, braucht ein Impressum. Dummerweise haben wir das vergessen. Ich finde diese Beschreibung einer „unerlaubten Meinungsäußerung“ einfach faszinierend, wenn wir einen Davidstern mit einem Herz verbinden und dazu das Wort „Welcome“. Ich sehe nicht einmal die Meinungsäußerung. Für mich ist das eine Haltung. Aber wenn ich die Meinung äußern will, muss ich meine Privatadresse für alle Hater zur Verfügung stellen. Dass kommt für mich nicht in Frage ich bin seit 2015 in diesem Bereich unterwegs, das war auch in der Jüdischen Rundschau, der Artikel hieß „Die Feigen Frohnaturen“. Da ging es um Charlie Hebdo. Damals habe ich gesagt, wenn wir uns jetzt schon einschüchtern lassen, dann kann ich meiner Tochter nicht erklären, wo wir waren.

Spätestens seitdem bin ich sehr vorsichtig, meine Privatadresse zu veröffentlichen, im Internet sowieso, und auch sonst, weil nicht viele wissen wo ich wirklich wohne. Aber scheinbar soll ich jetzt, wenn ich mit Davidsternen unterwegs bin und die an Läden verteile, meine Adresse veröffentlichen. Das ist Einschüchterung, es kann nichts anderes sein.

JR: Wie sind Sie dazu gekommen, sich öffentlich zu positionieren?

De Normier: Damals hat mich das ähnlich empört. Ich bin ja Rheinländer. Der Kölner Karnevalszug sollte ursprünglich einen Charlie Hebdo-Wagen machen. Der Karneval ist ja seit jeher politisch. Karikaturen sind dort ja sehr gern gesehen. Dann gab es plötzlich einen Rückzug. Das Festkomitee hat erklärt, dass sie das nicht riskieren wollen. Ich sagte, wenn wir jetzt schon Angst haben vor den paar tausend Islamisten in Deutschland, wie können wir unseren Großeltern vorwerfen, dass sie sich nicht gewehrt haben?

Jetzt ist mein Unbehagen und meine Verzweiflung wesentlich größer geworden. Dass Angesichts dieses schrecklichen Massakers am 7. Oktober plötzlich Judenhass wieder auf die Straße kommt, ist schon paradox genug. Aber wie massiv das war, damit hatte ich in diesem Leben nicht gerechnet. Ich bin am Mahnmal für die Ermordeten Juden Europas angesprochen worden, ich soll mich schämen, weil ich Jude sei, weil ich eine Israel-Fahne trug.

Zwei bemerkenswerte Sachen daran: Ich wurde ja nicht angesprochen, weil ich Israeli sei, ob ich mich für die Politik des Staates Israel schäme. Da könnte man ja noch drüber diskutieren. Sondern weil ich vermeintlich Jude sei. Daneben stand die Security, die mich eben des Platzes verwiesen hatte, weil am Mahnmal keine Flaggen zugelassen seien, hat aber diese Frau nicht angesprochen. Die durfte bei dem Mahnmal unbehelligt durchgehen. Ich durfte mit Israel-Flagge nicht durch. Das ist wirklich unfassbar.

Danach habe ich mit Sascha Suden überlegt, wir müssen irgendwas machen, was signalisiert, dass wir uns gegen diesen Strom stellen, dass einem anscheinend auf der Straße offener Judenhass begegnet. Anders kann man das nicht nennen. Antisemitismus klingt noch viel zu harmlos dafür. Da sagte ich beim RBB, und das ist meine volle Überzeugung: Bevor sich Juden jetzt verstecken sollen, ihre Zeichen, ihre Kippa, ihre Davidsterne, ihre Namen teilweise an den Klingelschildern, bevor das so weit kommt, sollten wir lieber alle einen Davidstern tragen.

JR: Was ist ihr Hintergrund? Sind Sie Jude?

De Normier: Nein. Ich habe eine Urgroßmutter, die eine geborene Davids war. Bei uns in der Familie ist das strittig, ob wir auch jüdische Wurzeln haben oder nicht. Das spielt für mich aber keine Rolle. Ich sehe mich leider als Erbe der Täter und der Mitläufer, die versagt haben durch Nichtstun. Meine Großeltern waren alle mehr oder weniger verstrickt, und wir haben diese Vorwürfe an unsere Großelterngeneration … Ich bin Jahrgang ’73, wir hatten den Holocaust im Unterricht, und ich habe meine Großmutter immer wieder gefragt, wie konntet ihr das zulassen? Ich weiß, dass meine Oma versagt hat, das wusste sie auch. Aber ich weiß, dass wir wenigstens eine Lehre daraus ziehen können, die heißt „Wehret den Anfängen.“

Jetzt sind wir plötzlich wieder mitten drin – nicht in kleinen Schritten, sondern vom 7. auf den 8.10. und plötzlich ist Judenhass wieder geduldet. Ich sage: Nein. Mich hat das wochenlang beschäftigt, und seitdem ich mich mit meinen kleinen Möglichkeiten entschlossen habe, wie mit diesen Jungen Leuten an der FU ein Zeichen dagegen zu setzen, seitdem bin ich etwas raus aus dieser Resignation. Es ist meine Hoffnung, dass die schweigende Mehrheit eigentlich auf unserer Seite steht.

JR: Wie erklären Sie sich das Verhalten der Berliner Polizei?

De Normier: Insgesamt machen die ja einen relativ guten Job, aber in diesem Fall kann ich es mir nicht erklären. Ich finde es bemerkenswert, dass dieser Polizeihauptkommissar mir erzählt, dass er offensichtlich in seiner Freizeit einen Beitrag im RBB sieht und dann schon sagt, ‚Na Warte‘. Das kann ich mir nur dadurch erklären, dass da einiges schiefgelaufen ist, und frage mich wie weit das vom Antisemitismus entfernt ist.

Wie kann es sein, dass jemand diesen Beitrag sieht (über die Aufkleber-Aktion) und anstatt zu sagen, ‚Oh, das ist interessant, das würde ich mich trauen oder nicht trauen‘, ‚Find ich gut oder find‘ ich übertrieben‘ – das anzugucken und zu sagen, ‚Ist das denn legal?‘ Das finde ich ein Stück weit verharmlosend.

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