Pionierin der Moderne: Kunsthändlerin Grete Ring
Grete Ring und Alfred Fchtheim, um 1925/1926, Privatbesitz
Bei der Welle des gegenwärtigen Judenhasses vergisst man, welch wertvollen Beitrag jüdische Menschen in Kunst, Kultur und Wissenschaft geleistet haben. Die leidenschaftliche Kunstliebhaberin Grete Ring war die bedeutendste Kunsthändlerin der Weimarer Republik. Mit ihrer profunden Expertise entlarvte sie sogar einen Van-Gogh-Fälscher. Nun würdigt die, nach dem berühmten jüdischen Maler benannten, Liebermann-Villa am Wannsee die außerordentliche Position der deutsch-jüdischen Galeristin und promovierten Kunsthistorikerin. Die Ausstellung „Grete Ring – Kunsthändlerin der Moderne“ macht bis zum 22. Januar 2024 mit einer bemerkenswerten Frau bekannt. (JR)
1938 waren die Koffer gepackt. Das Schiff brachte sie samt ihrer Kunstsammlung nach England. In London baute sie dann eine Filiale der renommierten Kunsthandlung Paul Cassirer auf: Grete Ring. Welche Frau zu dieser Zeit konnte schon solch eine Leistung vorweisen? Grete Ring (1887-1952) war eine geachtete Fachfrau im Berliner und europaweiten Kunstbetrieb. Nachdem sie über die Jahrzehnte aus dem Blickfeld geraten ist, würdigt die Liebermann-Villa am Wannsee nun ihre außerordentliche Position in der Kunstgeschichte. Die Ausstellung „Grete Ring – Kunsthändlerin der Moderne“ macht mit einer bemerkenswerten Frau bekannt.
Der Name Cassirer stand für moderne Gegenwartskunst. Der Kunsthändler vertrat Größen wie Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth und mit seinem Kunstsalon holte er die Arbeiten der französischen Impressionisten wie Claude Monet und Paul Cézanne nach Berlin. Werke der Expressionisten Max Beckmann und Oskar Kokoschka waren bei ihm ebenfalls ausgestellt. Er engagierte sich zudem in der Künstlergruppe der Berliner Secession und veranstaltete Auktionen. In den 1920er Jahren gehörte sein Kunstsalon zu den einflussreichsten Europas.
1912 in Kunstgeschichte promoviert
Auf diesem internationalen Parkett bewegte sich Grete Ring. Für sie war es ein hervorragendes Aktionsfeld, wo sie ihre Kenntnisse und Fertigkeiten bestens nutzen konnte. 1912 hatte sie als eine der ersten Frauen in Kunstgeschichte promoviert. Da war sie 25 Jahre alt. Während des Ersten Weltkriegs konnte sie weiterhin im Kunstfeld tätig sein und außerdem als freie Kunstjournalistin agieren. Als sie 1918 einen Beitrag für einen Auktionskatalog von Paul Cassirer lieferte, entstand daraus eine Verbindung, die ihre Karriere prägte wie keine andere. So führte bald ihr täglicher Arbeitsweg zu Cassirers Kunsthandlung in der Viktoriastraße im Bezirk Tiergarten. (Die Straße gibt es heute nicht mehr). 1924 wurde sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Walter Feilchenfeldt Teilhaberin des Kunsthandels und nach Cassirers Tod 1926 übernahm sie mit ihm sogar die Geschäftsleitung. Dass sie weit mehr als Geschäftsfrau war, macht die von Lucy Wasensteiner und Viktoria Krieger wunderbar kuratierte Schau deutlich. In mehreren kleinen Räumen stellen sie Grete Rings berufliche Leistungen, ihren Lebensweg sowie ihre aufgeschlossene, der Moderne zugewandte und lebensfrohe Persönlichkeit vor.
Bela Balassa, Grete Ring u. Friedländer bei einer Auktion, 1931, Privatbesitz
Grete Rings Expertise schrieb Kunstgeschichte. 1928 plante sie gemeinsam mit Feilchenfeldt eine van Gogh-Ausstellung. Darin sollten auch sechs seiner Werke aus der Sammlung von Otto Wacker gezeigt werden. Als diese nach ihrer Lieferung ausgepackt wurden, war für die Kunsthistorikerin klar: Das waren Fälschungen. Dies war am Pinselstrich abzulesen. Der Fall ging schließlich vor Gericht und Otto Wacker wurde verurteilt. Es handelte sich hierbei um Gemälde im Stile van Goghs, die als seine Arbeiten ausgeben wurden. In der Ausstellung hier veranschaulichen Fotos den Gerichtsprozess und zwei Leihgaben der besagten Fälschungen den Fall. Es ist sehr beeindruckend.
Ein weiterer Höhepunkt ihres Schaffens war 1932 die Ausstellung „Lebendige Deutsche Kunst“. Sie eröffnete am 10. Dezember 1932 und lief bis Mitte Januar 1933. Es war bereits ein denkwürdiges Ereignis kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, so viele Gegenwartskünstler zu vereinen, die bald darauf als „entartet“ diffamiert wurden und das Land verlassen mussten. Zu den ausgestellten Künstlern gehörte die erste Garde der Kunstwelt wie Ernst Ludwig Kirchner, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer. Zudem waren zum ersten Mal in Cassirers Kunstsalon Werke von George Grosz, Otto Dix und Lyonel Feininger zu sehen.
Schätze aus ihrer Sammlung
Während ihrer Jahre bei Cassirer gingen nicht nur Gemälde der Gegenwartskunst über ihren Tisch, sondern auch zahlreiche Papierarbeiten des 19. Jahrhunderts. Einige, besonders die kleinen Formate hatten es Grete Ring angetan, so dass sie allmählich eine Kunstsammlung aufbaute. Ein paar Schätze aus ihrer Sammlung, die sich heute im Ashmolean Museum in Oxford befindet, konnten als Leihgaben nach Berlin geholt werden. Darunter ein fein gezeichnetes Landschaftsbild von Caspar David Friedrich „Landschaft mit Obelisk“ (1803).
In zwei Räumen begegnet man Grete Ring als Privatperson. Sie wurde 1887 in Berlin in eine wohlhabende Familie hineingeboren. Ein Foto zeigt sie als 18-Jährige, selbstbewusst lächelnd unter einem Sonnenschirm. Die Aufnahme wurde vermutlich von Käthe Liebermann gemacht. Die beiden Cousinen verstanden sich prächtig. Käthes Mutter Martha, geborene Marckwald, war die ältere Schwester von Gretes Mutter, die jüdischer Herkunft war. Auf einem Foto von 1925/26 ist Grete Rings lebensfrohe Natur wieder deutlich erkennbar, als sie stolz, verschmitzt lächelnd mit Autofahrerkappe vor einem schwarzen Automobil steht. Auf einem anderen Bild ist sie als glückliche Bewohnerin eines Sommerhauses zu sehen, das zeitgemäß im Stil des neuen Bauens für sie entworfen wurde: schlicht und modern.
All das musste sie aufgeben, als London ihr neues Domizil werden sollte. Die Übersiedlung dahin erfolgte relativ spät. Feilchenfeldt hatte bereits 1933 eine Filiale Cassirers in Amsterdam etabliert. Es ist unklar, was sie als selbstständige, unabhängige Frau so lange in Deutschland hielt. Aber wer als Frau in einer Männerwelt solch eine bedeutende Position inne hatte und so leidenschaftlich den Beruf verfolgte, muss derart eingebunden gewesen sein, dass die Abwicklung und Vorbereitung zur Übersiedlung ungeahnte Zeit in Anspruch nahm. In London konnte sie weiter Ausstellungen organisieren, aber kriegsbedingt musste sie viel umziehen und es war schwierig. Über die Zeit nach dem Krieg schrieb der britische Kunsthistoriker Benedict Nicholson, dass ihr Haus Treffpunkt vieler internationaler Gelehrter und Intellektueller war und sie stets im Zentrum der Party stand, weil sie klüger und geistreicher war als die, die sie umgaben. So, ist man der Liebermann-Villa dankbar, dass sie dem heutigen Publikum solch inspirierende Persönlichkeit vorstellt und einen guten Einblick in Grete Rings Leben und Wirken gibt. Die Ausstellung läuft bis 22. Januar 2024.
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