Olaf Scholz: Die Cum-Ex-Affäre lässt den Kanzler nicht los

Bundeskanzler Olaf Scholz beruft sich im Cum-Ex-Skandal auf „Erinnerungslücken“. © ODD ANDERSEN/AFP

Neuere Entwicklungen in der Cum-Ex-Affäre, des größten Steuerbetrugsskandals in der deutschen Geschichte, werfen immer mehr Fragen auf die Beteiligung und die Aufrichtigkeit des Bundeskanzlers hinsichtlich seiner behaupteten Erinnerungslücken auf. Nachdem auch noch zwei Laptops mit mehr als 730.000 heiklen E-Mails für 20 Tage „verschwunden“ waren und dann rauskam, dass ausgerechnet der von der SPD berufene Chefermittler Steffen Jänicke die Laptops vermutlich versteckt hatte, liegt es auf der Hand, dass gewisse Akteure keinesfalls an einem Vorankommen der Ermittlungen interessiert sind. (JR)

Von Sebastian Biehl

Der sogenannte Cum Ex Skandal taucht seit Jahren immer mal wieder in den Medien auf und besteht aus so vielen Fassetten, dass viele die ganze Dimension nicht begreifen. Als Cum-Ex Skandal wird ein Geflecht von Banken, Aktienhändlern, Steuerberatern und Anwälten bezeichnet, welche Beihilfe zu einer speziellen Art des Steuerbetruges leisteten. Dieser Skandal betraf mehrere europäische Länder, denen etwa 55 Milliarden Euro Steuergeld verloren gegangen sind. Deutschland ist am stärksten betroffen mit etwa 32 Milliarden Euro Schaden für den Fiskus. Es handelt sich um den größten Steuerskandal der Geschichte und die Aufarbeitung wird wohl noch Jahre dauern.

Zusammengefasst geht es bei dem Skandal um die fälschliche Rückforderung von Kapitalertragssteuer auf Aktiendividende, welche einmal gezahlt wurde, aber durch Verschieben der Aktien zwischen verschiedenen Eigentümern mehrmals erstattet wurde. „Cum“ (Lateinisch „mit“) verweist auf Aktien mit Dividende, also vor dem Ausschüttungstermin, „ex“, (lateinisch „ohne“), auf Aktien nach der Dividendenausschüttung. Das Steuerschlupfloch dabei war, dass Aktien mehr als einen Eigentümer haben können, und Steuererstattung auf dieselbe Kapitalertragssteuer von unterschiedlichen Eigentümern beantragt wurde, nachdem die Aktien zwischen verschiedenen Eignern verschoben wurden. Von den Akteuren wurde es als legaler Steuerspartrick vermarktet und die Gesetzeslage war damals nicht eindeutig. Allerdings müsste den betroffenen Personen schon damals klar gewesen sein, dass es Betrug ist, wenn etwas, was einmal gezahlt wurde, mehrmals erstattet wird.

 

Noch kein Politiker verurteilt

Es handelt sich um einen doppelten Skandal: der Steuerbetrug von Finanzinstituten und deren Beratern, und die Verstrickung von Politikern, welche die Akteure deckten und die Aufklärung behinderten. Während bisher schon einige der Cum-Ex Finanzakteure verurteilt wurden, wie der Steueranwalt Hanno Berger, welcher 2022 acht Jahre Haft bekam, wurde noch kein Politiker verurteilt. Gegen einige laufen allerdings Ermittlungsverfahren.

Das betrügerische System wurde über Jahre praktiziert, im Wesentlichen von 2001 bis 2011. Anfang 2012 wurde die Gesetzeslage geändert, um Cum-Ex Geschäfte zu unterbinden. Im Juli 2021 entschied der Bundesgerichtshof, dass das Cum-Ex Steuererstattungsgeschäft strafbare Steuerhinterziehung ist. Mehrere involvierte Banken zahlten daraufhin die erschlichenen Erstattungen an den Fiskus zurück.

Interessant ist die Rolle der Hamburger Privatbank MM Warburg & Co. Die Bank soll sich zwischen 2006 und 2011 insgesamt 169 Millionen Euro an Kapitalertragssteuer aus den Cum-Ex Geschäften erstattet haben lassen. Zurzeit läuft die Verhandlung gegen Christian Olearius, Miteigentümer und bis 2019 Aufsichtsratsvorsitzender der Warburg Bank, wegen schwerer Steuerhinterziehung in 14 Fällen. Bisher bleibt Olearius dabei, dass er unschuldig sei und wissentlich nichts Falsches getan habe. Interessant ist die Frage, ob Olearius etwas zur Rolle von Bundeskanzler Olaf Scholz aussagt.

Scholz war von 2011 bis 2018 erster Bürgermeister von Hamburg und der heutige erste Bürgermeister Peter Tschentscher war damals Finanzsenator. Beide waren mutmaßlich im Cum-Ex Skandal involviert. Scholz konnte aufgrund von Kalendereinträgen nachgewiesen werden, dass er sich mindestens dreimal mit Olearius traf, etwas, was Scholz anfangs bestritt. Das entscheidende Treffen fand im Oktober 2016 statt. Es ging im Kern um eine Verteidigungsschrift, worin die Warburg Bank ihre angebliche Unschuld bei den Cum-Ex Geschäften darlegte. Scholz soll Olearius empfohlen haben, die Verteidigungsschrift an Tschentscher zu schicken, der sie unter Augen hatte, einen Vermerk dazuschrieb und an das Finanzamt weiterleitete. Das Hamburger Finanzamt verzichtete kurz darauf, im November 2016, auf Steuerrückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro, angeblich weil es nicht genug Beweise für ein betrügerisches Agieren der Bank gegeben habe. Zu dieser Zeit liefen allerdings bereits Ermittlungen gegen die Bank. Erst durch Intervention des Bundesfinanzministerium wurden die unrechtmäßigen Zahlungen zurückgefordert und die Warburg Bank erstattete einen großen Teil im Jahr 2020 zurück, klagte allerdings dagegen vor Gericht. Kürzlich entschied das Gericht, dass die Warburg Bank die Gelder zu Recht bezahlen musste. Die entscheidende Frage ist, ob Scholz nach dem Treffen mit Olearius seinem Einfluss geltend gemacht hat, so dass das Hamburger Finanzamt auf die Forderungen verzichtete.

 

Kanzlerische Erinnerungslücken

Scholz musste schon mehrmals zu dem Treffen mit Olearius vor dem Hamburger Cum-Ex Untersuchungsausschuss aussagen, blieb dabei aber sehr wortkarg und berief sich auf Erinnerungslücken. Er könne sich nicht mehr an den Inhalt des Gespräches erinnern, wisse aber ganz bestimmt, dass es zu keiner politischen Einflussnahme kam. Die Strategie von Scholz scheint zu sein, so wenig wie möglich zu sagen und zu hoffen, dass die Untersuchung zu seiner Rolle aus Mangel an Beweisen eingestellt wird. Bisher fehlt auch ein wirklicher „whistleblower“ oder belastende Akten. Mitarbeiter von Scholz decken ihn bislang. Olearius, der zurzeit verhört wird, hat Scholz bisher nicht belastet. Allerdings kann sich noch etwas aus der Sichtung von Olearius‘ beschlagnahmten Tagebüchern oder aus zwei Laptops mit 700.000 E-Mails, welche dem Hamburger Untersuchungsausschuss vorliegen, ergeben.

Während Scholz und Tschentscher bisher nichts nachgewiesen werden kann, und beide auch keine Angeklagten im Cum-Ex Verfahren sind, wurde von der Staatsanwaltschaft Köln, welche den Cum-Ex Skandal untersucht, Anklage gegen die Hamburger SPD-Politiker Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs erhoben. Pawelczyk hatte das Treffen zwischen Scholz und Olearius arrangiert, nachdem die Warburg Bank zuvor der Hamburger SPD eine Spende über 45.500 Euro zukommen ließ. Kahrs traf sich 2017 mit Olearius, um den Cum-Ex Skandal zu besprechen. Kahrs‘ Wahlkreis Hamburg-Mitte erhielt 2020 eine Spende von der Warburg Bank in Höhe von 38.000 Euro. Kahrs habe sich als Gegenleistung bei verschiedenen Instanzen für die Warburg Bank eingesetzt. Bei Kahrs fanden sich nach einer Durchsuchung im Jahr 2021 auch 210.000 Euro in seinem Schließfach. Bis heute ist nicht geklärt, woher das Geld stammt. Ein Zusammenhang mit dem Cum-Ex Skandal und eine Belohnung für Dienste an die Warburg Bank liegen nahe, es gibt aber keine Beweise. Auch Scholz wusste nichts von der Bargeldsumme in Kahrs‘ Schließfach.

 

Werden die Ermittlungen behindert?

Problematisch ist auch, dass die Cum-Ex Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln, mit der Chefermittlerin Staatsanwältin Anne Brorhilker, von der Politik behindert wurden. Brorhilker ist die Schlüsselperson bei der Aufdeckung und Ermittlung zum Cum-Ex Skandal. Die Hauptabteilung mit 32 Staatsanwälten untersuchen 120 Ermittlungsverfahren mit 1700 Beschuldigten. Der zuständige Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach (Grüne), wollte allerdings die Ermittlungen „umstrukturieren“, sprich es in zwei Hauptabteilungen aufteilen, weil die Arbeit für eine Hauptabteilung zu viel wäre. Allerdings wird die Arbeit durch eine Aufteilung nur bürokratischer und umständlicher. Auch wäre Brorhilker, die wie niemand sonst den Fall kennt und an einer Aufklärung interessiert ist, damit eines großen Teils ihrer Zuständigkeiten beraubt. Nach Protesten wurde diese Umstrukturierung zurückgenommen.

Auch der Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft zum Cum-Ex Skandal, wo die SPD dominiert und auch den Chefermittler Steffen Jänicke stellt, scheint nicht das ideale Instrument zur Aufklärung zu sein. Es ist ein Landes-Untersuchungsausschuss mit beschränkter Macht. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages wurde mit den Stimmen der Koalition abgelehnt, da dies eine Hamburger Angelegenheit sei, für die der Bund nicht zuständig ist. Die CDU-Fraktion im Bundestag, die den Ausschuss beantragt hatte, klagte gegen die Ablehnung beim Bundesverfassungsgericht. Scholz war zwar zur Zeit des Skandals ein Hamburger Landespolitiker, allerdings würde ein damaliges korruptes Verhalten ihn als heutigen Bundeskanzler disqualifizieren.

 

Beweismaterial verschwunden

Kürzlich machte Jänicke von sich reden, weil er zwei Laptops mit über 700.000 E-Mails an Beweismaterial, auch Korrespondenz von den Büroleitern von Scholz und Tschentscher, aus einem Tresor des Untersuchungsausschusses entwendetet und an einen unbekannten Ort brachte. Die Laptops waren für 20 Tage verschwunden. Mittlerweile sind sie zwar wieder aufgetaucht, aber die Frage ist, warum er dies tat und ob die Laptops manipuliert und E-Mails gelöscht wurden.

Es bleibt erstaunlich, wie sehr dieser Skandal gerade von den Medien als Nebensache behandelt wird, und wie leicht Scholz mit Ausreden und angeblichen Erinnerungslücken davonkommt. Man vergleiche dies mit anderen Skandalen in der Vergangenheit, wo Politiker wegen geringerer Vergehen nach einem Medienrummel aufgrund des großen öffentlichen Drucks zurücktreten mussten. Man denke hier an Ex-Bundespräsident Christian Wulff, oder die Ex-Minister Jürgen Möllemann oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Gerade wenn es um Steuerhinterziehung, Korruption und Vorteilnahme im Amt geht, ist man in Deutschland normalerweise sehr streng. Liegt es daran, dass es momentan in Deutschland und der Welt an allen Ecken brennt und kaum jemand die Zeit und Nerven hat, sich mit dem komplizierten Cum-Ex Skandal zu befassen? Oder ist das Argument hier, dass eine Verwicklung von Scholz in einem Skandal, welcher zu seinem Rücktritt und möglicherweise Neuwahlen führen könnte, um jeden Preis vermieden werden muss, weil es „den Falschen“ nützen würde?

 

Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, wuchs in Südhessen auf. Zum Studium ging er nach Südafrika, wo er 23 Jahre blieb und lange Zeit als Rechercheur und Journalist arbeitete. Seit 2019 wohnt er mit seiner Familie in Berlin.

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