David Ben-Gurion – Staatsgründer und Pragmatiker

Israels Staatsgründer David Ben-Gurion© JWIKIPEDIA

David Ben-Gurion, der Sohn des Löwen, träumte von einer besseren Zukunft für sein seit zwei Jahrtausenden geschundenes Volk. Er war beseelt vom jüdischen Pioniergeist und erfüllt von dem Wunsch auf ein Ende der jahrhundertlangen Verfolgung und der Wehrlosigkeit des jüdischen Volkes. Ben Gurion kam bereits erstmalig 1906 nach Palästina und rief am 14. Mai 1948, legitimiert durch das UN-Referendum vom 29. November 1947, die Unabhängigkeit des jüdischen Staates als dessen erster Ministerpräsident aus. (JR)

Von Simone Schermann

Plonsk 1886. Ein polnisches Städtchen, mit 361 Häusern, vorwiegend aus Holz, einer gepflasterten Straße, es ist die der Synagogen. Von 7.900 Einwohnern sind 4.500 Juden; Schneider, Händler, Handwerker, Inhaber kleiner Brauereien oder Sägewerke. In die Familie von Avigdor und Scheindel Grien (Grün) wird am 16. Oktober, als sechstes Kind, ein Junge geboren, David-Joseph.

Fast 62 Jahre später wird er am 14. Mai 1948, in seiner Funktion als israelischer Ministerpräsident und Verteidigungsminister, die Gründung des Staates Israel ausrufen. Damit führt er das Erbe aus, das der geistige Vater des Zionismus und des gerade entstandenen jüdischen Staates, Theodor Herzl, als Idee und pure Notwendigkeit in die Herzen der Juden gepflanzt hatte.

David Ben-Gurion wird als der Erbauer und Realisator in die Geschichte eingehen, ziemlich genau 50 Jahre nachdem Herzl in sein Tagebuch den berühmten Satz schrieb „in fünfzig Jahren“ werde jeder verstehen, dass er in Basel den „Judenstaat“ gegründet habe.

 

Liebe zu Zion

Avigdor Grün ist ein glühender Zionist, gründet den Ortsverein Chibbat Zion, der die Sehnsucht des Judentums nach der alten, biblischen Heimat und dem gelobten Land vertritt. Diese Liebe zu Zion überträgt sich auf David, der mit elf Jahren erstmals von jenem Mann aus Wien hört, der als „Messias“ gehandelt wird, von dem man sagt, er werde das Volk Israel in das Land der Väter führen.

Der Junge beschließt, den Ideen auch Taten folgen lassen und nicht in Polen zu bleiben, erhält eine klassische jüdische Erziehung im Cheder, der Großvater lehrt in Hebräisch; so ausgerüstet verlässt er das Holzhaus seiner Eltern in der Ziegengasse und erreicht mit der zweiten Auswanderungselle 1906 Palästina. Er gehört somit zu den „Russen“, die mit drei großen aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen, 1881/82, 1904/06 und 1919/21, ins Heilige Land kamen, nach den Pogromen in Kischinew, die wie schon 1882 jüdische Viertel im Zarenreich verwüsten.

Der Zwanzigjährige hatte das zionistische Bewusstsein mit der Muttermilch aufgesogen, ist Herzls glühendster Verehrer, der eine regelrecht katalytische Wirkung auf den schon früh geborenen Plan Davids hatte. Von der Sehnsucht erfüllt, die Rückführung des jüdischen Volke in das von Gott gegebene Land in die Tat umzusetzen, ist der Zionismus die Erfüllung einer geradezu alles überlagernden Idee, die keine anderen Prioritäten duldet und die er mit Entschlossenheit angeht. „In meinen Augen“, so schreibt David an den Vater, „ist die Besiedlung des Landes der einzig wahre Zionismus. Alles Übrige ist Selbsttäuschung, leeres Gerede und Zeitverlust.“

Er kommt als einer der Pioniere und Gründerväter, die die erste landwirtschaftliche Gemeinschaftssiedlungen bauen: Flüchtlinge vor der Oktoberrevolution, die nach der Balfour-Erklärung und dem Beginn des britischen Mandats das institutionelle Fundament Israels legen, die Hagana, die Histadrut, die Stadt Tel-Aviv.

 

Stolz und Freiheitsliebe

Davids Leidenschaft gilt nicht der Landwirtschaft und dem Kibbuz-Leben, er strebt nach der Partizipation bei der Schaffung von Ersetz Israel. Wie seinem Wiener Vorbild, fehlte es ihm nicht an Mut oder Selbstbewusstsein. Geistig vereinte sie das Schreiben und die Politik, es fehlte ihnen weder an Sendungsbewusstsein oder Pragmatismus noch an jüdischem Stolz oder der notwendigen Freiheitsliebe, um für das jüdische Volk die Realisierung eines Traumes voranzutreiben. In beiden Zionisten steckte der perfekte Führungswille, um diese Pflicht zu erfüllen: ein Land für die Juden, das sich selbst verteidigen und die Juden aus aller Welt aufnehmen kann. Im alten Hafen von Jaffa angekommen, soll David gesagt haben: „Meine Füße im Staub, mein Haupt in den Sternen.“

Im Gegensatz zu unzähligen Visionären und Revolutionären wird Ben-Gurion nie die Bodenhaftung verlieren, trotz zeitweiliger Flirts mit kommunistischen Ideen bleibt der selbsternannte Sozialist doch Realist und Demokrat, der weder Privateigentum noch Privatinitiative ablehnt. Der leidenschaftliche Kämpfer und kühle Taktierer ist kein Salon-Revolutionär, sondern ein Arbeiterführer mit Schwielen an den Händen, der in seinen Tagebüchern durchscheinende Stimmungsschwankungen, die er mit Theodor Herzl gemeinsam hat, für sein Umfeld in zutiefst beeindruckende Überzeugungskraft und leidenschaftliche Selbstsicherheit verwandeln konnte.

So schreibt er: „Ich voran, Ihr mir nach - denn ich verwandle für Euch abstrakte Gedanken in sicht- und fassbare Tat.“ Ein Erbe des berühmten Ausspruchs des zionistischen Übervaters Theodor Herzl: „Wenn Ihr wollt, dann ist es kein Märchen.“

 

Geschichte der Verfolgung und Pogrome

Ben-Gurion werden ähnliche Themen wie einst Theodor Herzl umtreiben. Beide problematisieren die „Ghetto-Mentalität“ der Juden, weil sie die Unfähigkeit der Diaspora beschreibt, sich aus ihrem angestammten Umfeld zu lösen und den zionistischen Weg zu gehen. Das alte jüdische Problem, sich nicht von alten Abhängigkeiten und somit der Unfreiheit verabschieden zu können.

Die jüdische Geschichte, ist die Geschichte einer Opferrolle, die nicht mit dem europäisch-christlichen Judenhass beginnt, sie ist eine sich fortsetzende Historie von Massakern, Vertreibungen, vom Hinschlachten durch Kreuzfahrer, Inquisition, russischen und ukrainischen Pogromen: die Shoa war ein Glied in dieser Kette und wird voraussichtlich nicht das Ende sein. So drohte auch die Arabische Liga 1947 für den Fall der jüdischen Staatsgründung mit nichts geringerem als einem „Vernichtungskrieg.“

Als Ben-Gurion ab Oktober 1945 in das zerstörte Deutschland reist, besucht er DP-Lager, auch Bergen-Belsen, Dachau. Sein Assistent Ehud Avriel notiert, dass ihm die Begegnungen an die Substanz gingen: „Er wirkt gealtert, war ganz grau, als habe er die Lebensfähigkeit verloren.“ Er befürchtet, dass diesen gemarterten Menschen, die nötige Widerstandskraft und Kampfbereitschaft genommen wurde.

Der Kampf um Israels Überleben begann mit dem Ende des britischen Palästinamandats, mit der Verlesung der Unabhängigkeitserklärung und mit den unmittelbaren Luftangriffen der Heere des Libanons, Syriens, Iraks, Transjordaniens und Ägyptens, deren Operationsabteilung verkündete, dass „ein jüdischer Staat keine Überlebenschance“ habe und nun „alle Juden massakriert werden.“

Der Kampf der jungen Nation

Als die Briten am 15. Mai 1948 ihre Abschiedsparade halten, ist Ben-Gurion Chef der Hagana, der wichtigsten Untergrundorganisation, die weltweit altes Kriegsmaterial für den Aufbau eine Armee zusammenkaufte. Bis zum Ende seiner politischen Karriere sollten ihn Sicherheitsfragen nicht mehr loslassen, er machte aus einer provisorischen Untergrundgruppierung und einem provisorischen Staat eine schlagkräftige, jüdische Streitmacht und eine funktionsfähige Nation.

In den frühen Morgenstunden, als ägyptische Bomber die Zivilbevölkerung Tel-Avivs bombardieren schildert Ben Gurion den Angriff, gleich einem unerschütterlichen Feldherrn in einer Rundfunkansprache. Das israelische Volk lauscht seinem General, der von den Bombeneinschlägen, den Explosionen und Sirenen berichtet, die im Hintergrund allnächtlich zu hören sind. Und die Welt hört mit.

Waffen sind knapp, Kämpfer ebenfalls, denn die Rekruten, mit welchen die Hagana auskommen muss, sind keine erfahrenen Soldaten, da sie frisch von den Einwanderungsschiffen kommen, nie ein Gewehr in der Hand hatten und die hebräischen Befehle nicht verstehen. Der Yeshuv wird massakriert, jüdische Viertel sind eingeschlossen, mit abgeschnittenen Nachschubwegen. Wasser und Lebensmittel sind rationiert, sodass viele bereits Hunger leiden: das Land blickt in den Abgrund des eigenen Untergangs.

Seit 1920 hatte der Großmufti Amin el-Husseini in Palästina Pogrome organisiert und mit seinem Verbündeten Adolf Hitler am 28. November 1941 den gemeinsamen Plan eines Holocaust im Nahen Osten besprochen. Husseini war die treibende Kraft hinter dem pro-nazistischen Putsch im Irak, der im Juni 1941 als „Farhud“ bekanntes Massaker an Hunderten irakischen Juden führte.

Jetzt wandte er sich seinem Lebenstraum eines judenreinen Palästinas zu. Der Rest ist Geschichte. Nach Pogromen in Aden, Aleppo, in Isfahan, in Bahrain, Kairo und Beirut, wo seit Jahrhunderten Juden leben, flüchten mehr als 700.000 arabische Juden aus ihren Heimatländern nach Israel. Ben Gurion öffnet die Tore für die uneingeschränkte Zuwanderung und mutet dem jungen Land zu, alljährlich Hunderttausende Neubürger anzunehmen, eine gigantische Herausforderung. Der Realpolitiker weiß, dass internationale Politik vor allem auf die Durchsetzung nationaler Interessen abzielt. Israels Ziel war das Überleben, wofür es starke Partner brauchte, um lebensnotwendige Dinge zu sichern. Mit Spenden und Krediten konnten die steigenden Bevölkerungszahlen nicht ernährt werden.

 

Historisches Treffen

Die Gründungsväter Israels und der Bundesrepublik Deutschland, David Ben-Gurion und Konrad Adenauer, der eine 73, der andere 84 Jahre alt, begegnen sich, in einer regelrecht freundschaftlichen Atmosphäre. Der israelische Patriarch, legt seine Hand symbolträchtig auf den Arm des Bundeskanzlers der Deutschen. Der Beobachter fragt sich, ob sich da die Repräsentanten von Opfer- und Täternation begegnen, ein spektakuläres Treffen, der Beginn von „Aussöhnung“ und „Normalität“?

Die historische Begegnung sagt weitaus mehr als das aus. In New York trafen sich zwei Staatsmänner auf Augenhöhe, als Repräsentanten ihrer Nation, ein Jude gleichauf mit einem Deutschen. Das machte am 14. März 1960, im Nobelhotel Waldorf Astoria, das Treffen zum Symbol einer Annäherung zwischen Ebenbürtigen: Israel und Deutschland. Hier entspringt die Wirkungskraft des Treffens, gerade einmal anderthalb Jahrzehnte nach der industriell organisierten Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden. Angeregt von Ben-Gurion, der über den Zivilisationsbruch des von Deutschland begangenen Massenmordes hinweg, Kontakte zum Nachfolgestaat des Dritten Reiches knüpfte.

Israels stand vor immensen Herausforderungen und diese bedurften pragmatische Entscheidungen auf der großen politischen Bühne. Ben Gurion schlägt die maßgebliche Beteiligung Deutschlands an der wirtschaftlichen Entwicklung Israels vor. Investitionen in Industrie, Schifffahrt und Landwirtschaft legen den Grundstein für eine wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit, sogar für eine militärische Aufrüstung Israels durch die Bundesrepublik.

Im Waldorf Astoria liegt, neben der Forderung nach 500 Millionen Dollar in jährlichen Tranchen, auch eine präzise Wunschliste in Ben Gurions Reisegepäck: Fernlenkgeschosse, U-Boote, Schnellboote, Haubitzen, Hubschrauber, Transportflugzüge, Panzer, Flagggeschütze und Raketen. Seine klare Haltung dazu, dass deutsche Zahlungen überlebensnotwendig waren, ist bezeichnend für Ben Gurions Pragmatismus. Mittelsmänner lehnt er kategorisch ab und schreibt am 13. Dezember 1951 in sein Tagebuch: „Ich bin dagegen, einen Shabbes-Goi zu benutzen. Wenn verhandelt werden muss (…) dann tun wir dies selbst oder überhaupt nicht.“ Das jüdische Volk sei nun eine souveräne und unabhängige Nation, mit Rechten und Pflichten, die Verhandlungen auf Augenhöhe führte, als Nation unter Nationen, die sich nicht hinter Moralvorstellungen versteckt.

 

Deutschland in der Pflicht

Und dennoch. Die Ermordung von sechs Millionen unschuldiger Menschen, darunter eine Million kleiner Kinder, sei nicht nur beispiellos in der Geschichte, sagt er zu Adenauer. Aus zionistischer Perspektive, habe Hitler nicht nur die Juden Europas vernichtet, sondern auch die Juden der Möglichkeit beraubt, ihren Staat aufzubauen. Wissen, Befähigung, Idealismus, aber auch materielle Mittel, seien vernichtet worden. Das europäische Judentum, sei das Rückgrat der zionistischen Bewegung gewesen, und da ganze Bevölkerungsgruppen verschwanden, gingen Millionen dieser Menschen verloren. Hitler hatte mit ihrer Auslöschung die Aufgabe der Staatsgründung ungleich schwerer gemacht. Deutschland sei daher in der Pflicht, einen Teil der Last bei der Wiederansiedlung jüdischer Emigranten zu tragen.

Eretz Israel stand vor einem gewaltigen Pionierwerk, dem Ben Gurion vorstand wie ein zu allem entschlossener General. Die Negev-Wüste machte einen beachtlichen Teil des Staatsgebietes aus und bot ein großes Reservoir für Siedlungen, industrielle Anlagen, landwirtschaftliche Nutzfläche, deren Erschließung lebensnotwendig waren. Städte, Straßen, Eisenbahnwege, die komplette Infrastruktur musste geschaffen werden. Neben wirtschaftspolitischen trieben den Staatsmann auch sicherheitspolitische Erwägungen bei seiner Deutschlandpolitik an, für die er signifikante Hilfe von Adenauer erwartete, wie auch immer diese dann genannt werden sollte: Reparation, Wiedergutmachung oder „Schilumim".

Neben dem Wiedergutmachungsabkommen 1952, dem Treffen in New York 1960, markiert das Jahr 1957 der Suezkrise ein epochales Ereignis in Israels Geschichte.

In einer Knesset-Rede sagt Ben Gurion, dass Israels Existenz entscheidend von guten Beziehungen zu Deutschland abhänge, weil man es „nicht mit der Welt von gestern, sondern mit der Welt von morgen zu tun haben“ würde „nicht mit Erinnerungen aus der Vergangenheit,“ dafür aber mit konkreten und neuen Realitäten, nicht aber mit den entschwundenen Zeiten. Er setzt moralischen Erwägungen, der Absicht, Waffenlieferungen aus Deutschland anzunehmen, klar entgegen.

 

Die „Zionistische Spannkraft“

Mit der Aussicht konfrontiert, an der Seite Großbritanniens in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, gleichwohl die Briten mit dem „Weißbuch“ die jüdische Einwanderung einschränkten, sagte der Pragmatiker Ben Gurion: „Wir werden den Krieg führen, als ob es kein Weißbuch gäbe, und wir werden das Weißbuch bekämpfen, als ob es keinen Krieg gäbe.“ Diese Widerstandskraft, den Kampfeswillen und die spezifisch jüdische Resilienz nennt er „zionistische Spannkraft.“

Der Drahtseilakt einer Zusammenarbeit mit den Briten und parallel dazu „patriotischen Zorn“ zu kultivieren, oder angesichts der Ermordung des europäischen Judentums, die Vorbereitungen für die Aufnahme der Überlebenden nach dem Krieg zu treffen, dass zionistische Aufbauwerk und den Existenzkampf im Unabhängigkeitskrieg parallel zu führen, all das war für ihn der Ausdruck für eben jene „zionistische Spannkraft“.

Über das Nationaljudentum, das endlich ein Ende der Diaspora und der „Ghetto-Mentalität“ einläuten sollte, sagte Theodor Herzl: „der Zionismus ist das jüdische Volk unterwegs.“ Die Ablehnung der Diaspora war auch Ben Gurions Credo, die Schuld an der Shoa lastete er eben diesem Exil an, das den Juden zum Verhängnis wurde. Die pure Machtlosigkeit, die Sprachlosigkeit vor der Shoa, die Indifferenz der Welt bezüglich der Nachrichten aus Europa, diverse Pläne zur Rettung einiger Hunderttausend jüdische Kinder, die auch daran scheiterten, dass die Briten die Einreise verweigerten, all das führte dazu, das er sich auf die Zeit danach fokussierte.

 

Kampf um jüdische Selbstbehauptung

Die Mandatsmacht paktierte mit den Arabern, versuchte alles um einen jüdischen Staat zu verhindern, und stoppte KZ-Überlebende, die Zuflucht in Palästina suchten. Ben Gurions Kampf hatte ständig eine zusätzliche Dimension, ein unausgesprochene. Israels Kriege wurden mit einer Verzweiflung geführt, die nicht allein dem Überlebenskampf im Gefecht galten, die stattdessen um die Verhinderung einer weiteren oder gar endgültigen Vernichtung geführt wurden. Das Versagen, die Unmöglichkeit bis 1945 in Europa einzugreifen, wurde zwangsläufig auf die Zeit danach übertragen und seit dem Unabhängigkeitskrieg weitergeführt, im Kampf um jüdische Selbstbehauptung.

Hitler entgegen treten bedeutete für Ben Gurion die Stärke des zionistischen Aufbauwerks zu forcieren: „Jüdische Macht in Erez Israel ist jedes jüdische Kind, jede jüdische Schule, jeder jüdische Baum, jede jüdische Ziege (…)“

Jüdische Spannkraft hieß für ihn: „Jüdischer Staat, Krieg gegen Hitler jüdische Armee, Krieg dem Weißbuch!“ Es war das exakte Gegenteil, wie der Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann „jüdische Spannkraft“ interpretierte. Der berühmte Gegenspieler Theodor Herzls und des Zionismus, beschrieb in seiner Replik „Nationaljudentum“, aus dem Jahr 1897, gerade die Diaspora, ewiges Exil und Assimilation als herausragende jüdische Lebensweise. Die Eigenschaft, sich jeder Qual des Exils demütig anzupassen, sei eine jüdische „Weltmission“, eben jene „jüdische Spannkraft,“ die er im Dauerzustand der Anpassungsfähigkeit und Unterwürfigkeit als Erfüllung seiner religiösen Auffassung verwirklicht sah.

Den jüdischen Händler beschreibt er als „Träger prophetischer Ideen“, der sich „bereitwillig (…) mit jeder beliebigen Nationalität umhüllt“, eine „des nationalen Charakters entkleidete Eigenart“: Der ewige, heimatlose Jude, „zerstreut und vaterlandslos“, als prophetisches Ideal eines Wiener Funktionärs. „Dadurch“, so Güdemann, habe es (das Judentum sic!) seine Elastizität und Spannkraft bewahrt.“ Diese ewig staatstragende Elastizität sollte die Juden ins Verderben der Shoa führen.

 

„Wir wollen nicht in das Ghetto zurückkehren“

David Ben Gurion, der Sohn des Löwen, träumte von Zion, von jüdischem Pioniergeist, von Juden als Siegern, vom Ende der jüdischen Opferrolle und der jüdischen Wehrlosigkeit, die immer auf das Mitleid der eigenen Peiniger angewiesen war. Vom Wohlwollen der Regierenden abhängige, zerstreute jüdische Gemeinden, aus denen man die Ghetto-Mentalität wohl nie wird herausholen können.

In unzähligen hitzigen und von Schmerz erfüllten Debatten der 50-er Jahre, als Mitglieder der Knesset ihre persönlichen Tragödien anführten, um Kontakte mit Deutschland zu verhindern, kam es zu dem seltenen Moment, da Ben Gurion seine Vergangenheit anführte, für ein gegensätzliches Argument: „Wir wollen nicht in das Ghetto zurückkehren mit den Gefühlen eines „Ghettojuden“ (…) ich selbst bin davon gerannt, als ich 19 war und ihr werdet mich nicht dorthin zurückbringen (…). Nicht Deutschen „hinterherlaufen“, um ihnen ins Gesicht zu spucken, sei seine Vorstellung; er wolle in seinem Land sein, um es aufzubauen.

Später wird er einmal die Wüste kultivieren und in der Negev-Wüsten in einfachen Verhältnissen leben, in einem Kibbuz Namens Sde Boker seinen Lebensabend verbringen, umgeben von Büchern und von der Wüste, die er so innig liebte wie Zion. Er stirbt am 1. Dezember 1973.

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