„Grete Rebstock: Stigma und Schweigen“ – Ehemalige sowjetische NS-Zwangsarbeiter blicken zurück
Grete Rebstock hat für ihre Dissertation über die „NS-Zwangsarbeit aus sowjetischer Perspektive“ 56 russische Männer und Frauen interviewt, die im hohen Alter bereit und besonders mutig waren, Erinnerungen preiszugeben, die zu den schwersten ihres Lebens zählen: Erinnerungen an ihre Zwangsarbeit in NS-Deutschland und an die Repressionen nach ihrer Repatriierung. Das Ergebnis ist eine quellengesättigte, mit 1.446 Anmerkungen versehenen Untersuchung. Hier kommen resiliente Menschen zu Wort, deren Leben ein erschütterndes Zeugnis ist für das große Leid, das ihnen durch Stalins Sowjetunion und ganz besonders durch Nazi-Deutschland im 20. Jahrhundert zugefügt worden ist. (JR)
Im Erinnerungsdiskurs der deutschen Nachkriegsgeschichte hat das Thema „Fremdarbeiter“ lange Zeit historiografisch wenig Beachtung gefunden. Nicht anders in Russland, wo das Schicksal der ehemaligen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen als Gegenerzählung noch brisanter hervorgetreten und kein Mainstream-Thema war und ist. In Deutschland vollzog sich erst in den 1990er Jahren mit den Debatten um das Thema „Sklavenarbeit in NS-Deutschland“ ein Paradigmenwechsel, der mit der Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) im Jahre 2000 und der Auszahlung humanitärer Ausgleichsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiter des NS-Regimes für die Bundesregierung ihren Abschluss fand. Die Auszahlungsprogramme wurden im Jahr 2007 abgeschlossen, nachdem 4,37 Mrd. Euro an 1,7 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter ausgezahlt worden waren. Die Stiftung pflegt seitdem einen erinnerungs- und bildungspolitischen Auftrag.
Grete Rebstock hat für ihre Dissertation über die „NS-Zwangsarbeit aus sowjetischer Perspektive“ 56 russische Männer und Frauen interviewt, die im hohen Alter bereit und mutig waren, Erinnerungen preiszugeben, die zu den schwersten ihres Lebens zählen – Erinnerungen an ihre Zwangsarbeit in NS-Deutschland. Das Ergebnis ist eine opulente, quellengesättigte, mit 1.446 Anmerkungen versehenen Untersuchung. Hier kommen resiliente Menschen zu Wort, deren Leben ein erschütterndes Zeugnis ist für das große Unrecht der beiden totalitärsten Systeme des 20. Jahrhunderts. Sie beleuchtet in ihrer Studie die Schicksale der ehemaligen „Ostarbeiter“ und wie ihr weiteres Leben nach der Rückkehr in die Sowjetunion verlief. Neben den unterschiedlichen Erfahrungen der Zwangsarbeit stellt Grete Rebstock als Gemeinsamkeit fest, dass für alle Betroffenen das Kriegsende nicht automatisch das Ende von Verfolgung und Stigmatisierung war.
Grete Rebstock macht gleich zu Anfang ihrer Forschungsarbeit deutlich, dass ihre Studie, die sie im April 2021, lange genug vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fertigstellte, „von der Geschichte eingeholt“ worden sei. Sie konzipierte und ausformulierte ihre Untersuchung, wie sie schreibt, in „unschuldiger Ahnungslosigkeit des kommenden Bomben- und Propagandahagels“ ohne die sich rasant entwickelnde Repressionsdynamik in der russischen Innenpolitik zu antizipieren. Die gegenwärtigen Zeitläufte wollen es, dass sie die befragten Menschen aus Sicherheitsgründen nicht namentlich nennt.
Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Bis zum Dezember 1941 hatte sie in einem „Blitzkrieg“ das Baltikum, Weißrussland und die Ukraine unterworfen. Die deutschen Besatzer kamen mit perfiden Plänen. Ihr Konzept war, so hatte es Hitler bereits in „Mein Kampf“ unverhohlen prophezeit, die Gewinnung von „Lebensraum im Osten“. Und das hieß, die eroberten Gebiete wirtschaftlich zu ruinieren, die Bevölkerung auszuhungern, zu vertreiben oder in Zwangsarbeit zu bringen. Die jüdische Bevölkerung sollte ermordet werden.
„Gestellungskontingente“
Die Verpflichtung aller Bewohner der eroberten Gebiete, Arbeiten für die Besatzer zu verrichten, erfolgte im Dezember 1941 durch eine Verordnung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg. Davon betroffen waren Männer bis zum Alter von 65 Jahren und Frauen zwischen 15 und 45 Jahren. In der Folge davon wurden den lokalen Behörden Gestellungskontingente auferlegt und einheimische Amtsträger mit den Rekrutierungen beauftragt. Um die Aushebungen zu unterstützen, griffen die deutschen Besatzer immer häufiger mit Terrorakten ein. Um die verfügten Kontingente zu erfüllen, wurden selbst Passanten auf offener Straße, Teilnehmer von Festen und Gottesdienstbesucher ergriffen und zu den Sammelstellen gebracht. Gemeinden, die den Gestellungsbefehlen nicht Folge leisteten, hatten mit drakonischen Strafexempeln zu rechnen, die bis zum Niederbrennen ganzer Ortschaften führen konnten. All diese Maßnahmen hatten die deutschen Besatzer bereits im Ersten Weltkrieg im russischen Okkupationsgebiet praktiziert und infrastrukturelle und logistische Erfahrungen gesammelt, auf die man beim Angriffskrieg auf die Sowjetunion ein Vierteljahrhundert später zurückgreifen konnte.
Für die Nationalsozialisten galten die Menschen des Ostens weder als „kultiviert“ noch als „zivilisiert“. Sie wurden als rückständig, minderwertig und unkultiviert betrachtet. Rassistische Dünkel Russen oder Polen gegenüber waren keine seltene Erscheinung, so war es nicht erst seit 1941 – der „Probelauf“ hatte bereits im Ersten Weltkrieg stattgefunden. So kann es nicht weiter überraschen, dass es für die ausländischen Arbeitskräfte unterschiedliche Grade hinsichtlich ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen und ihres rechtlichen Status' gab. Die Spannweite reichte erstmals in den Weltkriegsjahren ab 1915 von Arbeitskräften, die mehr oder weniger freiwillig angeworben wurden, von Männern, die bei Razzien ergriffen wurden, bis hin zu Menschen, die als Zivil- oder Kriegsgefangene zur Arbeit gezwungen wurden.
Institutionalisierte Diskriminierung
Die rassistische Ideologie spiegelte sich besonders in der Behandlung der Russen wider. Es gab und gibt eine Tradition institutionalisierter Diskriminierung von ausländischen Arbeitern. Als Kriterium staatlicher Reglementierung wurde die Zugehörigkeit zu einem bestimmten, als kulturell niedrig angesehenen Staat, und der damit zusammenhängende soziale Status herangezogen. Dies erklärt, dass unter allen in Deutschland anwesenden fremden Nationen oder Völkern die Russen und - mehr noch - Ostjuden an der untersten Stufe der hierarchischen Werteskala rangierten - kulturell, sozial, politisch und arbeitsrechtlich.
Zwischen 1915 und 1941 lassen sich bürokratische Kontinuitätslinien ziehen - Parallelitäten, Affinitäten und Ähnlichkeiten, Strukturen von gespenstischer Symbolik. Eine Assoziationskette zwischen 1915 und 1923 verläuft so: Es gab im russisch-polnischen Okkupationsgebiet Menschenjagden, um Kontingente arbeitsfähiger Personen zusammenzubekommen, und damit zusammenhängend, Sippenhaft; es gab deutsche Ärzte, die Juden begutachteten, für arbeitstauglich oder -untauglich erklärten und selektierten; es gab mobile Entlausungsanstalten; es gab Deportationen in Viehwaggons zur Arbeit nach Deutschland; es gab stigmatisierende Kennzeichen auf der Arbeitskleidung zur besseren Unterscheidung von fremden und deutschen Arbeitern, es gab 1919/20 Internierungslager - im allgemeinen Sprachgebrauch auch Konzentrationslager genannt - eingeübte und antizipierte Elemente einer Unterdrückungspolitik, die, vervollkommnet, weniger als ein Vierteljahrhundert später in grausige Realität umgesetzt wurden.
Doppeltes Unrecht
Wer während des Zweiten Weltkriegs für die Besatzer arbeitete, wurde vom Obersten Staatsanwalt der Sowjetunion unter den Tatbestand des Landesverrats gestellt und mit der Höchststrafe, der Todesstrafe, belangt. So waren die Menschen in einem Dilemma gefangen: Einerseits hatten sie den brutalen Zwang der Besatzer zu gewärtigen und andererseits hatten sie Sanktionen ihrer eigenen Regierung zu befürchten.
Im Herbst 1944 wurden im Reichsgebiet etwa 13,5 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene zwangsweise zur Arbeit eingesetzt, von denen 4,7 Millionen aus der Sowjetunion stammten, die weitaus größte Gruppe, davon fast die Hälfte Frauen. Der Abtransport nach Deutschland vollzog sich unter strenger Bewachung in Güter- oder Viehwaggons. Von wenigen freiwilligen Meldungen abgesehen erfolgte die Rekrutierung unter Zwang und Androhung von Repressalien wie dem Niederbrennen von Bauernhöfen.
Schlechte Ernährung und Unterbringung, Angst vor systematischen Misshandlungen sowie sexualisierter Gewalt waren an der Tagesordnung. Diese Angst wurde von den interviewten Frauen breit thematisiert. Als Strategie dagegen gaben Frauen an, Schutz bei männlichen Autoritätspersonen gesucht, Solidarität unter Frauen praktiziert oder sich durch Verunstaltung als Frau „unsichtbar“ gemacht zu haben.
Dann, Angst vor Luftangriffen, wobei ihnen die Benutzung der Luftschutzkeller verwehrt war, kennzeichneten das Leben der Zwangsrekrutierten in Deutschland. Geschlechtsverkehr mit Deutschen wurde mit der Todesstrafe geahndet. Bei Fluchtversuchen drohte das Konzentrationslager. Es galten maximale Ausbeutung und schärfste Strafmaße. In den zynischen Worten Hermann Görings kannte die Strafskala „zwischen Ernährungsbeschränkung und standrechtlicher Exekution“ im Allgemeinen keine weiteren Stufen.
Wie auf einem „Sklavenmarkt“
In Deutschland angekommen suchten sich die „Arbeitgeber“ ihre Arbeiter und Arbeiterinnen nach deren körperlicher Verfassung und Bildungsgrad aus - wie auf einem „Sklavenmarkt“, so erinnerten sich viele der Befragten.
Für die allgemein „Ostarbeiter“ genannten „fremdvölkischen“ Zwangsverpflichteten war es von entscheidender, nicht selten sogar existenzieller Bedeutung, für welche Arbeit sie eingeteilt wurden, ob in einem Industriebetrieb, in der Landwirtschaft oder als Haushaltshilfe und Kindermädchen in einer deutschen Familie. Besonders schwer traf es diejenigen, die in Bergwerken oder Rüstungsbetrieben mindestens zehn bis zwölf Stunden schuften mussten.
Wesentlich bessere Verhältnisse fanden diejenigen Ostarbeiterinnen vor, die in deutschen Privathaushalten angestellt wurden. Sie mussten nicht in Lagern wohnen, sondern waren in den Wohnungen ihrer Dienstgeber untergebracht. Außerdem erhielten sie Lebensmittelzuteilungen wie die deutsche Zivilbevölkerung, um ohne sonderliche Auszehrungserscheinungen in das Bild eines deutschen Haushalts zu passen.
Nach den Kriterien der NS-Ideologie auf der Stufe der Ausländerhierarchie weit untenstehend und als „Untermenschen“ tituliert, rangierten nur noch die Juden des Ostens und die „Sinti:zze“ und „Roma:nja“ unter ihnen. Die Ostarbeiter wurden abgesondert von den anderen Fremdarbeitern in eigenen Lagern untergebracht, die in der Regel mit Stacheldraht umzäunt waren.
Die Ostarbeiter mussten sich äußerlich kenntlich machen: Auf der linken Brustseite hatten sie ein angenähtes Rechteck mit der weißen Aufschrift „OST“ zu tragen. Diese stigmatisierende Kennzeichnung machte für jedermann ihre Minderwertigkeit und Rechtlosigkeit sichtbar.
Unter Generalverdacht
1945 in die sowjetische Heimat zurückgekehrt, stießen die ehemaligen Zwangsarbeiter auf Misstrauen, offene Feindseligkeit und aufgrund ihrer Arbeit für die Deutschen gerieten sie unter den Generalverdacht der Kollaboration. Zwangsarbeit für den Feind entsprach nicht dem „im Schatten des Stalinkultes geborenen Ideal von Heroismus und Patriotismus“. Über ihre schrecklichen Erfahrungen der Zwangsarbeit und wegen des Sprechverbots, das ihnen brutal entgegenschlug, zogen die meisten es vor zu schweigen.
In Deutschland waren sie Feinde, in der Sowjetunion galten sie als Verräter. Und damit waren sie Opfer zweier Diktaturen. In der UdSSR wurden viele von ihnen in das Lagersystem des Gulag verschleppt, weil man sie wegen ihres Aufenthaltes im deutschen Machtbereich der Kollaboration mit dem Feind und der Spionage beschuldigte. Nicht wenige wurden hingerichtet. Die sowjetischen Behörden entledigten sich, indem sie ein solches Klima der Verdächtigung und Ausgrenzung förderten, zugleich der Verantwortung für deren Schicksal. Und das war noch etwas Anderes: Eine allgegenwärtige Angst bei jedem Interviewten, eine Angst, die bis in Gegenwart spürbar ist. Die Angst der Befragten davor, Dinge wie z.B. die schlechte Behandlung durch die Rotarmisten bei Kriegsende anzusprechen. Die Angst vor der Demoralisierung der sowjetischen Gesellschaft durch die Zurückgekehrten war ein weiteres Motiv des Staates für die engmaschige Kontrolle. Denn diese hatten, allen Widrigkeiten zum Trotz, mit eigenen Augen die besseren Bedingungen in Deutschland gesehen, etwa den hohen Lebensstandard oder den technischen und wirtschaftlichen Entwicklungsstand. Das erklärt, dass ein Großteil der Ostarbeiter nicht in die Heimat zurückwollte.
Ein Befragter berichtet über seine vergebliche Suche, nach seiner Rückkehr Arbeit zu finden. Er wollte deswegen nicht mehr weiterleben und sinnierte: „Dort (in Deutschland) konnte mich die SS gebrauchen, man steckte mich ins KZ, aber hier (in der UdSSR) bin ich meiner eigenen Regierung unangenehm, man nimmt mich nicht auf Arbeit“. Im historischen Bewusstsein der Menschen in Russland ist die Geschichtspolitik, diese Gruppe zu stigmatisieren, bis in die Gegenwart zu finden. Eine tragische Kontinuität: Eine Anerkennung als eine Opfergruppe ist den ehemaligen Zwangsarbeitern in ihrer Heimat - auch nicht nach dem Zerfall der Sowjetunion - nie zuteilgeworden.
Einer der Interviewten, Josif A., ist Jude. Nach seiner Rückkehr hatte er mit antisemitischen Anfeindungen zu kämpfen. Er hatte das KZ Auschwitz-Birkenau überlebt und war aus dem KZ Buchenwald befreit worden. Nicht genug seiner Leidensgeschichte – in der UdSSR wurde er zur Zwangsarbeit in den Donbas verschleppt. Dort hatte er sich den antisemitischen Attacken anderer Zwangsarbeit zu erwehren.
Opferstatus aberkannt
Der Opferstatus: Die sowjetische Regierung erkannte den zurückgekehrten Zwangsarbeitern den Status als Opfer ab, indem sie – umgekehrt – den Verratsvorwurf aktivierte. Die Aussage von Vera Š., sie könne ja kein Opfer sein, denn sie habe überlebt, ist semantisch ebenso unbestreitbar wie politisch – vor diesem Hintergrund – besonders brisant. Die negative Konnotation des „Opfers“ im Sinne des russischen Wortes „žertva“ ließ in der Sowjetunion immer auch den Verratsvorwurf mitschwingen.
Die Interviews zeigen: Die Zwangsarbeit in Deutschland wurde von den Befragten als Teil ihrer Kriegserfahrung empfunden und es ist bemerkenswert, dass im Falle eines Vergleichs mit einer Gulag-Erfahrung jene besser abschnitt, weil sie im Kontext des Krieges als legitim empfunden wurde. Für die ältere Generation der Befragten bedeutete der Krieg nachgerade die einzige Phase der Sowjetgeschichte, in der sie nicht gegen eingebildete, innere Feinde kämpfen mussten und der Krieg nach dem stalinistischen Terror der 1930er Jahre geradezu als innere Atempause empfunden wurde.
Marija V. sagte, die Bedingungen in Deutschland seien besser gewesen als im sowjetischen Lager: „Zu gerne hätte ich diese 10 Jahre (im Gulag) in Deutschland im Lager abgesessen“. Die Verfolgung durch die „eigenen Leute“ nach der Repatriierung wurde als krasse Ungerechtigkeit wahrgenommen. Diese Erfahrungen werfen ein bedrückendes Schlaglicht auf die real-existierenden stalinistischen Unterdrückungsmechanismen vor und nach dem Krieg.
Geschichtliche Aufarbeitung
Für ihre dauerhaften Aktivitäten wurde in der Bundesrepublik Deutschland der Stiftung EVZ ein Grundkapital von 700 Mio. DM (= 358 Mio. Euro) zur Verfügung gestellt. Aus den Erträgen fördert die Stiftung seitdem mit jährlich circa 8 Mio. Euro internationale und interkulturelle Projekte. Die Stiftung EVZ ist besonders in Mittel- und Osteuropa, Israel und Deutschland aktiv.
Während Grete Rebstock ihr Manuskript abgeschlossen hatte und im September 2022 ihr Vorwort zu Papier brachte und auf das Erscheinen ihres Buches wartete, wurde „Memorial“, die zentrale Nichtregierungsorganisation in Russland, die sich mit den stalinistischen Repressionen und deren historischer Aufarbeitung befasst und der zentrale russische Kooperationspartner im Rahmen des mit Deutschland ausgehandelten Entschädigungsprogramms gewesen war, vom Obersten Gericht Russlands aufgelöst. Und damit war mit einem Schlag die Arbeit von „Memorial“ als Projektpartner des internationalen Interviewprojekts zu NS-Zwangsarbeit faktisch unterbunden.
„Stigma und Schweigen“ – Grete Rebstocks Titel verweist auf ein zentrales Ergebnis ihrer anspruchsvollen Studie, dass eine erschreckende Kontinuität von Sowjetzeiten bis in die Gegenwart Russlands mit seinem real-existierenden Angriffskrieg gegen die Ukraine aufscheinen lässt. Die politische (Neo-)Instrumentalisierung von zentralen Termini aus dem Zweiten Weltkrieg ist frappierend. Das russische Propagandasystem hat Begriffe wie „Nazisty“ (dt. Nazis) und Fašisty“ (dt. Faschisten) fest installiert, wenn es den ukrainischen „Gegner“ verbal attackiert. Vladimir Putin knüpft damit an die Geschichte des Angriffskriegs der Nationalsozialisten an, um sein Ziel, die Ukraine zu „entnazifizieren“ zu rechtfertigen.
Die Interviews, die Grete Rebstock über die NS-Zwangsarbeit geführt hat, spiegeln die sowjetisch-russischer Sicht über diese Vergangenheit. Die Ergebnisse ihrer Befragungen sind eigener Einschätzung nach „Raritäten, Ausnahmeerscheinungen und Fundstücke“ für die Gesellschaftswissenschaften. Sie sind zugleich eine Fundgrube für die Erforschung der russisch-sowjetischen Zeitgeschichte, für sozialpsychologische Untersuchungen und auch für die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichtspolitik Putins. Ähnliches ließe sich auch auf die deutsche Geschichtsschreibung übertragen, die das in Rede stehende Thema allzu lange hartnäckig beschwiegen hat.
Grete Rebstock: Stigma und Schweigen. NS-Zwangsarbeit aus sowjetischer Perspektive. Ein Beitrag zur Oral History, Brill Schöningh, Paderborn 2023, 411 S., 99 Euro.
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