Veranstaltungsreihe „Tage des Exils“ in Berlin
© Planet der Flüchtlinge © Deutsches Exil-Archiv
Vom 8. September bis zum 9. Oktober 2023 finden die „Tage des Exils“ auf Initiative der Körber-Stiftung, die sich u.a. in den Bereichen Bildung, Kultur und Geschichte engagiert, in Kooperation mit der Stiftung Exilmuseum erstmals in Berlin statt. Kultureinrichtungen behandeln das Thema Exil in Veranstaltungen wie Ausstellung, Lesung, Film oder Diskussion und widmen einen großen Raum der Situation der Juden zwischen 1933 und 1945. Auch werden Lebensschicksale jüdischer Flüchtlinge betrachtet und die Rückkehrerfahrungen der wenigen Überlebenden nach 1945. (JR)
Begegnungen mit dem Exil sind vielfach nachzulesen in Briefen, Tagebüchern und Memoiren. Die tatsächlichen Stimmen derer, die das Exil ab den 1930er Jahren erlebten, sind selten zu hören. Während der „Tage des Exils“ hat man nun dazu die Gelegenheit. In der Veranstaltung „Stimmen des Exils. Emigrat:innen in Radio-interviews“ werden O-Töne vorgestellt, die der Journalist Harald von Troschke zwischen den 1960er und 1980er Jahren sammelte.
Sie sind ein Highlight im umfangreichen Programm der Tage des Exils, die vom 8. September bis 9. Oktober 2023 erstmals in Berlin stattfinden. Die Veranstaltungsreihe entstand in Kooperation zwischen der Stiftung Exilmuseum Berlin (siehe Bericht der Jüdischen Rundschau im Mai 2023) und der Körber-Stiftung in Hamburg.
Wer viel in Hamburg unterwegs ist, kennt die Tage des Exils bereits. Dort werden sie seit 2016 von Körber-Stiftung ausgerichtet. Sven Tetzlaff, Leiter des Bereichs Demokratie, Engagement, Zusammenhalt der Körber-Stiftung ist seit den Anfängen dabei: „2015 hat die Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung angefangen, Überlegungen anzustellen, wie die neue Situation des Exils mit der historischen Erfahrung des Exils verbunden werden kann. Hinzu kam die Rede im Hamburger Rathaus von Herta Müller, die ein Exilmuseum in Hamburg forderte.“
Tetzlaff arbeitete damals wie heute auch bei der Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung und wurde aktiv. „Ich wollte nicht so lange warten, bis es ein Museum des Exils gibt, weil es viele Jahre braucht, bis so etwas etabliert werden kann.“ So kontaktierte er Einrichtungen in Hamburg, die sich mit dem Exil beschäftigen und holte sie zusammen, d.h. er band Veranstaltungen verschiedener Institutionen zu einem Programm zusammen. Daraus wurden die Tage des Exils. Für ihn war es wichtig, ein schnelleres Format zu haben als die Schaffung eines Museums.
Beteiligungen von Theater, Museen und Kinos
In Hamburg ist das Thema Exil vielfach präsent: da sind die Forschungsstelle für Exilliteratur an der Universität Hamburg und das Auswanderermuseum, das Hamburg als Auswandererstadt verdeutlicht. „Wir haben hier auch Stiftungen, die politisch Verfolgte unterstützen“, ergänzt Tetzlaff.
Die ersten Tage des Exils umfassten etwa 35 Veranstaltungen, die historische und zeitgenössische Erfahrungen des Exils vorstellten. Diese waren für ein breites Publikum gedacht. Daher war die Beteiligung von Kinos, Theater, Kulturhäusern, Museen, Archiven sowie wissenschaftlicher Einrichtungen und Stiftungen der Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung.
Die begeisterte Aufnahme der Veranstaltungsreihe ermöglichte es, auch fürs folgende Jahr Tage des Exils zu planen. Durch den Erfolg und die Vorlaufzeit konnten zudem größere Häuser wie Museen und Theater ins Programm aufgenommen werden, die gezielt Projekte dafür schufen. Die Bündelung der Akteure im Bereich Exil brachte auch ein Netzwerk hervor, von dem alle seither profitieren.
Tetzlaff konnte über die Jahre hinweg auch eine Entwicklung beobachten: „Wir haben am Anfang in Hamburg deutlich mehr Gesprächsformate gehabt, d.h. Diskussionen und Vorträge. Gespräche sind auch wichtig, da diese Tage ein niedrigschwelliges Begegnungsprogramm sein sollen und wir Menschen ins Gespräch bringen möchten. Zudem gab es viele Lesungen, da in den Jahren viele Bücher erschienen sind. Über die Zeit sind andere Formate, künstlerische und performative Formate, stärker geworden.”
Jüdische Erfahrungen
Die Vielfalt wird in Berlin deutlich. Da ist der Einstand eine große Sache: 50 Veranstaltungen füllen das Programmheft. Dazu gehören Lesungen, Gespräche, Ausstellungen, Führungen, Filme und Konzerte. „Es gibt erstmals ein neues Format”, erklärt Tetzlaff, „die lange Nacht des Exils. Sie bildet den Auftakt des Programms mit einem konzentrierten Auftritt.“ Ihm fällt noch etwas auf: „In Berlin haben wir einen starken Anteil an historischen Blicken auf das Exil, etwa die Hälfte des Programms. Ungefähr ein Drittel der Veranstaltungen geht auf aktuelle Erfahrungen ein. Dazwischen liegen Verbindungen zwischen historischen und aktuellen Perspektiven.” Darunter „Damals und heute – Russ:innen und Ukrainer:innen im Berliner Exil“. Gegenwärtige Herausforderungen werden mit „From A Feminist Perspective“ und „Neue Perspektiven auf die Zufluchtsstadt Berlin“ aufgegriffen.
Jüdische Erfahrungen werden von einer Vielzahl an Einrichtungen beigetragen. Die Akademie der Künste präsentiert mit der Lesung „Nachrichten aus dem Exil“ wie es Künstlern fern der Heimat ergangen ist – festgehalten in Briefen, Tagebüchern und ihren Werken. Das Leo Baeck Institut erinnert mit „Exile – Liebe in Zeiten des Faschismus“ in einem Podcast an Kurt Kleinmanns wunderbare Geschichte. 1938 schrieb er aus Verzweiflung an Fremde mit dem gleichen Namen in der Hoffnung, ein Visum für die USA zu bekommen. Helen Kleinman in New York wird nicht nur zur Lebensretterin, sondern auch zu seiner Frau. Wie Kunst beim Überleben hilft, illustriert „Inspiration und Lebenslust. Beatrice Zweig im Exil“ im Museum Pankow. Als die Malerin und Frau von Arnold Zweig 1933 nach Palästina floh, sind es die hellen Farben dort, die sie motivierten, weiter zu malen und auszustellen. Das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und das Selma Stern Zentrum für jüdische Studien Berlin-Brandenburg berichten mit „Zerbrochene Biografien“ über deutsche Juden in China und in den USA.
Tief gehende Blicke ins Exil
Ungewöhnliche und tiefer gehende Blicke ins Exil liefern das Bauhaus-Archiv und die Stiftung Brandenburger Tor. Mit „Liebermann im Exil – Werk und Bedeutung in den USA“ erkundet die Stiftung, welche Bedeutung die ‚Exilerfahrung’ von Kunstwerken hat. Liebermann starb 1935 in Berlin, noch bevor die Nationalsozialisten Juden systematisch verfolgten, doch viele seiner Werke gelangten in die USA. Das Bauhaus war eine Designschule; weniger bekannt ist, dass dort ebenfalls ein reges Musikleben bestand. Wer die Ausstellung „Lucia Moholy – Das Bild der Moderne“ letztes Jahr im Bröhan Museum gesehen hat, mag sich an die Bilder der Bauhauskapelle erinnern, die Moholy im Rahmen ihrer Dokumentation des Bauhauses fotografiert hat. Das „Bauhaus / Music Weekend“ rückt das Musikleben der Schule in den Vordergrund und spielt Werke der Komponisten Stefan Wolpe und Paul Arma, die Verbindungen zum Bauhaus hatten.
Konkret an Berlin gebunden ist das „Straßenfest im ‚Fliegerviertel’“ im Bezirk Tempelhof. Daran geknüpft ist eine Recherchewerkstatt, die nachgeht, welche Bewohner der Gartenstadt während der NS-Zeit ins Exil flüchtete. Organisiert wird dies vom Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin. So werden durch die Tage des Exils auch kleinere Einrichtungen sichtbar.
Tetzlaff hat auch den aktuellen geopolitischen Kontext im Blick: „Wir sehen, dass Flucht[bewegungen] in den letzten Jahren zugenommen haben, vor allem aus politischen Gründen. Seit 2004 ist die Zahl der Demokratien weltweit gesunken und mehr autoritäre Regime und Diktaturen [wurden errichtet]. Es geht darum, klarzumachen: hier sind Menschen zur Flucht gezwungen, die eigentlich in ihr Heimatland wieder zurück wollen, aber aufgrund von Bedingungen gezwungen werden, Schutz in anderen Ländern zu suchen.“
Rückkehrerfahrungen nach 1945
Auch das Thema Rückkehr wird behandelt. In „Ein neues Deutschland? Rückkehrerfahrungen nach 1945“ geht es mitunter um die Frage, ob Ost oder West. Die politische Teilung Deutschlands nach dem Krieg erforderte erneut eine Positionierung. Die Veranstaltung ist ein Beitrag der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung und dem Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam. Wie sich jüdisches Leben speziell in der DDR gestaltete, ist ab dem 8. September 2023 im Jüdischen Museum Berlin in der Ausstellung „Ein anderes Land” zu erfahren.
Eine Rückkehrergeschichte, die hier nicht im Rampenlicht steht, ist die des jüdischen Ehepaars Herbert und Elsbeth Weichmann. Sie ist dennoch bedeutsam, da ihrer Stiftung die Tage des Exils zu verdanken sind. Nach ihrem Exil in der Tschechoslowakei, in Frankreich und den USA, kehrten sie nach Hamburg zurück, wo Herbert Weichmann in die Politik ging und Erster Bürgermeister wurde.
Das Paar floh übrigens von Frankreich über die Pyrenäen nach Spanien, um nach Amerika zu gelangen. Gerade diese Route wird in der Serie „Transatlantic” zum Leben erweckt, die diesjahr auf Netflix erschien. Die Serie versetzt den Zuschauer großartig in die Zeit und zeigt die Ängste, Gefahren und Risiken, die Flüchtende ausgesetzt waren, aber auch den Mut und die Tricks, die notwendig waren, um der NS-Diktatur in Europa zu entkommen.
Die Tage des Exils vergegenwärtigen nun, was es bedeutet, in der Fremde zurechtkommen zu müssen und die Notwendigkeit, die Heimat als einen sicheren Ort zu wahren.
Tage des Exils
8. September bis 9. Oktober 2023, Berlin
www.tagedesexils.de
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