Netanja, die französische Riviera in Israel

Der Strand in Netanja ist immer einen Besuch wert.


In den letzten zehn Jahren sind wegen der wachsenden Islamisierungsgefahr und der immer wieder zu Tage tretenden Gewalt gegen Juden fast 42.000 französische Juden nach Israel eingewandert und haben die frankophone Bevölkerung des Landes damit auf knapp 450.000 erhöht. Man hat das Gefühl, dass sie sich alle in Netanja niedergelassen haben. Der israelische JR-Gastautor Michael Selutin hat mit seiner Familie den Sommerurlaub in Netanja verbracht und empfiehlt in seinem Reisebericht die pulsierende und familienfreundliche Stadt am Mittelmeer. (JR)

Von Michael Selutin

Nur 30 Kilometer nördlich von Tel Aviv liegt die sympathische Stadt Netanja. Sie hat aufgrund ihrer französischen Einwohner ihren eigenen Charme entwickelt. Meine Kinder konnten mit den überall ausgestellten Eclairs jedoch nichts anfangen.

Wenn mich meine Eltern früher in Israel besuchten, verbrachten wir immer auch einige Tage in Netanja, wo es eine große russischsprachige Gemeinde gab, in der sie sich wie zu Hause fühlten. Es gab Geschäfte mit russischen Lebensmitteln, alle Speisekarten in den Restaurants waren auch auf Russisch gedruckt und meine Mutter schwärmt noch heute über ein Geschäft, das frische jüdische Gerichte aus der alten Heimat verkaufte.

 

Französisches Flair

Als ich in diesem Jahr mit meinen Kindern Netanja besuchte, hörten wir auf den Straßen kein Russisch mehr, die alten russischen Restaurants und Cafés waren nicht mehr zu sehen und das Lieblingsgeschäft meiner Mutter gab es ebenfalls nicht mehr.

Stattdessen ist heute in Netanja alles Französisch. In den schicken Cafés sitzen schick gekleidete Franzosen, trinken Espresso und verhalten sich sehr Französisch, was ich übrigens durchaus charmant finde. Die Restaurants mit ihren französischen Kellnern sind heute allesamt koscher und die vielen französischen Bäckereien bieten Leckereien an, die man im anderen Teilen des Landes kaum zu sehen bekommt.

Dabei scheinen Eclairs bei den Einwohnern Netanjas besonders beliebt zu sein. An unserem ersten Abend in der Stadt brachte ich einige dieser Köstlichkeiten in unsere Ferienwohnung und präsentierte sie meinen vier Kindern mit großer Fanfare. Ihre Reaktion:

„Bäh“

„Igitt“

„Nicht so lecker“

„Nein, danke“

Kein Problem, das bedeutete mehr Eclairs für mich.

Dafür kamen die Baguettes bei den Kindern besser an. Zumindest in diesem Punkt waren wir uns einig, dass die französische Masseneinwanderung eine Bereicherung für unser Land darstellt. In den letzten zehn Jahren sind fast 42.000 französische Juden nach Israel eingewandert und haben die französischsprachige Bevölkerung des Landes auf knapp 450.000 erhöht. Man hat das Gefühl, dass sie sich alle in Netanja niedergelassen haben.

Insgesamt kann man sagen, dass die Franzosen einen positiven Einfluss auf Netanja haben, zumindest aus Sicht eines Touristen. Sie haben der Stadt einen Charme verliehen, der für Israel einmalig ist. Und da die französischen Einwanderer, anders als ihre sowjetischen Vorgänger, oft mit finanziellen Mitteln ins Land kommen, sprießen vor allem in Strandnähe hübsche Wohngebäude aus dem Boden, vor denen schöne Autos stehen, die von gut gekleideten Menschen gefahren werden.

 

Wo findet man einen reichen Juden?

Obwohl Netanja erst 1929 gegründet wurde, gibt es über dessen Gründung bereits Legenden. Die Geschichte beginnt mit einer Konferenz der Bnei-Binjamin-Bewegung, der Bewegung der ersten Alija, im Jahr 1926 in Sichron Ya'akov. Bei dieser Konferenz wurde beschlossen, eine neue Siedlung zu gründen, um die Wohnungsknappheit der bestehenden Siedlungen zu senken.

Das Zentrum von Netanja ist Treffpunkt für Jung und Alt.


Es gab jedoch ein Problem: Es fehlte an finanziellen Mitteln für dieses Projekt.

Da die Konferenz in Sichron Ya'akov stattfand, lag die Lösung des Problems jedoch direkt unter den Füßen der Teilnehmer. Genauso wie diese Stadt von einem reichen Juden gegründet wurde (Baron Edmond de Rothschild), könnte man doch auch einen reichen Juden finden, der Geld für die neue Stadt zur Verfügung stellt.

Um solch einen Juden zu finden, machten sich zwei Abgesandte der Bnei-Binjamin-Bewegung auf den Weg in das Land der reichen Juden, die USA. Nach einigen ergebnislosen Monaten, so wird erzählt, kehrten sie mit leeren Händen nach New York zurück und bereiteten sich enttäuscht auf die Rückreise nach Israel vor, als plötzlich einer von ihnen eine Anzeige in der New York Times entdeckte: "Die Kaufhauskette Macy's gratuliert Nathan Strauss zu seinem achtzigsten Geburtstag!"

Nathan Strauss, der reiche Jude, war genau das, wonach sie gesucht hatten. Sofort gingen sie zum örtlichen Postamt und schickten ihm ein Telegramm: "Anlässlich Ihres Geburtstags haben wir beschlossen, eine Stadt in Israel nach Ihnen zu benennen: Natan-Ja."

Der Legende nach soll ihnen Nathan Strauss jedoch kein Geld gegeben haben, weil er selbst keines hatte, aber nur wenige Monate nach der Reise in die USA konnte die Organisation die ersten Hektar Land für Natan-Ja kaufen. Am 18. Februar 1929 zogen die ersten fünf Siedler auf das Land und pflügten und bebauten es zum ersten Mal.

Heute hat Netanja knapp 250.000 Einwohner und auch wenn man es kaum glauben kann, leben hier nicht nur Franzosen. So ließen sich in den 50er Jahren etwa 14.000 lybische Juden in Netanja nieder. Auch die Sanz-Chassiden kamen in dieser Zeit in die Stadt und gründeten ihren eigenen Stadtteil, in dem zumeist jiddisch gesprochen wurde. Später kamen noch über 10.000 äthiopische Einwanderer hinzu, genauso wie eine große Anzahl an persischen Juden.

 

Der Strand

Was die Franzosen und Touristen wie mich nach Netanja zieht, ist der schöne, weiße Sandstrand der Stadt. Anders als die meisten anderen Küstenstädte Israels hat Netanja eine hohe Klippe, die den Strand von der Stadt trennt. Dieser Höhenunterschied von etwa zehn Metern gibt der Promenade und den dortigen Cafés einen wunderbaren Ausblick über das Meer und macht die Stadt zum Anziehungspunkt für Gleitschirmflieger. Von morgens bis abends fliegen mutige Piloten mit ihren bunten Gleitschirmen über dem Strand, sehr zum Spaß der staunenden Kinder.

Besonders in den Cafés spürt man den französischen Einfluss.

Am zentralen Strand gibt es einen großen Fahrstuhl, mit dem man herauf- und herunterfahren kann, anstatt sich in der Hitze mit der langen Treppe herumzuschlagen. Unten angekommen, sieht man weitere Cafés, Sportplätze und Kioske.

Der Strand ist in verschiedene Buchten aufgeteilt, vor denen große Steine als Wellenbrecher platziert wurden. Hier kann man Liegen und Sonnenschirme mieten und sich so richtig entspannen.

Entspannen? Nicht in Israel während der Sommerferien. Wir Israelis sind ein lautes Volk und sprechen etwas lauter miteinander als normale Menschen. Am Strand zusammengepfercht, gleichen wir einem brummenden Bienenschwarm.

Hinzu kommt, dass wir wahrscheinlich Weltmeister des Matkot sind, ein Spiel, bei dem man sich einen Plastikball mit Holzschlägern gegenseitig zuspielt. Dieses Spiel erzeugt das für israelische Strände berüchtigte Tok-Tok-Geräusch, das dem brummenden Bienenschwarm einen eigenen Rhythmus gibt.

Anstatt mich auf einer Liege zu entspannen, denn das war bei dem Lärm unmöglich, verbrachte ich also den Tag mit den Kindern im Wasser, was rückblickend auch besser war. Nun ja, auch das hatte seine negativen Folgen, denn ich vergaß, uns zwischendurch noch einmal einzucremen und meine Kinder, die alle in Israel geboren sind, erlebten zum ersten Mal in ihrem Leben einen Sonnenbrand.

Auch meine Schultern taten etwas weh, aber im Gegensatz zu allen anderen in meiner Familie, konnte ich mich auf eine kleine Kompensation für mein Leid freuen: In unserem Kühlschrank warteten noch 3,5 Eclairs auf mich!

 

Michael Selutin ist ein Diplom-Ökonom aus Minsk und Hannover. Nach seiner Alija 2007 hat er seine kreative Seite entfesselt und arbeitet seitdem als Autor. Michael lebt heute in Bet Shemesh und schreibt einen Blog mit dem Namen „Eine schrecklich jüdische Familie“ (michaelselutin.com).

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