Zum 125. Todestag des „Eisernen Kanzlers“ Otto von Bismarck
© A. Bockmann, Lübeck - Bismarck-Stiftung / WIKIPEDIA
Vor und während seiner die deutsche Geschichte prägenden Amtszeit als Reichskanzler gehörten jüdische Politiker und Geschäftsleute zum engen Beraterkreis Otto von Bismarcks. Doch als in den 1880er Jahren die antisemitische Propaganda einen erheblichen Aufschwung erlebte, nutzte der „Eiserne Kanzler“ den wieder wachsenden Antisemitismus gegen die oppositionellen Liberalen und die feindliche Sozialdemokratie. Während seiner langen politischen Karriere zeigte sich Bismarck weder besonders antisemitisch noch philosemitisch. Seine Haltung gegenüber den Juden war eher von dem, was ihm zweckmäßig erschien, bestimmt. Er tat viel für die Emanzipation der Juden aber nutzte auch gleichzeitig geschickt ihre Unterstützung und Dienste. Aber enttäuschend war, dass er so gut wie nichts unternahm, um sie vor der massiv anwachsenden Judenfeindlichkeit in Deutschland zu schützen. (JR)
Berlin, Sommer 1878: In der Hauptstadt des jungen Deutschen Reiches trat auf Initiative des Regierungschefs Bismarck ein europäischer internationaler Kongress zusammen. Die Vertreter Frankreichs und Großbritanniens sprachen auf dem Kongress auch die Frage der Gewährleistung der Religionsfreiheit und der Gleichheit der Bürger ohne Unterschied der Religionszugehörigkeit in einigen jungen Balkanstaaten an. Bei der Erörterung dieser Frage erklärte der Vertreter Russlands, Fürst Alexander Gortschakow: "In Serbien, Rumänien und auch in Russland sind die Juden eine Gefahr.... und ihre Gleichstellung in den Rechten wird schädliche Folgen für das Land haben". Bismarck, der "Gastgeber" des Kongresses, sowie der Vertreter Frankreichs widersprachen ihm und betonten, dass die "schädlichen Aktivitäten" der Juden das Ergebnis von Gesetzen seien, "die ihre Rechte einschränken". Er erklärte, dass Deutschland jeden Vorschlag unterstütze, der gleiche Rechte für alle Bürger fordere. So trat Bismarck vor ganz Europa als Verfechter der Gleichberechtigung und Religionsfreiheit für die Juden auf. War er immer so?
Die ersten politischen Schritte
Otto von Bismarck, der am 1. April 1815 auf dem brandenburgischen Gut Schönhausen geboren wurde, erbte viele der feudal-junkerlichen Ideen seiner Klasse. Bismarck begann seine politische Laufbahn 1847 als Abgeordneter des preußischen Landtags, von dessen Tribüne aus er wiederholt seine Zugehörigkeit zur feudal-junkerlichen Partei, die Notwendigkeit, den Geist des Liberalismus zu bekämpfen, und die Bereitschaft zur Verteidigung der königlichen Autorität und des christlichen Charakters des Staates erklärte. Am 15. Juni 1847 antwortete der junge Abgeordnete auf den Vorschlag der Liberalen, die Rechte der Juden anzugleichen: "Ich gehöre nicht zu den Feinden der Juden .... Ich habe nichts dagegen, dass sie Rechte genießen; nur eines spreche ich ihnen ab: das Recht, im christlichen Staat einen Platz einzunehmen, der die Untertanen des Königs zum Gehorsam gegenüber den Juden verpflichtet. Inzwischen beanspruchen sie ihn und wollen Landräte, Generäle, Minister sein .... Wenn ich in der Rolle des Vertreters Seiner Majestät von einem Juden dargestellt werde, dem ich gehorchen muss, gestehe ich, dass ich mich gedemütigt und beleidigt fühle...."
Bismarcks politischer Aufstieg verlief kometenhaft. Bereits zwischen 1851 und 1859 vertrat er die preußischen Interessen im Bundestag in Frankfurt am Main. In der Finanzmetropole des damals zerrissenen Deutschlands lernte Bismarck den älteren Amschel Mayer von Rothschild kennen, den ältesten Sohn des Gründers des Bankhauses. Der erfolgreiche jüdische Unternehmer fand Gefallen an dem preußischen Politiker.
Jüdische Berater und Vertraute
Mit seiner Unterstützung wurde Mayer Karl Rothschild, der Neffe des Bankiers, preußischer Hofbankier und erhielt später einen Adelstitel und einen Orden des Königs. Und als Bismarck 1859 zum preußischen Botschafter in St. Petersburg ernannt wurde, bat er Rothschild, ihm einen zuverlässigen Finanzpartner in Berlin zu empfehlen. Dieser nannte ihm Gerson Bleichröder. Dies war der Beginn einer engen und langfristigen Zusammenarbeit zwischen dem preußischen Politiker und dem jüdischen Bankier, der nicht nur Bismarcks Vertrauter und persönlicher Finanzberater, sondern später auch sein Hauptberater in Staats- und Finanzfragen wurde.
Bismarcks Einigungspolitik wurde von den preußischen Konservativen nicht unterstützt, die eine "Auflösung" Preußens im Kaiserreich befürchteten. Aber er wusste, wie er die Unterstützung "nützlicher" Menschen, einschließlich der Juden, nutzen konnte.
Der Kanzler war beeindruckt vom Intellekt und der moralischen Reinheit von Ferdinand Lassalle, dem Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, der ihn davon überzeugte, dass die Grundsätze des allgemeinen Wahlrechts und der gleichen Staatsbürgerschaft im Prozess der deutschen Einigung attraktiv sein könnten. In diesem Bestreben wurde Bismarck von liberalen Politikern jüdischer Herkunft unterstützt. Einer von ihnen war Eduard Lasker, der Gründer und Führer der Nationalliberalen Partei. Auf den Tribünen des Preußischen Landtags und des 1867 eingerichteten Norddeutschen Landtags sowie in der Presse warb er für die Unterstützung der Bismarckschen Politik. Während des Krieges mit Frankreich 1870 reiste Lasker nach Baden, wo er sich für die Eingliederung des Landes in das Deutsche Reich einsetzte.
Ein anderer prominenter Vertreter der nationalliberalen Bewegung, Ludwig Bamberger, vertrat die gleiche Auffassung: Bismarcks Einigungspolitik entsprach den Zielen des deutschen Liberalismus, und der preußische Ministerpräsident handelte trotz seiner konservativen Ansichten im Namen des deutschen Fortschritts. Während des Deutsch-Französischen Krieges begleitete Bamberger Bismarck als Vermittler zwischen ihm und den Journalisten und erwarb dem Politiker große Verdienste bei den schwierigen Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten über deren Beitritt zum Reich. Bismarck ernannte Bamberger später zu seinem Währungsberater. Er war einer der Gründer der Reichsbank und wurde als "Vater der deutschen Goldwährung" bekannt.
Große Verdienste jüdischer Weggefährten
Bleichröders Rolle im Einigungsprozess war von unschätzbarem Wert. Im Jahr 1867 stellte er Bismarck die Mittel für den Krieg gegen Österreich zur Verfügung. Im Jahr 1871 war der Bankier Bismarcks Finanzberater bei den Verhandlungen mit Frankreich über die Zahlung einer Kontribution. Diese Zahlungen wurden über die Pariser Bank von Alphonse Rothschild und die Berliner Bank von Bleichröder abgewickelt. Für seine großen Verdienste um den Staat erhielt dieser den Titel eines Geheimen Kommerzienrates und wurde in den erblichen Adelsstand erhoben. Er weigerte sich jedoch, sich taufen zu lassen und wurde bis zu seinem Lebensende nicht in die "hohe Gesellschaft" aufgenommen.
Nach der Ausrufung des Deutschen Reiches 1871 und der Verabschiedung seiner Verfassung wurden die Juden dank der Bemühungen Bismarcks den Deutschen gleichgestellt und es eröffneten sich für sie neue Möglichkeiten der Integration in die deutsche Gesellschaft. Sie waren nicht nur in der Wirtschaft tätig, sondern auch in verschiedenen Bereichen der Kultur, Wissenschaft, Medizin usw. Der Zugang zur staatlichen Verwaltung und zum Offizierskorps blieb ihnen jedoch verwehrt.
Judenfeindliche Welle
Nachdem er Reichskanzler geworden war, stützte sich Bismarck weiterhin auf die Nationalliberale Partei im Reichstag, die immer noch von Lasker und Bamberger angeführt wurde. In den 1870er Jahren wurden einige liberale Gesetze verabschiedet und der Kampf gegen den Katholizismus aufgenommen. Der Zusammenbruch des wirtschaftlichen Aufschwungs von 1871-1873, der durch die Gründung von oft spekulativen Aktiengesellschaften gekennzeichnet war - löste jedoch eine judenfeindliche Welle aus: Jüdische Spekulanten und Bankiers sowie jüdische Politiker, die die Verabschiedung liberaler Wirtschaftsgesetze gefördert hatten, wurden für den Ruin zahlreicher Kleinanleger verantwortlich gemacht. Die Judenfeinde verschonten auch Bismarck nicht, dem korrupte Beziehungen zu Bleichröder und sogar „verstecktes Judentum“ vorgeworfen wurden. Doch der Kanzler schwieg. So wurden in der öffentlichen Meinung Judenfeindlichkeit und Antiliberalismus untrennbar miteinander verbunden. In dieser Situation schlug Bismarck eine andere Richtung ein: 1879 brach er mit den Nationalliberalen und begann, sich in seiner Politik auf konservative und klerikal-katholische Kräfte zu stützen.
Bismarck instrumentalisiert den Antisemitismus
In den 1880er Jahren erlebte die antisemitische Propaganda in Deutschland einen nie dagewesenen Aufschwung. Daran beteiligt waren Boulevardjournalisten, Publizisten und konservative Politiker. Der berühmte Historiker Heinrich Treitschke warf die Parole "Die Juden sind unser Unglück!" in die Massen. Und was ist mit Bismarck? Öffentlich schwieg er, aber pragmatisch nutzte er den wachsenden Antisemitismus gegen die oppositionellen Liberalen und die feindliche Sozialdemokratie. Freimütige Antisemiten befanden sich nun nicht nur unter den politischen Partnern des Kanzlers, sondern auch in seinem inneren Kreis. Und als Bleichröder an Bismarck appellierte, sich gegen antisemitische Angriffe zu wehren, weigerte sich dieser, etwas dagegen zu unternehmen.
Während seiner langen politischen Karriere (er wurde 1890 pensioniert und starb 1898) zeigte sich Bismarck weder antisemitisch noch philosemitisch. Seine Haltung gegenüber den Juden war von Prinzipien der Zweckmäßigkeit bestimmt. Er tat viel für ihre Emanzipation und nutzte geschickt ihre Unterstützung und Dienste. Aber er unternahm so gut wie nichts, um sie vor dem Antisemitismus zu schützen, der zu einem der Vermächtnisse seiner Zeit wurde und in den folgenden Jahrzehnten grassierte.
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