„Wir müssen reden!“ – IKG Bamberg lud zur Podiumsdiskussion über Antisemitismus ein
Gerd Buurmann, Patrick Nitzsche und Simone Schermann (v.l.n.r.)
Die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg lud Mitte Juni zu einer Debatte über Judenhass und Betroffenheit aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein Gespräch von Simone Schermann (Historikerin und Journalistin JR, Freiburg i.Br.) mit Patrick Nitzsche (Antisemitismusbeauftragter der Stadt Bamberg), moderiert von Gerd Buurmann (Autor, Blogger, Moderator, Schauspieler und Regisseur, Köln) brachte unbequeme Themen auf den Tisch, die von unseren Medien gern verschwiegen werden. (JR)
„Wir müssen reden“
Die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg lud Mitte Juni zu einer Podiumsdiskussion über das Thema Antisemitismus ein. Bekanntmachung und Einladung erfolgten rechtzeitig über vielfältige Medien. Zusätzlich wurden alle Stadtratsfraktionen noch einmal extra eingeladen. Man hielt Thema und Diskussion für aktuell und erforderlich.
"Tod den Juden! Tod Israel!" mit diesen Aufrufen zogen Hunderte am Ostersamstag 2023 in Berlin bei einer „Palästinenser“-Kundgebung durch Neukölln und Kreuzberg.
Kurze Zeit später hingen in den Straßen von Neukölln antisemitische Plakate, die Raketenangriffe auf Israel verherrlichten und eine gewaltsame Auslöschung des jüdischen Staates forderten. Die Meldestellen sowie der Bundesbeauftragte gegen Antisemitismus Felix Klein, schlagen Alarm.
Ein Aufruf zum Aufstand der Anständigen, wie einst im Oktober 2000 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder gefordert, bleiben aus. Solidaritätsbekundungen ebenfalls.
„Ach, schauen Sie doch, das schöne sonnige Wetter, da solltet ihr die Abende anders verbringen, denn keiner will immer über Juden reden. Das interessiert niemand!“ sagte die Ladenbesitzerin im freundlichen Ton, faltete den Einladungs-Flyer zusammen und steckte ihn in eine Schublade.
Eine Self-fulfilling prophecy? Vielleicht war es tatsächlich der wohlige Abend oder einfach nur Desinteresse - wir wissen es nicht. Aber wir sind es gewohnt, und Solidarität oder Empathie kann man schließlich nicht einklagen.
So waren an diesem Abend eine überschaubare Gruppe von ca 25 Personen in die Gemeinde gekommen. Von den persönlich durch den Gemeindevorsitzenden eingeladenen Stadträten war immerhin eine Dame von den Grünen anwesend.
Antisemitismus ist Hass auf Juden!
Als Hausherr der Jüdischen Gemeinde und Vertreter des Jüdischen Lehrhauses Bamberg begrüßte der 1. Vorsitzende Martin Arieh Rudolph alle Anwesenden sehr herzlich und ermutigte das Publikum, sich aktiv in die Diskussion einzubringen. Und Diskussionsstoff gab es reichlich: Simone Schermann, Jüdin aus einer in mehreren Fällen direkt von Shoa und Flucht betroffenen Familie sowie israelische Staatsbürgerin, Historikerin, in Deutschland für einige mittlerweile so etwas wie eine „persona non grata“.
Warum? Ja, Simone Schermann ist wahrlich keine “Wohlfühljüdin” - sie ist ganz und gar authentisch. Das entspricht freilich nicht den sonst allerorts vom Mainstream hofierten “Quotenjuden”. Schermann nennt die Dinge beim Namen. So ist schon beim Wort „Antisemitismus“ klar, dass dieser Begriff mehr verschleiert, als konkret wiedergibt, worum es eigentlich geht: Hass gegen Juden! Dies griff auch Moderator Gerd Buurmann auf, indem er auf die Verwendung des Wortes „Antisemit“ als Selbstbezeichnung der pseudo-akademischen Judenfeinde Wilhelm Marr und später Heinrich von Treitschke und der „Antisemiten-Liga“ hinwies.
Dann ging es gleich zur Sache, als Schermann den Antisemitismusbeauftragten der Stadt Bamberg, Patrick Nitzsche, direkt mit der These konfrontierte, dass die schiere Tatsache der Existenz von Antisemitismusbeauftragten in Deutschland einer Kapitulation im überall angekündigten „Kampf gegen Antisemitismus“ gleichkäme. Dieser verkomme zum Feigenblatt der Politik. Und es verwundere sie schon, fuhr sie fort, dass er als Antisemitismusbeauftragter sich in das Jüdische Gemeindeleben einmische. Dies sei eine Grenzüberschreitung, denn nur Juden könnten sich selbst definieren. Und sollten autark sein und sich selbst vertreten. Juden benötigen keine betreute Führung durch Antisemitismusbeauftragte.
Schermann verwies auf die Tatsache, dass trotz einer ständigen steigenden Anzahl von Antisemitismusbeauftragten dennoch die Zahl antisemitischen Vorfälle zunimmt. Es scheint so, als bestehe eine Korrelation? Wozu also braucht man diese in Deutschland? Kann man so Judenhass verhindern, eindämmen, gar strafrechtlich verfolgen? Welche Person eignet sich? Wie sind die Anforderungen, die Aufgaben der Beauftragten? Was tun bei Untauglichkeit des Kandidaten? So, wie in Baden-Württemberg. Der Antisemitismusbeauftragte des Bundeslands, Michael Blume, steht auf der Antisemitismus-Liste des renommierten Simon Wiesenthal Centers 2021. Gleichzeitig wird er vom Zentralrat der Juden verteidigt. Die Vorwürfe seien “halb so schlimm” oder gar nicht erkennbar. Es ist schon paradox - da wird ein Amt eingerichtet, damit Juden geschützt werden, stattdessen wird der Antisemitismusbeauftragte von Juden angeklagt und gleichzeitig von Juden verteidigt. Wozu in aller Welt brauchen wir Beauftragte gegen Judenhass?, fragt Schermann.
Jüdisch leben können nur Juden selbst
Dieser Aussage stellte sich Nitzsche insofern entgegen, als er eine pauschalisierte Sinnlosigkeit von Beauftragten für verfehlt halte, und betonte dafür, dass diese Stellen kein Feigenblatt oder Abladeplatz für Verwaltungen und Behörden sein dürften. Auch müssten „Beauftragte und ihre Arbeit individuell beurteilt und natürlich – wenn es zu Fehlern kommt – konstruktiv kritisiert werden“. Auch Fehlbesetzungen seien wie in allen anderen Arbeitsbereichen und Ämtern nicht ausgeschlossen. Eine pauschale Absage an Beauftragte, die gegen Judenhass und als Unterstützer jüdischen Lebens ernsthaften Einsatz leisten, verschließe aber potentielle Türen und Möglichkeiten. Doch welche?, will Schermann wissen. So finde sie es schon sonderbar, dass er (Nitzsche) bei facebook die jüdischen Feiertage erkläre. Dies sei Sache der Jüdischen Gemeinde. Und entmündige sie! Wozu also brauche man Antisemitismusbeauftragte? Jüdische Leben fördern? Jüdisch leben können nur Juden selbst.
Beauftragte bräuchte es vielleicht nicht, wenn nicht viel zu lange der Hass gegen Juden von nichtrechten, also auch linken und muslimischen sowie aus der „sogenannten Mitte der Bevölkerung“ stammenden usw., Tätern geleugnet oder zumindest bagatellisiert worden wäre, erwiderte Nitzsche.
So gebe es erst seit kurzem aus der Not geborene Anlauf- und Meldestellen wie RIAS; wir befänden uns, so Nitzsche, nun eben erst in dieser frühen, „aber vielleicht schon zu späten Phase im Kampf gegen Judenhass“.
Einig waren sich alle darin, dass es klare Gesetze braucht, die eine konsequente Verfolgung von judenfeindlichen Tatbeständen überhaupt erst ermöglicht. Bisher ist die Gesetzeslage schwammig. Judenfeindliche Äußerungen laufen meist nur unter dem Tatbestand „Beleidigung“ und werden öfters eingestellt.
Kein Vertrauen in die Regierung
Schermann reagierte angesichts ihrer Erfahrungen seit Kindheitstagen hier in Deutschland klar pessimistisch, weil sich seither im Grunde in all den Jahren gar nichts geändert habe, sie könne deshalb kein Vertrauen in die Regierung aufbringen.
Von klein auf habe sie wie alle Juden durch Schleusen gehen müssen, um in Deutschland „sicher“ zu sein. Aber was sei das für eine rein äußerliche und temporäre „Sicherheit“, wenn damit schon eine emotionale Sicherheit für Juden in Deutschland nicht geboten werden könne? Schließlich bedinge das eine doch grundlegend das andere. Zudem sei laut Schermann das Vertrauen vieler Juden in den Staat und wechselnde Regierungen eindrücklich zerrüttet worden; man denke nur an Martin Schulz oder Olaf Scholz (beide SPD) in Zusammenhang mit Mahmud Abbas: 2016 wurde Abbas im EU-Parlament tosend für seine Rede über Juden als Brunnenvergifter applaudiert, u. a. von Schulz, der sich bei Abbas auf Twitter für diese „inspirierende Rede“ gar bedankte; und vor weniger als einem Jahr hoffierte Kanzler Scholz eben jenen Abbas im Kanzleramt, wo dieser das Märchen von den „50 Massakern, 50 Holocausts“, die Israel an den „Palästinensern“ seit 1947 begangen habe, erzählen durfte, ohne dass Scholz widersprochen hätte – erst Stunden später gab er dem Druck der Medien nach und entschuldigte sich für das Geschehene.
Ganz zu schweigen von der Personalie Claudia Roth und der Documenta 15 in Kassel 2022 – ein bis heute ungesühntes Staatsversagen, das selbst bei sonst übervorsichtigen Zentralratspräsident Dr. Schuster für Entsetzen sorgte und bei uns weiterhin sorgt. Es sei ja, so Schermann, nicht so, als hätte man nicht Monate vorher schon gewarnt; doch Juden würden nun einmal immer noch nicht auf Augenhöhe behandelt. Nitsche stimmte dem vollumfänglich zu.
Nach mal hitziger, mal weniger scharf geführten Wortwechseln zwischen Nitzsche und Schermann fasste Moderator Gerd Buurmann für alle Anwesenden die im Kern erst einmal zu begreifende jüdische Identität treffend zusammen: „Eine Religion, ein Volk und eine Nation!“ Das bedeutet für Juden, auch und vor allen Dingen diejenigen in der Diaspora, dass sie sich einzig und allein auf Eretz Israel verlassen können – unabhängig von der eigenen praktizierten Religiosität.
Verdrehung der Tatsachen
Wenn deutsche Medien redundant und beinahe obsessiv immer wieder politische Themen aus Israel auf eine Weise „darstellen“ - immer natürlich mit dem erzieherisch erhobenen deutschen Zeigefinger -, dass in den allermeisten Fällen ein einseitiges und tendenziöses Bild von Israel beim Leser bzw. Zuschauer hängenbleibt, dann mag das deutsche Leitkultur sein, für uns Juden aber unerträglich. Wenn Terroristen als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet werden, dann müsse die Überschrift ja selbstverständlich lauten: „Israel erschießt X Palästinenser“. Fast nur mit Sehhilfe kann man dann eher beiläufig und im Kleingedruckten entziffern, dass die „Freiheitskämpfer“ zuvor israelische Zivilisten mit Waffen attackiert und erstochen hatten.
Nächstes Beispiel: Wenn in Berlin „Tod, Tod, Tod Israel! Tod den Juden!“ ungestraft skandiert wird, um der „Nakba“ (arab. Unheil, Katastrophe; gemeint: Niederlage der Araber im Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948) „würdig zu gedenken“ (Zeigefinger hoch!), da bleibt die Reaktion des deutschen Staates zunächst aus und hinkt allenfalls in einer späten Empörung hinterher. Und dies stets mit dem Hinweis, dass es eine deutsche Pflicht sei, nachdem was in Deutschland einst mit Juden geschah.
Man hat sich daran anscheinend schon gewöhnt, so wie an das ritualisierte Gedenken. Vor den Synagogen stehe doch ein Polizeiauto, und dann gebe es im Notfall ja noch die guten Sicherheitsschleusen – Halle an der Saale (spätestens) sei Dank!
Kritik an der Gedenkkultur
Die fließend in das interessierte Publikum übergegangene Diskussion drehte sich mit Wortbeiträgen sowohl von Gemeindemitgliedern als auch Nichtjuden lange Zeit eben um das Thema Gedenkrituale: Was man sich an einem 9. November in Deutschland wünsche, das seien gefügige Juden, die aus Quotengründen dankbar danebenstehen und die großen Anstrengungen der deutschen Politik preisen.
Blicken wir zur Reichspogromnachts-„Feier“ vergangenes Jahr in Bamberg: Der 1. Gemeindevorsitzende Rudolph hielt eine Rede über die Vergangenheit und warnte davor, dass wir alle, gerade in der heutigen Zeit, wieder achtsamer miteinander umgehen müssten, ohne Menschen auszugrenzen und zu stigmatisieren. Frei nach Ovid: „Wehret den Anfängen“. Doch als das Wort „Corona“ als kleine Erwähnung am Rande vorkam, brach ein Shitstorm aus - Stunden danach und teilweise bis heute. Offen oder hinter vorgehaltener Hand.
Und die größte Chuzpe kam nach ca. drei Monaten. (sic!) Februar 2023 erhielt der 1. Gemeindevorsteher Martin Arieh Rudolph einen Brief, in welchem die Unterzeichner den Vorsitzenden, und damit unsere gesamte Gemeinde, des Missbrauchs einer Gedenkrede für eine „politische Abrechnung“ mit der Bundesregierung bezichtigten. Rudolph hätte den Juden mit seiner Rede einen „immensen Schaden“ zugefügt.
Es sollte uns eingebläut werden, wie Juden „würdig“ zu gedenken hätten. Von Amts wegen ermittelte der Staatsschutz gegen die Absender des Schreibens. Hierauf wurde der städtische Antisemitismusbeauftragte von der Gemeinde schriftlich zu einer Stellungnahme und Einschätzung über die antisemitischen Inhalte des Schreibens aufgefordert.
Nitzsche stellte fest, es handelt sich um einen eindeutig antisemitischen Akt.
Traurig und erschüttert
In der Gemeinde war man ratlos, entsetzt, traurig, erschüttert. Man darf nicht vergessen, dass wir einige Shoaüberlebende in der Gemeinde haben. Alt, einige über 90zig, aber sie wissen noch was ihnen und ihren Familien in den Ghettos angetan wurde. Ihre Eltern in Synagogen oder Scheunen bei lebendigem Leib verbrannt. Nun sind sie samt ihrem Vorsitzenden wieder schuld. Passen sich nicht an, die Juden.
Der Vorwurf ‒ absurd.
Presse im In- und Ausland hat über diesen unsäglichen Vorfall und die Anklagen gegen unsere Gemeinde berichtet, so stellte etwa Alexander Kissler in der NZZ vom 14.02.2023 fest: „In Bamberg ist das Tischtuch zerschnitten“.
Die Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft zwischenzeitlich eingestellt, denn gemäß § 194 StGB fehlte der erforderliche Strafantrag von Martin Arieh Rudolph. Wir haben darauf verzichtet.
Eine Dame gab unseren Vorsitzenden einen Ratschlag, er solle einfach etwas christlicher werden. Nein, dem gilt es zu widersprechen, wir sollen nur etwas mutiger werden wie Schermann, die Frau mit den “Heiligen Zorn” in ihren Augen und Worten.
Die Podiumsdiskussion beendete der Gemeindevorsteher mit den Worten: “Wir Juden stehen mit dem Rücken zur Wand, immerhin ist hinter uns dann kein Abgrund.“
Auch Simone Schermann erklärte: „Nein, wir Juden brauchen keine ständige Belehrung“, und stieß damit auf ungeteilte Zustimmung im Saal. Eins blieb allen Beteiligten am Ende glasklar: Wir müssen weiter reden!
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