Meron Mendel, fassungslos, und der Heilige Geist

Meron Mendel gehört zu den jüdischen „Prominenten“, die den offenen Brief für Claudia Roth unterzeichnet haben. © Felix Schmitt / Bildungsstätte Anne Frank/WIKIPEDIA

Er ist ein Mann, der Claudia Roth mit einem Offenen Brief zur Seite springt, wenn junge Juden gegen ihre Politik protestieren. Er hatte auch der documenta erst attestiert, dass es unter den dort aktiven Künstlern keine Antisemiten gäbe, um sich dann zu entrüsten, dass es sie ohne sein Wissen doch gab. So einer gilt hierzulande als moralische Instanz. (JR)

Von Henryk M. Broder

Am Anfang war das Wort. Ein Grußwort, das Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, am 19. Mai in der Frankfurter Festhalle zum Auftakt der Jewrovision 2023 halten wollte. Wer immer die Idee hatte, sie einzuladen oder es unterlassen hatte, ihr die Idee auszureden, wollte sie entweder in eine Falle locken oder ihr irgendetwas heimzahlen. Die vollschlanke Augsburgerin mit einem Faible für schrille Kleider hat ja nicht nur Freunde im Show-Business.

Kaum hatte Roth zu reden angefangen, setzte ein akustischer Shitstorm ein. Sie wurde ausgebuht und ausgepfiffen, als wäre eine Busladung von FC St. Pauli Fans in das Vereinslokal von Hansa Rostock eingefallen. Roth lachte gequält und versuchte gegenzuhalten, schaffte es aber nicht und gab auf. Mit so einem Empfang hatte niemand gerechnet, am wenigsten Her Sub-Royal Majesty, Claudia die Erste.

Eine Woche später titelte die FAZ: „Jüdische Prominente solidarisieren sich mit Claudia Roth“, genauer: 50 Prominente aus der Abteilung „Kulturschaffende“. An dieser Meldung stimmte fast nichts. Höchstens eine Handvoll der Unterzeichner und Unterzeichnerinnen könnte bei großzügiger Auslegung des Adjektivs „prominent“ dieser Kategorie zugerechnet werden. Etwa die Hälfte würde einen halachischen Lackmustest auf jüdisches Erbgut nicht bestehen, und mindestens zwei Drittel hängen an irgendeinem Tropf, der mit Steuermitteln gefüllt wird. Das deutsche Kulturleben ist weitgehend verstaatlicht. Und an den Knotenpunkten und Verteilerkästen sitzen Politiker wie Frau Roth, die ein gütiges Schicksal davor bewahrt hat, selber Kulturschaffende zu werden.

 

Heute läuft es genau andersrum

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum 50 mehr oder weniger jüdische „Prominente“ sich schützend vor und hinter die deutsche Staatsministerin für Kultur und Medien stellen. Es hat etwas stattgefunden, das die ZEIT als „Paradigmenwechsel“ bezeichnen würde. Früher kannte jeder aufrechte Deutsche wenigstens einen anständigen Juden, dem er vertrauen konnte.

Heute läuft es genau andersrum. Einigen Juden ist es ein Bedürfnis, sich schützend über Deutsche zu erheben, deren Einstellung Juden gegenüber – sagen wir es freundlich – ein wenig problematisch ist.

Der von seinen Fans verehrte und maßlos überschätzte Dichter Erich Fried – „und Vietnam und“ – war stolz darauf, dass er einen authentischen und unbußfertigen Neonazi im Knast besucht und sich mit ihm über beider Großmütter ausgetauscht hatte. Nach dem Treffen fand er den Neonazi nicht mehr so schlimm wie davor. Er sei kein schlechter Mensch, nur eben irgendwann falsch abgebogen.

Auch für Martin Walser, Günter Grass und Jakob Augstein fanden sich jüdische Fürsprecher, die vor einem leichtfertigen Umgang mit dem Etikett „Antisemit“ warnten, das würde nur „den wahren Antisemiten“ in die Hände spielen.

Was Claudia Roth angeht, so hat niemand behauptet, nicht mal angedeutet, sie sei eine Antisemitin. Gut, sie hat sich bei der BDS-Abstimmung im Bundestag im Jahre 2019 der Stimme enthalten, sie ist mit Leuten befreundet, die dem Mullah-Regime zuarbeiten – aber das kann man auch als politisches Finassieren deuten, nicht schön, aber möglicherweise proaktiv sinnvoll. Und das ist es nicht, was die 50 jüdischen Prominenten dazu gebracht hat, sich mit Claudia Roth zu solidarisieren. Es ist etwas anderes. „Claudia Roths politische Biografie kündet unmissverständlich vom lebenslangen Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus.“

 

Ihr ist es zu verdanken

Und: „Ihr ist es unter anderem zu verdanken, dass die künftige Arbeit von Gedenkstätten und Institutionen, die sich mit der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen befassen, abgesichert ist.“

Echt jetzt? Ohne Frau Roths lebenslanges Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus wäre Dachau jetzt ein Rummelplatz, Bergen-Belsen ein Außenposten von Disneyland und Sachsenhausen eine Shopping Mall? Die 50 jüdischen Promis kriegen sich vor Dankbarkeit kaum noch ein. Und was die Zuständigkeit für die documenta betrifft, die Claudia Roth von ihrer Vorgängerin Monika Grütters geerbt hat, so kommen die 50 Geschworenen zu folgendem Urteil: „Die Staatsministerin für Kultur und Medien in einer offenen Gesellschaft (kann) nicht für umstrittene Inhalte verantwortlich gemacht werden.“ Woraus folgt: So etwas geht nur in einer geschlossenen Gesellschaft bei unumstrittenen Inhalten, da kann schon mal die Verantwortung der Staatsministerin für Kultur und Medien auf die Füße fallen. Sonst aber nicht. Denn ihre primäre Aufgabe ist es, Geld gerecht zu verteilen.

Wer immer es war, der diesen Aufruf verfasst und in Umlauf gebracht hat, er hat weder LTI von Klemperer noch „Civil Disobedience“ von Henry David Thoreau gelesen, vermutlich nicht einmal den „Untertan“ von Heinrich Mann. Es war eine Unterwerfungserklärung mit einer klaren Botschaft: Wir sind die Guten! Auf uns kannst du dich verlassen! Der kollektive Hofjude war aus dem Sumpf der deutschen Geschichte auferstanden.

 

Dann passierte etwas, womit niemand gerechnet hatte

Malca Goldstein-Wolf, die SPON als „nationalistisch“ in die rechte Ecke abqualifiziert und sich wenig später dafür entschuldigt hatte, brachte innerhalb weniger Tage eine Gegenresolution zustande, die von über 1.300 Frauen und Männern, Juden und Nichtjuden unterzeichnet wurde. Promis waren nicht dabei, nicht einmal eine Ex-Teilnehmerin von GNTM. Worauf die FAZ erstaunt fragte: „Wie gespalten ist die jüdische Community?“ und den in Frankfurt zu beiden Seiten des Mains weltbekannten Brückenbauer und Experten für Fragen des Zusammenlebens um Auskunft bat, Meron Mendel.

Diesen Podcast müssen Sie sich anhören. Ein schöneres Beispiel für toxische Ausgewogenheit werden Sie nicht finden. Zuerst spricht Anna Staroselski, Sprecherin des Vereins „Jüdische Werteinitiative“, klug zur Sache. Sie sagt, der Antisemitismus werde auf dem Umweg über die Kunstfreiheit „salonfähig gemacht“. Nach ihr labert Meron Mendel gequirlten Unsinn, ein „sprachloser Schwätzer“, so wie Hellmuth Karasek vor über 40 Jahren im SPIEGEL Helmut Kohls „Redeflut“ beschrieben hat.

Mendel, der aus einem schlichten Jugendzentrum eine „Bildungsstätte“ gemacht und diese auf den Namen „Anne Frank“ – alles darunter war ihm nicht gut genug – getauft hat, sagt, der Zentralrat der Juden habe versagt, er hätte sich hinter Claudia Roth stellen müssen, immerhin habe er sie zu dem Grußwort eingeladen und dann im Sturm stehen lassen. So was gehöre sich nicht. Es bestehe die Gefahr, dass bestimmte Regeln des Umgangs miteinander untergehen. Aus Sorge darum habe er den Offenen Brief der 50 jüdischen Promis mitunterzeichnet. – Es geht also nicht um Inhalte, sondern um Manieren, das eigentliche Spezialgebiet von Meron Mendel.

Die Staatsministerin seines Herzens

In einem Deutsch, das zu verschriftlichen eine angemessene Strafe für verurteilte Klimakleber wäre, erklärt er, warum die Staatsministerin seines Herzens den BDS-Beschluss des Bundestages 2019 nicht mitgetragen hat, warum es sich um einen „umstrittenen“ Beschluss handelt, der „grenzwertig“ ist und Frau Roth das Richtige tat, als sie sich der Stimme enthielt. Gegen Ende der Konversation kommt der Moderator noch einmal auf die beiden Offenen Briefe zurück. Die Unterschreiber des ersten Briefes zugunsten von Claudia Roth seien „die Berühmten, die Prominenten, die mit Strahlkraft in den Medien sind…“ und bei dem Gegenbrief seien „auch problematische Menschen dabei, Juden-in-der-AfD-Leute“, aber auch „ganz normale Menschen aus den jüdischen Gemeinden“, von denen er, der Moderator, keinen einzigen kennen würde, also keine Berühmten und Prominenten mit medialer Strahlkraft.

Meron Mendel nimmt den Faden auf und sagt, er habe Zweifel, ob der zweite Brief „die breite Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft repräsentiert“, ein großer Teil der Unterschreiber sei „bekannt dafür, dass sie in der AfD sind“, ohne zu sagen, wie er an die AfD-Mitgliederdatei gekommen ist. Der Brief selbst sei auf der Seite „Achse des Guten“ veröffentlicht worden, „eine klassische rechte AfD-Webseite“; ferner: „Wir haben es hier mit einer ziemlich marginalen Gruppe zu tun“, einem medialen Phänomen, „das hier in Deutschland rezipiert wird, nur weil sich 150 oder 200 oder 300 Leute als Juden ausgeben, wären es 500 Katholiken gewesen, hätte niemand darüber berichtet“. (Wer sich hier als Jude „ausgibt“, werden wir ein andermal klären.)

Mendel merkt immerhin, dass er sich in eine Sackgasse verrannt hat und holt zu einem längeren Holper-Exkurs über seine Qualifikation aus, die ihn in den Kreis der „führenden Wissenschaftler, der führenden Kultur-schaffenden“ gebracht hat, die in der Lage sind, komplexe Vorgänge wie die documenta zu beurteilen, ebenso wie seine 49 Adabeis, welche offenbar „die breite Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft“ repräsentieren, oder?

Mendel räumt auch ein, dass er „niemand repräsentiert außer mich selbst“, allerdings folgt diesem lichten Moment eine megalomanische Entgleisung. Man möge ihn nicht „mit einer Gruppe von Menschen“ vergleichen, die „mehrheitlich AfD-markiert“ sind und „so einen Brief unterschreiben“.

 

Handbuch für erfolgreiche Trittbrettfahrer

Nein, so einer ist unser Meron nicht. Er ist aus anderem Holz geschnitzt und verlangt Anerkennung und Respekt. Deswegen hat er sich intensiv darum bemüht, bei der documenta als Berater und Vermittler berufen zu werden, sich nach allen Regeln des „Handbuchs für erfolgreiche Trittbrettfahrer“ eingeschleimt – und wurde trotzdem abgewiesen. Obwohl er in Vorleistung getreten war.

Am 13. Januar 2022, gute fünf Monate vor der Eröffnung der documenta, gab er dem Deutschlandfunk ein Interview. Kernaussage: Es gebe „keinen Beleg“ für ein „Antisemitismusproblem“ bei der geplanten Ausstellung. Er habe „natürlich nicht alle Personen, die eingeladen wurden, untersucht“, das sei „auch ein Problem von große (!) internationale (!) Festivals, zuletzt der Ruhrtriennale“, es sei „nahezu unmöglich, alle internationale (!) Gäste auf ihre politische Gesinnung“ zu überprüfen oder darauf, „was haben sie irgendwann zum Thema Boykott Israel gesagt“, und deswegen sehe er „keinen Beleg dafür, dass die Documenta ein Problem mit Antisemitismus hat“. Anonyme Meldungen zu diesem Thema kämen von „rechts“ aus der anti-deutschen Szene und müssten „mit Vorsicht“ genossen werden. Damit hatte Meron Mendel, Direktor der „Bildungsstätte Anne Frank“, die bevorstehende documenta für glatt koscher erklärt.

In einem Interview mit dem HR vom 6.5.2022 wiederholte er, was er bereits vier Monate zuvor im DLF und auch bei anderen Gelegenheiten gesagt hatte:

„Soweit ich weiß, gibt es bislang keine Belege für Antisemitismus bei documenta-Künstlern.“ Vier Tage später, am 10.5.2022, meldete er sich wieder zu Wort, mit derselben Botschaft im DLF.

„Nachdem ich mir den Fall genau angeschaut habe, habe ich keine Belege von Antisemitismus gefunden. Was in Zeitungen und Blogbeiträgen erschienen ist, hat mich nicht überzeugt: dass tatsächlich hinter diesen Vorwürfen Antisemitismus steckt.“ Und wo Meron Mendel keinen Antisemitismus finden kann, da kann es auch keinen Antisemitismus geben.

Zugleich gab er auch bekannt, wie er diese Affäre gemanagt hätte, wenn man ihn darum gebeten hätte:

„Mein Impuls wäre erst mal, in einem nicht öffentlichen Raum zusammenzukommen. Wenn dann ein gewisser Minimalkonsens entstanden ist, kann man in eine öffentliche Diskussion eintreten und diesen Dissens nach außen tragen.“

Da man nicht auf ihn hörte, nahm das Schicksal seinen Lauf. Am 22.7.2022 gab die SZ bekannt, „der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, ist nach eigenen Worten ‚fassungslos‘ über das neuerliche Auftauchen antisemitischer Motive auf der documenta“.

 

Fassungslos und schwer enttäuscht

Ja, fassungslos, wie eine Nonne, die nach einem längeren Aufenthalt in der DomRep plötzlich entdeckt, dass sie schwanger ist, und das nicht vom „Heiligen Geist“. Aber an dieser Stelle hörte die selbstkritische Reflektion des Leiters der Bildungsstätte Anne Frank auch schon auf. Er sei reingelegt, hinter die Tanne geführt worden, klagte er und sprach sich von jeder Mitverantwortung frei: „Es stimmt mich ehrlich fassungslos, dass ich als damaliger Berater der documenta nicht darüber informiert und stattdessen auf Basis eines juristischen Gutachtens entschieden wurde, die problematischen Werke mit eindeutig antisemitischer Bildsprache in der Ausstellung zu belassen.“

Und so souverän, wie er sich selbst zum „Berater“ der documenta befördert hatte, haut er diejenigen in die Pfanne, bei denen er sich eben erst schamlos angebiedert hatte. Man könnte auch das einen „Paradigmenwechsel“ nennen. Oder einfach Hochstapelei eines Egomanen, der Missbrauch mit dem Namen eines von den Nazis ermordeten Mädchens treibt.

Bleibt nur eine Frage, wer die Texte schreibt, die unter dem Namen „Meron Mendel“ in der FAZ erscheinen. Wer ist es, der Mendels Gestammel in „Einfache Sprache“ übersetzt?

Vielleicht doch der „Heilige Geist“?

 

Dieser Artikel erschien zuerst bei Achgut.com

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