Cum-Ex-Affäre: Die „System-Clans“ schweigen und der Kanzler kann sich nicht erinnern
Hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Ausschuss zur Cum-Ex-Affäre die Wahrheit gesagt?© ADAM BERRY AFP
Mindestens 35,9 Milliarden Euro gingen dem Fiskus im Zuge der sogenannten „Cum-Ex“-Affäre verloren. Die Verantwortlichen sind juristisch schwer zu fassen, da die „System-Clans“ aus Wirtschaft, Politik und Medien größtenteils zusammenhalten. Die Verstrickungen des Bundeskanzlers sind offensichtlich, doch scheint sich die Mainstream-Presse nicht wirklich dafür zu interessieren. Olaf Scholz hangelt sich mit seinen behaupteten Erinnerungslücken von einem Untersuchungsausschuss zum nächsten, ohne - wie es in solchen Fällen eigentlich erforderlich wäre - zu einem psychischen Gutachten verpflichtet zu werden. Im Übrigen sprechen die Alternativen ohnehin nicht für Scholz: Sagt er die Unwahrheit, ist er als erheblich Belasteter in einem Wirtschaftsstrafverfahren für sein Amt untragbar, leidet er an einer Amnesie, dann ist er ebenfalls nicht als Bundeskanzler geeignet. So oder so hat sich Olaf Scholz als Kanzler disqualifiziert. Es ist bezeichnend für den um seine ergatterten Posten bangenden Ampel-Klüngel, dass bisher noch kein Misstrauensvotum gegen den Kanzler eingeleitet worden ist. (JR)
Um es ganz nach „oben“ zu schaffen sind nicht wenige bereit fast „alles“ zu geben. „Ich wär‘ so gern Millionär“, brachten es „Die Prinzen“ auf den Punkt. Für nicht wenige sind daher Geld und Macht der beste soziale Klebstoff schlechthin. Eine Hand wäscht die andere. Das schweißt zusammen, das bindet einander – nicht selten auf ewig. Besonders ersichtlich wird das beim Schulterschluss zwischen Politik und Mainstream-Journalismus. Eigentlich eine seltsame Liaison. Sollen die einen doch den anderen genau auf die Finger schauen, ihnen auf den Zahn fühlen und so der anderen Seite mit ihren Fragen und Beobachtungen zur echten Plage werden. Stattdessen geht es gemeinsam auf Kuschelkurs. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Ehefrau des grünen Bundesumweltministers, Cem Özdemir, arbeitet als Journalistin bei der „Deutschen Welle“. Das Auswärtige Amt, unter Federführung Özdemirs Parteigenossin, Annalena Baerbock, engagierte Frau Bundesumweltministerin, Pia Maria Castro, nicht wenige Male. „WELT“-Chefreporterin, Franca Lehfeldt, wiederum ist mit Bundesfinanzminister, Christian Lindner, verheiratet. Und die Tochter von Wolfgang Schäuble, Christine Strobl, selbst Programmdirektorin von „Das Erste“, darf den Innenminister Baden-Württembergs, Thomas Strobl, als Ehemann bezeichnen.
„Systemclans“ unter sich
Natürlich mag einer einwenden: Wo die Liebe eben hinfällt. Aber das ist nicht der Punkt. Das Problem liegt ganz woanders. Nämlich sobald sich private und berufliche Interessen vermengen, sie im eklatanten Widerspruch zueinander stehen und für halblegale oder illegale Geschäfte missbraucht werden. Zunehmende Liebschaften, Familienbande und Kumpaneien tun hier ihr übriges. Während an der Spree zwischen „Penny“ und „Aldi“ im kriminellen Milieu die arabischen Clans die Straßen unsicher machen, sitzen im „Borchardt“, unter Schutz des Legalen, die „System-Clans“. Beide bleiben gerne unter sich. Man kennt sich - und die jeweiligen Leichen im Keller. Das bindet.
An der Alster sah das nicht anders aus. Vermutlich. Denn im letzten Jahr kam heraus: Der damalige „Zeit“-Herausgeber, Josef Joffe, warnte 2017 im Vorfeld einer kritischen Veröffentlichung in der „Zeit“, den Miteigentümer der Warburg Bank, Max M. Warburg junior. Dieser soll im „Cum-Ex“-Skandal involviert sein. Kurzer Einschub: „Cum-Ex“ bezieht sich auf Aktienpakete mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch, die um den Stichtag der Ausschüttung verkauft und wieder eingekauft werden. Dieses flinke Hin- und Herschieben der Aktienanteile, im Fachjargon auch Dividendenstripping-Transaktionen genannt, führt zu Verwirrung – auch bei den Finanzbehörden. So kann es passieren, dass einmal gezahlte Steuern mehrmals vom Finanzamt zurückerstattet werden. Mindestens 35,9 Milliarden Euro gingen so dem Fiskus verloren.
Das nutzen nicht wenige zu ihrem Vorteil. Wie auch die Warburg-Bank. Laut eines Berichtes des „Spiegel“ ließ sie sich Beratungen zur „Kosteneinsparung“ 17,5 Millionen Euro kosten. Zwischen satte 169 und 280 Millionen Euro konnte so die Warburg-Bank an Steuern hinterziehen. In diesem Verhältnis wirkt das 17,5 Millionen Euro Beraterhonorar wie ein Tintenklecks. Mittlerweile ist die entsprechende Gesetzeslücke zwar geschlossen. Die „Cum-Ex“-Machenschaften sind aber noch lange nicht ganz aufgedeckt. Offen bleibt etwa noch: „Welche Privatpersonen und Institutionen waren beteiligt?“, „Welchen finanziellen Schaden gab es?“. Fragen über Fragen, die noch lange nicht geklärt sind.
Was jedoch feststeht? Der Steueranwalt, Hanno Berger, soll der Drahtzieher der „Cum-Ex“-Geschäfte sein. Die „Tagesschau“ bezeichnet den 72-Jährigen als „Mister-Cum-Ex“. Vor einiger Zeit verurteilte das Landgericht Wiesbaden Berger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Zusätzlich sollen Taterträge von knapp 1,1 Millionen Euro aus Bergers Vermögen eingezogen werden. Bereits im Dezember verurteilte ihn das Landgericht Bonn zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren – auch wegen Steuerhinterziehung. Beide Urteile sind jedoch nicht rechtskräftig. Berger kann somit in Berufung oder Revision gehen. Doch seine Beratertätigkeit unter anderem für die Warburg-Bank steht außer Zweifel.
Olaf Scholz kann sich nicht erinnern
Anders sieht die ganze Angelegenheit bei Bundeskanzler, Olaf Scholz, und seinen Verstrickungen in den Warburg-Skandal aus. Zum damaligen Zeitpunkt war Scholz Erster Bürgermeister beziehungsweise Finanzminister Hamburgs. Im Zuge dessen soll er sich 2016 und 2017 mit den Miteigentümern der Warburg-Bank getroffen haben. Nach einem dieser ominösen Treffen verzichteten die Finanzbehörden der Hansestadt auf eine Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro aus dem Jahr 2009. Scholz stand diesbezüglich bereits zweimal einem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgschaft Rede und Antwort. Er bestätigte zwar die Treffen. An die konkreten Inhalte der Gespräche konnte er sich jedoch nicht mehr erinnern.
Klingt seltsam, ist es auch. Daher meint der Enthüllungsjournalist, Oliver Schröm, dass Scholz eindeutig in den „Cum-Ex-Skandal“ involviert gewesen sein soll. In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ weist Schröm auf Ungereimtheiten hin. „Zwei Protokolle aus Sitzungen des Finanzausschusses im Bundestag“ bestätigen, dass Scholz, damals Bundesfinanzminister, sich doch an eines dieser Treffen erinnern konnte. Schröms Fazit? „Damit wäre die Aussage vor dem Untersuchungsausschuss eine Falschaussage gewesen. Das ist nicht unerheblich und sehr heikel.“ Der CDU-Obmann im Finanzausschuss des Bundestages, Matthias Hauer formuliert es so: „Wenn Scholz alles vergessen hat, warum kann er sich dann so genau daran erinnern, dass er keinen Einfluss auf das Verfahren ausgeübt hat?“
Viele offene Fragen
Obwohl die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft zur Einschätzung kam, dass es keine Belege für Falschaussagen, und somit politischer Einflussnahme von Scholz gebe, bleiben für die Union noch zu viele Fragen offen. Zum Beispiel behauptete Scholz sich mit dem Miteigentümer der Warburg-Bank, Christian Olearius, lediglich einmal getroffen zu haben. Nach einer Razzia bei Olearius kam jedoch heraus, dass beide mindestens dreimal miteinander gesprochen hatten – darauf verweisen zumindest die Tagebuchaufzeichnungen von Olearius. Oder die mehr als 200.000 Euro unerklärlichen Ursprungs, die im September 2021 in einem Schließfach von Scholz ehemaligen Parteifreund, Johannes Kahrs, gefunden wurden. Oder die Einschätzung des CDU-Sprechers im Hamburger Untersuchungsausschuss, Richard Seelmaecker, dass die Finanzbehörden auch das Geld vom inzwischen privatisierten Landesunternehmen, HSH Nordbank, hätten einfordern müssen. Doch das gliche dem Eingeständnis, „Millionen mit dubiosen Geschäften verdient zu haben“.
Nebst politischen Machtkämpfen ist es daher allzu verständlich, dass CDU und CSU drohten einen Untersuchungsausschuss ins Rollen zu bringen. Doch mittlerweile haben Union und SPD einen gemeinsamen Kompromiss gefunden: Fachleute werden zum Fragenkatalog in der ersten Juli-Woche angehört. Denn wenn es um die Zahl und Art der Fragen geht, die beim Untersuchungsausschuss gestellt werden sollten, sind sich die Parteien uneinig. Das muss erst einmal im Geschäftsordnungsausschuss abgestimmt werden. Weil aber die Ampel-Koalition hier die Mehrheiten besitzt, kann diese vermutlich ihren Willen gegen die Union durchsetzen. Während die Sozialdemokraten einen gekürzten Fragenkatalog im Untersuchungsausschuss einsetzen möchten (zwei Untersuchungsausschüsse gab es ja schon), pocht die Union auf detaillierte Fragen. Dass nun Fachleute hinzugezogen wurden, könnte mehr Unparteilichkeit einbringen und stimmt zunächst die Union optimistisch. Es verzögert aber den Beginn des Untersuchungsausschusses – sofern denn dieser eingeleitet wird.
Im Kanzleramt ist man selbstverständlich alles andere als begeistert von diesem Scheinwerferlicht. Kanzleramtsminister, Wolfgang Schmidt, beschwert sich schon offen in Redaktionen, wenn ihm Berichterstattungen über den „Cum-Ex“-Skandal nicht gefallen. Nicht wenige Redaktionen knickten auch ein - oder versuchten es unter den Tisch zu kehren - wie „Zeit“-Herausgeber Joffe. Trotzdem leuchtet das Licht, unaufhörlich und hell, noch immer auf Scholz. Ärger im medial-politischen Paradies ist da vorprogrammiert. Hält das die medial-politische Liaison aus? Jedenfalls heißt es zurzeit: „Küssen verboten (streng verboten)“, wie es „Die Prinzen“ in ihrem gleichnamigen Song verewigten.
Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, M. Sc. Psychologie, freie Publizistin und Vertretungsprofessorin für Psychologie.
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