Zentralrat der Juden in Deutschland: Ein legitimer Vertreter jüdischer Interessen oder Alibi für die deutsche Regierung?
Viele Juden in Deutschland fühlen sich durch den Zentralrat nicht vertreten. © Taxiarchos228 /WIKIPEDIA
Zentralratspräsident Josef Schuster und SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser haben eine neue Fassung des Staatsvertrages unterzeichnet. Damit erhöht sich die finanzielle Unterstützung der offiziellen jüdischen Vertretung. JR-Autor Julian M. Plutz fragte nach, welche Rolle der Zentralrat im Leben der jüdischen Menschen in Deutschland eigentlich noch spielt? Viele Juden sehen im Zentralrat heute weniger eine echte Vertretung der Juden als vielmehr ein willfähriges Sprachorgan der Bundesregierung, das die Bedrohung jüdischen Lebens durch den muslimischen Judenhass relativiert und sich von der jüdischen Lebensrealität weitgehend entfremdet hat. (JR)
Josef Schuster wirkt zufrieden. Zwischen seinem Adlatus, Mark Dainow, und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) freut sich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, denn die jährlichen Staatsleistungen seiner Organisation sollen von 13 auf nun 22 Millionen Euro erhöht werden. Kurz nach der Unterzeichnung wird Frau Faeser sagen, dass es nach den von den Deutschen begangenen Menschenrechtsverbrechen des Völkermordes an den europäischen Juden es ein großes Glück sei, dass es heute so vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland gebe. Es folgten die üblichen Plattitüden der SPD-Politikerin: „Antisemitismus müsse bekämpft, das jüdische Leben geschützt und unterstützt werden. Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Verantwortung”, so Nancy Faeser.
Inwieweit die Politik dieser Verantwortung gerecht wird, lässt sich trefflich streiten. Ergebnisse einer Untersuchung des Bundesministerium für Bildung und Forschung aus diesem Jahr sprechen einer andere Sprache. So haben mehr als 42 Prozent aller Juden in Deutschland so große Angst vor Übergriffen, dass sie sich in Zukunft nicht mehr als jüdisch zu erkennen geben wollen. Rund 32 Prozent haben vor, ihr Jüdischsein gegenüber Gesprächspartnern zu verschweigen.
Muslimischer Judenhass
Ein Grund hierfür ist auch die hohe Präsenz muslimischer Bürger in Deutschland, gibt Prof. Heiko Beyer, der zusammen mit Dr. Melanie Reddig die Untersuchung für das Ministerium durchführte: „Auch wenn unsere Daten nicht repräsentativ für alle in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden sind, so kann zumindest für unsere Stichprobe gesagt werden, dass vor allem Personen, die in Städten oder Bezirken mit einem hohen Anteil aktiver Muslime leben, darüber nachdenken, ihr Jüdischsein zukünftig zu verbergen.
Erkenntnisse, mit der sich der Zentralrat immer noch schwertut. Stattdessen betont Josef Schuster stets die Gefahr von rechts: „Die größte Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland geht vom Rechtsextremismus aus”, ist sich der Franke sicher. Ein großer Treiber in diese Richtung sieht er hierbei die Alternative für Deutschland (AfD): „Ich betrachte den erneuten Aufwärtstrend der AfD, aber auch anderer radikaler Bewegungen, die aufgrund der Energiekrise Zulauf bekommen, mit großer Sorge“, sagte Schuster dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In seiner Heimatgazette, der Main-Post, ließ er sich sogar zu diesem Zitat hinreißen: „Die AfD ist keine Partei für Juden.”
Scharfe Kritik des Zentralrats an Israel
Die Aussage Schusters wirkt wie eine Vereinnahmung, als würde er für alle Juden in Deutschland sprechen. Dabei fühlen sich längst nicht alle Juden in Deutschland vom Zentralrat vertreten. Ein ewiges Geschmäckle ist und bleibt die Finanzierung der Organisation, die die Bundesregierung gewährleistet. Wie kritisch und wie frei kann ein Zentralrat agieren, wenn er vom Wohlwollen der Regenten angewiesen ist? Ähnlich sieht es auch Chaim Noll, der in Israel lebt: “Die meisten meiner jüdischen Freunde und Bekannten in Deutschland fühlen sich nicht vom Zentralrat vertreten. Er agiert wie ein Organ der Bundesregierung.”
Ist es die Aufgabe eines Zentralrates, sich überhaupt so dezidiert über tagespolitische Themen zu äußern? Verbieten sich Aussagen zur Wahl im Hinblick auf eine Verpflichtung einer Neutralität, zumindest was demokratische Parteien angeht? Doch Schuster beschränkt sich mit seiner Kritik nicht nur auf Deutschland. Auch an der aktuellen Regierung in Israel hat der Franke etwas zu kritisieren: „Einschlägig vorbestrafte Rechtsextreme im Kabinett oder Gesetzesänderungen, damit korrupte Politiker Minister werden können, sind ein Tiefpunkt der israelischen Politikgeschichte", schrieb Schuster in einem Beitrag für den Tagesspiegel im Januar dieses Jahres. Dennoch dürfe es „keine reflexartige Abkehr von Israel geben".
Zwischen Würzburg und Jerusalem liegen 4000 Kilometer
Zwar hat Schuster ohne Frage recht, wenn er sagt, dass eine neue Regierung in Israel nicht spurlos an der Diaspora vorbei geht. Dennoch gehen seine Worte, ebenso wie seine Haltung zu Juden in Deutschland, zu weit. So meinte er, Positionen wie die der Regierung Netanjahus, seien in der jüdischen Welt nicht mehrheitsfähig. Für Netanjahu ist dies bereits das sechste Kabinett, das er anführt, was man durchaus als ein Indiz für Stabilität und Zustimmung sehen kann. Für viele (links-)liberal gesinnte Menschen ist es schier unverständlich, wenn eine Gesellschaft demokratisch wählt und eine Regierung sich entscheidet, religiöser und traditioneller zu werden.
Der scharfen Kritik des Zentralrates an Israel widerspricht der Historiker Michael Wolffsohn in einem Beitrag im Spiegel. Auf die Worte Schusters, die aktuelle Regierung dort sei ein Tiefpunkt in der israelischen Geschichte antwortete der emeritierte Professor: „Wir Diasporajuden sollten uns mit der Kritik an Israel zurückhalten”. So gingen Lebenswirklichkeiten, aber auch Empfindungen, wie sich die Lebensgestaltung entfaltet, auseinander. Zwischen Würzburg und Jerusalem liegen nicht nur rund 4000 Kilometer, sondern emotionale und mentale Welten.
Kampagnen, die an die Antifa erinnern
Unbestritten jedoch auch die großen Persönlichkeiten, die den Zentralrat geprägt haben. Neben der Lebensgeschichte von Charlotte Knobloch, die viele Menschen bewegt hat, dürfen Namen wie Ignatz Bubis und Paul Spiegel nicht fehlen. Persönlichkeiten, die mit ihrer Prägnanz und ihrem Charisma die Arbeit des Zentralrates der Juden maßgeblich beeinflusst haben. Auffallend ist jedoch immer eine natürliche und manchmal auch sehr unnatürliche Nähe zur Bundesregierung als Geldgeber.
Viele Kampagnen wirken wie der verlängerte Arm der aktuellen Regenten. So war Michel Friedman, der damalige stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats, maßgeblich für die Aktion „Gesicht zeigen!” verantwortlich. Eine sicherlich gut gemeinte Kampagne, die heute wie ein simples Abziehbild von Symbolakte der Antifa wirkt. So ist es auch kein Zufall, dass Spiegel zweimal für die Bundesversammlung berufen wurde. Einmal von der SPD und einmal von der CDU.
Resigniertes Fazit von Bubis über seine Zeit als Vorsitzender
Auch Ignatz Bubis Engagement für Flüchtlinge und seine Kritik an der Novellierung des Asylgesetzes aus dem Jahr 1992 stehen für einen explizit linken Kurs innerhalb der Organisation. Von Verirrungen des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden Rolf Verleger bis hin zu handfesten israelbezogenen Antisemitismus seinerseits, ganz zu schweigen. Es bleibt bei vielen deutschen Juden die Frage offen, inwieweit die Arbeit des Zentralrats der Juden ihr Leben tangiert. Welchen Unterschied würde es machen, wenn die Bundesregierung keine 22 Millionen im Jahr an die Organisation in Berlin überweisen würde?
Rund einen Monat vor seinem Tode sagte Ignatz Bubis, der ehemalige Vorsitzende, resigniert: „Ich wollte diese Ausgrenzerei, hier Deutsche, dort Juden, weghaben. Ich habe gedacht, vielleicht schaffst du es, dass die Menschen anders übereinander denken, anders miteinander umgehen. Aber, nein, ich habe fast nichts bewegt.“ Auch wenn die Zweifel groß sind und die Taten bisher nicht dafür sprachen: Man kann Josef Schuster nur wünschen, dass er auf seine Amtszeit einmal mit anderen Augen zurückblickt. Und man kann Juden in Deutschland wünschen, dass sie dies ähnlich sehen.
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