Dessau-Paris-New York: Der Komponist Kurt Weill im Exil

Kurt Weill gehörte zu den bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. © Leemage über AFP

1900 in Dessau geboren, musste der bekannte jüdisch-deutsche Komponist Kurt Weill 1933 vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen. Neben vielen anderen eigenen Werken schrieb er zusammen mit Bertolt Brecht die Musik für das weltbekannte Stück „Die Dreigroschenoper“ und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Nach dem Exil in Frankreich, emigrierte Weill in die USA, wo er weitere Welthits wie „Lady in the Dark“ schrieb. (JR)

Von Sabine Schereck

Vorbei die Premierenpartys, die Bühnenerfolge und das schöne Leben mit Haus, Hund und Auto, das die Tantiemen der „Dreigroschenoper“ ermöglichten. Im März 1933 machen die Nazis klar, wer die neuen Herren in Deutschland sind und Kurt Weill ist als gefeierter jüdischer Künstler persönlichen Drohungen ausgesetzt.

Für ein paar Tage findet er Unterschlupf bei Freunden, Caspar und Erika Neher. Am 21. März lässt er Berlin für immer hinter sich. Das Paar fährt Weill mit dem Auto quer durch Deutschland, über die Grenze hinweg bis nach Paris. Dort kommt er in einem Hotel unter und muss bei den Behörden einen Antrag auf Asyl stellen, damit er als Flüchtling bleiben darf. Der 1900 in Dessau geborene Komponist lässt sich vom Schicksal jedoch nicht unterkriegen.

Am 7. Juni jährt sich die Premiere von „Die sieben Todsünden“ zum 90. Mal. Es ist Weills erste Arbeit im Exil, gleichzeitig ist es die letzte Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, aus der fünf Jahre zuvor „Die Dreigroschenoper“ hervorgegangen war. Es ist auch das letzte Werk, das seinem kraftvollen, durchdringenden Berliner Stil nahe ist.

 

Werke aus der Pariser Zeit

Weills Musik aus Berliner Tagen prägt international den Klang der Weimarer Republik. Inzwischen ist die hiesige Bühnenwelt ebenso mit seinem amerikanischen Werk vertraut, das er ab 1935 für den Broadway schuf. Jedoch seine dazwischen liegende Zeit in Paris, geprägt von Unsicherheit, Geldmangel, Depressionen, beruflichen wie privaten Rückschlägen, wird oft übergangen. Zu Unrecht, denn er hat dort ein vielseitiges Oeuvre geschaffen, dessen Juwelen heute noch im Repertoire von Klassik-, Jazz- und Chansongrößen sind und auf Bühnen weltweit interpretiert werden. Darunter von Anne Sophie von Otter, Dee Dee Bridgewater, Ute Lemper und Marianne Faithful.

Ein Lied sticht besonders hervor: „Complainte de la Seine“. Gespenstisch-unheimlich fängt die Melodie die Stimmung der Zeit ein mit ihren nagenden Dramen und aufgegebenen Hoffnungen: „Au fond de la Seine / Il y a de l'or / Des bateaux rouillés / Des bijoux, des armes./ Au fond de la Seine / Il y a des larmes. [Am Grunde der Seine / da ist Gold / da sind verrostete Boote / Juwelen, Waffen. / Am Grunde der Seine / da sind Tränen”. Maurice Magre hat den Text 1913 verfasst, doch das Gefühl von Verlust und Sehnsucht trifft 20 Jahre später bei unzähligen Emigranten den Nerv der Zeit. Für sie ist Paris zum Wartesaal geworden. 1934 wird das Lied von der französischen Cabaretsängerin Lys Gauty aufgenommen.

Die Melodie verrät noch mehr: Weills Gabe, regionale Klangfarben in seine Kompositionen mit einfließen zu lassen. Das Lied vereint Weills ausgefeiltem Stil mit dem französischen Chanson.

Für die Bühne schafft Weill auch Musik für Jacques Duvals Theaterfassung seines Romans „Marie Galante“. Während die Inszenierung nach wenigen Wochen abgesetzt wird, erhalten sich einige Titel außerhalb der Erzählung, z.B. „Youkali“. Ein Tango, der voll Sehnsucht einen magischen Ort besingt, an dem Träume wahr werden. Auch hier das Thema Sehnsucht.

 

Erfahrungen der Emigration

Mögen „Die sieben Todsünden“ und „Marie Galante“ klanglich weit auseinander liegen, gibt es inhaltlich Gemeinsamkeiten, die die Erfahrungen vieler Emigranten reflektieren: das zehrende Reisen von Ort zu Ort. In dem innovativen Ballett „Die sieben Todsünden“ reisen die Schwestern Anna I und Anna II durch sieben Städte Amerikas, um Geld für die Familie zu verdienen, damit ein „kleines Haus in Louisiana“ gebaut werden kann.

In „Marie Galante“ wird eine Prostituierte aus Bordeaux vom Kapitän eines Frachters gekidnappt. Als sie seinen Wünschen nicht nachgibt, setzt er sie in Venezuela aus. Nun tingelt sie als Freudenmädchen durch Südamerika, um Geld für eine Rückfahrkarte zu verdienen. Dabei wird sie in fatale Spionagegeschichten verwickelt.

Die Turbulenzen jener Jahre sind in Weills 2. Sinfonie hörbar: die Hast, die Nervosität, die Anspannung, die Aufregung sowie die Gefahr. Nur wenige Passagen bieten Ruhe zum Verschnaufen und lassen Hoffnung spüren. In den zum Ende hin anschwellenden und imposanten Melodien sind schließlich ein Ozeandampfer, Triumph und der Ruf Amerikas zu erahnen, selbst wenn diese noch zwei Jahre entfernt sind. Ein Hauch von Melancholie schimmert durch.

Die latente Narrative ist womöglich auf die lange Entestehungszeit des Stücks zurückzuführen. Die Sinfonie war eine Auftragsarbeit der Princesse de Polignac aus Paris, die Weill noch in Berlin erhalten hatte. Im Januar 1933 beginnt er daran zu arbeiten; im Februar 1934 bringt er die letzten Noten zu Papier. Dazwischen ist sein Leben völlig auseinander gefallen: Flucht, Umzüge von Hotel zu Hotel, Angewiesensein auf Freunde, schwere Einkommensverluste, die Scheidung seiner geliebten Lenya und sogar in Paris anti-semitische Anfeindungen. Im Oktober 1934 erfährt die 2. Sinfonie ihre erste öffentliche Aufführung in Amsterdam unter der Leitung des renommierten Bruno Walter. Weder Kritiker noch Publikum sind beeindruckt.

Wie sehr die Komplikationen und Scherereien, die seit seiner Ankunft in Paris auf ihn einstürzen, an seinen Nerven zerren, verdeutlicht ein Brief. Als er die erschütternde Nachricht erhält, dass Caspar Neher ablehnt, das Bühnenbild für „Die sieben Todsünden“ zu übernehmen, schreibt er an dessen Frau Erika: „Ich muss doch alles mit mir allein ausmachen. Seit 6 Uhr Nachmittag laufe ich hier im Zimmer herum u. denke über diese Sache nach (...). Ich bin in einer verdammten Situation. Ich muss einen anderen Maler suchen, dies in einem Moment, wo ich Tag und Nacht an der Partitur sitze, Schwierigkeiten mit den Scheidungsanwälten, Schwierigkeiten mit der Dresdener Bank, Schwierigkeiten mit den Ballettproben u. in den Gliedern die Nachwirkungen eines schweren Schwindelanfalls.“ Caspar Neher sagt schließlich zu. In „Die sieben Todsünden“ erhält nicht nur Lenya eine Rolle und damit Geld, sondern auch ihr damaliger Liebhaber, der Tenor Otto Passetti.

 

Existenzkampf

Hinter der Scheidung von Lenya liegt keine tiefe Beziehungskrise, denn sie bleiben freundschaftlich verbunden. Lenya bat um die Trennung, die Weill dennoch schmerzt. Er argumentiert, er möchte als Jude keine Belastung für sie sein. Sie erklärt später, es wäre so leichter gewesen, Weills Besitz zu verwalten und ggf. aus Deutschland herauszuschaffen. Da die Nazis Korrespondenzen überwachen, müssen viele Informationen in den Briefen kodiert werden. 1935 heiraten sie in Amerika erneut.

Mit kaum Geld im Gepäck, erreicht Weill die Mitteilung von seinem Verlag, die Universal Edition, dass sie seine Zahlungen kürzen will, da aufgrund der politischen Situation in Deutschland keine Umsätze mehr zu erwarten wären. In einem sich monatelang hinziehenden Briefwechsel, bei dem Weill wiederholt die vertraglich vereinbarten Zahlungen einfordern muss, kommen beide Parteien im Herbst 1933 überein, den Vertrag aufzulösen. Weill findet mit Heugel schnell einen neuen Verleger, bei dem auch sein Freund Darius Milhaud ist.

Wenige Wochen später werden drei Lieder aus Weills „Der Silbersee“ in Paris konzertant aufgeführt. Dabei kommt es zu einem alarmierenden Zwischenfall: Nach dem letzten Lied „Ballade de César“, im deutschen Original „Cäsars Tod“, rufen zwei Zuschauer „Heil Hitler! Heil Hitler“ gefolgt von Applaus und dem Kommentar „Wir haben auch ohne die ganzen Juden aus Deutschland ausreichend schlechte Musiker in Frankreich“. Einer der beiden ist der einflussreiche französische Komponist und Kritiker Florent Schmitt – eine heikle Situation, da Schmitt ebenfalls bei Heugel unter Vertrag steht.

Weill konzentriert sich 1934/35 auf die Operette „A Kingdom for a Cow“, die in London aufgeführt wird, ein weiterer Misserfolg, und Max Reinhardts Bibeldrama „Der Weg der Verheißung“, das ihn 1935 nach Amerika bringt.

Wie gelang es Weill, die traumatische Pariser Zeit durchzustehen? Zum einen mit seinem Vertrauen in sein Talent, zum anderen mit dem Blick nach vorn, bei dem er mit den gegebenen Möglichkeiten arbeitete.

Musikalisch ist Paris eine sehr diverse Periode: der unbändige Berliner Sound, die feinen französischen Melodien, die reichen Klangfarben der 2. Sinfonie sowie eine Operette und die synagogale Kompositionen für Reinhardts Opern-Oratorium.

Es zeugt von Weills Meisterschaft trotz dieser Widrigkeiten so viel produziert zu haben. Anders als damals, wird die 2. Sinfonie heute hoch gelobt und manch Bühnenwerk wiederbelebt.

Nachdem Weill auch in Amerika eine neue Musiktheaterform, die Broadway Opera, hervorbrachte, stirbt er dort 1950 an Herzversagen. Lenya setzt sich zeitlebens für den Erhalt seiner Arbeit ein.

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