Die größten „Wendehälse“ beim Atomausstieg
Viele Politiker wittern beim Thema Atomausstieg politisches Oberwasser und vergießen öffentlichkeitswirksam „radioaktiv strahlende“ Krokodilstränen. Wechselstimmungs-konform seien sie schon immer für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke gewesen, verschweigen aber ihre frühere Komplizenschaft bei der Merkel‘schen Besiegelung des Endes der Kernenergie in Deutschland. Unter ihnen auch die wegen der vollständigen Ermangelung an Sachkompetenz der grünen Politik bereits als kompetent geltenden sogenannten Querschießer Friedrich Merz, Wolfgang Kubicki oder Markus Söder. Die JR und ihr Herausgeber, Dipl.-Chem. Dr. Raphael Korenzecher, haben nach dem, wegen des japanischen Fukushima-Unfalls, erfolgten Atomausstiegsbeschluss Angela Merkels, vom ersten Tag an, vor einer Abschaltung dieser wichtigen und sauberen Energiequelle gewarnt. Ganz besonders in unserem, ach so schrecklich von Erdbeben und Tsunamis gefährdetem Land. (JR)
Der eine spricht von der „dümmsten Energiepolitik der Welt“, der andere von einem „schwarzen Tag“. Doch viele der Politiker, die der Kernenergie nachweinen, haben sich früher weggeduckt, gewähren lassen oder waren sogar aktive Unterstützer des Atomausstiegs.
Es gibt sie, die radioaktiv strahlenden Krokodilstränen. Dass die Grünen dem 15. April entgegenjauchzen, darf keinen überraschen; sie eifern diesem Ziel seit Jahrzehnten entgegen. Anders sieht es bei den Parteien aus, die nun behaupten, schon immer für einen Weiterbetrieb gewesen zu sein, oder nun zumindest den Ausstieg beklagen – obwohl sie diesen mitgetragen haben. TE stellt fünf Personalien vor.
#6 Christian Dürr
Christian Dürr ist der Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag. Auf Twitter beklagt er: „Die beste Option wäre der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke gewesen. Dafür gibt es leider keine Mehrheit. Die zweitbeste Option ist es, immerhin nicht sofort mit dem Rückbau zu beginnen. So sind wir auf mögliche Energieengpässe in der Zukunft besser vorbereitet.“
Schöne Worte. Doch sie haben wenig Substanz. Als die CDU/CSU-Fraktion am 31. März einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringt, der eine Laufzeitverlängerung vorsieht, lehnen die Vertreter der Ampel-Koalition geschlossen ab. Neben der Union stimmt auch die AfD zu. Insgesamt stimmen 247 Abgeordnete für, 397 Abgeordnete gegen die Laufzeitverlängerung. Hätten die anwesenden 79 Abgeordneten der FDP für eine Laufzeitverlängerung gestimmt, wäre diese Abstimmung 326 zu 318 ausgegangen – eine knappe Mehrheit für die Kernkraft. Christian Dürr hat an diesem Tag wie fast alle seine Kollegen gegen eine Verlängerung gestimmt. Nur Nicole Bauer enthielt sich.
#5: Friedrich Merz
Der CDU-Chef beklagt immer wieder den Ausstieg und setzt sich für längere Laufzeiten ein. Es gebe im Ausland kaum jemanden, „der Verständnis dafür hat, dass Deutschland in der größten Energiekrise seit Jahrzehnten drei sichere, CO2-freie Anlagen der Energieerzeugung abschaltet und dafür wieder auf Kohle und Gas setzt“.
Doch wie so häufig bleibt auch dieser Appell von Merz höchstens halbherzig. Denn schon im Dezember 2022 hatte der Sauerländer in einer Schaltkonferenz gesagt, dass ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wegen fehlender Brennstäbe nicht möglich sei. Der Ausstieg im April sei also endgültig. Auch das ist wieder ein typisches Merz-Manöver: Obwohl Merz im Grunde weiß, dass es nicht geht, stellt die CDU dennoch einen Antrag am 31. März, die Kraftwerke weiterlaufen zu lassen. Glaubt er nun daran, oder doch nicht?
#4: Wolfgang Kubicki
Wer laut poltert, muss auch einstecken – das gilt auch für den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki. Er warnte vor dem „dramatischen Fehler“, den der Atomausstieg bedeute, spottete über die „dümmste Energiepolitik der Welt“, wie sie das Ausland nennen würde. Die Abschaltung der Kernkraft werde „schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben“, konstatierte der FDP-Mann.
Doch die Sache hat einen Haken. Denn Kubicki hat wie sein Kollege Christian Dürr bei einem Antrag zur Laufzeitverlängerung diesen abgelehnt. Zur Erinnerung: Mit einer CDU/CSU-FDP-AfD-Mehrheit wäre die Laufzeit am 31. März bis Ende 2024 verlängert worden. Doch Fraktionsdisziplin hatte wie immer die Oberhand gegenüber pragmatischer Politik und dem freien Gewissen des Abgeordneten bei der Abstimmung. Bei einem ähnlichen Antrag aus dem Juli 2022 hatte Kubicki sich wenigstens noch zu einer Enthaltung durchringen können.
#3: Jens Spahn
Spahn macht in diesen Tage Furore. Bei n-tv bezeichnet er den 15. April als „schwarzen Tag“ für den Klimaschutz. Er fordert eine Laufzeitverlängerung bis 2024. Sogar den Neubau von Atomkraftwerken wollte er nicht ausschließen. Zuletzt appelliert er gar an die FDP, den Atomausstieg in der Regierung zu verhindern. „Denn die FDP hat ja recht – und da, wo sie recht hat, wollen wir sie ausdrücklich unterstützen.“
Ratschläge aus der Opposition an die Regierung. Da kann man natürlich fragen: Wie lange ist eigentlich die letzte CDU-Regierung her? Und welche Rolle spielte Spahn in dieser? Die CDU hat das Land seit dem Beschluss des Atomausstiegs kontinuierlich regiert. Aber nun, da sie nicht mehr an der Macht ist, sollen es andere richten? Gab es für Spahn zuvor keine Möglichkeit, das Thema anzusprechen?
Es ist nicht das einzige Mal in seiner Karriere, in der Spahn seine politische Vergangenheit von sich wegschiebt. So wenig, wie wir von Spahns Verantwortung während der Corona-Krise hören, so wenig hören wir von seiner Verantwortung für den Atomausstieg. Dabei gab es doch mal eine CDU/CSU-FDP-Koalition – nämlich damals, als der Atomausstieg beschlossen wurde. Von fünf Ausnahmen abgesehen, stimmte die Union durchweg für den Atomausstieg am 31. Dezember 2022. Von den 513 Abgeordneten, die damals für das Ende der Kernkraft in Deutschland stimmten, war einer – Jens Spahn.
#2: Markus Söder
Wie heißt es so schön: ein Mann, ein Wort – ein Söder, viele Worte. Der bayrische Ministerpräsident steht heute an vorderster Front in der Schlacht um Isar 2. Neuerlich gilt es, den norddeutschen Furor mit bajuwarischer Stärke zu verteidigen. Das letzte Wort, so poltert der verhinderte Prinzregent, sei noch nicht gesprochen. Der AKW-Ausstieg sei eine „absolute Fehlentscheidung“. Es handele sich um eine „energiepolitische Sünde“ und „reine Willkür“.
An dem Bild ist nicht nur schief, dass Söder Franke, und kein Bayer ist; denn Söder war einer der schärfsten Befürworter des Ausstiegs im Jahr 2011. Die FDP, die in Bayern gerne längere Laufzeiten durchgesetzt hätte, setzte er unter Druck, drohte gar mit Rücktritt als damaliger bayrischer Umweltminister, wenn der Ausstieg nicht im Jahr 2022 stattfinde. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von den Verhandlungen zwischen CSU und FDP in Bayern im Mai 2011, die in einer Zerrüttung enden, weil Söder kompromisslos mit dem Koalitionspartner umgeht:
„Der Auftritt an diesem Tag ist eine einzige Provokation von Markus Söder. Der Umweltminister der CSU hat sich für diese wichtige Sitzung des bayerischen Kabinetts eine grüne Krawatte umgebunden. So gibt sich Söder seit dem Reaktorunfall von Fukushima, grün bis zum Hals. […] In dieser aufgeheizten Stimmung meldet sich Teilnehmern zufolge Markus Söder zu Wort, und wirft der FDP vor, Politik gegen Mehrheiten zu machen. Und dann wird er an diesem Vormittag noch sehr deutlich. Sollte sich Bayern auf einen späteren Zeitpunkt für den Atomausstieg als 2022 festlegen, habe ‚dies tiefgreifende Konsequenzen‘ für das Kabinett und auch für ihn ‚ganz persönlich‘.“
Söder rechtfertigt sich. Die Welt habe sich verändert. „Das zwingt uns, alte Entscheidungen zu überdenken“, sagt Söder. Auch das ist eine Parallele zu Jens Spahn. Dass man auch Verantwortung für vergangene Entscheidungen – nicht nur beim Atomausstieg – tragen könnte, das kam Söder damals wie heute nicht in den Sinn. Wer dauernd falsche Entscheidungen trifft, die er revidieren muss, ist möglicherweise für ein so hohes Amt ungeeignet, hätte aber eine Karriere als hervorragende Windfahne in Aussicht.
#1: Christian Lindner
Er profiliert sich seit Monaten als vermeintlich rationaler Leuchtturm der Ampel, der am liebsten wollte, wenn er denn nur könnte. Im September letzten Jahres forderte der FDP-Chef einen Weiterbetrieb der drei verbliebenen Meiler bis 2024 – nachdem seine FDP einen Antrag der CDU/CSU zum Weiterbetrieb bereits einmal abgeschmettert hatte. Auch am 31. März votierte Lindner wie Dürr und Kubicki gegen den CDU/CSU-Antrag, obwohl es numerisch für eine Verlängerung gereicht hätte, hätten die Liberalen dem Antrag zugestimmt.
Was Lindner zur Nummer 1 macht, ist aber nicht nur das aktuelle Verhalten und seine größere Verantwortung als FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister. Denn Lindner war – wie heute oftmals vergessen – als Generalsekretär eine beteiligte Kraft hinter dem Atomausstieg 2011. Es war Lindner, der als einer der ersten bei der FDP lospreschte.
Kurz nach den verlorenen Landtagswahlen im März 2011 erklärte er, dass die damals vorübergehend stillgelegten Atomkraftwerke endgültig stillgelegt werden müssten. „Eine Übertragung von Reststrommengen auf jüngere Meiler solle es nicht geben. Das sei ‚politisch nicht vorstellbar und nicht wünschenswert‘“, zitiert der Spiegel Lindner damals. Und weiter: „Lindner sprach sich für eine sofortige Vereinbarung mit der Atomindustrie aus, in der die Abschaltung der AKW verbindlich festgeschrieben wird. Jetzt müsse ‚rasch Rechtssicherheit‘ geschaffen werden.“
So viel Forschheit sorgte in der FDP, die damals noch zögerte, für Aufsehen. Es kam nicht bei allen Liberalen gut an. Vize-Bundesvorsitzende Walter Döring wies den erst 32 Jahre alten Generalsekretär zurecht: „Was Lindner da über Nacht verkündet hat, einfach mal ein Atomkraftwerk abschalten, das ist doch Kokolores. Das ist einfach nur Ausdruck von Planlosigkeit.“ Am Ende setzte sich der Regierungskurs durch. Die FDP stimmte im Sommer 2011 fast geschlossen für den Ausstieg ab. Darunter auch: Christian Lindner.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Tichys Einblick
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