Das drohende Ende der Christen in der islamischen Welt

Die koptische „Hängende Kirche“ in Kairo© THOMAS COEX / AFP

In nahezu allen islamischen Staaten werden Christen in faktisch allen Lebensbereichen diskriminiert, marginalisiert, sind Schikanen ausgesetzt und werden in ihren Rechten eingeschränkt. Dies hat zu einem massiven Rückgang der christlichen Populationen in nahezu allen islamischen Ländern geführt, ohne einen erheblichen Widerspruch der westlichen Kirchen. Das mit großem Aufwand betriebene interkulturelle Projekt in den Vereinten Arabischen Emiraten „Abrahamic Family House“ hat am 1. März 2023 eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche in Abu Dhabi eröffnet. Das könnte ein Lichtblick sein und ist hoffentlich nicht lediglich ein weiterer Akt von Symbolpolitik ohne tatsächliche Besserung für die Lage der Christen und Juden. (JR)

Von Dr. Alfred Schlicht

Diskriminierung und Verfolgung – das droht Christen in vielen muslimischen Ländern. Dabei existieren ihre Gemeinden dort häufig schon länger als der Islam. Dass ausgerechnet in einem besonders strengen Land jetzt erstmals Gottesdienste erlaubt wurden, ist kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer.

Am orthodoxen Weihnachtsfest im Januar 2023 fand in Saudi-Arabien – von der Welt weitgehend unbemerkt – ein denkwürdiger Vorgang statt: An verschiedenen Orten des streng islamisch-konservativen Königreichs, das immer wieder wegen besonderer religiöser Rigidität kritisiert worden war, wurden mit offizieller Genehmigung christliche Gottesdienste abgehalten.

Christen leben in Saudi-Arabien seit jeher unter prekären Bedingungen. Christliche Symbole durften nicht öffentlich gezeigt werden und jede Art christlicher Äußerungen, etwa auch das Drucken oder Verbreiten der Bibel, war verboten. Gottesdienste wurden, solange sie in stark reduzierter Form – also etwa ohne sakrale Musik – in privatem Rahmen stattfanden, geduldet.

Zwar besteht die ursprüngliche Bevölkerung Saudi-Arabiens, in dem die Heiligen Stätten des Islam liegen, praktisch ausschließlich aus Muslimen. Aber zahlreiche Arbeiter aus Äthiopien und Eritrea, aus Indien und von den Philippinen, sowie Experten und Wirtschaftsvertreter aus dem Westen halten sich im Königreich auf. Besonders die oft tiefreligiösen Christen aus Ostafrika litten unter den drastischen Einschränkungen.

 

Annäherungen geistlicher Vertreter

Die Lockerungen der Restriktionen für Nichtmuslime in einem Land, das sich als Wiege des Islam versteht, liegen im Trend. Im März 2018 bereits war der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman in Kairo mit Papst Tewodros II., dem Oberhaupt der koptischen Kirche, zusammengetroffen. Und am 26. Februar traf der Erzbischof von Wien, Kardinal Schönborn, anlässlich eines mehrtägigen Besuches in Saudi-Arabien, mit dem saudischen Religionsminister zusammen. Beide sprachen sich gegen religiös motivierte Gewalt aus.

Islamisch-christliche Annäherungsgesten gab es nicht nur mit Saudi-Arabien. Denn Papst Franziskus selbst hat deutliche Zeichen gesetzt dafür, dass er persönlich dem christlich-islamischen Dialog besondere Bedeutung beimisst – etwa durch seine Besuche in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2019, im Irak 2021 und in Bahrain 2022. Im Februar 2019 unterzeichneten der Papst und der Kairoer Groß-Imam Ahmad Muhammad al-Tayyib in Abu Dhabi ein „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“.

„Im Namen Gottes ... erklären al-Azhar al-Sharif (die Hochschule und Moschee al-Azhar in Kairo, die der Großimam leitet und vertritt) – mit den Muslimen in Ost und West – und die katholische Kirche – mit den Christen in Ost und West – gemeinsam, dass sie die Kultur des Dialogs als Weg, die allgemeine Zusammenarbeit als Verhaltensregel und das gegenseitige Verständnis als Methode und Maßstab annehmen wollen. (...) Der verdammenswerte Terrorismus ... ist nicht der Religion geschuldet – auch wenn die Terroristen sie instrumentalisieren –, sondern den angehäuften falschen Interpretationen der religiösen Texte ...“ Soweit die offiziellen Glaubensvertreter des Islam und des Christentums und ihre Bemühungen auf höchster Ebene um Verständigung und Dialog.

Einen scharfen Kontrast hierzu bietet die ernüchternde Realität, der Christen in der islamischen Welt ausgesetzt sind. Nach dem Weltverfolgungsindex – der zwar einerseits kritisiert, andererseits aber auch weithin anerkannt wird – sind unter den 15 Staaten, in denen die Lage für Christen am schlimmsten ist, nur drei nichtmuslimische. Von den zehn Staaten, in denen Christen am stärksten diskriminiert werden, ist nur eines ein nichtmuslimisches Land, nämlich Nordkorea.

Immer wieder schreckt die Weltöffentlichkeit auf, wenn besonders grausame und brutale Taten gegen Christen in der islamischen Welt verübt werden. Am Palmsonntag 2017 starben in Ägypten 40 Kopten bei Anschlagen auf Kirchen, ein Anschlag auf eine christliche Kirche am Pfingstsonntag im nigerianischen Owo kostete etwa 100 Menschenleben. Ein Experte sagte im Interview mit der Deutschen Welle im Januar 2023: „Es gibt in Nigeria Regionen, bei denen ist der Weg in die Kirche zum Gottesdienst wie ein One-Way-Ticket“ – so hoch sei die Gefahr tödlicher Gewalt.

Die Zunahme von Gewalt gegen Christen sei zwar, so das überkonfessionelle christliche Hilfswerk „Open Doors’“, ein globaler Trend, doch stehen immer wieder muslimische Länder im Fokus. Massive Gewalt gegen Christen ist dabei keine ganz neue Erscheinung, sondern hat eine unselige Tradition, wobei selbst Ereignisse mit Tausenden Opfern bei uns in Vergessenheit geraten oder erst gar nicht die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt haben.

 

„Kaltblütiges, methodisches Massaker“

1933 beispielsweise wurden im Nordirak Tausende von Christen durch Militär liquidiert, selbst schwangere Frauen wurden nicht verschont, Mädchen wurden vergewaltigt. Der britische Offizier Stafford, dem wir auch ein Buch über die Ereignisse verdanken, schrieb von einem „kaltblütigen und methodischen Massaker“.

Noch viel weniger ist das weit zurückliegende Christenmassaker im Libanon und in Damaskus präsent, das im Jahr 1860 stattfand, Tausende von Opfern forderte (möglicherweise bis zu 20 000) und eine französische Militärintervention auslöste. Bei den Griechenverfolgungen in der Endphase des Osmanischen Reiches kamen zwischen 1914 und 1923 Hunderttausende Griechen ums Leben.

Die Spannungen zwischen islamischer und westlicher Welt haben vielfach zur Gewalt gegen Christen in muslimischen Ländern beigetragen. Oft werden Christen im Nahen Osten auch heute noch als „westliche Agenten“ oder Speerspitze westlicher Einflussnahme mit Misstrauen betrachtet.

Dabei sind Massaker und Massengewalt nur die Spitze des Eisbergs. In allen Lebensbereichen werden Christen praktisch aller islamischen Staaten diskriminiert und marginalisiert, sind Schikanen ausgesetzt und werden in ihren Rechten eingeschränkt. Da, wo der IS herrschte, bestand Sklaverei (die selbst im rückständigen Saudi-Arabien 1963 offiziell abgeschafft wurde), der vor allem Christen, aber auch Jeziden zum Opfer fielen. Auch herrscht in den meisten islamischen Ländern keine Religionsfreiheit, sondern der Übertritt vom Islam zum Christentum ist unmöglich. Auch auf den von vielen im Westen als freundliches Urlaubsparadies betrachteten Malediven ist die Staatsangehörigkeit an das Bekenntnis zum Islam geknüpft.

Als im Jahr 2011 die ägyptische Regierung einen Christen zum Provinzgouverneur ernennen wollte, führte dies zu solchen Unruhen (einschließlich Blockade der Eisenbahnlinie in die Hauptstadt Kairo), dass die Regierung einen Rückzieher machte. In Pakistan gehört die Entführung christlicher Mädchen, die dann zwangsverheiratet und zum Islam zwangskonvertiert werden, zum Alltag.

Diese düstere Lage hat zu einem Exodus der orientalischen Christen geführt, deren Gemeinden schon bestanden hatten, bevor der erste christliche Missionar deutschen Boden betrat und lange, bevor die muslimischen Eroberer ihre Länder einnahmen. Hatte die Zahl der Christen im Irak Anfang des Jahrtausends noch 1,4 Millionen betragen, sind es heute nur noch etwas über 160 000.

All dies wurde nicht verhindert oder abgemildert durch versöhnliche Worte und ausgleichende Gesten der obersten religiösen Führer von Islam und Christentum. Das durch die oben zitierte Erklärung von 2019 angestoßene Projekt eines „Abrahamic Family House“ mit einer Moschee, einer Synagoge und einer Kirche, das am 1. März 2023 in Abu Dhabi für die Öffentlichkeit geöffnet wurde, ist hoffentlich nicht lediglich ein weiterer Akt von Symbolpolitik ohne Konsequenzen.

Der Verfasser ist Autor des Buches „Die Araber und Europa“, das bei Kohlhammer erschienen ist.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de

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