Machtmissbrauchsvorwürfe und Sex-Skandal: Walter Homolka und sein Kartenhaus

Gallionsfigur seines eigenen Macht-Imperiums: Walter Homolka© JOHN MACDOUGALL / AFP

Der noch immer amtierende Rabbiner und Rektor des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs Walter Homolka ist jetzt wohl über seine umstrittenen Machenschaften gestolpert, aber nicht gestürzt. Homolka behauptet, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien ungerechtfertigt. Dennoch ist der Schaden für das deutsche Reform-Judentum katastrophal. Ein progressives Judentum, in dem es Platz gibt für die gegenwärtig im Raum stehenden Vorwürfe gegen Homolka, bringt sich selbst in existenzielle Not. Der staatlich finanzierte, ganz offensichtlich autoritäre Machtapparat, dessen düstere Ausmaße - sollten sich die Vorwürfe gegen Homolka erhärten - hier zu Tage treten, ist wohl weder progressiv noch wirklich jüdisch. (JR)

Von Chaim Noll

Zu allen Zeiten gab es Geistliche oder hauptberuflich mit religiösen Fragen Beschäftigte, die während dieser Tätigkeit immer beleibter wurden. So auch der vielfach geehrte, mit Titeln, Orden und Ehrenwürden überschüttete deutsche Judaist Walter Homolka. Er wurde zur omnipotenten Symbolfigur des liberalen deutschen Judentums: Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, Vorsitzender der Union Progressiver Juden in Deutschland, Chairman der Leo-Beck-Foundation und in vielen anderen leitenden, mit Macht und Einfluss verbundenen Positionen, Rabbiner, mehrfacher Professor und Honorar-Professor, Oberst der Bundeswehr a.D., Ritter der französischen Ehrenlegion, Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse, des Großen Ehrenzeichens mit Stern für Verdienste um die Republik Österreich, des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold, der Verdienstorden des Landes Berlin und des Landes Brandenburg, des Muhammad-Nafi-Tschelebi-Preises, Ritter des Ordine al Merito della Repubblica Italiana, des Ordens der Eichenkrone vom Großherzogtum Luxemburg, Offizier des rumänischen Treudienst-Ordens und Träger so vieler weiterer Kreuze, Sterne und Ehrenzeichen, dass, um sie alle anzulegen, tatsächlich ein außergewöhnlicher Körperumfang vonnöten ist.

Der 1964 in Landau als Sohn christlicher Eltern geborene Homolka soll im Alter von siebzehn Jahren zum Judentum konvertiert sein, und kaum auf der Bildfläche erschienen, begann sein atemberaubender Aufstieg innerhalb der von der Bundesregierung finanzierten Institutionen eines staatlich kontrollierten „blühenden jüdischen Lebens“: „Mit siebzehn konvertiert der belesene Junge zum Judentum“, schrieb Caroline Fetscher 2006 im Berliner Tagesspiegel. „Als Student zieht er nach München, London, Leipzig, besteht Examina in Theologie, Jüdischen Studien und Wirtschaft. Er promoviert, liest die Thora, schreibt ein Buch über das Beten, geht als Manager zu Bertelsmann, als Umweltboss zu Greenpeace, als Leiter der Kulturabteilung zur Deutschen Bank. Und jetzt – bildet er Rabbiner aus. Diese Biografie klingt ausgedacht. Aber sie gehört einem quicklebendigen Mann: Walter Homolka, Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, das nun Geschichte macht.“

Der letzte Satz ist nicht sarkastisch gemeint, sondern 2006, als dieser Artikel erschien, noch uneingeschränkt bewundernd. Wie überhaupt deutsche Medien diesen Professor, Rektor, Reform-Rabbiner, Ritter und hohen Würdenträger bis 2022 überaus wohlwollend, fast zärtlich behandelt haben und auch jetzt noch jeden rettenden Strohhalm ergreifen, um damit für ihn zu fechten. Ohne Frage ein hochintelligenter, flexibler Mann. Ein Tausendsassa. Fotos zeigen ihn mit dem Papst, mit dem deutschen Bundespräsidenten, der langjährigen Kanzlerin und vielen anderen Würdenträgern. Meist überragt er sie: Homolka war immer eine große, Respekt gebietende Erscheinung.

 

Seifenblase geplatzt

In diesem Jahr ist die Seifenblase geplatzt. Das Abraham-Geiger-Kolleg, Homolkas Spielwiese, hat nochmals „Geschichte gemacht“. Am 6. Mai schrieb Alan Posener in der Tageszeitung Die Welt einen mit „Die Methode Homolka“ betitelten Artikel, in dem der Hochgeehrte des Machtmissbrauchs und Psycho-Terrors bezichtigt wurde, der „Karriereeingriffe“, schließlich der Duldung sexueller Übergriffe gegen Rabbiner-Studenten seines weitgehend staatlich finanzierten Kollegs. Unter anderem berichtete Posener, wie Homolkas Ehemann Hartmut Bomhoff, selbst Lehrer am Potsdamer Rabbiner-Kolleg, einen Studenten sexuell belästigt hatte, durch Zusendung eines Videos, in dem zu sehen ist, „wie er seinen erigierten Penis manipuliert“. Derlei scheint kein Einzelfall gewesen zu sein. Ein Redakteur der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung, des Organs des Zentralrats der Juden erhielt, wie er am 4.11. 2022 in seiner Zeitung schrieb, „vor acht Jahren als Jungredakteur von Homolkas Mann eine Nachricht mit dem Angebot, über eine Tagung des Abraham-Geiger-Kollegs zu berichten. In seinem Hotel-Doppelbett sei im Übrigen noch ein Platz frei. Im Vergleich zu den Vorwürfen einiger Studenten (…) liest sich dies weniger schlimm. Doch war auch dies eine krasse Grenzüberschreitung – zweifellos. Persönlich gekannt habe ich Homolkas Ehemann zu diesem Zeitpunkt wohlgemerkt nicht. Wie sicher musste er sich an dem von seinem Mann geleiteten Institut gefühlt haben, um einem Fremden solch ein Angebot zu unterbreiten?“

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich war keinen einzigen Tag in meinem Leben homophob. Die sexuelle Orientierung eines Menschen halte ich für seine Privatangelegenheit und die Gleichberechtigung homosexuell veranlagter Frauen und Männer für eine Selbstverständlichkeit. Der Umstand, dass Homolka homosexuell ist, macht auf mich keinen Eindruck und tut nichts zur Sache. Hier geht es um sexuelle Belästigung, Ausnutzung von Abhängigkeits-Verhältnissen und Machtmissbrauch – ich würde sie genauso ablehnen, wenn sie heterosexuell motiviert und das pornographische Video von einem Hochschullehrer an eine weibliche Studentin verschickt worden wäre.

Und um ein weiteres Missverständnis zu vermeiden: Obwohl ich in Israel eine orthodoxe Synagoge besuche, befürworte ich das liberale Reform-Judentum als notwendige Entwicklung. Zumal in Deutschland, wo es im neunzehnten Jahrhundert seinen Ursprung nahm. Ich würde allerdings jedem Rabbiner misstrauen, ganz gleich ob orthodox oder liberal, wäre er mit einer so ungesunden weltlichen Machtfülle ausgestattet wie Walter Homolka, ich würde ihn niemals als Seelsorger oder Ratgeber wählen und, hätte ich vor, Rabbiner zu werden, niemals die Schule besuchen, an der ein solcher Mann die Macht – samt „Machtmissbrauch“ – ausüben darf.

 

Große Investitionen in Homolka

Den vielfachen, habituellen „Machtmissbrauch“ Homolkas hat eine eher schonende Untersuchung der Universität Potsdam inzwischen offiziell bestätigt. Um dessen ungeachtet zu dem Ergebnis zu kommen, es gäbe keine Handhabe, Homolka aus seinen angehäuften Ämtern zu entlassen. Der amerikanische Judaist Jonathan Schorsch, derzeit Gastprofessor an der Uni Potsdam und einer der wenigen Furchtlosen, die im Fall Homolka Tacheles reden, erklärte der Jüdischen Allgemeinen, die Untersuchungskommission habe „die Fakten über Homolkas institutionelle Manipulationen und sein Verhalten so wohlwollend wie möglich“ ausgelegt. Er nannte es „empörend, dass diese korrupte, eigennützige, böswillige und reuelose Person darauf besteht, dass sie qualifiziert ist, in der jüdischen Gemeinschaft zu lehren oder etwas zu leiten“.

Der Zentralrat der Juden hat eine weitere Untersuchung angekündigt, auf deren Ergebnis wir gespannt sein dürfen. Denn einen so kostbaren Kader lässt man nicht gern fallen. In Homolka ist von Seiten des deutschen Staates ungeheuer viel investiert worden. Nicht nur Geld, auch Reputation, internationale Empfehlungen und reale Macht über die Lebensläufe anderer Menschen. Bisher hält man fest an diesem Mann, den man unter großer Mühe zur Überwachungsinstanz aufgebaut hatte. Er ist ein Produkt der Ära Angela Merkel, deren verhängnisvolle Personalpolitik – die Eliminierung fähiger Personen und Förderung rückgratloser Mitmacher – dem Land auch sonst unermesslichen Schaden zugefügt hat. Wieder zeigt sich – ähnlich wie im Missbrauch des Zentralrats der Juden für deutsche Regierungs- und Partei-Interessen – das Elend eines „von oben“ organisierten und vom Staat bezahlten Judentums. Ein solches Judentum ist nicht echt. Nicht authentisch. Es ist würdelos und disponibel. Es ist von vornherein in Interessen eingespannt, die mit Judentum nichts zu tun haben.

Für mein Gefühl war Homolka schon lange vordem als Rabbiner eine Unmöglichkeit. Ich weiß nicht, wieweit sich Reform-Rabbiner ungewisser Ausbildung dem traditionellen religiösen jüdischen Schrifttum verpflichtet fühlen, etwa den Regeln und Empfehlungen des Talmud, wo schon im Grundlagen-Text der Mishna Avot dringend vor zu großer Machtnähe, erst recht vor Ämterhäufung gewarnt wird, auch davor, jüdische Gelehrsamkeit für profane, womöglich politische Zwecke zu missbrauchen: „Mache die Lehre nicht zu einer Krone, um damit zu prunken.“ Figuren wie Homolka wurde deshalb im religiösen Judentum immer misstraut, ihre Eignung zum Rabbiner bezweifelt, längst vor dem Sex-Skandal an seinem Rabbiner-Kolleg, der nur die traurige Bestätigung dieses Misstrauens bedeutet, des bedrückenden Gefühls, dass hier etwas grundsätzlich falsch verstanden und religiöses Judentum mit obskuren Manipulationen verwechselt wurde.

Homolka tritt die Flucht nach vorn an, spricht von einer Verleumdungskampagne, von „Rufmord“ und davon, dass sein grandioses Lebenswerk, der Aufbau eines liberalen deutschen Judentums, „Neider“ auf den Plan gerufen hätte. „Neider“ gibt es zweifellos, doch das große Lebenswerk erweist sich als Kartenhaus. Ein liberales Judentum, das von einem Mann wie Homolka inspiriert ist, verdient diesen Namen nicht. Der staatlich finanzierte autoritäre Machtapparat, dessen düstere Ausmaße hier zu Tage treten, war weder liberal noch jüdisch. Ebenso Homolkas würdeloses Festhalten an den angemaßten Ämtern. Gewiss verbirgt sich hinter diesem „Skandal“ eine Tragödie, die des Mannes Walter Homolka, der sich zu einer Figur hat aufbauen lassen, deren Gewicht er selbst nicht zu tragen vermochte, aber auch der jüdischen Studenten, deren Vertrauen er verriet, und des deutschen Reform-Judentums, dessen Ruf er nachhaltig beschädigte. In Zeiten zunehmender Judenfeindlichkeit erweist sich Homolkas Verhalten als geradezu katastrophal.

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